Verbreitung
Aktuell gibt es in Deutschland 57 Millionen Smartphone-Nutzer (1). Das entspricht ungefähr 69 Prozent der Gesamtbevölkerung. Über 430 Millionen Smartphones wurden weltweit allein im vierten Quartal 2016 an Endkunden verkauft (2).
Diese enorme Verbreitung hängt mit einem ebenfalls großen Schwund zusammen: Smartphones werden im Durchschnitt bereits nach rund 20 Monaten gegen ein neues Gerät getauscht (3). Ein solch schneller Wechsel erzeugt eine enorme Nachfrage nach Rohstoffen, ein großes Müllproblem und führt in den Abbauländern zu ökologischen und sozialen Problemen.
Mineralien, die Konflikte schüren
Die Bauteile eines Smartphones bestehen aus bis zu 75 verschiedenen chemischen Elementen (4). Und wie bei anderen elektronischen Geräten werden dafür Rohstoffe benötigt, die in Schwellen- und Entwicklungsländern abgebaut werden. Der Bedarf ist hoch, die Nutzungsphase ist kurz und es existieren keine Stoffkreisläufe. Das erzeugt ein starkes Spannungsverhältnis.
Der traurige Spitzenreiter der Produkte, die unter Bedingungen der Sklaverei produziert und in die G20 Staaten importiert werden, sind PCs und Mobiltelefone. Auf Platz zwei und drei folgen Fisch und Kleidung (5).
Wie kommt es dazu? Die Produktion von Smartphones erfordert den Abbau vier seltener sogenannter „Konfliktmineralien“: Coltan, Zinn, Wolfram und Gold. Diese Elemente sind für die Funktion von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) unerlässlich.
Die Demokratische Republik Kongo (DRK) exportiert alle vier Werkstoffe. Konfliktbehaftet sind diese Mineralien, da der Abbau vor Ort Rebellentruppen finanziert: Bewaffnete Gruppen, die sich seit Jahrzehnten einen blutigen Bürgerkrieg liefern, haben den Bergbau und/oder Teile des Handels mit den Mineralien an sich gerissen. Sie finanzieren mit dem Gewinn von mehreren hundert Millionen US-Dollar pro Jahr Waffen zur Sicherung ihrer Macht und destabilisieren die Region (6).
Der Einfluss der bewaffneten Gruppen auf den Rohstoffhandel und -abbau ist dabei vielschichtig und variiert von Gruppe zu Gruppe: gewaltsame Übernahme von Lagern und den Minen selbst, Kontrolle der Handelsbeziehungen, Zwangsarbeit, Erpressung von Schutzgeldern, Monopolisierung des Exports (7).
Diese schwierigen Zustände in der DRK erzeugen extreme Probleme für die Zivilbevölkerung: Laut dem UN Flüchtlingshilfswerk liegt die Zahl der registrierten Flüchtlinge aus der DRK bis dato bei einer Dreiviertelmillion Menschen (8). Die Todesopfer des seit zwanzig Jahren tobenden Bürgerkriegs gehen in die Millionen, mehr als 13 Millionen Menschen benötigen aktuell humanitäre Hilfe und viele Millionen sind von Hunger bedroht (9).
Gleichzeitig könnte die DRK die Kornkammer Afrikas sein. Für die Menschen, die freiwillig in den Minen arbeiten, ist diese Arbeit aufgrund der steigenden Nachfrage nach Rohstoffen und dadurch höherer Verdienstmöglichkeiten attraktiver als Landwirtschaft. Zudem werden aufgrund der Zerstörung von Agrarland, Vertreibungen aufgrund des Bürgerkriegs und einer dadurch vielschichtigen Gemengelage von infrastrukturellen Problemen lediglich 10 Prozent der eigentlich nutzbaren Fläche kultiviert (10).
Gesundheitsfolgen und Menschenrechtsverletzungen
Der Coltan-Abbau erzeugt gesundheitliche Probleme für Frauen und Kinder, die in den Minen arbeiten. Durch den vergleichsweise großen Gewinn im Vergleich zur Landwirtschaft arbeiten zunehmend Frauen in den Abbaugebieten und verrichten gefährliche Arbeiten wie das Zertrümmern von Gestein, das die Vorstufe von Coltan enthält. Teile des Gesteins steigen in die Luft und kommen so in die Atemwege der Frauen und ihrer Säuglinge, die sie auf dem Rücken tragen. In Folge zeigen diese Kinder dieselben Probleme in den Atemwegen wie deren Mütter (11).
Kinderarbeit ist in der DRK weit verbreitet und unter dem Zwang mancher Rebellengruppen werden diese Kinder auch als Soldaten missbraucht (12). Die bewaffneten Gruppen begehen dabei zahlreiche Menschenrechtsverletzungen wie Vergewaltigung, Folter und Mord. Insgesamt ist sexualisierte Gewalt ein zunehmend großes Problem in diesem Land, was zur Verbreitung von HIV und Aids beiträgt (13). Im Umfeld der Bergbauanlagen wurde Zwangsprostitution und Kinderprostitution beobachtet. All diese Zustände entsprechen den Merkmalen von Sklaverei (14).
Ökologische Folgen
Die seit Jahrzehnten andauernden Konflikte in der DRK wirken nicht nur auf Ebene der Bevölkerung, sondern auch auf ökologischer Ebene zerstörend: Abholzung, Erosion, Zerstörung von Lebensräumen und die Vergiftung von Land und Wasser sind nur einige der Folgen (15). Der planlose Raubbau, den manche Rebellentruppen betreiben, hat beispielsweise den Lebensraum der vom Aussterben bedrohten Gorillas zusätzlich dezimiert (16).
Wiedergänger
Doch nicht nur die Herstellung, sondern auch die Entsorgung der ausgedienten Smartphones erzeugt erhebliche ökologische und soziale Probleme. Der Fachbegriff für entsorgte Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und ihrer Komponenten lautet „waste electrical and electronic equipment“ (WEEE) xvii, beziehungsweise „E-Waste“ (17).
Laut einer Schätzung der Initiative „Stop the E-Waste Problem“ (StEP), einer Bewegung der United Nations University, betrug die weltweite Menge des anfallenden Technikmülls im Jahr 2017 über 65 Millionen Tonnen — das entspricht dem zweihundertfachen Gewicht des Empire State Buildings (18). Solange die Geräte intakt sind, stellen sie keine direkte ökologische Belastung dar, speziell PCs und Smartphones sind jedoch aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer und als E-Waste eine besonders aggressive und schädliche Art von Müll (19). Die Platinen und Akkus von IKT enthalten zumindest ein giftiges Metall, meist handelt es sich um Blei, Kadmium oder Beryllium. Alle diese Stoffe können bei Kontakt schwere organische Erkrankungen auslösen (20).
Zwar ist die Ausfuhr gefährlichen Mülls für europäische Nationen verboten — häufig wird der Elektroschrott aber als Gebrauchtgüter-Spenden für Entwicklungsländer deklariert (21).
Ein Ort in Ghana, der besonders drastisch durch die Folgen des giftigen Elektroschrotts gezeichnet ist, heißt Agbogbloshie, und liegt unweit der Hauptstadt Accra. Es handelt sich um einen Schrottmarkt, an dem jedes Jahr circa 215.000 Tonnen E-Schrott abgeliefert werden (22).
Dort werden hauptsächlich Computer, Monitore und Fernseher per Hand zerlegt. Plastikteile werden verbrannt, um die wertvollen Metalle zu lösen, wertlose Teile werden weggeworfen. Diese Arbeiten werden von teilweise erst fünfjährigen Kindern ohne Schutzbekleidung durchgeführt — mit primitivem Werkzeug und ihren Händen. Und auch hier ist der Verdienst auf den Schrottplätzen größer als der in der Landwirtschaft.
Ein Forschungsteam von Greenpeace hat vor Ort Bodenproben genommen, in denen extrem hohe Werte von Blei, gefährlichen Weichmachern und krebserregenden Dioxinen gefunden wurden (23). Es herrscht ein klarer Zusammenhang zwischen der Freisetzung dieser giftigen Chemikalien und den hohen Konzentrationen in den Böden und der Luft der Umgebung, wo sie äußerst schwerwiegende Folgen für die Menschen und die Umwelt haben (24).
Unrühmlich wurde Agbogbloshie als giftigster Ort der Welt gekürt — noch vor dem ukrainischen Tschernobyl (25).
Fazit und Handlungsempfehlung
Digitalisierung ermöglicht uns heute fantastische Möglichkeiten der Kommunikation und neue wissenschaftliche wie medizinische Durchbrüche. Viele Stimmen von politischer und wirtschaftlicher Seite betonen nimmermüde die Notwendigkeit, der technologischen Entwicklung unbeirrt und im Gleichschritt zu folgen.
Die negativen Folgen der Digitalisierung für die Nachhaltigkeit auf ökologischer und sozialer Ebene werden dabei jedoch nicht beachtet. Es gibt bislang weder Lösungen für einen umwelt- und sozialverträglichen Abbau von Rohstoffen, intelligente Stoffkreisläufe noch für das Entsorgungsproblem. Für eine nachhaltige Digitalisierung müssen zumindest zwei Dinge zusammenkommen: Das gesellschaftliche Bewusstsein über die Auswirkungen des eigenen Konsums und — noch wichtiger — politische Maßnahmen.
Für das eigene Handeln muss dabei gelten, dass das wichtigste Element der Nachhaltigkeit die Suffizienz ist, die Reduzierung des Konsums und damit eine Einschränkung im Lebensstil.
Für die eigenen elektronischen Geräte ist damit jegliche Form der „Lebenserhaltung“ eine wichtige Maßnahme für Nachhaltigkeit — Schutz und Pflege, Reparatur und der Erwerb von bereits gebrauchten Artikeln statt eines Neuerwerbs.
Felix Sühlmann-Faul ist Techniksoziologe, Speaker und Autor. Er ist spezialisiert auf den Bereich Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Zuletzt verfasste er eine Studie zu den Nachhaltigkeitsdefiziten der Digitalisierung und möglichen Handlungsempfehlungen im Auftrag des WWF Deutschland und der Robert Bosch Stiftung. Sein Buch "Der blinde Fleck der Digitalisierung“ erschien im September im Oekom-Verlag.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Vgl. de.statista.com/statistik/daten/studie/198959/umfrage/anzahl-der-smartphonenutzer-in-deutschland-seit-2010/
(2) Vgl. gartner.com/newsroom/id/3609817
(3) Vgl. Dunn, Jeff 2017: People are holding onto their smartphones longer; https://www.businessinsider.de/how-long-people-wait-to-upgrade-phones-chart-2017-3?r=US&IR=T
(4) Vgl. Margolin, Madison 2016: The Periodic Table of iPhone Elements; motherboard.vice.com/en_us/article/the-periodic-table-of-iphone-elements
(5) Vgl. globalslaveryindex.org/2018/findings/highlights/
(6) Vgl. Woyke, Elizabeth 2014: The Smartphone. Anatomy of an Industry, New York
(7) Vgl. Usanov, Artur / De Ridder, Marjolein / Auping, Willem et al. 2013: Coltan, Congo and Conflict, The Hague Centre for Strategic Studies, Rapport No 21
(8) Vgl. data2.unhcr.org/en/situations/drc
(9) Vgl. Masisi, Jason Burke. 2018. „‚The Wars Will Never Stop‘- Millions Flee Bloodshed as Congo Falls Apart“. The Guardian, April 3
(10) Vgl. Smoeas, Tanguy 2012: Agricultural Development in the Democratic Republic of the Congo, in: Global Growing Casebook. Insights into African Agriculture, 66-85; http://global-growing.org/sites/default/files/GG_Casebook.pdf
(11) Vgl. Leon-Kabamba, Ngombe u. a. 2018. „Respiratory Health of Dust-Exposed Congolese Coltan Miners“. International Archives of Occupational and Environmental Health
(12) Vgl. Hayes, Karen / Burge, Richard 2003: Coltan Mining in the Democratic Republic of Congo: How tantalum-using industries can commit to the reconstruction of the DRC, Cambridge, UK
(13) Vgl. Peterman, Amber / Palermo, Tia / Bredenkamp, Caryn 2001: Estimates and Determinants of Sexual Violence Against Women in the Democratic Republic of Congo, American Public Health Association
(14) Vgl. globalslaveryindex.org/2018/methodology/overview/
(15) Vgl. McNeely, Jeffrey A. 2003: Conserving Forest Biodiversity in Times of Violent Conflict, IUCN
(16) Vgl. Koesch, Sascha / Magdanz, Fee / Stadler, Robert 2008: Handys bedrohen Gorilla-Bestand. In: Spiegel Online. 27. April 2008; spiegel.de/netzwelt/mobil/rohstoff-abbau-handys-bedrohen-gorilla-bestand-a-549781.html
(17) Vgl. Sepulveda, Alejandra / Schluep, Mathias / Hagelüken, Christian et al. 2010: A Review of the Environmental Fate and Effects of Hazardous Substances Released from Electrical and Electronic Equipments during Recycling: Examples from China and India, in: Environmental Impact Assessment Review, Januar 2010
(18) Vgl. unu.edu/media-relations/releases/step-launches-interactive-world-e-waste-map.html#info
(19) Vgl. greenpeace.org/international/en/campaigns/detox/electronics/the-e-waste-problem/
(20) Vgl. Woyke 2014
(21) Vgl. dies. ebd.
(22) Vgl. Shibata, Mari 2015: Inside the World’s Biggest E-Waste Dump; motherboard.vice.com/en_us/article/inside-the-worlds-biggest-e-waste-dump
(23) Vgl. Kuper / Hojsik 2008
(24) Vgl. Sepulveda / Schluep / Hagelüken et al. 2010
(25) Vgl. scientificamerican.com/article/e-waste-dump-among-top-10-most-polluted-sites/