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Die Ehe in Zeiten der Wahl

Die Ehe in Zeiten der Wahl

Ehe für alle, alle für Ehe? Die bereits seit Jahren überfällige Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe ist nun beschlossen. Von einer Bewilligung aus Einsicht kann jedoch vor allem in der CDU/CSU keine Rede sein. Eine Polemik.

Der Startschuss

Am Montagabend dieser Woche erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie wolle die Abstimmung zur Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe zu einer Gewissensentscheidung machen. Sie rückt damit vom klaren Nein ihrer Partei in dieser Frage ab. So kurz vor dem Wahl? Ach! Nach jahrelangem kirchlichen Gedruckse, vorgeblicher Kinderwohl-Bedenken und juristischer Wortklauberei. Woher die Sinneswandlung?
Ein „einschneidendes Erlebnis“ habe Merkel erleuchtet, als sie nach einem Gespräch mit zwei lesbischen Frauen, die sich um acht Pflegekinder kümmern, realisiert haben soll: Wenn das Jugendamt „einem solchen Paar“ acht Pflegekinder anvertraue, erschiene ihre Kinderwohl-Argumenation wohl nicht haltbar. Eine schöne Geschichte, die sich leicht aus Frau Merkels Erinnerungskiste herauskramen ließ, um ein menschliches Bild der Kanzlerin abzuliefern. 2013, als dieses Treffen jedoch eigentlich stattfand, schien sie davon wenig beeindruckt, hatte sie doch in jenem Jahr noch gegluckert, sie sei sich „unsicher, was das Kindeswohl [in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, Anm.] anbelangt.“ Ein wenig mehr Mühe bei einer altruistischen Begründung hätte man sich wohl geben können, denn gerade angesichts der sonstigen Müßiggang-Politik des unbeeindruckbaren, schwerfälligen Merkelapparates, dessen einzige klare Kante wohl die seiner Anzug-Schulterpolster bleibt, wirkt eine solche Erleuchtung lächerlich hanebüchen.
Umso durchsichtiger hingegen ist das eigentliche – dieses „eigentlich“ könnte man sich auch sparen, so gläsern ist dieser Schachzug – Kalkül, das hinter Merkels Lockerung des Parteizwang-Neins und der Hinwendung zu einer Gewissensfrage steht. Natürlich musste ihr bewusst sein, vor allem, nachdem die SPD die gleichgeschlechtliche Ehe zur Koalitionsvoraussetzung erklärt hatte, dass jegliche Annäherung ihrerseits in dieser Thematik von der SPD und der Opposition aus Grünen und Linken aufgegriffen werden würde. So war es also vollkommen absehbar, dass die letzteren drei Parteien diese seltene Einlenkung in der Tat zum Anlass nahmen, eine Gewissensentscheidung, wie sie von Merkel selbst vorgeschlagen wurde, auf den Weg zu bringen.
Dass sich die Damen und Herren der CDU/CSU dann also über einen „Vertrauensbruch“ der SPD, einen „Überfall“ (Angela Merkel, CDU) gar entrüsten, meinen, die Opferkarte spielen und mit 309 Abgeordneten im Bundestag – fast so vielen wie SPD, Linke und Grüne zusammen stellen – greinen zu müssen, dass für sie der „Köcher der Möglichkeiten [...] leer“ (Patrick Sensburg, CDU) sei, dann ist diese ahnungs- und hilflose Masche an Albernheit kaum zu übertreffen. Aber natürlich ist dieser Schritt durchaus praktisch und logisch, denn nach einer eventuell Wähler gewinnenden Annäherung bietet er sogleich wieder die Möglichkeit, zurückrudern zu können, um die konservativen Wähler zu beruhigen, und obendrein SPD sowie Opposition für deren ach so opportunistisches Vorpreschen anzupöbeln. Ein toller Streich – wenn er nur nicht so durchsichtig wäre.

Juristische Pedanterie

Ein bisher bereits unzählige Male angeführtes Gegenargument, das die CDU/CSU auch in der aktuellen Debatte nicht müde wird, vorzugeben, ist die angebliche Verfassungswidrigkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe. Hans-Peter Uhl, der Justiziar der Unionsfraktion, sieht die Ehe für alle in zwei Bedingungen, an die das Bundesverfassungsgericht die herkömmliche Ehe anknüpfe, dem Grundgesetz widersprüchlich. Dieses besage laut ihm, die Ehe sei „eine dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft“, die „darauf ausgerichtet [ist], Kinder hervorzubringen.“ Uhl scheint hier also einerseits offen anzuzweifeln, dass homosexuelle Paare langfristig Verantwortung jeglicher Art übernehmen können, und andererseits das Grundgesetz zu seiner Auffassung einer fruchtbaren Ehe hin zurechtzubiegen. Art. 6 Abs. 1 GG, um den es hier geht, definiere allerdings nicht, „wer miteinander die Ehe eingehen darf“ (Hubertus Heil, Generalsekretär der SPD). Auch für Justizminister Heiko Maas (SPD), der bei der rechtlichen Auslegung auf die „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers“ verweist, ist der gegebene gesetzliche Rahmen nicht exklusiv für heterosexuelle Paare gültig. Und selbst wenn die gleichgeschlechtliche Ehe auf Biegen und Brechen nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar wäre, so müsste man dies eben ändern. Bei den von CDU/CSU mitgeförderten und von der SPD durchgewinkten Grundgesetzbrechungen wie der Vorratsdatenspeicherung oder dem Staatstrojaner gab es doch anscheinend auch keine Bedenken?

Ein zweifelhafter Sieg

Abgesehen davon hat mit Patchwork-Familien (neudeutsch: Stieffamilien) und dem rechtlichen Ausbau der Lebenspartnerschaften schon vor einiger Zeit, auch soziokulturell, eine Wandlung des Eheverständnisses begonnen. Trotzdem schränkten eingetragene Lebenspartnerschaften in vielen Bereichen – Adoptionsrecht, Steuerrecht, Übertragung von Familiennamen – erheblich ein. Diese Benachteiligung bedeutet, dass bis dato in Deutschland eine rechtliche Herabwertung homosexueller Paare an der Tagesordnung war. Es ist peinlich, vor allem im internationalen Vergleich, dass die Gleichstellung in Deutschland nun erst so spät Realität wird, und vor allem ist verwunderlich, wie sie es wird: Innerhalb einer Woche ist der Beschluss durchgeführt worden. Diese Geschwindigkeit ist man sonst, gerade von Frau Merkel, nicht gewöhnt – und man verdankt sie auch nicht ihr, sondern vielmehr dem Druck von SPD, Opposition und der LGBT-Community. Umso bedenklicher ist allerdings, wie nachhaltig und sorgfältig dieser Gesetzesentwurf realisiert wird. Denn nur, weil zwei Drittel des Bundestages dem Beschluss zugestimmt haben, wird das verbleibende Drittel nicht stumm. Auch die Diskriminierung, ob staatlich oder gesellschaftlich, hört damit nicht auf. Es ist, wie Florian Ernst Kirner es treffend formulierte, kein Sieg der Einsicht.

Es ist Wahlkampf

Dass letztendlich nicht viel mehr hinter der jetztigen Durchführung der Abstimmung steckte als Merkels politisches Wahlkampfkalkül, zeigt sich schon heute wieder daran, dass auch die Bundeskanzlerin, welche die Diskussion „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung“ führen wollte, die gleichgeschlechtliche Ehe damit aber wissentlich realisierte, mit „Nein“ stimmte. Das bedeutet, dass wir noch immer eine Bundeskanzlerin haben, die Homosexuellen kein Recht auf die Ehe zuspricht. Merkel, die im Vorfeld des Beschlusses noch beklagte, dass die Ehe für alle Gegenstand von „Parteitagsbeschlüssen und plakativen Dingen“ sei, ließ sich davon allerdings nicht abhalten, durch ihr Einlenken – im Wahlkampf – auf die gleichgeschlechtliche Ehe zuzuschleichen und so ein paar schwankende Wähler abzugreifen. Denn selbst, wenn sie die Einführung nicht explizit in Wort und Tat befürwortet und sie eigentlich verneint: Die Signalwirkung ist da.
Trotzdem bleibt, auch nach dem erfolgreichen Beschluss der gleichgeschlechtlichen Ehe, ein fader Nachgeschmack. Bisher scheiterte die Einführung der Ehe immer wieder an der CDU/CSU – und damit, allen voran, an Angela Merkel. Das kristalline Konstrukt aus aufgebauschten Erkenntnissen und plötzlicher Besonnenheit, das ihr dieses Mal auf den Leib geschneidert wurde, ist leider nur allzu transparent und fragil – das „Nein“ bei der Abstimmung hat schon den einen oder anderen Sprung hinterlassen. Es wurde geschliffen, um in einem Wahlkampf punkten zu können. Wie lange es wohl dauert, bis es wieder zerbricht?

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