Diesen Herbst hat die Bundeswehr im Verbund mit weiteren NATO-„Partnern“ das nukleare Inferno simuliert. Das Szenario für das Manöver ist der Luft- und Atomkrieg über Deutschland. Düsenjäger vom Typ „Tornado“ werden vermutlich mit Attrappen der US-Nuklear-Sprengköpfe B-61 angriffsfertig ausgestattet und fliegen in Richtung Zielgebiet (1).
Es handelt sich um die geheime Bündnisübung „Steadfast Noon“. Die Symbolik besagt, dass es nicht mehr fünf vor zwölf ist, sondern dass die Stunde zwölf bereits geschlagen hat.
Dazu passend haben die kritischen Nuklearwissenschaftler ihre Doomsday Clock, die Uhr zur Warnung vor dem Atomkrieg, auf zwei vor zwölf vorgestellt.
Kurz vor dem Manöver landeten US-amerikanische B 52-Bomber, deren Vorgänger schon im Vietnamkrieg für Bombardements eingesetzt worden waren, auf dem britischen Stützpunkt Gloucestershire. Militärs der US-Luftwaffe betitelten eine im Internet verbreitete Nachricht über die Landung dieser Trägerwaffen in Europa mit den Worten: „Gegner aufgepasst: Bomber sind zurück und startklar“ (2).
Die Botschaft drückt unverhohlen die Bereitschaft zum Inferno aus, das Europas Zivilisation und Bevölkerung bedroht. Die friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Kathrin Vogler, kommentierte:
„Es ist völlig wahnsinnig, was da gerade geschieht. Die USA üben mit der Bundeswehr sowie niederländischen, italienischen und polnischen Streitkräften, wie man einen Atomkrieg in Europa führt. Käme es dazu, würden Millionen Menschen sterben (...) Es ist auch skandalös, dass die Bevölkerung nicht informiert wird. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob die Bücheler Atombomben während der Übung über der Eifel herumgeflogen werden. Ich habe Mitte September eine Kleine Anfrage zu ‚Steadfast Noon‘ gestellt, die die Bundesregierung bis heute nicht beantwortet hat. Wie groß ist das Risiko, dass hier ein katastrophaler Unfall geschieht? Dass diese Atomkriegsübung eine politische und militärische Drohgebärde gegenüber Russland sein soll, macht alles noch schlimmer: Steadfast Noon markiert den Rückfall in den nuklear bestückten Kalten Krieg, der uns alle als Geiseln nimmt. Meine Antwort darauf: Wir müssen alle Atomwaffen abschaffen. Die Bundesregierung muss sofort den UN-Atomwaffenverbotsvertrag unterschreiben“ (3).
Der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann nannte die Atomwaffen in seiner Bundestagsrede gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr am 25. März 1958 „Ungeziefervertilgungsmittel, bei denen diesmal der Mensch das Ungeziefer sein soll“. Er nannte diese seines Erachtens nur „sogenannte Waffen“, da ihr Einsatz „unser aller Selbstmord“ bedeuten kann, sie „sind die prinzipielle Außerkraftsetzung allen Kriegsrechts, (...) das Ende aller Errungenschaften abendländischer Kultur“. Seine Konsequenz war damals: „Notwehr mit Massenvernichtung ist unmöglich.“
Die Rede Heinemanns richtete sich damals gegen die Pläne der CDU-Adenauer-Regierung und ihres Militärministers Franz Josef Strauß, die Bundeswehr nuklear auszurüsten. Dieses Ansinnen führte zum Aufschwung der Friedensbewegung, beflügelt durch den Appell der Göttinger Professoren „Kampf dem Atomtod!“ (4). Unter den Autoren befanden sich der Physiker Max Born sowie die Atomforscher Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker. Die 18 Professoren führten in Ihrem Appell unter anderem aus:
„Für die Entwicklungsmöglichkeit der lebensausrottenden Wirkung der strategischen Atomwaffen ist keine natürliche Grenze bekannt. Heute kann eine taktische Atombombe eine kleinere Stadt zerstören, eine Wasserstoffbombe aber einen Landstrich von der Größe des Ruhrgebietes zeitweilig unbewohnbar machen. Durch Verbreitung von Radioaktivität könnte man mit Wasserstoffbomben die Bevölkerung der Bundesrepublik wahrscheinlich schon heute ausrotten. Wir kennen keine technische Möglichkeit, große Bevölkerungsmengen vor dieser Gefahr sicher zu schützen. (...) Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, daß es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet.“
Die bis heute andauernde offizielle Verharmlosung der infernalen Gefahr, die von einem atomar eskalierenden Krieg ausgeht, machten die Worte von Kanzler Adenauer in einem Interview am 5. April 1957 deutlich, in dem er äußerte, die taktischen Atomwaffen seien „nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie“, und natürlich müsste die Bundesrepublik „auch in der normalen Bewaffnung die neueste Entwicklung mitmachen“ (5).
Die Anti-Atom-Bewegung, die damals ihren Anfang nahm, führte in die Ostermarsch-Bewegung und war eine Vorgängerin der großen Erfolge der Friedensbewegung der 1980er Jahre, in denen es erneut hieß: „Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen!“ (6).
Es ist vielsagend, dass die Militärs und die Staatsführung das Manöver „Steadfast Noon“ hinter dem Schleier der Verheimlichung durchführen und genehmigen. Sie haben Erfahrung mit dem Widerstand gesammelt. Die Friedens- und Ökologiebewegung sind aufgerufen, die Rechnung der Feinde des Lebens und des Überlebens mit einer Verbreiterung des Protests zu durchkreuzen.
Ein Manöver, das das friedliche Zusammenleben der Menschen und das Leben überhaupt gefährdet, zuzulassen und durchzuführen, ist ein Skandal, der auch einem Rechtsbruch gleichkommt:
Ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag von 1996 für die UN-Vollversammlung besagt, dass bereits die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen allgemein einen Verstoß gegen das Völkerrecht sowie gegen die Regelungen des humanitären Kriegsvölkerrechts im Besonderen darstellt. Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht, wenn wir überleben wollen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Schreckensszenario Atomkrieg: Bundeswehr trainiert mit Nato den Ernstfall, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.10.2019
(2) „Bombers are back and ready to roll“, Quelle: https://www.usafe.af.mil/News/Press-Releases/Article/1986027/adversaries-take-notice-bombers-are-back-and-ready-to-roll/
(3) https://www.kathrin-vogler.de/start/aktuell/details/news/sie-trainieren-unsere-vernichtung/
(4) http://www.uni-goettingen.de/de/54320.html
(5) https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Forscher-protestieren-gegen-Adenauers-Atomplaene,kampfdematomtod2.html
(6) https://www.grin.com/document/113941