Die großen IT-Unternehmen haben größtes Interesse daran, das Zahlungsverkehrsgeschäft zu übernehmen. Und langfristig haben vor allem die großen Plattformbetreiber die besten Voraussetzungen, das zu schaffen. Denn für das Bankgeschäft braucht es nicht viel mehr als Datenanalyse, Vertrauen und Kundenzugang.
In Sachen Vertrauen ist ein sehr wichtiger Aspekt die Kapitalstärke. Da brauchen sich die Tech-Giganten nun wirklich nicht zu verstecken. Gegen sie sind selbst die großen Banken kleine, wacklige Gebilde. Auch an Kundenzahl sind sie jedem anderen Unternehmen um Meilen voraus. Was schließlich die Daten und ihre Verarbeitung angeht, haben die Banken gegenüber den IT-Unternehmen ganz schlechte Karten. Denn auf dem Gebiet sind diese zu Hause.
Eine Studie eines deutsch-amerikanischen Ökonomenquartetts ergab, dass schon ein paar Daten, die jeder Webseitenbetreiber ganz standardmäßig von jedem Besucher abgreifen kann, ähnlich viel Informationen über dessen Kreditwürdigkeit liefern, wie das Rating einer traditionellen Kreditauskunftei. Solche Daten sind die Art des genutzten Geräts und dessen Betriebssystem, ob man direkt oder über eine Suchmaschine oder ein Preisvergleichsportal kommt, der E-Mail-Provider, ob man Groß- und Kleinschreibung beachtet, ob man sich vertippt und ob die E-Mail-Adresse Vornamen oder Nachnamen enthält. „Mit ihrem überlegenen Zugang zu digitalen Fußabdrücken und ihrer überragenden Fähigkeit, diese zu verarbeiten, können die FinTechs das Geschäftsmodell der Banken gefährden“, schließen die Autoren.
Auch das Beratungsunternehmen BFA kommt In einer von MasterCard in Auftrag gegebenen Studie zur Rolle von „Super-Plattformen“ wie Amazon, Facebook und Alibaba, zu dem Schluss, dass die Aussichten für die Banken sehr schlecht sind, in der Konkurrenz zu bestehen. Einige Banken würden wahrscheinlich überleben, wenn sie bereit seien, vom hohen Ross des gehobenen Banking herabzusteigen und auf Großhandels-Fondsmanager umzuschulen.
Die Banken sind fast hoffnungslos im Nachteil, was das Wissen über die Kunden angeht, machen die BFA-Autoren deutlich. Die Superplattformen haben riesige, stetig wachsende Kundenmengen und breiten sich über immer mehr Geschäftsfelder aus.
Dadurch können sie viel mehr Daten aus vielen verschiedenen Bereichen sammeln und zusammenführen als Banken, die nur in einem Geschäftsfeld aktiv sind. In China, wo die Superplattformen bereits stärker im Bezahlmarkt aktiv sind, haben die Margen der Banken bereits erheblich gelitten und die Banken verlieren Kunden.
Der Ebay-Ableger PayPal hat sich in wenigen Jahren zum Weltmarktführer bei der Abwicklung von Online-Einkäufen entwickelt. Apple Pay hat im Mai 2018 eine Kooperation mit Goldman Sachs bekannt werden lassen, aus der eine Kreditkarte mit dem Apfelsymbol hervorgehen soll. Genaueres über die Modalitäten ist noch nicht bekannt. Google Pay und der Facebook Messenger versuchen auch seit einigen Jahren, einen größeren Teil des Bezahlkuchens für sich abzuschneiden.
WhatsApp will ebenfalls einsteigen. Amazon Pay wickelt Zahlungen bisher noch nicht selbst ab, sondern ermöglicht lediglich Amazon-Kunden, Kontoinformationen oder Kreditkartendaten zu hinterlegen, um ohne erneute Eingabe einkaufen zu können. Branchenbeobachter rechnen aber fest damit, dass Amazon irgendwann auch das klassische Bankgeschäft aufmischen wird. Medienberichten zufolge verhandelt das Unternehmen bereits mit der Großbank JP Morgan über eine Kooperation. Die soll es Amazon ermöglichen, auch ohne Banklizenz seinen Kunden eine Art Girokonto anzubieten. Über die Motivation schreibt das Handelsblatt: „Die Tech-Riesen interessieren sich vor allem dafür, mehr Kontrolle über den gesamten Bezahlprozess und die damit verbundenen Daten zu bekommen.
Neben den Daten gibt es noch einen weiteren großen Ertrag, den man aus der Dominanz über den Zahlungsverkehr ziehen kann: den Geldschöpfungsgewinn.
Dieser kann gerade für ein Unternehmen wie Amazon, das neu geschaffenes Geld zu einem sehr großen Teil im Kontennetzwerk der eigenen Kunden halten könnte, sehr groß sein. Man kann sich das so vorstellen: Wenn Amazon wie eine Bank agiert und seine Lieferanten ein Amazon-Konto haben, dann kann Amazon seine Rechnungen bezahlen, indem es den Lieferanten den Rechnungsbetrag einfach auf deren Amazon-Konto gutschreibt.
Wenn die Lieferanten dieses Guthaben nutzen, um bei Amazon einzukaufen, bleibt das neu geschaffene Guthabengeld im Unternehmen und wird nur auf ein anderes Amazon-Konto umgebucht. Dasselbe gilt, wenn die Arbeitnehmer des Lieferanten ein Amazon-Konto haben und ihre Gehalt auf dieses ausgezahlt bekommen. Nur wenn der Lieferant sein Amazon-Guthaben an jemand überweisen will, der sein Konto bei einer anderen Bank hat, braucht Amazon Geld von der Zentralbank, um diese Überweisung zu tätigen.
Noch scheut Amazon allerdings davor zurück, eine Banklizenz zu beantragen. Denn damit geht ein großes Maß an Kontrolle und Regulierung einher. Vermutlich setzt man in Seattle deshalb darauf, durch Kooperation mit Banken und Kreditkartenanbietern zunächst die eigenen Kunden an ein Konto der Marke Amazon zu gewöhnen, auch wenn de fakto dahinter eine andere Bank steht. Erst in einem letzten Schritt, wenn alle Voraussetzungen dafür da sind, den Bankenmarkt in einem großen Schwung aufzurollen, stünde dann die Übernahme der Konten in eigene Regie an. Je mehr Lieferanten und Kunden Amazon hat und je mehr regionale Märkte und Produktmärkte Amazon dominiert desto durchschlagender ist das möglich.
Wenn sich kein Händler mehr leisten kann, nicht bei Amazon anzubieten, kann Amazon das Führen eines echten Amazon-Girokontos zur Pflicht machen, oder zumindest Nachteile damit verbinden, wenn man es nicht tut.
Auf der Kundenseite gilt dasselbe. Und wenn praktisch alle ein Konto bei Amazon haben, kann so ein Konto auch sehr attraktiv ausgestaltet werden. Ein Amazon-Konzern mit Banklizenz braucht nur kostenlose internationale Übertragungen von einem Amazon-Guthaben zu einem anderen Amazon-Guthaben zu ermöglichen und Kredite zu Einführungs-Kampfpreisen vergeben und die Banken können mit so einem Konkurrenten im Zahlungsverkehr kaum mehr mithalten.
Ein Verdrängungswettbewerb droht dabei nicht nur den Banken, sondern auch den Regierungen und ihren Notenbanken, die bisher in Zusammenarbeit mit der privaten Bankbranche das Geld in nationaler Währung bereitstellen. Denn während sie das nationale Bankensystem hoheitlich unter Kontrolle halten können, sind Mega-Plattformen wie Amazon global aufgestellt.
Stellen wir uns ein mittelgroßes afrikanisches, asiatisches oder lateinamerikanisches Land vor, in dem Amazon den Online-Handel dominiert und Konten anbietet, die in den USA geführt und beaufsichtigt werden. Amazon kann in diesem Land Käufe und Verkäufe in lokaler Währung abwickeln und dafür mit lokalen Banken zusammenarbeiten. Noch attraktiver für Amazon ist es aber, wenn Lieferanten und Käufer ein Amazon-Konto führen und gleich in Dollar abrechnen. Amazon könnte günstigere Konditionen anbieten, wenn man das tut.
Ein souveränes Land mit einer durchsetzungsfähigen Regierung kann sich dem widersetzen, indem es Online-Handel in fremder Währung verbietet. Das würde allerdings schon heute — und noch mehr in naher Zukunft — ein beträchtliches Maß an wirtschaftlicher Abschottung und unpopulären Erschwernissen für die Bürger mit sich bringen. Die ersten Länder, deren Währungen durch den Amazon-Dollar verdrängt würden, wären diejenigen mit finanziell und politisch angeschlagenen Regierungen. Dort würden sich die Bürger freuen, eine Alternative zur lokalen Währung zu bekommen, und dort könnten die Regierung dem nicht so leicht etwas entgegensetzen.
Je mehr Länder auf diese Weise dollarisiert werden, und je mehr Geschäft sich in den Online-Handel auf Plattformen verlagert, desto attraktiver würde so ein Amazon-Dollar. Denn man könnte in dieser Währung ohne Wechselkursrisiko und Umtauschkosten in vielen anderen Ländern einkaufen oder dorthin verkaufen. Je mehr Kunden und Länder den Amazon-Dollar benutzen, desto größeren Gewinn zöge Amazon daraus, diese Währung emittieren zu können. Amazon könnte dann weltweit einkaufen, indem es den Verkäufern einfach ein zusätzliches Guthaben auf dem Amazon-Girokonto einträgt.
Wir sprechen hier von einem Amazon-Dollar nur um klarzustellen, wer diesen in Umlauf bringt. Es muss keine eigenständige Währung sein. Ein Guthaben bei der Bank JP Morgan müsste eigentlich auch in JP-Morgan-Dollar gemessen werden, ein Guthaben bei der Deutschen Bank lautet eigentlich auf Deutsche-Bank-Euro. Dass diese Bezeichnungen nicht üblich und in normalen Zeiten auch nicht sehr sinnvoll sind, liegt daran, dass ein von Zentralbank und Bankaufsicht kontrolliertes Zahlungsverkehrssystem garantiert, dass Guthaben bei jeder lizensierten Bank (fast) immer zum Nennwert in die offizielle Währung umgetauscht werden können, also in Euro- oder Dollar-Bargeld.
Ausnahmen, wie die Bankenkrisen in Griechenland und Zypern, wo jeweils Kapitalverkehrskontrollen eingeführt wurden, und Banken-Euro nur noch sehr begrenzt in von der Europäischen Zentralbank herausgegebene Euro umgetauscht werden konnten, bestätigen die Regel. In Griechenland gelten die Umtausch-Begrenzungen die im Sommer 2015 eingeführt wurden, drei Jahre später in abgemilderter Form immer noch.
Mit einer Banklizenz und einer kooperativen Bankaufsicht könnte Amazon nach dem gleichen Prinzip wie die Banken Amazon-Dollars ausgeben, die zum Nennwert in echte Dollar eintauschbar wären. Die US-Regierung sollte wenig dagegen haben. Sie hat alles Interesse daran, dass der Dollar seine weltweite Dominanz ausbaut, sei es in Form des traditionellen Bankendollars oder in Form eines Amazon-Dollars. Das spült Geldschöpfungsgewinne in amerikanische Kassen und verknüpft mehr Leute und Länder fester mit dem System, in dem sie von den US-Diensten überwacht und von der US-Regierung bei Bedarf unter Druck gesetzt werden können.
Es mag zwar weniger wahrscheinlich erscheinen, aber es gibt auch die Möglichkeit, dass Amazon sich der Regulierung ganz entziehen kann und eine eigene Währung etabliert, reguliert durch niemanden als Amazon selbst.
Wer will in diesen Zeiten noch ausschließen, dass ein US-Präsident, der vielleicht einmal Zuckerberg oder Bezos heißt, so etwas zulässt. Für die weltweite Ausbreitung wäre das vermutlich sogar förderlicher als ein offizieller US-Dollar, und könnte daher ebenfalls im Interesse der US-Regierung sein. Denn die Bankaufsicht muss sich an den Gleichbehandlungsgrundsatz halten. Sie kann Amazon als Bank nicht anders behandeln als andere Banken und würde die weltweite Ausbreitung des Amazon-Dollars wohl stärker bremsen als nötig.
Ein Konzern wie Amazon braucht keine Bankaufsicht, um das Vertrauen der Nutzer in das eigene Geld aufrecht zu erhalten. Es würde genügen, die Ausgabe neuen Amazon-Geldes so zu begrenzen, dass der Wechselkurs zum US-Dollar stabil bleibt. Wenn Amazon graduell genug vorgeht, könnte die Bankaufsicht einfach eine Weile so tun, als agiere Amazon nicht wie eine Bank und als seien Amazon-Guthaben kein Geld. So wie es in Kenia mit dem mobilen Geld M-Pesa von Vodafone/Safaricom gemacht wurde, um dessen Ausbreitung zu begünstigen.
Stellen wir uns also einen großen dominierenden Plattformbetreiber mit Banklizenz als eine Kombination aus Google, Facebook und Amazon vor, an den weltweit die meisten Marktteilnehmer verkaufen und von dem die meisten kaufen. Es wäre ein Unternehmen, das gleichzeitig große Teile des Geldes der meisten Menschen und Unternehmen verwaltet und große Teile ihres Zahlungsverkehrs abwickelt. Bei diesem Konzern würden nicht nur die Unmengen an Informationen darüber zusammenlaufen und weltweit gespeichert werden, wann wir von welchem Standort und welchem Gerät aus was gekauft oder gesucht haben, sondern auch, was wir mit Amazon-Geld anderswo gekauft haben.
Die Algorithmen von Amazon und Google könnten auf Basis dieses umfassenden Wissens ein schwer fassbares aber umso wirkungsvolleres System der Verhaltenskontrolle und –manipulation etablieren, gegen das das chinesische Sozialpunktesystem sich krude ausnehmen würde.
Harte Sanktionen gegen Unbotmäßige, wie das Sperren oder Begrenzen des Zahlungsverkehrs und das Verbot der Nutzung für den Kauf von bestimmten Gütern oder Dienstleistungen wären jederzeit möglich, aber vermutlich sehr selten nötig. Nicht nur jeder Konsument, auch jeder Politiker und jeder womöglich konkurrierende Unternehmer wäre für diesen Konzern gläsern und seinen Manipulationen und Sanktionen ausgesetzt.
Mit dem Bedeutungsgewinn eines Amazon-Dollars würden spiegelbildlich die nationalen Währungen an Bedeutung verlieren. Darunter würde die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit der jeweiligen Regierung leiden. Die Währungshoheit gilt nicht ohne Grund als ein Kernbestandteil nationaler Souveränität. Deshalb würden erkennbare Entwicklungen in diese Richtung sehr wahrscheinlich Gegenreaktionen der Regierungen provozieren.
Das könnte ein Grund sein, warum Amazon in Sachen Zahlungsverkehr so uncharakteristisch vorsichtig zu Werke geht. Aber in die Richtung bewegt sich der Konzern auf jeden Fall. So wurde im Frühjahr 2018 neben der geplanten Kooperation mit JP Morgan, auch bekannt, dass der Konzern plant, den Sprachassistenten Alexa mit einer Funktion auszustatten, um Guthabenüberweisungen zwischen Nutzern zu ermöglichen. Ist die Marktdominanz einmal in allen relevanten Ländern erreicht, könnte es mit der bisherigen Zurückhaltung schnell zu Ende sein.
Quellen und Anmerkungen:
Die Fußnoten und Quellenverweise aus dem Buch sind in diesem Auszug nicht enthalten.