Zum Inhalt:
Die Wohngeld-Illusion

Die Wohngeld-Illusion

Wer glaubt, dass Wohngeld den Menschen zusteht, die sich ihre Miete nicht mehr leisten können, irrt.

Als Bettina Böttinger am 14. November 2018 im WDR die Sendung „Ihre Meinung — Wie gerecht ist NRW“ moderierte, entspannte sich nach etwas mehr als 6 Minuten folgender Dialog mit einer Rentnerin:

„Ich bin Gudrun H. aus Duisburg und ich hätte zu dem Thema zu sagen: Ich habe schon dreimal versucht, Wohngeld zu beantragen und es ist jedes Mal abgelehnt worden.
Böttinger: Ja, wie ist denn Ihre Situation? Warum meinen Sie, Sie haben Anrecht auf Wohngeld?
Gudrun H: Ich bin Rentnerin und muss eben noch auf Teilzeit arbeiten, auf 450 Euro bei der Sozialstation, weil es sonst nicht reicht.
Böttinger: Darf ich Sie indiskret fragen, wie hoch Ihre Rente ist?
Gudrun H: Meine Rente sind 596 Euro.
Böttinger: Und die Höhe Ihrer Miete?
Gudrun H: 578 Euro.
Böttinger (ungläubig): Und Sie bekommen kein Wohngeld?
Gudrun H: Nein. Ich habe noch jetzt eine zusätzliche Rente, aber es reicht halt alles nicht so richtig.

Man konnte sehen, wie erstaunt Bettina Böttinger war, dass eine Frau, die ein so geringes Einkommen hat, vom dem sie circa 40 bis 50 Prozent für die Miete zahlt, offenbar kein Wohngeld erhält.

Kein Vermieter versäumt es, bei einer Mieterhöhung Mieter darauf hinzuweisen, dass sie ja eventuell „Wohngeld beantragen“ könnten. Wir werden sehen, dass das regelmäßig Unsinn ist. Wohngeld ist eine in der Praxis unbedeutende, in der ideologischen Auseinandersetzung aber wichtige Leistung des Staates. Zum Umfang des Wohngeldes steht bei Wikipedia:

„Am Jahresende 2015 bezogen in Deutschland rund 460.000 Haushalte Wohngeld (2014: 565.000 Haushalte), das waren 1,1 % (2014: 1,4 %) aller privaten Haushalte. Die Gesamtausgaben für das Wohngeld betrugen im Jahr 2015 bundesweit rund 681 Millionen Euro, im Vergleich zu 2014 sanken die Wohngeldausgaben um 19 %. Die durchschnittliche Ausgabe des Staates lag 2015 bei 8 Euro pro Einwohner.“

Der dort genannte Betrag von 681.000.000,00 Euro reichte zum Beispiel im Jahre 2016 aus, damit die Wohnungsgesellschaft LEG 13.800 Wohnungen vom größten Wohnungsbaukonzern, der VONOVIA, erwerben konnte. Wahrscheinlich wäre das Geld besser eingesetzt, wenn der Staat Wohnungen erwerben würde.

Warum die tatsächlich gezahlte Miete für das Wohngeld oft keine Bedeutung hat

Wer denkt, dass die tatsächlich gezahlte Miete irgendetwas mit dem Wohngeldanspruch zu tun hätte, möge unter dieser Website oder alternativ hier einen Blick in § 12 Wohngeldgesetz (WohnGG) werfen. Danach wird der Berechnung des Wohngeldes die tatsächliche Miete nur dann zu Grunde gelegt, wenn sie niedriger ist als die anrechenbare Miete.

Die anrechenbare Miete hat nichts mit der Größe der Wohnung, mit dem Alter der Wohnung und ihrer Ausstattung zu tun, sondern ausschließlich mit der Frage, in welchem Gebiet die Wohnung liegt und von wie viel Personen sie bewohnt ist. Ein Auszug aus der Tabelle im Gesetz hier:

Bild

Gehen wir von Ballungszentren aus, zum Beispiel von Köln, das in die Gruppe VI gehört, so ist die anrechenbare Miete für eine Person 522,00 €, für 4 Personen 879,00 €. Unter Miete wird hier weder die sogenannte Kaltmiete noch die Warmmiete verstanden, sondern vielmehr eine Miete inklusive aller Nebenkosten ausschließlich der Kosten für Heizung. Geht man davon aus, dass aber bereits die Nebenkosten, zum Beispiel Grundsteuer, Müllabfuhr, Hausmeister, Wasser und Abwasser, regelmäßig mit 1,50 € bis 2,00 € pro Quadratmeter und Monat angesetzt werden können, so ergäbe sich beispielsweise für einen 4-Personen-Haushalt folgende Berechnung:

Selbst wenn diese äußerst bescheiden eine 80-qm-Wohnung bewohnen, wären in der anrechenbaren Miete von 879,00 € also bereits etwa 130,00 € bis 160,00 € an umlagefähigen Nebenkosten enthalten, so dass als reine sogenannte Kaltmiete ein Betrag von unter 750,00 € verbleibt. Dass es aber in Ballungsgebieten keine Wohnung von 80 qm für 750,00 € gibt, weiß jeder, offenbar abgesehen vom Bundesgesetzgeber.

Bezahlen die Mieter also für eine solche Wohnung 900,00 € oder 1.000,00 €, so werden bei der Wohngeldberechnung trotzdem nur 879,00 € zu Grunde gelegt. Eine eventuelle Mieterhöhung führt deswegen auch in keinem Fall zur Erhöhung des Wohngeldanspruchs natürlich auch dann nicht, wenn sie auf einer Modernisierung beruht. Verlassen jetzt beispielsweise zwei Kinder die Wohnung und freuen sich die Eltern, nun etwas mehr Platz zu haben, sinkt die anrechenbare Miete auf 633 €.

Nun weiß allerdings jeder, dass die Miete sich nicht ändert, wenn weniger Personen in einer Wohnung wohnen. Wir stellen uns einmal vor, welche Heiterkeit es bei Vermietern — denselben, die bei der letzten Mieterhöhung auf einen angeblichen Wohngeldanspruch verwiesen haben — auslösen würde, wenn Mieter ihnen mitteilen, dass nunmehr ihre Kinder ausgezogen sind und sie deswegen einen Anspruch darauf hätten, dass die Miete auch gesenkt wird.

Das erklärt auch, warum Frau H. aus Duisburg kein Wohngeld bekommt. Wir wissen natürlich nicht, ob in der von ihr gezahlten Miete von 578,00 schon die Heizkosten enthalten sind. Wir wissen aber — da Duisburg in die Mietstufe III eingeordnet ist — dass die anzurechnende Miete von Frau H. 390,00 € beträgt. Sie wohnt also nach Meinung des Gesetzgebers zu teuer. Und gerade in Duisburg. Wahrscheinlich noch im falschen Viertel. Könnte die nicht eine günstigere Wohnung in einer der Schrottimmobilien bekommen?

Wie absurd niedrig diese anrechenbare Miete durch das Wohngeldrecht ist, wird besonders deutlich, wenn man sie mit den Kosten der Unterkunft vergleicht, die für Hartz-IV- beziehungsweise Sozialhilfe-Empfänger als angemessen gesehen werden und die daher „vom Amt“ erstattet werden. Alle genannten Zahlen gelten für Köln: Bei einer Person ist dies ein Betrag von 574,00 € statt 522,00 € beim Wohngeld, bei zwei Personen 696,00 € statt 633,00 € und bei vier Personen 967,00 € statt 879,00 €. Die Mieten, die hier — durchaus realitätsnäher — als angemessen angesehen werden, stehen nicht einmal einem Wohngeldempfänger zur Verfügung, der also eigentlich „besser“ gestellt wäre als ein Empfänger von Hartz IV.

Wer übrigens wissen will, wie sich die Mietstufen ermitteln, kann das in § 12 Abs.3 WohnGG nachlesen. Wer „seine“ Gemeinde sucht findet die unter wohngeld.de. In NRW gehört zum Beispiel Altena in die Stufe I, Gelsenkirchen in die Stufe II, Duisburg in die III, Aachen in die IV, Bonn in die V und Köln und Düsseldorf in die VI.

Ökonomisch unsinnig, unsinniger, FDP

Im letzten Wahlprogramm der FDP (2017) heißt es:

„Der Wohnungsbau wird im notwendigen Maße angeregt, wenn jeder Mieter zahlungsfähig ist. Dafür sorgt ein sachgerecht ausgestaltetes Wohngeld, das der örtlichen Mietenentwicklung jährlich angepasst wird. Es kommt jedem Mieter sofort zugute, sobald er eine Wohnung angemessener Größe zu einem angemessenen Mietpreis gefunden hat oder eine Erhöhung der Miete seiner Wohnung wegen steigender Vergleichsmieten hinnehmen muss. (...) Wir wollen die Berechtigung auf Bezug einer Sozialwohnung auf diejenigen Bevölkerungskreise begrenzen, die auf dem freien Wohnungsmarkt auch mit einem Wohngeldanspruch erfolglos bleiben, weil Vermieter sie trotz ihrer Zahlungsfähigkeit nicht akzeptieren.“

1894 hat Friedrich Engels den dritten Band des Kapitals von Karl Marx herausgegeben, der darin auch die Wirkungsweise der Grundrente beschrieben hat. Spätestens seitdem steht fest, dass die angeblichen Gesetze des Marktes notwendig dort nicht funktionieren, wo es um eine eben nicht beliebig vermehrbare Ware wie Grund und Boden geht. Zu dem Eingangssatz „Der Wohnungsbau wird im notwendigen Maße angeregt, wenn jeder Mieter zahlungsfähig ist“, könnte man mit dem großen Philosophen Lothar Mathäus sagen: „Wäre, wäre, Fahrradkette“.

Bekanntlich besteht ein wesentliches Problem gerade darin, dass eine Vielzahl von Mietern nicht zahlungsfähig ist. Laut FDP soll Wohngeld einem Mieter zu Gute kommen, der „eine Wohnung in angemessener Größe zu einem angemessenen Mietpreis“ gefunden hat, das ist ebenso luftig wie unsinnig. Die meisten Mieter würden wahrscheinlich gerne auf Wohngeld verzichten, wenn sie tatsächlich eine Wohnung in einer angemessenen Größe zu einem angemessenen Mietzins finden würden.

Genau diese Wohnungen stehen nicht zur Verfügung. Die ganze luftige Umschreibung im FDP-Programm, — die ja auch sonst den ein oder anderen Befürworter hat —, ist also nichts weiter als ein fast religiöser Glaube an den Neoliberalismus. Aber wie sagte schon Otto in seiner Rolle als Priester: „Wahren Schutz bieten nur die großen Religionen.“

Und in der Tat ein Katholik kann immerhin nach Lourdes pilgern und dort um himmlischen Beistand bitten, dass er eine angemessene Wohnung zu einem angemessenen Preis findet. Die Möglichkeit solcher Fürbitten ist dem Anhänger der FDP-Religion versperrt. Ihm bleibt nur das einzige Element realer Politik, das in diesen programmatischen Aussagen vorhanden ist, nämlich die Kürzung der Mittel für Sozialwohnungen.

Nun ist ja bekannt, dass die SPD sich nach Themen umsieht, mit denen sie Gerechtigkeit und Ähnliches einfordert. Hier haben wir noch schöne Vorschläge:

Eine Wohngeldberechnung, die auf einem Bierdeckel Platz hat und …

Nachdem der Förderer der Bierdeckelsteuer den CDU-Vorsitz anstrebt, kann man ja nun einmal die Steuerberechnung mit der Wohngeldberechnung vergleichen. Den Steuertarif kann man in § 32a Einkommenssteuergesetz nachlesen.

Relativ einfach gestaltet lautet er:

Die tarifliche Einkommensteuer ab dem Veranlagungszeitraum 2018 bemisst sich nach dem zu versteuernden Einkommen. Sie beträgt …. jeweils in Euro für zu versteuernde Einkommen

bis 9.000 Euro (Grundfreibetrag): 0;
von 9.001 Euro bis 13.996 Euro: (997,8 · y + 1 400) · y
von 13.997 Euro bis 54.949 Euro: (220,13 · z + 2 397) · z + 948,49;
von 54.950 Euro bis 260.532 Euro: 0,42 · x – 8.621,75; …

Die Größe „y“ ist ein Zehntausendstel des den Grundfreibetrag übersteigenden Teils des auf einen vollen Euro-Betrag abgerundeten zu versteuernden Einkommens. Die Größe „z“ ist ein Zehntausendstel des 13.996 Euro übersteigenden Teils des auf einen vollen Euro-Betrag abgerundeten zu versteuernden Einkommens. Die Größe „x“ ist das auf einen vollen Euro-Betrag abgerundete zu versteuernde Einkommen. Der sich ergebende Steuerbetrag ist auf den nächsten vollen Euro-Betrag abzurunden.

Man sieht daran, der Einkommenssteuertarif hat ziemlich unproblematisch auf einem Bierdeckel Platz, was tatsächlich kompliziert ist, ist die Ermittlung der Bemessungsgrundlage, das heißt, festzustellen, wie hoch das zu versteuernde Einkommen ist. Anders hingegen bei der Wohngeldberechnung. Die ist eher höhere Mathematik. Dort lesen wir in § 19 Wohngeldgesetz auf dieser Seite oder hier Folgendes:

Das ungerundete monatliche Wohngeld für bis zu zwölf zu berücksichtigende Haushaltsmitglieder beträgt

1,15 ∙ (M – (a + b ∙ M + c ∙ Y) ∙ Y) Euro.

„M“ ist die zu berücksichtigende monatliche Miete oder Belastung in Euro. „Y“ ist das monatliche Gesamteinkommen in Euro. „a“, „b“ und „c“ sind nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder unterschiedene Werte und ergeben sich aus der Anlage 1 (2). Die zur Berechnung des Wohngeldes erforderlichen Rechenschritte und Rundungen sind in der Reihenfolge auszuführen, die sich aus der Anlage 2 ergibt.

Der Leser der vielleicht nicht dem Link auf die Anlage 1 folgt wird hier ein Einblick in diese Anlage gegeben, der geneigte Leser kann aber auch gerne schnell weiter scrollen:

Die in die Formel nach § 19 Absatz 1 Satz 1 einzusetzenden, nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder unterschiedenen Werte „a“, „b“ und „c“ sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen:

Bild

Bild

Bild

Da verwundert es nicht, dass der Gesetzgeber in der Anlage 2 sogar noch die Rechenschritte vorschreibt. Ich drucke das hier nicht ab, dem Link zu folgen lohnt sich.

Man sieht also, die Steuererklärung der Wohlhabenden ist immer noch ein wichtigeres Anliegen als eine transparente Wohngeldberechnung.

Transparenz des Ergebnisses

Da unter diesen Umständen niemand genau weiß, ob er Wohngeld erhalten kann oder nicht, gibt es dafür im Internet Wohngeldrechner, zum Beispiel unter dieser Website oder auch auf der Seite der Stadt Köln.

Leider gibt es keinen Preis dafür, wem es am besten gelingt, absurde Bürokratie in noch absurdere Programme umzusetzen. Diese Rechner hätten den Preis verdient. Wer nach circa 40 bis 50 Fragen, die nicht unbedingt für jedermann verständlich sind, aber doch beantwortet werden müssen, noch nicht das Handtuch geworfen hat, erfährt „unverbindlich“ ob er einen Anspruch haben könnte. Eine echte Überprüfung ist aber erst mit Antragstellung möglich, bei der dann die Fragen noch mal schriftlich eingereicht werden müssen und dann die Antworten detailliert geprüft werden.

Vielleicht macht die SPD sich allerdings zumindest für eine Änderung dieses Rechners stark, der in keiner Weise transparent macht, dass keineswegs die tatsächlich gezahlte Miete für die Höhe des Anspruches ausreichend ist. Transparent wäre doch ein Hinweis in dem Rechner und dem Wohngeldbescheid etwa wie folgt:

„Sie zahlen zwar … € Miete, das interessiert uns allerdings nicht. Bei der Wohngeldberechnung legen wir die anrechenbare Miete zu Grunde, die beträgt in Ihrem Fall lediglich …. €. Also machen Sie sich nach Möglichkeit auf die Suche nach einer Wohnung zu diesem Preis. Und wenn Sie uns jetzt fragen, wo es eine Wohnung gibt, die Sie zu einem solchen Betrag anmieten können, kann ich Ihnen dazu nur zweierlei sagen: 1. „Wir sind dafür nicht zuständig“, 2. „Wenn ich das wüsste, wäre ich wahrscheinlich Makler und nicht Behördenangestellter geworden.“


Hinweis der Redaktion: Der Beitrag ist zunächst auf dem Blog "Die Schneeflocke" der Rechtsanwälte Schön und Reinecke erschienen mit folgendem Link: http://www.blog-rechtsanwael.de/

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.