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Die Terrorunterstützer

Die Terrorunterstützer

Der sogenannte „Islamische Staat“ überlebt, weil die USA bei seiner Bekämpfung nicht mit Russland zusammenarbeiten wollen.

Der IS - der lachende Dritte
von Alexander Mercouris

Auch wenn 2017 ein katastrophales Jahr für den IS war – die Terrororganisation verlor die Kontrolle über alle Städte, die sie einst in Irak und Syrien kontrollierte, darunter Mossul und Raqqa, und verlor fast sämtliche Gebiete, die sie einmal kontrolliert hatte – ist es ein grundlegender Irrglaube anzunehmen, dass er nunmehr vollständig besiegt sei oder am Boden liege.

Sowohl Präsident Trump als auch Präsident Putin waren meiner Ansicht nach zu schnell damit bei der Hand, ihren Sieg über den IS zu erklären. Währenddessen hat die Ablenkung durch die Spielchen der Vereinigten Staaten mit den Kurden in Nordsyrien der Terrororganisation direkt in die Hände gespielt und hat ihr neuen Schwung verliehen.

Dass der IS nach wie vor eine Bedrohung darstellt, bestätigt die libanesische Nachrichtenagentur Al-Masdar. Sie hat sich mit ihren Quellen aus dem syrischen Militär und der syrischen Regierung als durchgehend verlässliche Informationsquelle über den syrischen Krieg erwiesen.

Ein jüngst erschienener Bericht von Al-Masdar schätzt, dass der IS noch immer über 8.000 bis 11.000 Kämpfer, verteilt über ganz Syrien, verfügt.

Die Agentur bietet folgende Aufstellung über die Gebiete, in denen sie stationiert sind:

  • im Yarmouk-Becken: 1.500 bis 2.000
  • Nordwestsyrien: mindestens 1.000
  • Süddamaskus: 1.500 bis 2.000 (manche Quellen behaupten bis zu 3.000)
  • West Deir Ezzor, Wüste von Osthoms: 200
  • östliches Ufer der Region um das mittlere Euphrattal: 3.000 bis 4.000
  • östliche Deir Ezzor Wüste nahe der irakischen Grenze: 1.000

Außerdem führt Al-Masdar Folgendes zum (gemessen an den Standards der Dschihadisten) hohen Ausbildungsniveau und zum hohen Motivationsgrad dieser IS-Kämpfer auf:

Es ist erwähnenswert, dass bei militanten Gruppen, die nicht dem IS angehören, oft nur ein Drittel der Stärke, die sie auf dem Papier haben, der Stärke tatsächlicher Front-Kämpfer entspricht. Der Rest besteht aus bewaffneten Einwohnern, die nicht außerhalb ihrer Stadt oder ihres Dorfes kämpfen und die nur zu den Waffen gegriffen haben, um einen Lohn zu erhalten, mit dem sie ihre Familien ernähren können. Alle IS-Kämpfer dagegen – und das, obwohl einzelnen, wie auf Videos zu sehen, Gliedmaßen fehlen – sind im Allgemeinen für den Einsatz an der Front ausgebildet und wurden dafür mobilisiert.

Insgesamt schlussfolgert Al-Masdar Folgendes zur anhaltenden Gefahr, die diese IS-Kämpfer darstellen:

Die Tatsache, dass all diese Gebiete voneinander getrennt sind, ist bedeutsam für künftige Operationen gegen sie und stellt eine deutliche Verbesserung gegenüber früheren Jahren dar, als die Terroristengruppe zusammenhängende Streifen im gesamten Land hielt, die sich entlang des Euphrattales konzentrierten.

Gleichzeitig kann der Anblick isolierter IS-Schlupflöcher auf einer Landkarte ein falsches Gefühl von Sicherheit erzeugen, wird dabei doch übersehen, dass dort noch Tausende von Kämpfern präsent sind.

Da sich Al-Masdar aus Quellen innerhalb des syrischen Militärs speist, ist es wahrscheinlich, dass das syrische Militär diese Bewertung der anhaltenden Bedrohung Syriens durch den IS teilt.
Das Muster der Kämpfe in den Jahren 2016 und 2017 zeigt, dass die IS-Kämpfer den konventionellen Truppen der syrischen Armee nicht gewachsen sind, wenn sie ihnen in ungefähr gleicher Kampfstärke gegenüberstehen.

Das trifft auch auf Situationen zu, die lange Zeit in der Deir Ezzor Provinz vorherrschten. Dort mussten die syrischen Truppen den IS ohne regelmäßige Unterstützung aus der Luft bekämpfen.
Die Ursache für die rasche Ausbreitung des IS in Syrien 2014 und 2015 – bevor die russische Intervention die militärische Lage radikal veränderte – lag nicht in seinem Erfolg beim Niederringen der syrischen Armee.

Vielmehr kam es dazu, weil die syrische Armee sich aus dem Zentrum Syriens und aus Ostsyrien zurückgezogen hatte, um das Kerngebiet des syrischen Staates im Westen entlang der Mittelmeerküste zu verteidigen, das die Dschihadisten unter der Führung von al-Qaida massiv angriffen.

Der IS konnte diesen Rückzug dazu nutzen, das Vakuum zu füllen und sein „Kalifat“, das der IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi 2014 in der Großen Moschee von Mossul förmlich ausgerufen hatte, in Zentral- und Ostsyrien zu errichten.

Nachdem der Druck auf das syrische Militär in Westsyrien in der Folge von al-Qaidas Niederlage in der „Großen Schlacht von Aleppo“ im Dezember 2016 nachließ, kehrte die syrische Armee – inzwischen mit großer Verstärkung und neu ausgebildet von den Iranern und Russen – 2017 nach Zentral- und Ostsyrien zurück.

Zu diesem Zeitpunkt kollabierte der IS schnell und verlor im Laufe der Jahre 2014 und 2015 alle Gebiete, die er wegen des früheren Rückzuges der syrischen Armee in Zentral- und Ostsyrien eingenommen hatte.

Zugleich geriet der IS natürlich unter enormen Druck aus dem Irak vonseiten der irakischen Armee, die von den Vereinigten Staaten und dem Iran unterstützt wurden, und in Syrien von den Kurden, die ebenfalls von den USA unterstützt wurden. So verlor er im Irak nahezu alle seine Gebiete und die Schlüsselstadt Mossul an die irakische Armee und in Syrien seine einstige „Hauptstadt“ Raqqa an die von den USA gestützten Kurden.

Sowohl das schnelle augenfällige Vorrücken des IS 2014 und 2015 als auch sein schneller Zusammenbruch in den Jahren 2016 und 2017 haben jedenfalls dazu gedient, die wirklichen Gründe für die Stärke des IS zu verschleiern.

Diese liegen in seiner Fähigkeit, eine große Anzahl leicht bewaffneter, doch fanatischer Kämpfer rasch in ganz Syrien einzusetzen, um blitzschnelle Überfälle auf syrische, irakische und kurdische Militärstellungen zu verüben und um Städte und Dörfer einzunehmen, während das Militär abgelenkt ist.

So nahm der IS Palmyra zwei Mal ein. Das erste Mal 2015, weil das syrische Militär von einer massiven, von Dschihadisten angeführten Offensive in Nordsyrien in der Provinz Idlib abgelenkt war, und im Jahr 2015, weil das syrische Militär durch seinen Kampf mit al-Qaida in Aleppo abgelenkt war.

Sobald diese beiden Krisen unter Kontrolle gebracht waren, hatte das syrische Militär – mit russischer Unterstützung – keine Schwierigkeiten, den IS aus Palmyra zu vertreiben und die Kontrolle über die Stadt zurückzugewinnen.

Mit anderen Worten: Der IS ist im Grunde eine klassische Guerillatruppe, keine konventionelle Streitmacht. Immer wenn er es mit ordentlich aufgestellten und geführten Truppen aufnehmen wollte, hat er eine Niederlage erlitten.

Die IS-Kämpfer haben sich jedoch durchgängig als fähig erwiesen, die Kämpfer jeder anderen dschihadistischen Gruppe in Syrien zu bezwingen, bis vor kurzem mit der Ausnahme von al-Qaida.

Jüngst, da al-Qaida durch seine Niederlage in der „Großen Schlacht von Aleppo” ernsthaft geschwächt war, haben IS-Kämpfer auch die al-Qaida-Kämpfer bezwungen und zwar in Gebieten Syriens nahe Damaskus und in der Provinz Idlib, die ehedem unangefochten unter der Kontrolle von al-Qaida standen.

Dies ist wichtig, denn ein Merkmal des syrischen Krieges war bisher die anhaltende Fehde zwischen Dschihadistengruppen – vor allem zwischen al-Qaida und dem IS – und im Gebiet bei Damaskus und in der Provinz Idlib gewann der IS zunehmend die Oberhand. Das hängt damit zusammen, dass er Verstärkung bekam von den IS-Kämpfern, die sich in diese Regionen flüchteten, um dem Vormarsch der syrischen Armee in Zentralsyrien und im Osten zu entkommen.

Nicht nur ist der IS also immer noch eine einflussreiche Kraft in Syrien. Auch seine politischen Strukturen und seine Propaganda-Abteilung – insbesondere seine „Nachrichtenagentur“ Amaq – sind immer noch intakt und funktionieren noch. Auch sein Anführer Ibrahim Abu Bakr al-Baghdadi („der Kalif Ibrahim“) lebt und läuft noch frei herum.

Solange diese Strukturen bestehen und so lange al-Baghdadi am Leben und auf freiem Fuße ist, kann der IS nicht für besiegt erklärt werden. Solange sich an diesen Umständen nichts ändert, ist jede Erklärung, dass er niedergerungen sei, verfrüht.

Objektiv betrachtet müssten die Tage des IS gezählt sein. Die gesamte Welt behauptet in Abscheu gegen den IS vereint zu sein.

Alle Kräfte, die in Syrien und im Irak präsent sind – die syrische und die irakische Armee, die verschiedenen kurdischen Milizen, das Militär der USA, Russlands, des Irans und der Türkei, die Shia-Milizen, darunter an erster Stelle die Hisbolla, und selbst einige Dschihadistengruppen – sie alle behaupten, seiner Zerstörung verpflichtet zu sein.

Würden sich all diese Kräfte wirklich auf die Zerstörung des IS konzentrieren und dazu zusammenarbeiten, dann wäre die Organisation wahrscheinlich in Tagen und nicht in Wochen am Ende.

Dass dies nicht der Fall ist, ist eine schockierende Anklage gegen die geopolitischen Spiele gewisser Regierungen – allen voran der US-Regierung – und gegen den vollkommen unnötigen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, hervorgebracht durch den Russiagate-Skandal. Dieser hat eine Zusammenarbeit zwischen den Präsidenten der USA und Russlands und dem Militär beider Länder im Kampf gegen den IS unmöglich gemacht (1).


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Alexander Mercouris ist Chefredakteur der Online-Plattform „The Duran“, die sich mit internationaler Politik befasst. Mercouris ist Jurist, er lebt und schreibt in London. Seine Spezialgebiete sind die Menschenrechte und Verfassungsrecht. Er hat ausführlich über rechtliche Aspekte der NSA-Spionage und die Menschenrechtslage in der Ukraine berichtet.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „ISIS survives because the US will not unite with Russia to destroy it". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.

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