Es wird eng. Die Lage spitzt sich zu. Wer wird den nächsten Pfeil abschießen? Die Welt gleicht einem Pulverfass. Sind wir noch zu retten? Wie eine dunkle Wolke scheint das Unheil über uns zu hängen. Einem Umhang gleich legt es sich um uns und will uns nicht mehr loslassen. Immer düsterer braut es sich zusammen. Was können wir tun in einer Zeit, in der der Ausnahmezustand die neue Normalität und die Freude ein verkümmertes Mauerblümchen ist?
Was haben die Menschen getan, die in den Luftschutzbunkern saßen? Die in den Lagern? Auf der Flucht? Es sind, so erfuhr der Psychiater Viktor Frankl, nicht die Stärksten, die die großen Krisen überstehen. Es sind diejenigen, die einen Sinn in dem Erlebten erkennen und sich gewissermaßen aus ihm herausschälen. Wer sich als ohnmächtiges Opfer fühlt, hat nicht nur verloren. Er ist verloren. Nur wem es gelingt, sich als Teil eines höheren Zusammenhängenden zu sehen, in dem jeder und alles seinen Platz hat, hat eine Chance.
Es ist nicht der Krieg, der Sinn macht. Nichts rechtfertigt Gewalt und Terror. Sinn erschließt sich aus dem subjektiven Erleben heraus. Welche Richtung geben wir unserem Leben, wenn alles zusammenbricht? Wenn alles von einer Sekunde zur anderen vorbei sein kann? Was machen wir angesichts unserer Endlichkeit, unserer Verletzlichkeit? Wie positionieren wir uns jetzt?
Wenn morgen die Welt untergeht
In einer Erzählung des französischen Schriftstellers Eric-Emmanuel Schmitt versuchen Frauen in der Baracke eines Konzentrationslagers, ihrer Nachwelt etwas von sich zu hinterlassen. Was ist es wert, notfalls mit dem eigenen Blut auf die Papierfetzen geschrieben zu werden, die sie sich mühsam zusammenklauben? Keine Gedichte sind es, keine Gebete, keine Klagen oder philosophische Gedanken. Es sind Kochrezepte. Ganz konkret, ganz praktisch, ganz lebensbejahend.
Was machen wir aus den Zutaten, die uns das Leben gibt? Was spinnen wir aus dem Faden, den wir in der Hand halten? Was für eine Welt weben wir daraus?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich das von der Verlegerin Elvira Driediger initiierte und im März 2022 erschienene Buch Die Zukunft beginnt heute (1). Es geht ums Ganze: Politik, Justiz, Ökonomie, Bildung, Gesundheit, Natur, Wissenschaft, unser gesamtes Welt- und Menschenbild.
„Wir sehen in diesem Buch kein umfassendes Werk, sondern einen Anstoß zum Diskussionsprozess. Wie könnte das Zusammenleben besser gestaltet werden? Was können wir tun, um glücklicher, zufriedener, frei und doch verantwortungsvoll mit den Menschen auf dieser Welt wie auch mit der Natur zu leben?“, schreibt die Herausgeberin im Vorwort. Es ist ein Denken ohne Geländer, wie Hannah Ahrendt es nannte, das hier angestoßen werden soll.
Lebendige Gemeinschaft
Wenn viele Menschen an gemeinsame Mythen glauben, so der omnipräsente Historiker Yuval Noah Harari, können sie effektiv zusammenarbeiten und Großes vollbringen. Wem es gelingt, unsere Mythen und damit unser Menschen- und Weltbild zu lenken, der bestimmt unser Schicksal. Es geht also darum, sich aus dem Netz zu befreien, das andere um uns spinnen, und die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Anders als in Hararis Weltbild werden hier nicht die Geschichten einer Menschheit erzählt, die nur der technische Fortschritt retten kann. Der Mensch wird nicht der Maschine geopfert, sondern entdeckt sich neu als sensibles, mitfühlendes, schöpferisches Wesen. Zu Wort kommen Autoren, die sich mit den grundsätzlichen Fragen einer lebendigen Gemeinschaft auseinandersetzen.
„Geld oder Leben — oder beides?“, fragt Christoph Gringmuth zu Beginn des Buches und entwickelt Ansätze einer Ökonomie, in der es um Kooperation, Frieden und das allgemeine Wohl geht. Marianne Grimmenstein, Mitbegründerin der Bürgerinitiative GemeinWohlLobby, beschreibt die Säulen einer gesunden, demokratiefähigen Gesellschaft und Michael Meyen, Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft, entwickelt konkrete Ansätze für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einen transparenten und vielfältigen Journalismus.
Lebensschule
Der Lerntrainer und Berufszauberer Ricardo Leppe stellt erneut das Kind in das Zentrum der Lernprozesse und macht anhand seiner eigenen Geschichte deutlich, was alles möglich ist. Jeder Mensch ist von Natur aus neugierig. Anstatt diese Gabe in Stundenplänen zu ersticken, im Auswendiglernen und Ausspucken von Lerninhalten, die im wirklichen Leben niemand braucht, wird die Freude in die Lernprozesse zurückgeholt. Denn es sind die Kinder, die bestimmen, welche Inhalte sie zu welchem Zeitpunkt lernen möchten.
Mittels kreativer Lerntechniken reduziert sich das Erlernen der Grundfähigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen auf etwa eine Stunde pro Tag. So bleibt viel Zeit für das, was nützlich ist und Spaß macht. Das erste Hauptfach betrifft den Körper und Aktivitäten wie Sport, Bewegung, Singen, Malen, kreatives Gestalten, Natur, Umgang mit Pflanzen und Bäumen, Atmung, Ernährung. Das zweite Hauptfach ist der Umgang mit Geist und Seele und das dritte die Vorbereitung auf das Leben: Kochen, Reifen wechseln, Garten anlegen, Wäsche waschen, Mietvertrag ausfüllen, Reparaturen ...
Die Geburts- und Sterbebegleiterin Friederike de Bruin ermutigt dazu, dass sich die Menschen die großen und wichtigen Ereignisse in ihrem Leben wieder zurücknehmen und vermittelt Vertrauen in die komplexen und subtilen natürlichen Prozesse des Werdens und Vergehens. Sie entwickelt die Vision zukünftiger Geburtshäuser, in denen es nicht darum geht, welche Notfallausrüstung wir brauchen, sondern darum, wie wir die Geburt am schönsten gestalten können.
Wie die Geburt gibt uns auch das Sterben die Möglichkeit, tiefe Empfindungen miteinander zu teilen. Diese berührendsten Momente unseres Lebens können wir wieder in den häuslichen Bereich zurückholen.
Wir können erneut lernen, einander liebevoll zu begleiten, uns zärtlich und achtsam in unserem Innersten zu berühren und uns unsere Wertschätzung zu schenken. Denn was auch passiert: Im Zentrum des Lebens steht der Wunsch des Menschen zu lieben und geliebt zu werden.
Neue Geschichten
Der Psychologe Franz Ruppert stellt eine in 30 Berufsjahren entwickelte Methode vor, wie wir konkret in eine menschlichere Gesellschaft finden können. Seine identitätsorientierte Psychotraumatherapie ermöglicht es, die Dunkelfelder des Unbewussten auszuleuchten, die dadurch entstehen, dass die Eltern ihre Probleme nicht lösen und in Form von Traumata an die nachfolgende Generation weitergeben. Dieses Erbe können wir nicht ausschlagen. Wir müssen es annehmen. Doch wir sind ihm nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Über Resonanz — die informatorische und energetische Rückkopplung beim Senden und Empfangen psychischer Inhalte — werden Selbstbegegnungen möglich, die notwendig sind, die gesunden Anteile in uns zu stärken. Erst wenn diese mehr Gewicht erhalten, können auch die traumatisierten Anteile aus der Verbannung geholt und ins Licht des Bewusstseins gebracht werden. So kann die Grundlage dafür geschaffen werden, Menschen glücks- und friedensfähiger zu machen und eine Gesellschaft zu begründen, in deren Zentrum nicht Angst, Hass und Kampf stehen, sondern Harmonie, Respekt und Kooperation.
Der Förster und Unternehmer Erwin Thoma vermittelt seine Begeisterung für Bäume und natürliches Bauen und die Mitinitiatoren des Bodenfruchtbarkeitsfonds Christopher Schümann und Mathias Forster stellen konkrete Wege vor, wie die Landwirtschaft zurück in die Balance finden kann. Vera Zingsem schließlich, Mitinitiatorin des Vereins PolyThea für weibliche Spiritualität und postpatriarchale Visionen, erkennt im Transhumanismus die konsequente Fortsetzung und Erfüllung biblischer Geschichten, nach denen der Mensch ein sündiges und fehleranfälliges Wesen ist, das am besten durch die perfekt funktionierende Maschine ersetzt wird.
Es ist an der Zeit, neue Geschichten zu schreiben, in denen nicht Gott gegen Mensch, Mensch gegen Mensch und Mann gegen Frau kämpfen. Indem wir uns auf die Schöpfungsmythen besinnen, denen das Bewusstsein über die Weltverwobenheit zugrunde liegt, können wir erneut lernen, die Erde als geistvolle Schöpferin allen Lebens anzuerkennen und zu ehren. Vorbild ist die altägyptische Weisheitsgöttin Maat, die lange vor der patriarchalen biblischen Tradition entstanden ist. Als Kopfschmuck trägt sie eine einfache Straußenfeder im Haar, Symbol für die gesamte kosmische Ordnung.
Es gibt viel zu tun
Damit ist längst nicht alles gesagt. Sowohl die einleitenden Worte von Elvira Driediger als auch die abschließenden von Frank Lustig kündigen an, dass es einen oder mehrere weitere Bände geben wird. Themenbereiche wie die Finanzierung von Wissenschaft und Hochschulen, Rechtswesen, Verkehr, Sport und Gesundheit werden in ihnen Berücksichtigung finden.
Es gibt so viel zu tun, wenn die alte Welt im Sterben liegt und die neue sich ihren Weg ins Leben bahnt! Diese neue Welt kann nur eine Welt des Friedens sein. Eine andere wird der Planet nicht tragen.
Mögen die Anregungen, die uns die Autorinnen und Autoren hier geben, als Inspiration dienen, das Leben nicht mehr zu erdulden, sondern zu gestalten. Es sind keine Rezepte, die uns hier geliefert werden. Keine Richtlinien sagen uns, wo es langgeht, und keine Verordnungen geben uns vor, wie wir uns zu verhalten haben. Die Zukunft, von der die Rede ist, hat nichts gemein mit dem von WEF, Weltbank, IWF, WHO, EU und den anderen institutionellen Ablegern der Herrschaftskasten vorangetriebenen Great Reset. Hier wird ein anderes Süppchen gekocht. Das Hauptaugenmerk wird nicht mehr auf das gelenkt, was nicht geht, sondern darauf, was geht. Grund zu Hoffnung und Zuversicht gibt es viele. Mögen sie die Zutaten sein, aus denen eine wirklich friedliche Welt entsteht.
Das Buch können Sie hier bestellen: www.driediger.de
Quellen und Anmerkungen:
(1) Christoph Gringmuth, Marianne Grimmenstein-Balas, Ricardo Leppe et al.: Die Zukunft beginnt heute. Impulse für einen gesellschaftlichen Wandel, Driediger Verlag 2022