Preiste ein Pferdehändler einen „weißen Schimmel“ an, weckte er den Verdacht, dass es sich um einen übertünchten Rappen handeln könnte. Zumal dann, wenn die Farbtöpfe noch daneben stehen. Im Verhältnis zu Russland hingegen wird mindestens seit 1991 selbst auf den bloßen Augenschein verzichtet. Die letzten Zweifel an seiner Evidenz wurden am 17. Dezember 2021 beseitigt, als Moskaus unmissverständlich angemeldeter Gesprächsbedarf bezüglich der Ukraine ungehört blieb. Nach Kiewer Truppenkonzentrationen vor allem im Südosten des Landes sowie einer drastischen Zunahme des Artilleriebeschusses der Zivilbevölkerung im Donbass Mitte Februar 2022 marschierte die russische Armee mit etwa 150.000 Mann in die Ukraine ein.
Das ist angesichts eines Gegners mit den zweitgrößten Streitkräften des Kontinents ein begrenztes Kontingent. Ganz offensichtlich lag der Zweck der „speziellen Militäroperation“ in einem letzten Wink mit dem Zaunpfahl, die russischen Sicherheitsinteressen ernst zu nehmen. Es war nicht einmal der letzte. Es gab noch drei weitere.
Ende Februar fanden in Weißrussland und Anfang April in Istanbul Gespräche mit ukrainischen Unterhändlern statt. Ihr Leiter in Weißrussland wurde nach seiner Rückkehr auf offener Straße ermordet. Wolodymyr Selenskyj entging diesem Schicksal, weil er rechtzeitig „einsah“, dass die Istanbuler Vereinbarungen unakzeptabel waren: Neutralität der Ukraine ohne fremde Truppen sowie eine regionale Autonomie des Donbass. Die Krim wurde nicht erwähnt. Ebenso fehlt bis heute in der westlichen Berichterstattung, dass der Krieg nach dem israelischen Ex-Premierminister Naftali Bennett auch Anfang März sehr günstig für alle Beteiligten hätte abgebrochen werden können.
Es wird nicht erwähnt, weil der Westen, so NATO-Generalsekretär Jan Stoltenberg und der EU-Kommissar für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell, Vertreter zweier miteinander verschmolzener Konfrontations- und Kriegsparteien, eine „Entscheidung auf dem Schlachtfeld“ präferiert. Es heißt immer, „Putin“ hätte sich verrechnet. Das stimmt. Womit in Moskau sicher die meisten nicht gerechnet hatten, war die Entschlossenheit des Westens, Russland nicht nur nicht entgegenzukommen, sondern die Gelegenheit zu nutzen, es zu schwächen oder im Jargon einer Plaudertasche zu „ruinieren“. Am 24. Januar 2023 presste die deutsche Außenministerin vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats wie eine Klassensprecherin, die von den Mitschülern veralbert wurde, schmallippig hervor: „We are fighting a war against Russia“ (1). Ein Bärbock wurde zum Gärtner der Diplomatie gemacht.
Seit 1991 soll Russland so weit in die Enge getrieben werden, bis es einem geopolitisch triumphierenden, von transkontinentalen Konzernen beherrschten Westen wie eine reife Frucht in den Schoß fällt.
Die größte Fehlkalkulation von allen. Sie basierte auf einer völligen Verkennung der Potenziale auf beiden Seiten und barg alle Irrtümer, die folgten, in sich.
Carl von Clausewitz meinte bekanntlich, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Diese mögen einem nicht gefallen, aber Geschichte ist kein Schönheitswettbewerb. Da mag es auf Äußerlichkeiten ankommen. Ausschlaggebend in der Geschichte sind Machtverhältnisse, Ressourcen, Politik und Schachzüge, die solide und vorausschauend sein sollten. Berücksichtigen sie nicht die Talente des Gegners, kann es zu unheilvollen Rückschlägen kommen. Sie nahmen ihren Anfang, als den USA „ihr“ NATO-Marinestützpunkt Sewastopol wie Häcksel durch die griffbereiten Finger glitt. Ein propagandistisches Dauerfeuer begann. Es erreichte einen ersten Höhepunkt, als Russland die Schuld am Absturz eines vermutlich durch einen ukrainischen Jäger abgeschossenen Verkehrsflugzeugs gegeben wurde (2).
Das Gespinst aus Lüge, Heuchelei und Betrug wurde gewoben mittels einer systematischen Steuerung der öffentlichen Wahrnehmung, die schon im Kalten Krieg sehr erfolgreich war. Unter US-Präsident Ronald Reagan blühten die Verbindungen der Medien zu Geheimdiensten auf, heute sind sie voll ausgereift. Die Inszenierung eines Russlands, das eine außen- und innenpolitische Bedrohung für die USA darstellt, nahm nach dem „Verlust“ der Krim (3) und dem Schwindel „Russiagate“ eine Fahrt auf, die durch die „twitterfiles“ als Raserei durch eine Geisterbahn belegt wurde: eine amorphe Masse aus Regierungen, Wirtschaftsgiganten und einer Presse, deren Charakter uns schon Karl Kraus nahebrachte, bastelte aus Nebelschwaden in irrealem Stakkato tagtägliche Kriegserklärungen an Russland (4).
Unverblümt wurde 2018 das Ziel ausgegeben, Russland finanziell, wirtschaftlich und militärisch ausbluten zu lassen:
„With our allies and partners (NATO/EU), we will challenge (Russia) by maneuvering (it) into unfavorable positions, frustrating (its) efforts, precluding (its) options while expanding our own, and forcing (it) to confront conflict under adverse conditions.“
Russland sollte also in die Enge getrieben werden und sich am Ende einer für die USA vorteilhaften Konfliktlage gegenüber sehen (5). Die Maßnahmen umfassten „diplomacy, information, economics, finance, intelligence, law enforcement, and military“, was die Studie der Rand Corporation „Overextending and Unbalancing Russia“ (6) ein Jahr später en détail aufgriff: Sanktionierung von Russlands „comparatively“ kleiner Wirtschaft, Blockierung seiner Energieausfuhren, Verstärkung der NATO in Europa sowie Ausbau der Waffenhilfe für die Ukraine.
Statt verwandelter Elfmeter lauter Eigentore
Scheitern in seiner tragischsten Form liegt vor, wenn der Misserfolg auf erzielten „Erfolgen“ beruht. Russland ist nicht zusammengebrochen, der Rubel ist stark wie nie und das Land ist alles andere als isoliert. Auf der anderen Seite waren mit den verhängten Sanktionen schwere Rückschläge für die Vasallen des Imperiums verbunden. Das ist ein immenser Kollateralschaden der westlichen Politik, der man jedoch nicht vorwerfen sollte, ihn nicht vorhergesehen zu haben.
Diese „Fehlentwicklung“ vollzog sich wie für Neoliberale die Verelendung des größten Teils der Bevölkerung im Rahmen des US-amerikazentrierten Geschäftsmodells. Zu ihm gehört die Unterbindung einer Kooperation zwischen Europa, insbesondere Deutschland, und Russland, wie es mit der nunmehr von Seymour Hersh detailliert geschilderten Zerstörung von Nord Stream 2 vorexerziert wurde (7).
Jedes souveräne Land hätte das als Kriegserklärung empfunden. Eine Bananenrepublik hingegen ergeht sich in Unterwerfungsgesten, die sich wiederholten, als mit der rein rhetorischen Ankündigung der USA, Abrams-Panzer zu liefern, Deutschland genötigt wurde, Leoparden in die Schlacht zu werfen. Sie wird, wenn es realiter so weit ist, längst geschlagen und das Verhältnis zu Russland weiter zerrüttet sein. Aber dann werden auch die USA nicht umhinkönnen, einen weiteren Rückschlag verzeichnen zu müssen.
Länder mit etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung beteiligen sich nicht an den Sanktionen, sondern sind geneigt und schon dabei, zusammen mit Russland, China und Indien Alternativen zum US-dominierten Finanz-, Zahlungs- und Warenverkehr zu entwickeln. Das ist eine ernste Bedrohung für den US-Dollar, der in seiner Eigenschaft als Leitwährung quasi endlos gedruckt werden kann und so Auslandsinvestitionen sowie Kriege über bis dato nicht zurückzuzahlende und auch nie zurückzahlbare Schulden finanziert. Die US-Staatsverschuldung von 32 Billionen US-Dollar liefert 32 Billionen Gründe, die globale Hegemonie aufrechterhalten zu müssen — von der „Kreditvergabe“ in den billionenschweren Repo-Markt aus den 250 Konten, die Regierungen bei der New Yorker Federal Reserve angelegt haben, zu schweigen (8).
Die USA werden nicht einlenken. Wie Spielsüchtige mit einer „Pechsträhne“ erhöhen sie ihren Einsatz. Sie haben keine Wahl, auch wenn jeder weiß, dass die Bank immer gewinnt.
In unserem Fall ist die Bank Russland — zusammen mit der von ihm organisierten Eurasischen Wirtschaftsunion sowie China, BRI, BRICS+, SOC und einem alternativen Finanzsystem in globalem Maßstab. Die Fantasien über die eigene Stärke korrespondieren mit den Illusionen über die Schwäche des Gegners. Das sind beste Voraussetzungen für eine Niederlage auch auf militärischem Gebiet, womit wir beim nächsten Rückschlag wären.
Alle Aktivitäten Russlands waren bis Anfang April 2022 darauf ausgerichtet, Gewaltanwendung zu vermeiden beziehungsweise nach ihrem Ausbruch einzustellen. Russland hat bewiesen, dass es verhandeln will, der Westen, dass er es nicht will. Er und seine Strohpuppen taten alles, auf den Krieg hinzuarbeiten und ihn dann, Hunderttausende in den Tod schickend, um jeden Preis zu verlängern. Diese Strategie erhielt Auftrieb durch die ukrainischen „Offensiven“ im September 2022, als Gebiete südlich von Charkow und rechts des Flusses Dnjepr „zurückerobert“ wurden. Es waren Vorstöße ins Leere, die das nunmehr alles dominierende Interesse Russlands aufzeigten: Vermeidung eigener Verluste, die im Höchstmaß dem Gegner zugefügt werden sollen.
Im Donbass erleben wir einen Stellungskrieg im Stil des Ersten Weltkriegs. Die ukrainische Armee und ihre Faschistenverbände haben seit 2014 einen stark befestigten Belagerungsring um die dem Kiewer Regime abgetrotzten Gebiete errichtet. Fast ein Jahr, nachdem die russische Armee ihren Verbündeten zu Hilfe geeilt ist, konnte sie immer noch nicht Awdejewka einnehmen, einen nur etwa zehn Kilometer nördlich von Donezk gelegenen Vorort. Das Gleiche gilt für Marjinka, gerade einmal einen Kilometer vom westlichen Petrowski-Bezirk Donezks, oder Pawlowka sowie Ugledar, nicht mehr als 20 km südwestlich entfernt.
Die Eroberung von Soledar war äußerst verlustreich für die Ukraine, die unausweichliche Niederlage in Artjomosk (ukrainisch: Bachmut) wird es sein. Die sich mit den mobilisierten Einheiten ergebenen Vorstöße Russlands werden die ukrainischen Verbände zu Umgruppierungen zwingen, was sich dann an anderer Stelle ausnutzen lässt. Ende Januar war von einer Verstärkung russischer Kräfte im Raum Kursk die Rede. Sie diene der Verteidigung, hieß es, könnte aber auch einen Angriff nördlich von Charkow einleiten.
Ziel wird sein, zuerst den Donbass vollständig zu befreien und dann Gebiete östlich des Dnjepr unter Kontrolle zu bringen. Das wäre eine weitere Gelegenheit für den Westen, zur Einsicht zu kommen. Er wird sie nicht nutzen, denn die Akzeptanz der russischen Bedingungen bedeutete das Eingeständnis des Westens, sich verrannt zu haben. Dafür fehlen alle Voraussetzungen. Zu verfestigt ist die Abhängigkeit von US-dominierten Sektoren der Finanzwirtschaft, die auf Expansion angewiesen sind. Das hat charakterologisch seit gut 50 Jahren tiefe Spuren hinterlassen.
Begründeter Vertrauensverlusst
Spätestens seit Ende des Kalten Krieges wurde die innenpolitische Atmosphäre im Westen dermaßen vergiftet, dass man meinte, Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion nach Belieben belügen und betrügen zu können. Das Opfer dieser Demütigungen hat es aus Schwäche hingenommen, was den Hochmut der anderen Seite weiter steigerte.
Es wird Jahre, wenn nicht sogar eine Generation dauern, bis der Westen gelernt hat, mit Russland verantwortungsbewusst, vernünftig und vertrauensvoll umzugehen.
Die kurz vor dem Maidan-Putsch unter Mitwirkung des deutschen, französischen und polnischen Außenministers ausgehandelte Vereinbarung über vorgezogene Wahlen war am nächsten Tag durch die Gewalt faschistischer Mörderbanden Makulatur: Der rechtmäßige Präsident Viktor Janukowitsch habe, so Jahre später der deutsche Beteiligte an dem Betrug, sich seiner Verantwortung als Signatar durch Flucht entzogen. Mario Basler meinte einmal: Jede Seite hat zwei Medaillen. In unserem Fall ist das Quatsch, denn Russlands Seite hatte überhaupt keine Medaille. Letzte Zweifel beseitigten die Minsker Verträge.
Sie wurden 2014 und 2015 unter Mitwirkung der Ukraine, Deutschland, Frankreich und Russland geschlossen. Vorgesehen war die Autonomie des Donbass, was aber, wie der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko im Sommer 2022, sein französischer Kollege François Hollande und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im folgenden Dezember sich brüsteten, niemals ernst gemeint war: Sie dienten nur dazu, der NATO Zeit für die Aufrüstung der ukrainischen Armee zu verschaffen.
Mit krimineller Energie wurde Moskau acht Jahre lang ermahnt, den Verpflichtungen aus „Minsk“ nachzukommen — Verpflichtungen aus einem Abkommen, das vom Westen und seiner ukrainischen Marionette von Anfang an angelegt war als Vorbereitung kriegerischer Handlungen gegen ein Gebiet, das durch eben dieses Abkommen davor geschützt werden sollte (9). Die Verantwortlichen für diesen genialen Schachzug sind weiterhin in Amt und Würden, ohne sich einer Auslieferung nach Den Haag durch Flucht entziehen zu müssen.
Der Umgang des Westens mit Vereinbarungen, die auf Betreiben Russlands 2015 als UNO-Sicherheitsresolution 2202 international verbindlichen Charakter hatten, schließt es aus, dass sich Moskau in absehbarer Zeit einlassen wird auf Zusagen, deren Verifizierbarkeit nicht unter seiner Kontrolle steht. Über mehrere Punkte wird es nicht einmal verhandeln.
Die Möglichkeiten der Politik
Essentiell für die bloße Aussicht auf eine Einigung wird die Akzeptanz einer föderativen Struktur der Ukraine mitsamt der Möglichkeit von Referenden zur nationalen Zugehörigkeit sein. Dabei ist außer an die russischsprachigen Bevölkerungsteile auch an die ungarischen und slowakischen in Transkarpatien sowie rumänischen in der nördlichen Bukowina zu denken. Auch in ihrem Sinn muss die Duldung faschistischer Organisationen ausgeschlossen sein. Jegliche Tätigkeit ist unter Strafe zu stellen, ihre Urheber von der Justiz zu verfolgen oder von der Staatsgewalt wie nach 1945 ins Exil nach USA, Kanada oder zumindest nach Prag unter die CIA-Fittiche von Radio Free Europe zu schicken.
Wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg benutzten die USA zur Konsolidierung ihrer Herrschaft in der Ukraine faschistische Kräfte. Sie hatten sich dort seit den 1920er-Jahren entwickelt und ermordeten ab 1941 in Kollaboration mit den Nazi-Okkupanten Zehntausende Polen, Russen, Weißrussen sowie Juden. Nach 1945 übernahm die CIA die Dienste dieser galizischen Sekte, der es 2014 gelang, ein ganzes Land in Geiselhaft zu nehmen, indem sie es in Verbund mit der NATO als Speerspitze gegen Russland aufstellten (10).
Die Welt kann sich den erneuten Versuch, in einem seit Jahrhunderten von vielen Ethnien oder Nationalitäten bewohnten Gebiet eine „völkisch“ homogene, „rein ukrainische“ und militant russophobe Gesellschaft durchzusetzen, nicht leisten.
Die Folgen einer unterbliebenen Entnazifizierung sind in Deutschland gut zu beobachten. Es begann mit dem in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre besiegelten Verlust der Ostgebiete und setzte sich mit dem Kalten Krieg fort. Voraussetzung hierfür war eine Kontinuität autoritärer, militaristischer und russlandfeindlicher, geradezu rassistisch verhetzter Kräfte. Diese Strömung tritt heute in aller Deutlichkeit hervor in Gestalt von Baerbarossa alias Frau Dr. Strangebock, wobei der Doktortitel wie alles andere auf Fälschungen beruhte — vermutlich wird sie also nicht wie Major „King“ Kong in Stanley Kubricks Film „Dr. Strangelove“ auf der letzten abgeworfenen Bombe sitzend ins mit von ihr kreierte Schlachtfeld krachen.
1992 freute man sich im Pentagon über das „Zeitfenster“ der kommenden Jahre, das man zum Überfall auf Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen und Somalia nutzen wolle, bevor ernsthafte Konkurrenz entstünde. Spätestens 2014 regte sich Gegenwind, der sich am 24. Februar 2022 zu einem Orkan verstärkte. Parallel steigerten sich propagandistische Kapriolen, offene Panik und blanker Hass, was so wenig vom Himmel fiel wie die russische „Spezialoperation“.
Die Zeichen stehen nicht gut für ein vernünftiges Abwägen von Vorschlägen, die seitens Moskaus unterbreitet werden. Doch die Zeiten, in denen es sich auf das Gerede notorischer Betrüger verlässt, sind vorbei. Gefordert sein werden eindeutige Maßnahmen des guten Willens, die Bedingungen, die zum Krieg führten, zu beseitigen. Nur so kann er mit den Mitteln der Politik beendet werden.
Ihre Aufgabe wird sein, die Entwicklung einer europäischen Sicherheitsarchitektur einzuleiten. In ihr wäre wie in der gemeinsam verabschiedeten Pariser Charta von 1991 konkret festgelegt, dass keine Entscheidungen über Verträge in Fragen des Handels, der Rüstung oder von Militärbündnissen ohne Abstimmung mit unmittelbar oder auch mittelbar betroffenen Nachbarn getroffen werden dürfen. In diesem Sinn wären fremde Truppen mitsamt ihren Atombomben abzuziehen, verbunden mit einer Neuauflage sämtlicher einseitig von den USA gekündigter Abrüstungsabkommen. Unverzüglich abzubauen wären atombombenfähige Trägersysteme, die unter dem allen Ernstes angeführten Vorwand eines Schutzes vor Raketen aus dem Iran in Polen und Rumänien aufgestellt wurden (11).
Als Gegenleistung könnte Russland offerieren, dass zum zukünftigen Staatsgebiet der Ukraine zwar nicht Cherson, wohl aber Nikolajew und Odessa gehören würden. Doch es ist anzunehmen, dass der Westen auch diese Gelegenheit verstreichen lässt. Zu viele „Werte“, die wie ein Bauchladen zu Markte getragen werden, stehen auf dem Spiel — Werte nicht nur von Edelmetallen oder Mineralien wie Titan und Seltene Erden. Im kalten Glanz der Augen von Monsanto, Glencore oder Cargill, BlackRock, Vanguard, State Street oder anderer Investmentfonds und ihres militärischen Begleitschutzes auch in Form der Rüstungsindustrie spiegelt sich das schimmernde Elend der Ukraine.
BlackRock „berät“ die US-Regierung, die den immer kokett als „Vermögensverwalter“ bezeichneten Finanzgiganten bezahlt, den Erfolg künftiger Investitionen in der Ukraine sicherzustellen. Sie werden mit dem Geld getätigt, das etwa durch die Unbezahlbarkeit US-amerikanischer Wohnungen gewonnen wird.
Schon die Corona-„Pandemie“ verdankte sich der Notwendigkeit, neue Investitionsfelder zu erschließen. Warum, fragt sich nicht nur Bradley Devlin, sollte irgendein Entscheidungsträger der westlichen Machtzentren Frieden in der Ukraine wollen (12)? Leute, deren Karrieren mit Spenden der Rüstungskonzerne finanziert und deren Wahlkreise mit einschlägigen Arbeitsplätzen beglückt werden? Beteiligte eines Konglomerats aus Chemie-, Rohstoff- und Pharmagiganten, nicht zu vergessen einer gut geschmierten Medienmaschinerie? Politstrategen, die sich ihrem Ziel, eine Kooperation Europas und insbesondere Deutschlands mit Russland definitiv zu verhindern, zum Greifen nahe wähnen?
Das Kiewer Regime wird nicht aufhören, seine Leute in Fleischwolf und Knochenmühle zu schmeißen, solange unten Milliarden Dollar- und Euro-Scheine herausrieseln.
Der Westen ist berauscht wie König Krösus von seinem Orakelspruch von Delphi, mit dem er sich zu seinem Feldzug gegen die Perser ermutigt sah: „Du wirst ein großes Reich zerstören!“ Es war bekanntlich sein eigenes (13).
Der Ruin der Ukraine wird einer vergleichbaren Fehleinschätzung geschuldet sein.
Marlene Dietrich leitete einmal ein Lied ein mit der Bemerkung, es sei mit einem Lächeln zu singen. Ähnliches möchte ich anraten bei meiner Prognose für den Kriegsschauplatz, der ich vorausschicke, dass ich kein Militärexperte bin, aber folgendes Szenarium im Kopf hätte, wäre ich einer.
Es ist viel die Rede von der in Bälde startenden Großoffensive. Auf der Karte wäre sie markiert als große Pfeile. Sie sähen, meinte Scott Ritter, gut aus, bedeuteten aber auch große Verluste. Russland will sie unter allen Umständen vermeiden und wird deshalb vermutlich nichts überstürzen. Je erschöpfter, geschwächter die Ukraine ist, desto sicherer wird ihr ohnehin das 1945 von ihrem Weltanschauungsvorbild erlittene Schicksal nicht erspart bleiben: Berge von Leichen, Verletzte, Verstümmelte, Traumatisierte, Vertriebene, militärisch geschlagen, das Land in Schutt und Asche, wirtschaftlich ruiniert und politisch wie geographisch nicht wiederzuerkennen.
Alle Hoffnung geht dahin, dass die USA und ihre Protektorate die von ihnen gewünschte „Entscheidung auf dem Schlachtfeld“ ohne eine nukleare Eskalation akzeptieren werden. Bei Vermeidung dieser Katastrophe dürfte das Ende des Krieges besiegelt werden wie 1945, als Deutsche und Japaner aufgefordert wurden, an einem Tisch Platz zu nehmen und an den vorgesehenen Stellen zu unterschreiben.
Wenn ich mich irren sollte, hätte ich mich geirrt zusammen mit dem vehementen Nazi-Hasser Scott Ritter, ehemaliger Colonel des US-Marine Corps und Waffeninspektor in der Sowjetunion sowie im Irak (14), oder Douglas Macgregor, ebenfalls Colonel a.D., einst Berater im Pentagon und Trump-Anhänger (15), nicht zu vergessen Jacques Baud oder Alexander Mercouris. Ritter und Macgregor räumen als einzige Alternative den Erfolg einer Revolte ukrainischer Soldaten ein, die bei einem freien Abzug von den Frontabschnitten dem Kiewer Spuk vorzeitig ein Ende bereiteten.
Bedingung für eine solche Entwicklung wäre die Unterstützung aus der Bevölkerung. Das würde den Plänen Moskaus bezüglich der Entmilitarisierung und Entnazifizierung entgegenkommen — auf einem Terrain, auf dem ansonsten zu viele Zeitbomben lagerten. Sie schließen jede Lösung aus, die dem Ausbruch erneuter Konflikte nur einen Zeitaufschub verschaffte.
In Russland, heißt es, nehme man sich Zeit, ein Pferd zu zäumen, reite dann aber sehr schnell. Dabei muss man, ob Schimmel oder Rappe, die Zügel fest in der Hand behalten. Die vergangenen Jahre haben den Russen gelehrt, falsche Gäule nicht geschenkt haben zu wollen. Sie erkennen sie auf Anhieb und müssen ihnen nicht einmal ins Maul schauen. Der Westen wird für lange Zeit auf ihnen sitzenbleiben, falls die geschundenen Tiere es überhaupt noch aushalten.
Quellen und Anmerkungen:
(1) siehe https://twitter.com/DrLuetke/status/1618227215803768832?s=20&t=u9s6C0BHCQ80ZZOHawrIEg
(2) Zu diesem exemplarischen Gespinst aus Lügen, unzulässigen Schlüssen und nur mit Hilfe gleich ausgerichteter Medien effektiv gestalteter Propaganda siehe Jeremy Kuzmarov, Eight-Year-old Debunked Lie Blaming Russia for Shooting Down Malaysian Passenger Flight in 2014 is Given New Life by Dutch Judge, CovertAction Magazine 4. Januar 2023 https://covertactionmagazine.com/2023/01/04/eight-year-old-debunked-lie-blaming-russia-for-shooting-down-malaysian-passenger-flight-in-2014-is-given-new-life-by-dutch-judge/
(3) siehe Joe Lauria, The Victory of ‘Perception Management’ (mit dem Nachdruck eines Artikels von Robert Parry vom 28. Dezember 2014), Consortium News 3. Februar 2023 https://consortiumnews.com/2023/02/03/the-victory-of-perception-management-3/?eType=EmailBlastContent&eId=358c1ece-6678-4796-82cb-28bccc14a320
(4) siehe nur vor allem die ersten 11 Minuten des Videos: Ekkehard Sieker, Strategische Kommunikation und Feindbildpflege, arbeiterfotografie 26. Dezember 2022 https://www.youtube.com/watch?v=S7TjRO7sLfY&t=798s
(5) siehe „Summary of the 2018 National Defense Strategy of the United States of America” https://www.dod.defense.gov
(6) siehe https://www.rand.org
(7) siehe Seymour Hersh, How America Took Out The Nord Stream Pipeline, Seymour Hersh 8. Febr. 2023 https://seymourhersh.substack.com/p/how-america-took-out-the-nord-stream
(8) siehe Jeremy Kuzmaroc, U.S. Spreads Misery Across the Globe Imposing Sanctions on a Third of Humanity,CovertAction Magazine, 2. Januar 2023 https://covertactionmagazine.com/2023/01/02/u-s-spreads-misery-across-the-globe-by-imposing-sanctions-on-a-third-of-humanity/
(9) siehe Cynthia Kroet, „Merkel: EU will lift Russia sanctions when Minsk accords implemented”, Politico.eu, 2. Mai 2017 https://www.politico.eu/article/merkel-eu-will-lift-russia-sanctions-when-minsk-accords-implemented/
(10) siehe Susann Witt-Stahl (Vortrag vom 16. November 2022), Geschichte, aktuelle Stärke und Einfluss der Faschisten in der Ukraine https://www.youtube.com/watch?v=k0ihgTQbt1A&t=208s
(11) siehe auch Scott Ritter, A Lexicon for Disaster. Russia seeks arms control agreements to prevent dangerous escalation. But the U.S. seeks only unilateral advantage, Consortium News, 19. Dezember 2022 https://consortiumnews.com/2022/12/19/scott-ritter-a-lexicon-for-disaster/?eType=EmailBlastContent&eId=a80b189a-c074-48c5-9ff0-87e101586502
(12) siehe Bradley Devlin, BlackRock plant den Kauf der Ukraine. BlackRock wird einen Fahrplan für den Wiederaufbau der Ukraine erstellen, antikrieg, 3. Januar 2023 https://antikrieg.com/aktuell/2023_01_03_blackrock.htm; Werner Rügemer, Endlich „mehr ökonomischer Sachverstand“ – gleichzeitig in Berlin und Kiew, NachDenkSeiten, 18. November 2022 https://www.nachdenkseiten.de/?p=90566;
Colin Todhunter, Ein hartkantiger Fels: wirtschaftliche Kriegsführung gegen die Menschheit, apolut, 27. Januar 2023 https://apolut.net/ein-hartkantiger-fels-wirtschaftliche-kriegsfuehrung-gegen-die-menschheit-von-colin-todhunter/
(13) siehe Europe’s $1 Trillion Energy Bill Only Marks Start of the Crisis. High prices could last years and aid is becoming unaffordable. Relief on global gas markets isn’t expected until 2026, Bloomberg News, 18. Dezember 2022 https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-12-18/europe-s-1-trillion-energy-bill-only-marks-start-of-the-crisis?leadSource=uverify%20wall
sowie das interessante Interview: Irene Dubois, Pierre de Gaulle, Enkel von Charles de Gaulle, spricht Klartext über die USA, die NATO und die europäischen Medien, Globalbridge, 1. Januar 2023 https://globalbridge.ch/pierre-de-gaulle-enkel-von-charles-de-gaulle-spricht-klartext-ueber-die-usa-die-nato-und-die-europaeischen-medien/
(14) siehe sein Interview mit Andrew Napolitano: Receiving German Leopard 2 Tanks and M1 Abrams Tanks, Judging Freedom, 4. Februar 2023 https://www.youtube.com/watch?v=UffW0NuR3iU
(15) siehe sein Interview: Manpower Resources Exhausted, Ms.Poepe, 3. Februar 2023 https://www.youtube.com/watch?v=ism7uPMYjQ8