Taube Ohren in Berlin — Alarm im Europarat
Die Schweinegrippe erreichte Europa im Frühjahr 2009 über die Fernsehbilder aus Mexiko. Es war das Jahr der Bundestagswahl, und es sah für die Sozialdemokraten sehr schlecht aus. Als schon klar war, dass ich wegen meines schlechten Listenplatzes aus dem Bundestag ausscheiden musste, blieb ich trotzdem noch bis Januar 2010 stellvertretender Leiter der deutschen Delegation und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Sozialisten in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Außerdem blieb ich Vorsitzender des Unterausschusses für Gesundheit.
Meine Alarmrufe wegen der falschen Pandemie und wegen der hochriskanten Pandemie-Impfstoffe waren im deutschen Wahlkampfgetümmel auf taube Ohren gestoßen. Aber in der Straßburger Parlamentarischen Versammlung hatte ich die Chance, das Thema in alle europäischen Nationalparlamente und in die europäische Öffentlichkeit zu bringen. Diese Gelegenheit nutzte ich unverzüglich nach der Wahl und brachte folgenden Antrag auf einer Ausschusssitzung Anfang Dezember 2009 in Paris mit Unterstützung von dreizehn weiteren Abgeordneten aus neun Ländern ein:
„Falsche Pandemien — eine Bedrohung für die Gesundheit
Um ihre eigenen patentierten Medikamente und Impfstoffe gegen Influenza zu promoten, haben Pharmafirmen Wissenschaftler und offizielle Institutionen, die für die öffentliche Gesundheit verantwortlich sind, beeinflusst, knappe Gesundheitsressourcen für ineffiziente Impfstrategien zu verschwenden und Millionen von gesunden Menschen unnötig dem Risiko einer unbekannten Anzahl von Nebenwirkungen ihrer neuen Impfstoffe auszusetzen. Die „Vogelgrippe“-Kampagne (2005 bis 2006) und die „Schweinegrippe“-Kampagne scheinen nicht nur einigen geimpften Patienten und den öffentlichen Gesundheitsbudgets großen Schaden zugefügt zu haben, sondern auch der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit wichtiger internationaler Gesundheitsagenturen.
Die Definition einer alarmierenden Pandemie darf nicht unter dem Einfluss von Medikamentenverkäufern stehen. Der Europarat und seine Mitgliedsstaaten sollten sofortige Untersuchungen und Konsequenzen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene fordern“ (20).
Unterstützt durch die anderen Abgeordneten, forderte ich eine Untersuchung der Vorgänge, die zur erstmaligen Ausrufung einer Pandemie durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf geführt hatten. Einer Pandemie, die schon im europäischen Spätsommer als harmlose Grippe erkennbar war, die aber die WHO, viele nationale Experten und viele Medien bis weit in das Jahr 2010 hinein weiterhin beharrlich als gefährliche Seuche darstellten.
Im Januar 2010 schied ich aus meinen Ämtern im Europarat aus, wurde aber von meinem Kollegen Paul Flynn (Labour Party, UK) weiter als Experte an den Untersuchungen beteiligt. Flynn hatte ich mir als Berichterstatter vorher ausgesucht und ihn durchgehend beraten.
Die Initiative beim Europarat erschien uns Antragstellern als einzige Möglichkeit, die nötige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf eine Fehlentwicklung zu lenken, die schon einige Jahre zuvor aufgefallen war. Als die Generalsekretärin der WHO Margaret Chan am 11. Juni 2009 eine Pandemie ausrief, war das Maß voll. Neben dem Europarat (21) gingen wir gemeinsam mit Deborah Cohen und Philip Carter, Journalisten des British Medical Journal, sowie den Wissenschaftlern Tom Jefferson (The Cochrane Collaboration) und Peter Doshi (Johns Hopkins University) dieser Sache schon sehr früh auf den Grund.
Die Versuche der WHO, eine Pandemie zu definieren
Ein Bericht des Journalisten Frank Jordan für die Agentur Associated Press (22) lenkte meine Aufmerksamkeit auf den zweiten Trick, mit dem eine normale alljährliche Grippe zu einer gefährlichen Pandemie aufgeblasen werden sollte. Die geheimen Expertenrunden im Genfer Hauptquartier der WHO hatten die Zeit der beschriebenen Aktion in Mexiko genutzt, um die Norm für Pandemien zu ändern, wie es die Experten von Big Pharma schon erfolgreich für den Blutdruck und andere Erkrankungen gemacht hatten.
Weil die Grippe zu harmlos für eine Pandemie nach bisheriger Lesart war, nahmen sie aus den Kriterien einfach die Parameter für Schwere und Tödlichkeit der Erkrankung heraus.
Unter der Überschrift „Staaten drängen die WHO, Kriterien für Pandemie zu ändern“ schrieb Frank Jordan am 19. Mai 2009 über die Pressekonferenz der WHO mit dem Vertreter von Margaret Chan, dem ehemaligem CDC-Angestellten Dr. Keiji Fukuda:
„Dutzende von Ländern drängten die Weltgesundheitsorganisation (WHO), ihre Kriterien für die Ausrufung einer Pandemie zu ändern, und sagten, die Agentur müsse berücksichtigen, wie tödlich ein Virus ist — und nicht nur, wie weit es sich über den Globus ausbreitet. Aus Angst, dass die Ausrufung einer Schweinegrippe-Pandemie eine Massenpanik und wirtschaftliche Verwüstung auslösen könnte, baten Großbritannien, Japan, China und andere die Weltgesundheitsorganisation am Montag, vorsichtig zu sein, bevor sie ihre Alarmstufe erhöht. Einige verwiesen auf die kostspieligen und potenziell riskanten Folgen, wie die Umstellung vom saisonalen auf den Pandemie-Impfstoff, obwohl das Virus bisher mild zu sein scheint.“
Fukuda hat bei dieser Konferenz die nationalen Bedenkenträger damit abgespeist, dass man ihre Argumente gründlich betrachten werde. Doch die bemängelte Neudefinition der Pandemie-Kriterien wurde nicht wieder geändert. Tom Jefferson von der Cochrane Collaboration hat mit sehr viel Mühe die unterschiedlichen Kriterien sortiert, mit denen die WHO eine Pandemie beschrieben hat. Diese hatte er bis zum 4. Mai 2009 noch auf den Seiten der WHO gefunden und konnte sie dokumentieren:
„Eine Influenza-Pandemie tritt auf, wenn ein neues Influenzavirus auftritt, gegen das die menschliche Bevölkerung keine Immunität besitzt, was zu weltweiten Epidemien mit enormen Zahlen von Todesfällen und Erkrankungen führt. Mit der Zunahme des weltweiten Verkehrs sowie der Verstädterung und der Überbevölkerung werden sich Epidemien durch das neue Influenzavirus wahrscheinlich schnell auf der ganzen Welt ausbreiten“ (Hervorhebung von Tom Jefferson).
Nach dem 4. Mai stand auf derselben Seite:
„Eine Krankheitsepidemie tritt auf, wenn es mehr Fälle dieser Krankheit gibt als normal. Eine Pandemie ist eine weltweite Epidemie einer Krankheit. Eine Influenza-Pandemie kann auftreten, wenn ein neues Influenza-Virus auftritt, gegen das die menschliche Bevölkerung keine Immunität hat. (…) Pandemien können entweder mild oder schwer sein, wenn sie Krankheit und Tod verursachen, und der Schweregrad einer Pandemie kann sich im Verlauf der Pandemie ändern.“
In seinem Bericht vor dem Sozialausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 30. März 2010 hat Tom Jefferson insgesamt elf unterschiedliche WHO-Definitionen einer Pandemie zitiert. Seine und Peter Doshis Untersuchungen bestätigten die Richtigkeit meines Vorwurfes, die WHO habe „just in time“ die Definition einer Pandemie geändert, um Partnern aus der Arzneimittelindustrie die gewünschten Geschäfte zu ermöglichen. Später, zu Weihnachten 2020, mutete die WHO der Welt sogar eine neue Definition der Herdenimmunität zu, die sich nur noch auf den Durchimpfungsgrad der Bevölkerung bezieht.
Die WHO bewertet sich selbst
Als ich am 22. November 2010 nach einer Tagung der Weltgesundheitsorganisation zum Thema „Health for All“ in Berlin am kalten Büfett plötzlich neben Margaret Chan stand, konnte ich es mir nicht verkneifen, sie anzusprechen. Ich stellte mich ihr als Initiator der Untersuchungen des Europarates vor und fragte sie, weshalb die WHO nur einmal zu einer Anhörung der Parlamentarischen Versammlung gekommen war und sich danach geweigert hatte, weitere Auskünfte zu geben.
Diese unerwartete Begegnung hatte Frau Chan offensichtlich überrascht, doch sie wusste mich sofort richtig einzuordnen. Sie fasste mich am Arm und nahm mich für zehn Minuten beiseite, um mir erst einmal zu erzählen, dass ich mit meiner Aktion ja wohl völlig falschgelegen habe und dass die Weltgesundheitsorganisation jetzt selbst ein Audit in Auftrag geben werde, um in Zukunft solche Konflikte zu vermeiden.
Mir waren diese Pläne bekannt, und ich hatte diese auf meiner Homepage schon deutlich kritisiert. Jetzt nutzte ich die Gelegenheit, meine Kritik ihr gegenüber zu wiederholen:
„Wenn Sie Professor Van-Tam aus Nottingham den Auftrag geben, diese Untersuchungen zu leiten, dann machen Sie den Bock zum Gärtner und die WHO wird vollends unglaubwürdig.“
Sie antwortete nur, sie werde das prüfen lassen. Ihre Prüfungen müssen mir wohl recht gegeben haben, denn der langjährige Mitarbeiter von Roche und SmithKline Beecham erhielt den Auftrag nicht. Jonathan Van-Tam ist jetzt seit 2017 stellvertretender Chef der britischen Gesundheitsbehörde und ihr Sprachrohr in der Coronakrise. Er schürt auf der Insel als Mr. Pandemics die Angst und füttert die Presse im UK mit immer neuen Verunsicherungen, so wie es Drosten, Söder und Lauterbach in Deutschland oder der „Flu-Commissioner“ Marc Van Ranst in Belgien tun.
Das WHO Review-Committee, das dann unter der Leitung des US-Epidemiologen Harvey V. Fineberg das Selbst-Audit vornahm, wurde von der Öffentlichkeit mit Recht ebenfalls sehr kritisch gesehen, gehörten ihm wieder einige einschlägig bekannte Experten mit Interessenkonflikten und Beziehungen zur Pharmaindustrie an.
Den Bericht des Gremiums (23) stellte Frau Chan am 5. Mai 2011 der Weltgesundheitsversammlung (WHA, World Health Assembly) vor. Das Committee bewertet das Verhalten der WHO zur H1N1-Influenza 2009/2010 in der Zusammenfassung:
„Die WHO hat während der Pandemie in vielerlei Hinsicht gute Arbeit geleistet, war mit systemischen Schwierigkeiten konfrontiert und wies einige Unzulänglichkeiten auf. Das Komitee fand keine Beweise für Fehlverhalten.“
Tipps eines Pandemie-Beraters
Dass sich publikumswirksame virologische Leitfiguren für Pandemie-Alarmismus bewährt haben, sieht man nicht nur an Van-Tam in UK, Fauci in den USA und Drosten in Deutschland. Ich finde es bedrückend, wie sich zum Beispiel gerade Experten der Virologie in der pharmafinanzierten European Scientific Working group on Influenza (ESWI) (24) prostituieren.
Auch in der Schweinegrippe-Kampagne führte in Belgien ein Flu-Commissioner die nationale Regie: der Veterinär Marc Van Ranst. Dieser trug für die ESWI bei einer Veranstaltung des Chatham House in London am 22. Januar 2019 — also 10 Jahre nach seinem Einsatz — noch einmal eine sehr sehenswerte Manöverkritik der Schweinegrippe vor. Er gab vor Vertretern der Impfstoffindustrie in einer launigen Präsentation alle seine Tricks zum Besten und zeigte, mit welcher geschickten Strategie man mit dem Nimbus eines virologischen Fachmannes den Medien und damit der Bevölkerung die für Angst und Aufmerksamkeit erforderlichen Bilder und Kommentare vermitteln kann. Das Fachpublikum war begeistert.
Unter dem Motto „Die nächste Pandemie kommt bestimmt, was müssen wir diesmal besser machen?“ erwähnte er vor den Gästen der ESWI auch spottend die Untersuchungen des Europarates zur Schweinegrippe/Fake Pandemic im Frühjahr 2010 und meinte, ich sei mit meiner Initiative im Europarat ja wohl zu spät gekommen, nämlich erst dann, als das Geschäft längst in trockenen Tüchern war.
Er hatte damit insofern recht, als ich mir mit meinen frühen Warnungen damals kaum Gehör schaffen konnte und der Europarat erst ab Dezember 2009 die Aufarbeitung sehr gut wahrnahm, als die 18 Milliarden Dollar für unnütze Impfstoffe vermutlich überall längst gezahlt waren. Der Hauptnutzen meines Einsatzes lag eher darin, dass die risikoreiche Pandemie-Vakzine nicht benutzt, sondern entsorgt wurde. Bezahlt hatte die Regierung natürlich schon. Der Moderator der strategischen Sitzung im Chatham House war übrigens ESWI-Chef und Pandemie-Veteran Albert Osterhaus. Schon aus präventiv-psychologischen Gründen ist diese Aufzeichnung sehr sehenswert (25).
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das deutsche Pendant zu Van Ranst, Christian Drosten, schon 2009 versucht hatte, mit seinem Steckenpferd, dem PCR-Test, ins Geschäft zu kommen.
Auch bei der Schweinegrippe hatte er einen Test gebastelt (26) und ihn zum Nachweis der Erreger angeboten. Die Möglichkeiten des „Testen, Testen, Testen“ waren bei der Schweinegrippe jedoch noch nicht so ausgefeilt entwickelt wie beim heutigen Fearmongering.
Geändert hat die Kritik wenig
Schon damals schwand sehr schnell die Hoffnung, dass sich an der institutionellen Korruption der WHO etwas Grundlegendes ändern würde. Soweit ersichtlich, macht die Weltgesundheitsorganisation keinerlei Anstalten, die Regeln und Vertrauenskriterien ernsthaft zu bedenken, die ihr die Vertreter von 47 europäischen Parlamenten aufgaben, oder gar deren Umsetzung in die Praxis zu ändern (27).
Bewirken könnte das nur die WHA, die Versammlung der Regierungsvertreter und Sponsoren der WHO. Denen ist aber offenbar weiterhin die Förderung ihrer Wirtschaft und ihrer Pharmaunternehmen wichtiger als die Gesundheit der Weltbevölkerung. Eigentlich ist die WHO ja eine UN-Behörde und sollte deshalb auch von den Regierungen der UN-Mitgliedsstaaten beauftragt, finanziert und kontrolliert werden.
Aus diesem Grund finden jährlich die Weltgesundheitsversammlungen (WHA) in Genf statt, auf denen sich die Botschafter und Delegationen der Mitgliedsstaaten treffen und die Interessen ihrer Regierungen miteinander aushandeln sollen. Allerdings hungerten die Mitgliedsstaaten die WHO nach und nach finanziell aus. Und als sie schwach genug war, war sie billig zu haben. Das ließen sich diejenigen Interessenten nicht entgehen, die genau wissen, wie und wo sie mit der Not der Menschen, mit Armut und Krankheit Geschäfte machen können.
Im Gefolge der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt konnte ich im Juni 2007 bei der WHA in Genf dabei sein. Zu dieser Gelegenheit habe ich hautnah erlebt, wie schwierig es in diesem von Wirtschaftsinteressen dominierten Feld der Gesundheitspolitik ist, gesundheitlich vernünftigen Maßnahmen gegen die Lobbyisten der Pharmaindustrie Geltung zu verschaffen.
Quellen und Anmerkungen:
(20) PACE Doc. 12110, 18 December 2009, „Faked Pandemics — a threat for health, Motion for a recommendation“ presented by Mr Wodarg and others
(21) Conseil de L’Europe, Assemblée Parlementaire, Doc. 12283, 7 June 2010, „The handling of the H1N1 pandemic: more transparency needed“, Report: Social Health and Family Affairs Committee, Rapporteur: Mr Paul FLYNN, United Kingdom, Socialist Group
(22) http://www.cnsnews.com/news/article/48316
(23) WHO A64/10, SIXTY-FOURTH WORLD HEALTH ASSEMBLY Provisional agenda item 13.2, 5 May 2011
(24) https://eswi.org
(25) https://vimeo.com/320913130
(26) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7095450
(27) siehe Fußnote 21