Interview mit Lena, November 2019
Lena: Weißt du, Antje, ich tanze ja nun schon so viele Jahre bei dir. Das Tanzen ist für mich eine Lebensunterstützung geworden. Ich erweitere sozusagen meinen Horizont beim Tanzen. Ich lerne, mich vielfältiger zu bewegen, und ich lerne über die Bewegung mich selbst besser kennen. Aber es ist nicht nur die Bewegung. Es sind auch deine Sätze, die du sagst.
Antje: Du hast schon öfter gesagt, dass dich meine Sätze begleiten und du jedes Mal so einen Satz mit nach Hause nimmst. Kannst du mal einen Satz als Beispiel geben?
Na, zum Beispiel das mit dem Führen und Folgen. Du hast mal gesagt: „Wenn ihr führen wollt, müsst ihr dem, der folgt, ein paar Gedanken voraus sein. Ihr müsst also eine Idee davon haben, wo ihr hinwollt.“
Da gibt es für mich eine Entsprechung in meinem Leben. Bei mir auf Arbeit ist die Situation so, dass mein Chef bald geht. Ich bin seine Stellvertreterin und deshalb wird von mir erwartet, dass ich die Leitung dann übernehme. Damit hadere ich. Ich schaue genauer hin, was eigentlich die Arbeit meines Chefs beinhaltet. Der macht zum Beispiel viel politische Lobbyarbeit, wirbt Gelder ein.
Ich frage mich, ob ich mir das vorstellen kann, ob das was für mich ist, ob ich das möchte. Und dann kommt wieder das Führen und Folgen. Ich kann durch das im Tanz erlebte Führen und Folgen meine Angst besser definieren. Ich kann jetzt mehr entspannen, besser schlafen, habe mehr Vertrauen, dass ich das lernen kann. Ich kann vieles aus dem Tanz in den Alltag übertragen.
Gibt es noch ein anderes Thema, das dir beim Tanzen begegnet?
Unbedingt! Da ist zum Beispiel das Thema Nähe und Distanz. Das kann ich im Tanz sehr gut üben.
Wie kannst du das denn üben? Kannst du das mit Worten beschreiben?
Ich kann die Balance zwischen dem „bei mir sein“ und „im Kontakt sein“ ständig trainieren und auch einfach mich dabei beobachten — was fällt mir schwer, was fällt mir leicht. Mir fällt es beispielsweise mitunter schwer, wenn ich im Kontakt bin, auch mal wieder rauszugehen. Der Tanz und vor allem auch die Körperwahrnehmung hilft mir dabei, meine Grenze eher zu spüren. Ich habe gemerkt, dass ich im Alltag Grenzen immer wieder zu stark setze.
Ich kann sehr aufbrausend sein und dann verletze ich manchmal auch andere Menschen. Ich lerne, je mehr ich weiß, was ich will, desto weniger verletze ich in Beziehungen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich anderen gegenüber besser vermitteln kann. Und da bin ich bei deinem nächsten Satz, der mich berührt hat und den ich mir gemerkt habe: „Frieden beginnt mit öffnen!“ Das verstehe ich immer besser.
Verstehe ich dich richtig, dass du beim Tanz übst, offenzubleiben für den anderen Menschen und gleichzeitig deine Grenze spürst? Das heißt ja für mich, auch interessiert für dich und deine Bedürfnisse zu bleiben?
Ja, vielleicht kann man das so sagen. Ich habe jedenfalls gespürt, wenn ich attackiere, mache ich ja vorher auch zu, um mich zu schützen vor ‘nem eventuellen Gegenangriff, der durch meine Attacken kommen kann. Wenn ich dichtmache, bin ich nicht mehr bei mir und auch nicht beim anderen. Ich kann im Kontakt im Tanz wahrnehmen, was ich möchte und mich freundlich auch wieder rausnehmen.
Der Tanz ist da sozusagen wie ein geschützter Raum, wo ich das üben kann, weil ich hier auch die Möglichkeit und Zeit bekomme, mich besser zu spüren. Dieser geschützte Raum ist aber eben nicht einfach da, den baust du ja am Anfang durch deine Worte und die Atmosphäre, die du schaffst, auf.
Was unterstützt dich denn dabei, dich in einem geschützten Rahmen zu erleben, kannst du das reflektieren?
Du hast immer ähnliche Anfangssätze, die so in die Richtung gehen: „Nimm deine Grenzen wahr.“ oder „Achte auf deine Gedanken. Denn auch was du denkst, befindet sich als Energie im Raum.“
Das freut mich wirklich sehr, dass du das so intensiv wahrnimmst und sogar reflektierst. Es ist tatsächlich keine leichte Arbeit, diese Atmosphäre zu schaffen. Und umgekehrt ist es für mich eine große Unterstützung, wenn viele Menschen im Raum sind, die meine Arbeit schon kennen und mittragen. Ihr baut sozusagen diese Atmosphäre mit auf.
Mein Wunsch ist, dass ein anderer Umgang der Menschen miteinander nicht auf den Tanz beschränkt bleibt, sondern sich weiter in den Alltag hinein bewegt. Dass wir sozusagen Frieden, Liebe, Autonomie und Verbundenheit beim Tanz erleben und üben, gleichzeitig diese Erfahrungen im Alltag nutzen können.
Quellen und Anmerkungen:
Teil 1 finden Sie hier.