In Deutschland ist die Reaktion auf die Gelbwesten-Proteste in Frankreich ganz unterschiedlich. Beispielsweise sagen auch manche: „Bei uns in Deutschland ist so etwas nicht möglich. Wir haben die soziale Marktwirtschaft. Deutschland ist ein Sozialstaat. Da gibt es soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit. Wir haben starke Gewerkschaften und gute Lohntarife. Da muss niemand protestieren wie in Frankreich.“
Das alles ist nicht ganz falsch. Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich etwas aufgebaut, das unter Begriffen wie rheinischer Kapitalismus oder soziale Marktwirtschaft weltweit Anerkennung und Ansehen gewonnen hatte. Aber auch in Deutschland haben sich die Zeiten geändert. Dies zeigt der folgende Versuch, die neuralgischen Punkte der heutigen sozialen Frage in Deutschland zusammenzutragen. Nicht, weil alles so schlecht ist, sondern weil es an der Zeit ist, die Probleme, die es tatsächlich gibt, zu benennen und entschlossen anzugehen.
Deutlich wird: Das Hauptproblem sind nicht die sozialen Leistungen des Staates oder der Sozialversicherungen. Im Gegenteil, die jährlichen staatlichen und halbstaatlichen Sozialausgaben haben enorme Höhen erklommen. Fast eine Billionen Euro floss im Jahr 2018 in diesen Bereich, und Millionen von Menschen werden staatlich alimentiert.
Das Hauptproblem ist eine aus den Fugen geratene globalisierte Wirtschaftsunordnung und eine auf den zweiten Blick durchaus dazu passende gesellschaftliche Fehlorientierung in den individuellen Werthaltungen.
Diese Entwicklung erlaubt es zu vielen Menschen nicht mehr, gut arbeiten zu können, von guter Arbeit einen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten und ebenso Vorsorge für ein würdevolles Leben im Alter zu treffen.
„Wohlstand für alle”, so lautete das Credo Ludwig Erhards im Wirtschaftswunderland Deutschland, der alten Bundesrepublik der späten 1950er und frühen 1960er Jahre. Die Philosophie der sozialen Marktwirtschaft lautete: „Leben und leben lassen”, was nichts anderes bedeutete, als breite Bevölkerungsschichten an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung gleichberechtigt teilhaben zu lassen. Erhard rührte nicht die ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilung an, aber immerhin sollte das Wachstum der Wirtschaft zu angemessenen Anteilen auf die Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt werden.
Aber wie sieht es heute, 60 Jahre später aus?
Während das Bruttoinlandsprodukt, BIP — das ist der Jahreswert aller in einem Land erzeugten Güter und Dienstleistungen — in Deutschland in den Jahren 2005 bis 2017 um mehr als 40 Prozent von 2,301 Billionen Euro auf 3,277 Billionen Euro real, also preisbereinigt gestiegen ist, ist der Anteil der Armutsgefährdeten laut Graphik „Armutsquote und BIP im Zeitvergleich” im Armutsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbandes 2018, Seite 13, im gleichen Zeitraum von 14,7 Prozent auf knapp 17 Prozent gestiegen.
Als armutsgefährdet gelten Personen, deren monatliches Nettoeinkommen unter 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens liegt. Diese Schwelle ist nach dem Sozioökonomischen Panel, SOEP, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW, bei einem Alleinstehenden mit 1.086 Euro netto monatlich erreicht.
Dies ist ein Rekordhoch seit der Deutschen Wiedervereinigung, siehe Graphik „Armutsquote und BIP im Zeitvergleich” im Armutsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbandes 2018, Seite 13.
Die wirkliche Arbeitsmarktsituation
Die offizielle Arbeitslosenquote in Deutschland betrug 5,3 Prozent im Februar 2019. Das entspricht 2,37 Millionen Menschen. Dies wird in der heutigen Zeit schon als Erfolg gefeiert. 1982, nachdem die Arbeitslosigkeit in der damaligen kleineren Bundesrepublik die 1 Millionen-Grenze überschritt, gab es noch einen Riesenaufschrei, und die alte Regierungskoalition aus SPD und FDP mit Kanzler Helmut Schmidt wurde abgewählt. An ihre Stelle trat eine neue CDU-Regierung mit Helmut Kohl als Kanzler.
In die heutige Berechnung der Arbeitslosenzahlen sind Menschen über 58 Jahre, denen länger als ein Jahr kein Arbeitsplatz mehr angeboten wurde, nicht einbezogen. Dieser Personenkreis umfasst etwa 162.600 Menschen, unterliegt einer Sonderregelung und fällt automatisch aus der Statistik heraus, so Zeit online vom 11. März 2017. Die Regelaltersgrenze liegt jedoch mit 67 Jahren um fast 10 Jahre höher. Ebenso fallen aus jeder Statistik Menschen, die sich in Maßnahmen der Arbeitsagentur befinden, oder Arbeitslose, für die das Arbeitslosengeld I ausläuft und die erst ihre Vermögenswerte verbrauchen müssen, um Arbeitslosengeld II, als Hartz IV bekannt, in Anspruch nehmen zu können.
Dann zieht sich die Misere der Arbeitslosigkeit weiter, nämlich durch die Vielzahl der Arbeitslosengeld-II-Bezieher, das sind derzeit rund 4 Millionen erwerbsfähige Menschen. Hinzu kommen circa 2 Millionen weitere Personen, beispielsweise Kinder, die auf diese Transferleistung angewiesen sind. Einer AOK-Studie zu Folge ist auch der Gesundheitszustand dieses Personenkreises erschreckend schlecht im Vergleich zu der in Lohn und Brot stehenden Menschen. 10,5 Prozent der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher leiden an einer Verengung der Herzkranz-Gefäße, wohingegen bei den Erwerbstätigen „nur“ 6,8 Prozent davon betroffen sind, so die Oberbergische Volkszeitung vom 9. März 2019.
Trotz aller Schönmalerei in den Medien, wo vom Arbeitsmarktboom oder vom Jobwunder die Rede ist, bleibt Deutschland auch bei boomender Wirtschaft ein Land mit Massenarbeitslosigkeit von weit über 6 Millionen Menschen, wobei die Dunkelziffer nicht einmal mitgerechnet ist. Andererseits beklagen viele Betriebe einen Fachkräftemangel, welcher durch Zuwanderung von Arbeitnehmern aus dem Ausland behoben werden soll. Wäre es stattdessen nicht viel mehr angebracht, die durch jahrzehntelange Bildungsreformen zerstörte Bildung wieder auf einen seriösen und guten Stand zu bringen? Dadurch würden deutsche Jugendliche wieder die Grundfähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen, könnten eine Ausbildung in den gefragten Berufen beginnen und dabei erfolgreich sein.
Neben den über 6 Millionen Arbeitslosen stehen 7,718 Millionen Menschen in prekären oder atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Dies sind 17 Prozent von insgesamt 44,79 Millionen Erwerbstätigen. Prekäre Beschäftigung liegt unter anderem vor, wenn Arbeitnehmer nur schlecht oder gar nicht von ihrem Einkommen leben können, auch Niedriglohnsektor oder working poor genannt. Darin enthalten sind 1,09 Millionen Menschen als sogenannte Aufstocker, die laut WISO des ZDF vom 28. Januar 2019 zusätzlich Geld vom Amt bekommen, um ihr Existenzminimum abzudecken. Als Existenzminimum gelten derzeit 424 Euro nach Abzug der Warmmiete.
Prekäre Beschäftigung bedeutet auch Arbeit, die nicht auf Dauer angelegt ist. Dazu gezählt werden Leih- und Zeitarbeit, unfreiwillige Teilzeit-, Minijobs oder geförderte Arbeitsgelegenheiten. Auch Selbständige können prekär beschäftigt sein, wenn sie beispielsweise als Scheinselbständige von nur einem Auftraggeber abhängig sind.
Auswirkungen von Schröders Agenda 2010
Diese Entwicklung ist das Ergebnis einer marktradikalen, die Globalisierung vorantreibenden Politik in Deutschland; denn mit Beginn des 21. Jahrhunderts wurden die Sozialstandards, bekannt als Hartz-IV-Reformen, signifikant zurückgefahren. Diese Reformen hatten und haben entgegen den offiziellen Stellungnahmen keinen positiven Effekt auf die Beschäftigung. Die Anzahl der Arbeitslosengeld-I-Bezieher wurde lediglich durch Veränderung der statistischen Methoden nach unten gedrückt. Zusätzlich entstand somit eine Vielzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse.
Die Reallöhne sind zwischen 1992 und 2012 um 1,6 Prozent gesunken. Im Jahre 2016 ist der Reallohn erstmals wieder seit 1992 um 2,6 Prozent gestiegen. Also erst nach 24 Jahren blieb den Werktätigen ein wenig mehr netto im Portemonnaie, so Hannes Hofbauer in „Kritik der Migration“, S. 189. Anzumerken ist, dass gerade in den beiden untersten von zehn Einkommensgruppen in diesem Zeitraum die Reallöhne im Jahre 2016 niedriger waren als 25 Jahre zuvor, also 1991, so der Armutsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbandes 2018, Seite 13. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich hingegen in dieser Zeit, von 1991 bis 2016, real, das heißt preisbereinigt, von 1,7 Billionen Euro auf 3,3 Billionen Euro nahezu verdoppelt.
Arbeitsmarkt und EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit
Der heimische Arbeitsmarkt ist im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch die EU-Ost-Erweiterung im Jahre 2004 zunächst durch den Beitritt Polens, Ungarns und weiterer Länder, später im Jahre 2007 durch den Beitritt Bulgariens und Rumäniens und der im Jahre 2014 damit einhergehenden Personenfreizügigkeit stark unter Druck geraten. Das Lohnniveau dieser Länder liegt um ein vielfaches unter dem unseren. Bulgariens Löhne beispielsweise sind um das achtfache niedriger als in Deutschland, so Hannes Hofbauer in „Kritik der Migration“, S.185.
Dies löst logischerweise eine hohe Sogwirkung in Richtung deutscher Arbeitsmarkt und auch anderer Länder Zentraleuropas aus. Das überaus große Angebot von geradezu billigen und verständlicherweise willigen Arbeitskräften erzeugt Lohndruck und mindert ebenso die Arbeitnehmerrechte sowie deren Sozialstandards. Ende 2015 gab es schätzungsweise 2 Millionen größtenteils aus Osteuropa in den Westen entsandte Arbeitskräfte, laut Hofbauer in „Kritik der Migration“, S. 200. Auf Seite 201 schreibt Hofbauer, dass geschätzte 15 bis 20 Prozent der arbeitsfähigen rumänischen Bevölkerung ihren Lebensunterhalt im Ausland verdienen.
Das unregulierte Aufprallen völlig unterschiedlicher Ökonomien führt nicht nur zu Verwerfungen bei uns in Deutschland, sondern ebenso zum Aderlass von Arbeitskräften in den Herkunftsländern und behindert dort den wirtschaftlichen Fortschritt, den diese Länder bitter nötig haben. Als Gegenmaßnahme forderte der IWF rumänische Staatsstellen auf, den rumänischen Arbeitsmarkt zu liberalisieren und ihrerseits noch billigere Werktätige aus Ostasien oder der Ukraine ins Land zu holen.
Viele Unternehmen folgten den Ratschlägen der internationalen Finanzorganisation. In der rumänischen Näherei „Mondostar” aus Sibiu waren nach dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union im Jahre 2007 nur 350 Mitarbeiter von zunächst 1.200 geblieben. Das Unternehmen wandte sich an eine philippinische Agentur, und prompt arbeiteten philippinische Frauen für einen Monatslohn von 235 US-Dollar bei einer 60 Stunden Woche, so Hofbauer in „Kritik der Migration“, S. 203.
Die enorm gestiegene Zuwanderung aus den muslimischen Ländern seit dem Jahre 2015 nach Zentraleuropa, insbesondere nach Deutschland, verschärft die oben beschriebene Situation. Neben dem Lohndumping und der Schwächung der Sozialstandards kostet uns diese Wanderbewegung seit 2015 an direkten und Strukturkosten nach Berechnungen von Volkswirt Conrad Schuler jährlich 47 Mrd. Euro. Dies entspricht 15 Prozent des derzeitigen Bundeshaushaltes, so Hofbauer in „Kritik der Migration“, S. 171.
Altersarmut, Pflegebedürftigkeit, Wohnungsnot und Tafeln
Die Zahl der Rentner, die Grundsicherung erhalten, hat sich seit 2003 auf 500.000 verdoppelt. Dies entspricht 3 Prozent der Rentner. Im Jahre 2036 werden es 20 Prozent sein und somit 4,8 Millionen Rentner betreffen. Schon heute beziehen 48 Prozent der Rentner eine Rente von weniger als 800 Euro. Das sind 8,6 Millionen Rentner bei einer Gesamtzahl von 18 Millionen.
Laut einer AOK-Studie benötigen Rentner, die über weniger als 800 Euro monatlich verfügen, im Durchschnitt bereits mit 74 Jahren eine Pflegestufe. Im Korridor von 800 bis 1.600 Euro erst im Alter von 77 Jahren. Wer mehr als 1.600 Euro monatliche Rente bezieht, wird erst mit 81 Jahren zum Pflegefall, so die Oberbergische Volkszeitung vom 9. März 2019.
Anzumerken ist, dass sich der Teil der minijobbenden Rentner von 2003 bis 2017 laut Bundesagentur für Arbeit von 587.046 auf 1.074.689 nahezu verdoppelt hat. Die über 65-jährigen stellen den größten Teil der geringfügig Beschäftigten dar.
Es ist auch nicht redlich, wenn eine unabhängige Rentenkommission mit ausgewählten Fachleuten das Rentenalter mit der Begründung des steigenden Lebensalters weiter anheben will. Eine Bundestagabgeordnete der Partei Die Linke, Sabine Zimmermann, sagt, dass laut einer in Auftrag gegebenen Datenauswertung jeder fünfte Rentner das 70. Lebensjahr erst gar nicht erreicht. In Deutschland sterben jährlich 135.000 Menschen bereits vor dem 66. Lebensjahr. Mehr als 185.000 pro Jahr erreichten nicht das 71. Lebensjahr, das sind 22 Prozent. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage Zimmermanns geht hervor, dass von 2005 bis 2014 rund 1,4 Millionen Menschen, also 16 Prozent, vor Erreichen des 65. Lebensjahres starben.
Dennoch ist zu beachten, dass in den nächsten Jahren die Babyboomer-Generation, also die Generation der Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre Geborenen, in den Altersruhestand gehen wird und somit die Gesamtzahl der Rentner bis zum Jahre 2040 voraussichtlich auf 24 Millionen anwächst.
Der Pflegebedarf älterer Menschen stieg seit 2000 von 1,9 Millionen auf heute 3,3 Millionen Menschen, und im Jahre 2045 werden es 5 Millionen sein. Die Kosten werden sich von aktuell 38,5 Milliarden auf 145 Milliarden im Jahre 2045 erhöhen.
Die Hälfte der 592.000 Wohngeldbezieher ist heute älter als 65 Jahre, berichtet die Oberbergische Volkszeitung am 15. Januar 2019. Im Jahre 1987 gab es noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen in der alten Bundesrepublik. Im Jahre 2015, nach der Wiedervereinigung, waren es nur noch 1,4 Millionen, so Hofbauer in „Kritik der Migration“, S.171. Dies führt, wie die jüngste Entwicklung zeigt, zu überdurchschnittlichen Mietpreissteigerungen gerade in den Ballungsräumen.
Dies dürfte für die geburtenstarken Jahrgänge, die demnächst in Rente gehen, zum Problem werden, weil eine ganze Generation mit deutlich niedrigeren Renten auf steigende Wohnkosten stößt. Ein weiterer Aspekt ist der altersgerechte Umbau von Wohnungen. Dies wird für eine wachsende Zahl von Rentnern kaum bezahlbar sein. Nach Auskunft von Matthias Günther, Pestel Institut Hannover, müssten bis 2030 3 Millionen Wohnungen zusätzlich altersgerecht neu- oder umgebaut werden. Das koste 50 Milliarden Euro, ließe sich aber nur mit staatlichen Zuschüssen von 6 Milliarden Euro realisieren, so Günther in Oberbergische Volkszeitung vom 15. Januar 2019.
Knapper Wohnraum bei immer mehr Zuwanderern lässt dieses menschliche Grundbedürfnis zum Luxusgut werden. Allein der Anstieg der Obdachlosen im Bundesland Nordrhein-Westfalen, wo die Zahl seit 2015 jährlich um 15 bis 30 Prozent zunahm und heute 32.000 Personen ausmacht, verdeutlicht diese Misere, so Oberbergische Volkszeitung am 7. Februar 2019. Bundesweit ist die Zahl der Obdachlosen zwischen 2014 und 2016 um ca. 25 Prozent gestiegen. Das bedeutet in absoluten Zahlen von 335.000 auf 420.000. Nicht eingerechnet sind weitere 440.000 Flüchtlinge, die in Unterkünften leben, berichtet Zeit online am 14. November 2017.
„Bei den über 940 Tafeln in Deutschland zeichnet sich ein düsteres Bild des Sozialstaates ab“, sagte der Verbandsvorsitzende Jochen Brühl anlässlich des Welttages der sozialen Gerechtigkeit am 20. Februar 2019. Die Zahl der Bedürftigen bei den Tafeln hat sich in den vergangenen 10 Jahren verdoppelt. Im Jahre 2005 sind 500.000 Menschen von den Tafeln regelmäßig unterstützt worden. Im Jahr 2007 waren es 700.000. Seit 2014 liegt die Zahl bei jährlich 1,5 Millionen Personen. Und die Nachfrage sei noch weitaus höher, so Brühl in Oberbergische Volkszeitung vom 21. Februar 2019.
Die Finanzierung
Wer finanziert das alles? Das gesamte Steueraufkommen von Bund, Land und Gemeinden generiert sich zu 45 Prozent, das heißt in erster Linie, aus Lohn- und Einkommenssteuer sowie zu 30,8 Prozent aus der Umsatzsteuer. Es besteht also ein großer Zusammenhang zwischen dem Produktionsfaktor Arbeit, aus dem neben der Steuer zusätzlich Sozialabgaben für Arbeitslose, Rentner — nach Umlageverfahren —, Pflegebedürftige und Kranke fließen.
Neben dem oben beschriebenen Lohndruck, der zu Mindereinnahmen bei Steuern und Sozialabgaben führt, darf nicht vergessen werden, dass durch zunehmende Automatisierung und Digitalisierung in Zukunft mit immer weniger Arbeitskräften immer mehr Wertschöpfung erzeugt werden soll. Somit stellt sich die Frage, inwieweit dieser arbeitsvernichtende Prozess, welcher die Produktivität sogar noch steigern soll, auch für das Gemeinwohl nutzbar gemacht werden kann. Ein Vorschlag ist eine Besteuerung, die direkt bei der Wertschöpfung, nämlich an den Automaten und digitalen Systemen ansetzt. Eine Investitionssteuer auf die Inbetriebnahme arbeitsvernichtender Techniken wie Künstliche Intelligenz/Automatisierung durch Roboter, Digitalisierung, Industrie 4.0 wäre auch eine Möglichkeit.
30 Prozent ist der gesetzliche Steuersatz für Großkonzerne, tatsächlich werden aber nur 20 Prozent gezahlt, so Oberbergische Volkszeitung vom 23. Januar 2019. International tätige Unternehmen haben über innerkonzernliche Rechnungslegung sowie Gewinntransfers ins Ausland, also in Niedrigsteuerländer, mehr Möglichkeiten, sich der Einkommensteuer auf Gewinne zu entziehen — im Gegensatz zu mittelständischen Unternehmen oder den abhängig Beschäftigten.
Über ein neues Instrument das Country-by-Country-Reporting, welches an der Erhebung von Informationen der Orbis-Datenbank anknüpft und die Zahlen bezüglich Umsatz, Gewinn und Steuern multinational tätiger Unternehmen, aufgeschlüsselt nach Ländern, offen legen würde, wären die gesetzlich zu erhebenden Steuern leicht ermittelbar. Die Konzerne aber wehren sich dagegen und haben unverständlicherweise einen Verbündeten in der Person des Bundesfinanzministers Olaf Scholz, SPD, gefunden. Auch sein Vorgänger Wolfgang Schäuble, CDU, wollte von diesem Instrument nichts wissen, berichtet die Oberbergische Volkszeitung am 23. Januar 2019.
Die deutschen Milliardäre konnten im vergangenen Jahr ihr Vermögen um 20 Prozent steigern. Das reichste Prozent der Deutschen verfügt über ebenso viel wie 87 Prozent der Gesamtbevölkerung, so die Oberbergische Volkszeitung am 21. Januar 2019.
Fazit
Anhand der oben beschriebenen Faktenlage lässt die Politik, trotz des jüngsten Vorstoßes der SPD für eine „Erneuerung des Sozialstaates“, keinerlei Lösungsansätze erkennen.
Es ist eine Schande, mit ansehen zu müssen, wie trotz enorm gestiegenen Sozialproduktes in den letzten Jahrzehnten und trotz bislang sprudelnder Steuerquellen in Deutschland breite Bevölkerungsschichten regelrecht verarmen. Der Bundeswehretat soll nach den Wünschen von Ursula von der Leyen von derzeit 38,5 Milliarden Euro bis 2025 auf 1,5 Prozent des BIP, in absoluten Zahlen auf mehr als 60 Milliarden Euro, erhöht werden.
Dies wird zu noch mehr Kriegen beitragen, in denen Menschen getötet oder zu uns in die Flucht getrieben werden. Die Flüchtlinge werden ihrer Heimat beraubt, in den Zielländern der nördlichen Hemisphäre ausgebeutet, wobei deren Herkunftsländer veröden und zur „Spielfläche“ der Großmachtphantasien einiger Weniger verkommen.
Steuergelder flossen in die Bankenrettung. Der Europäische Stabilitätsmechanismus, ESM, bedeutet Haftung für fremde Staatshaushalte mit unseren Steuergeldern. Target-2-Salden münden in uneinbringliche Forderungen an andere Staaten, auf denen wir Bürger wohl sitzen bleiben. Zusätzliches Geld geht in den EU-Filz nach Brüssel und Straßburg.
Im Grundgesetz Artikel 20 Absatz 1 ist festgelegt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ (Hervorhebung durch Verfasser).
In Artikel 28 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetzt heißt es: „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen“ (Hervorhebung durch Verfasser).
Unter einem Sozialstaat ist ein demokratischer Rechtsstaat zu verstehen, der die soziale Gerechtigkeit und Sicherheit seiner Bürger gemäß Verfassung zum Ziel hat und dieses Ziel mit entsprechenden gesetzgeberischen Maßnahmen sowie materiellen Unterstützungsleistungen verwirklicht.
Diese Regelung nach unserem Grundgesetz fordere ich hiermit im Namen aller Bürger ein.
Quellen und Anmerkungen:
Arbeitslosengeld I wird ausgezahlt, weil alle Arbeiter und Angestellten monatlich in eine Pflichtversicherung einzahlen, und zwar mit einem Beitragssatz von derzeit 2,5 Prozent auf den Lohn oder das Gehalt. Diese 2,5 Prozent werden je zur Hälfte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen. Wird man arbeitslos und ist man innerhalb von zwei Jahren zwölf Monate lang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, entsteht Anspruch auf Leistung. Sie gilt in der Regel für maximal 1 Jahr. Bei über 58-Jährigen wird die maximale Dauer von 2 Jahren erreicht. Die Leistungshöhe beträgt bei kinderlosen Beziehern 60 Prozent des letzten Nettoeinkommens und bei Anspruchsberechtigten mit mindestens 1 Kind 66 Prozent.
Arbeitslosengeld II oder Hartz IV ist keine Sozialleistung, sondern eine Leistung, welche der Eingliederung in den Arbeitsmarkt dient. Sie wird dann gezahlt, wenn das Arbeitslosengeld I ausläuft und alle Vermögenswerte des Betroffenen bis auf ein geringes Schonvermögen (150 Euro pro Lebensjahr/bei 50 Jährigem 7500 Euro) aufgezehrt sind und somit die Bedürftigkeit als gesetzliche Voraussetzung erfüllt ist. Die Höhe beträgt derzeit 424 Euro pro Monat für einen Alleinstehenden nach Warmendmiete exklusive Strom und Telefon. Finanziert wird sie aus Steuermitteln.
Grundsicherung ist eine Sozialleistung im Alter, wenn die Rente nicht ausreicht oder überhaupt vorhanden ist, um das Existenzminimum abzudecken. Existenzminimum bedeutet derzeit 424 Euro pro Monat für einen Alleinstehenden nach Warmendmiete exklusive Strom und Telefon. Finanziert wird sie aus Steuermitteln.
Gesetzliche Rente wird als Anrecht im Laufe des Berufslebens der Arbeiter und Angestellten durch eine gesetzliche Pflichtversicherung mit einem Beitragssatz von derzeit 18,6 Prozent auf den Lohn oder das Gehalt finanziert — wovon je die Hälfte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen wird — und nach dem Umlageverfahren direkt an die derzeitigen Rentner ausgezahlt. Die Regelaltersgrenze von ehemals 65 Jahren wurde schrittweise auf 67 Jahre erhöht.