„Die Erkenntnis, dass fremdenfeindliche und rassistische Einstellungen auch unter Gewerkschaftsmitgliedern virulent sind, ist weder neu noch sonderlich überraschend. Gewerkschaften existieren nicht im luftleeren Raum; sie atmen die gleiche, mit Vorurteilen und fremdenfeindlichen Parolen angereicherte Luft wie die übrige Gesellschaft. Insofern liegen die fremdenfeindlichen Einstellungen der Gewerkschaftsmitglieder gewissermaßen im Trend und spiegeln die Ausbreitung derartiger Orientierungen in der politischen Mehrheitskultur.“ (Abschlussbericht DGB-Kommission Rechtsextremismus, 2000)
20 Jahre ist es her, dass infolge der mörderischen neofaschistischen Mobilisierung Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts — Eberswalde 1990, Hoyerswerda, Hünxe, Rostock, Mölln, Solingen 1993 — der DGB-Vorstand vom 16. Ordentlichen DGB-Bundeskongress 1998 beauftragt wurde, „eine Kommission einzusetzen, die aus gewerkschaftlicher Sicht die Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland analysiert und Handlungsperspektiven für Gewerkschaften erarbeitet”. In deren — leider — nach wie vor sehr lesenswerten Abschlussbericht aus dem Jahr 2000 heißt es bereits damals:
„Rechtsextremisten und Rechtspopulisten bemächtigen sich auch in der Bundesrepublik immer mehr sozialen Themen und politischen Fragen, die bisher von der linken Mitte des politischen Spektrums aufgeworfen wurden:
Arbeitslosigkeit, soziale Gerechtigkeit, Vermögensverteilung, Generationengerechtigkeit, Staatsbürgerschaftsrecht und europäischer Markt seien beispielhaft genannt. Die zweite Tendenz ist für die Arbeit und das Selbstverständnis der Gewerkschaften ebenso bedeutsam: Wo sich keine gesellschaftliche ‚Gegenwehr‘ politisch organisiert und mit modernen Mitteln der politischen Arbeit wappnet, entsteht ein machtpolitischer Freiraum, den extreme Rechte oder populäre Vereinfacher immer leichter glauben ausfüllen zu können.“
Erkenntnis und selbst gestecktes Ziel lauteten damals:
„Die inhaltliche Auseinandersetzung und die konsequente Bekämpfung des Rechtsextremismus ist nicht nur Aufgabe politischer Entscheidungsträger auf allen Ebenen des politischen Systems. Sie muss auch Anliegen aller demokratisch denkenden Menschen und handelnden Personen sein. Wir brauchen tatkräftige Anstrengungen in allen Parlamenten und von jeder Partei. Aber wir benötigen auch das alltägliche Engagement von selbstbewussten Bürgerinnen und Bürgern: in der Schule, an dem Arbeitsplatz, in allen Lebensbereichen.
Die Kommission ist der Auffassung, dass mit diesem Bericht die gewerkschaftliche Arbeit am Thema ‚Rechtsextremismus‘ nicht beendet werden darf, sondern sich die Gewerkschaften weiterhin mit rechtsextremistischem Denken und Handeln intensiv auseinandersetzen müssen.“
20 Jahre später, nach der über zehn Jahre dauernden und nicht wirklich aufgearbeiteten Mordserie des NSU, den Wahlerfolgen der AfD bis hin zur Oppositionsführerrolle im Deutschen Bundestag, dem Nazi-Mord an dem CDU-Landrat Walter Lübcke, dem antisemitischen Anschlag auf die Synagoge und den Morden in Halle, der Etablierung der AfD zum „Zünglein an der Waage“ des politischen Tagesgeschäfts und Normalvollzugs durch CDU und FDP und dem rassistischen Massaker von Hanau — um nur die „Spitzen“ eines zunehmend sich zuspitzenden gesellschaftlichen Klimas zu nennen — wissen wir trotz allen Engagements ganzer gewerkschaftlicher Gliederungen und vieler tausend einzelner aktiver KollegInnen in den Betrieben, wie wenig erfolgreich wir sowie auch die übrige Zivilgesellschaft bisher in diesem (Abwehr-)Kampf waren.
Zunehmend mobilisieren die Rechten auch systematisch und aktiv in den Betrieben; und zwar nicht nur mit und auf eigenen Listen wie dem „Zentrum Automobil“ bei Daimler, sondern verstärkt auch über FunktionärInnen und SteigbügelhalterInnen, die in den DGB-Gewerkschaften organisiert sind; bekanntestes Beispiel ist wohl der bis Januar 2020 in der IGBCE organisierte und über IGBCE-Listen zum Betriebsrat gewählte AfD-Europaabgeordnete und -Bundesvorstandsmitglied Guido Reil, der mittlerweile offen und öffentlich den „endgültigen Todesstoß für SPD und IGBCE“ fordert.
Geschichte wiederholt sich nicht … Und wenn, dann — wie es Karl Marx in „achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ bereits 1852 festhielt — das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce:
„Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen.“
Lasst uns gemeinsam mit all unserer Kraft und Solidarität dafür sorgen, dass die aktuelle erneute Faschisierung der gesellschaftlichen Zustände als Farce endet und wir eine Welt schaffen, in der die Menschen sich geschwisterlich als Brüder und Schwestern begegnen.
Dazu bedarf es immer noch und immer wieder der Aufklärung und Erinnerung an all das, was schon geschah, und für das, was bereits erkennbar droht! Dem dient dieser Vortrag, den Ihr bitte alle gerne für Eure gewerkschaftliche und betriebliche (Bildungs-) Arbeit nutzen dürft.
Dazu bedarf es aber auch mehr denn je unseres entschlossenen Eintretens für Freiheit, Humanität, Gleichheit und Geschwisterlichkeit — in der Familie, im Betrieb, in der Schule, in der Uni, in der Öffentlichkeit und auch in den eigenen — gewerkschaftlichen — Strukturen!
Beiseitestehen gilt nicht mehr! Wer jetzt noch — weiter — schweigt, betreibt das Geschäft der Ewiggestrigen!
„Ich glaube, dass leben bedeutet, Partei zu ergreifen. Gleichgültigkeit ist Apathie, ist Parasitismus, ist Feigheit, ist das Gegenteil von Leben. Ich lebe, ich bin parteiisch. Deshalb hasse ich den, der nicht eingreift, ich hasse die Gleichgültigen.“ (Antonio Gramsci)
In diesem Sinne:
No pasaran!
Pasaremos!
Quellen und Anmerkungen:
Der Artikel erschien zuerst auf gewerkschaftsforum.de.