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Ein kleiner Schritt

Ein kleiner Schritt

Während die Welt ins Chaos gleitet, wird der Platz an der Spitze der Pyramide enger.

Der alte Schwindler wähnt sich seines Sieges sicher. Schon erscheint ihm sein Ziel in greifbarer Nähe. Nichts scheint seinen Plänen mehr im Wege zu stehen. Die Maschine läuft. Zufrieden schaltet er an Knöpfen und Hebeln. Wie geschmiert greifen die Räder ineinander und schnurren in leisem, rhythmischem Takt. Mit eisernen Fingern greift die Maschine nach dem Lebendigen, ein nimmersattes Ungeheuer, das allen alles nimmt und ganz wenigen immensen Reichtum zuschiebt.

Immer mehr spitzt sich die Pyramide zu, immer steiler wird der Aufstieg, immer enger der Platz ganz oben. Nur wenige sammeln sich an der Spitze und nehmen sich das Recht, über das Los aller zu bestimmen. Zufrieden blickt der gerissene Gauner auf sein Werk. Gleich wird er ganz oben sein, während unter ihm einer nach dem anderen von der Wucht und der Willkür seiner Machenschaften niedergemacht wird.

Kein Umarmen ist mehr möglich, kein Händeschütteln. Die Leitungen sind gekappt, die Verbindungen unterbrochen. Kein gemeinsames Essen, Singen, Tanzen, kein Willkommen beim Eintritt in das Leben und keine Hand, die beim Abschied die andere hält.

Tief frisst sich die Angst durch die Köpfe der Menschen und verschließt ihre Herzen. Niemand wagt es mehr, sich die Maske vom Gesicht zu nehmen und sich zu zeigen, wie er ist.

Wissen sie denn noch, wer sie sind? Das Gewissen, das sich regte, nachdem Millionen vergast wurden, schaut weg, wenn Milliarden die Freiheit und die Existenz verlieren. „Es ist eben so“, sagen die einen. „Was soll man da machen“, fragen die anderen. Tut man nicht alles für unser Bestes? Strengt man sich nicht gewaltig an? Wird nicht alles für unsere Sicherheit unternommen?

In einer Welt, in der mit Krieg für Frieden gekämpft wird, ist die Rechnung aufgegangen. Die Verwirrung ist komplett. Auf der großen Bühne kommen die Verbrecher als Wohltäter daher und die Warnenden als Narren. Niemand weiß mehr, was wahr ist und was gelogen. Gebannt starren die Menschen auf die Schattenspiele und lassen sich Geschichten erzählen von einem Universum, das aus einem Knall entstand, von Zufall und Sinnlosigkeit, von Konkurrenz und dem Gesetz des Dschungels, vor allem aber von ihrer eigenen Nichtigkeit.

Schlecht ist der Mensch von Anfang an, schuld daran ist die Frau. Verbrennen muss das alte Wissen, bestraft werden die Sünder. Als die Wissenschaft die Religion ablöste und evolvierte Affen begannen, Gott zu spielen, blieben die Dogmen dieselben. Determinismus lautet das Credo, Kontrolle das Vaterunser. Das Komplexe wird in Formeln gepresst und das Subtile aus dem Zusammenhang gerissen, wird analysiert, manipuliert und seiner Seele beraubt.

Sie haben es geschluckt! Zufrieden reibt sich der berechnende Schurke die Hände und lacht sich ins Fäustchen. Sie glauben, dass das Leben Sexualtrieb ist, das Herz eine Pumpe, Liebe ein biochemischer Vorgang und eine Melodie die Aneinanderreihung von Noten. Sie bilden sich ein, Krankheit käme von außen und könne von außen geheilt werden — und sie glauben an die Macht der Materie.

In der kalten und starren Welt, die er ihnen eingeredet hat, ist kein Raum für Sinn, für Poesie und Schönheit. Eins und eins ist zwei und nichts weiter.

In ihrer zerlegten Welt wurde das Lebendige zur Sache, zum Automaten, zum Ersatzteillager. So protestierte niemand, als die Ressourcen bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt wurden. Gierig wischt sich der ewige Nimmersatt den Lebenssaft von den blutleeren Lippen. Er kann ja nur sein, wenn andere ihn nähren. Er selbst ist ja leer, eine Hülle nur, in der kein Bewusstsein wohnt, keine Seele, kein Gefühl.

Er ist Berechnung, Taktik, Strategie. Nach seinem Ebenbilde will er die Welt gestalten. Kalkulierbar soll sie sein. Alles muss sich unter seine Kontrolle begeben. Keine Vielfalt darf existieren.

Kein Grashalm soll ohne seine Erlaubnis wachsen, kein Vogel fliegen, kein Mensch nach Freiheit rufen. Schon sterben die Arten und vertrocknen die Seen, schon fallen die Wälder, schon gräbt sich die Menschheit ihr eigenes Grab.

Er ist am Ziel, nur ein Schritt noch und ganz oben ist er. Zufrieden blickt er auf die Fäden in seiner Hand. Eine Bewegung noch und sein Kalkül geht auf. Der Mensch hat sich selbst verloren. Er hält sich nicht einmal mehr für seines Nächsten Wolf und reduziert sich auf ein Virus, ein Nichts. Wie groß war er und mächtig, wie strahlte seine Seele, wie unbegrenzt waren seine Möglichkeiten, bevor er zum Sünder wurde, zum Rädchen im Getriebe, zum Konsumenten!

Ein einziger Schritt noch, dann ist er ganz oben auf der Pyramide angekommen. Der Besitzer aller Materie, der Erbauer einer neuen Ordnung und der Herrscher über eine Welt ohne Sinn und ohne Hoffnung. Der ewige Spalter reckt seine uralten Knochen, hebt stolz das Kinn, schaut noch einmal aus kalten Augen auf das Werk unter sich — und macht den alles entscheidenden Schritt, der die Spitze vom Abgrund trennt.


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