Wir kennen das von großen geopolitischen Ereignissen. Da werden tatsächlich bestehende Krisen und Konflikte, wie sie einzelne Länder oder Regionen plagen, von außen instrumentalisiert. Erinnert sei nur an den Zerfallsprozess im Jugoslawien der 1990er Jahre oder an die seit 2013/2014 bestehende Ukraine-Krise. Soziale Unzufriedenheit mit einer korrupten Regierung wurde von äußeren Kräften dynamisiert, um wirtschaftliche und/oder strategische Interessen durchzusetzen.
Warum ich mit solchen Beispielen einen Beitrag über autoritär verfügte Repressionsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Krise beginne, ist rasch erklärt. In dem heute uns alle betreffenden Fall wird ein tatsächliches gesundheitliches Problem, über dessen Schwere sich Virologen streiten, dazu benützt, den Polizeistaat zu implementieren. Vorab zur Klarstellung: das Coronavirus soll und darf nicht unterschätzt werden, aber fest steht auch, dass die zur Pandemie erhobene Epidemie vorübergehen wird, während die Menschen in Österreich und anderen europäischen Ländern am aufgebauten Repressionsapparat noch lange leiden werden.
Sämtliche Staatskanzleien, die seit Wochen Panik verbreiten, bestätigen dies indirekt, wenn sie davon ausgehen, dass die Ausbreitung des Virus erst dann gestoppt werden kann, wenn mehr als die Hälfte der Bevölkerung damit infiziert und in der Folge immunisiert ist. Wenn sich also das Virus an der sogenannten Herdenimmunität selbst erledigt, dann braucht es doch eher Vorsicht und Empfehlungen als eine das soziale Leben abwürgende Verbotsmaschine.
Vorbild Österreich
Österreich war einer der ersten Staaten in Europa, der seine demokratische Maske fallengelassen hat. Kanzler Sebastian Kurz weist immer wieder stolz darauf hin, wie er sich in Südkorea und vor allem Israel Tipps holte, um das soziale Leben kaltzustellen. Es war der 15. März 2020, ein frühlingshafter Sonntag, an dem Parlament, Bundesrat und Bundespräsident in wenigen Stunden ein Gesetzespaket geschnürt und damit de facto den Notstand ausgerufen haben. Genannt wurde er dennoch nicht so, erinnert dieses Wort doch an die Notstandsverordnung des Jahres 1933, mit der die Austrofaschisten rund um Engelbert Dollfuß den Machtwechsel zum „Ständestaat“ vollzogen.
Diesmal ging alles parlamentarisch pipi-fein durch den Plenarsaal auf den Schreibtisch von Präsident Alexander van der Bellen. Die Grünen, seit wenigen Wochen als Juniorpartner in diversen Regierungsämtern, hatten zwar für viele Funktionen noch keine Pressesprecher eingerichtet, beteuerten aber gemeinsam mit dem konservativ-autoritären Kanzler, dass die Lahmlegung des sozialen Lebens notwendig sei. „Der Feind ist das Virus“, sollte später auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula van der Leyen die Kriegsrhetorik auspacken.
Seit dem 15. März 2020 herrscht Ausgangsverbot, genannt: Ausgangsbeschränkung. Bald zogen Länder wie Frankreich und Deutschland nach. Die eigene Wohnung darf nur mehr aus dringenden Gründen verlassen werden: einem unaufschiebbarem Weg zum Arbeitsplatz, der gefälligst zu Hause einzurichten ist, zum Einkaufen von Lebensmitteln und um für jemand anderen medizinische Hilfe zu holen. Um den Block zu spazieren, ist nur alleine erlaubt oder mit einer Person, die nachweislich im selben Haushalt lebt. Wo drei oder mehr Menschen zusammenstehen, schreitet die Exekutive, vorbildlich mit Mundschutz, Handschuhen und Elektroschockern ausgestattet, ein. Polizei und LKWs teilen sich die Überlandstraßen, demnächst kommen teilmobilisierte 3000 Militärs hinzu.
Wer hätte Ende Februar gedacht, dass sich zwei Wochen später Europas Unverantwortliche im Lizitationskampf um die härtesten Einschnitte ins Leben der BewohnerInnen befinden: isolierte Gemeinden, abgesperrte Bezirke, Tirol unter Totalquarantäne, Staatsgrenzen zu, der Schengenraum abgeschottet, spezielle Ausweise für den Gang zum Supermarkt. Die Staaten überbieten einander in Verbotsagenden. Die 14-tägige Zwangsquarantäne vor oder nach Grenzübertritten hat das Unwort von der „Weltoffenheit“ abgelöst. Wir erleben, neben all dem Wahnsinn, den Offenbarungseid der Europäischen Union.
Der vollkommen entrechtete Mensch ist Wirklichkeit geworden. Im Dienste der Volksgesundheit. Wer soll das glauben?
Ernüchternd bislang auch die grassierende Apathie gegenüber den Verordnungen; und die sich rasch einstellende Routine, mit der die neuen asozialen Verhaltensregeln angenommen werden. Der Mann in der fast leeren U-Bahn, der einem einsteigenden Bekannten den Ellbogen statt der Hand reicht, die Bankangestellte, die einen mit riesigem, über die halben Augen reichenden Mund- und Nasenschutz sowie schwarzen Handschuhen von der Weite mit der Aufforderung begrüßt, Abstand zu halten. Übereifrige, die sich selbst zu Verhaltenswächtern stilisieren, so wie jener Mann, der im Wiener Türkenschanzpark die Polizei rief, weil sich eine Mutter mit Kleinkind nicht an die Sperre des Kinderspielplatzes hielt. Man ertappt sich schon selbst dabei, mit heruntergezogenem Pullover die Klinke der eigenen Klotür zu öffnen. Es herrschen dystopische Zustände.
Freilich, lange werden sie sich nicht halten. Der Mensch ist ein Zoon politicon, ein soziales Wesen. Wie der Fisch das Wasser braucht er die Gemeinschaft. Und erste Ansätze von Protest regen sich bereits. Wenn in Wien — wie in vielen italienischen Städten — um 18 Uhr an offenen Fenstern Musik gemacht oder geklatscht wird, dann ist das noch keine kräftige Opposition zum Polizeistaat, aber ein Ausdruck von Unzufriedenheit. Lange kann der Mensch die auferlegte Isolation nicht ertragen.
Es ist nicht das Virus, es ist die Repression
Worüber man sich verständigen sollte:
Es ist nicht das Virus, das unser Leben dermaßen umgekrempelt hat, sondern die Antwort der Mächtigen darauf. Warum sie dies taten und welche Kalküle dahinter stehen, darüber lohnt es sich nachzudenken.
Vorweg: Ein Masterplan zur Kontrolle von allem und jedem liegt der Repressionsmaschine nicht zugrunde. Dazu läuft alles zu unkoordiniert ab und tritt die sichtbare Rat- und Kompetenzlosigkeit von Politikern zu häufig vor die Kameras. Allerdings fällt auf, mit welcher Ausdauer und Heftigkeit die sogenannten Fallzahlen und Todesfälle gehypt werden. An der schieren Anzahl kann's nicht liegen. China, wo das Coronavirus erstmals identifiziert wurde, meldet zum 18. März 2020 3237 Verstorbene, was verglichen mit anderen Infektionen — wie Malaria in Afrika — keine große Panik auslösen müsste. Und in Italien, dem im Verhältnis zur Einwohnerzahl am heftigsten betroffenen Land der Welt, sind es 2503.
Eine Besonderheit bei der — nennen wir sie für einmal so — Corona-Krise besteht darin, dass sie nicht wie die allermeisten Krankheiten vornehmlich die armen Klassen betrifft, sondern umgekehrt bei den reicheren zuschlägt.
Das Virus tut dies freilich nicht, weil es Arme und Reiche unterscheiden könnte, sondern weil seine rasante Verbreitung der weltweiten Mobilität zuzuschreiben ist. Und es sind nun einmal die besser Situierten, die Wirtschaftsbosse und EU-Abgeordneten, die alle paar Tage in voll bepackten Fliegern stundenlang dieselbe, zirkulierende Aircondition-Luft einatmen; ein idealer Verbreitungsort für ansteckende Krankheiten, wie jeder und jede weiß, der oder die öfter durch die Luft fliegt. Es dürfte auch nicht ganz zufällig sein, dass ausgerechnet Mailand, der europäische Hot Spot der Haute Couture und Fashion-Mode — Made in China — zum Einfallstor für das Virus geworden ist. Und in Österreich trugen die Skigebiete der High Society, Sankt Anton am Arlberg und Ischgl, entscheidend zur Ausbreitung des Virus bei. Beide sind mittlerweile unter absolute Quarantäne gestellt.
Von der Frau des spanischen Ministerpräsidenten Begona Gomez bis zum CDU-Hoffnungsträger Friedrich Merz ist die Oberschicht verhältnismäßig stark betroffen, was sich wiederum politisch und medial entsprechend niederschlägt. Der Klassencharakter der Virus-Verbreitung wird freilich in den großen Medienhäusern oder der Politik nicht thematisiert, stattdessen hat man sich darauf verständigt, den Schutz der Alten und Kranken in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Das kommt gut an und verhindert etwaiges Nachfragen.
Wer profitiert und wer verliert?
Die von der Politik lancierte und von den Medien transportierte Panik mit all ihren polizeistaatlichen Maßnahmen hat das gesellschaftliche Leben zum Erliegen gebracht und greift das wirtschaftliche rapide an. Die Sorge vor der großen Rezession greift um sich, sie ist begründet. Worin besteht also die Logik, dermaßen extreme Maßnahmen zu ergreifen, die den Unternehmen und den Investoren schaden? Oder äußert sich hierin ein politisches Primat über ökonomische Prozesse — mithin eine Zeitenwende, die nach rechts, aber auch nach links ausschlagen könnte?
Auf derart kniffelige Fragen muss es mehrere Antworten geben. Da ist einmal eine einleuchtende, die von linken Ökonomen wie Winfried Wolf im neuen Lunapark21 vertreten wird. Ihm zufolge befanden sich wichtige Sektoren, allen voran die Automobilindustrie, bereits lange vor dem viralen Ausbruch in einer tiefen Krise, die Produktionszahlen gingen zurück, die Klimafrage drohte zur Existenzfrage zu werden. Diese Sektoren könnten mit staatlich verfügter Hilfe, die nun angeblich wegen Corona notwendig geworden ist, eine ungeahnte Anschubfinanzierung für einen neuen Akkumulationszyklus erhalten. Auch direkte Verstaatlichungen, mit denen Geld wie bei der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 in marode Banken gepumpt wurde, die sich damit sanierten, um anschließend weiterzumachen wie bisher, sind denkbar. Mit der Fluglinie Alitalia ist dies bereits gelungen.
Auch jenseits von Verstaatlichungen werden überall hoch dotierte Rettungspakete geschnürt. In Österreich vermeldete das Kanzleramt am 19. Mai 2020, 38 Mrd. Euro in „die Wirtschaft“ stecken zu wollen. Beim Run auf die Formulare kommen dafür ausgebildete Rechtsanwaltskanzleien ins Spiel, die sich große Unternehmen eher leisten können als kleine und mittelständische Unternehmen, die KMUs. Auch für diese Klein- und Mittelbetriebe, so die Regierung, wird es eigene Fonds geben, die unbürokratisch Geld verteilen. Dieses Geld ist natürlich nicht vorhanden, nirgends budgetiert. Zur Requirierung böte sich ein über die Zentralbanken verordnetes Bail-In an, ein Geldabschöpfen von Sparbüchern oder Anleihen.
Als Vorbild könnte man die Staatskrise in Zypern nehmen. Dort retteten im März 2016 der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank das zypriotische Bankensystem mit einem Monsterkredit von 17 Milliarden Euro, den sie sich durch den Zugriff auf die Sparbücher aller Zyprioten besichern ließen. Sämtliche Guthaben über 100.000 Euro wurden abgezogen, auch wenn es sich dabei um Betriebspensionskassen wie jene der Universitätsangestellten handelte. Das Bail-Out, Raushauen, der Banken wurde mit dem Bail-In, Reinhauen oder Eintunken, der Sparbuchbesitzer betrieben.
Die Summe, die nach der sogenannten Corona-Krise für die Rettung der Betriebe notwendig sein wird, übersteigt freilich das vergleichsweise überschaubare zypriotische Vorbild aus dem Jahr 2013. Entsprechend radikaler könnten die Einschnitte sein.
Freilich gibt es in einer Krise wie der jetzigen nicht nur Verlierer, die auf staatliche Rettung warten, sondern auch direkte Profiteure. Als krassestes Beispiel muss hier die Pharmaindustrie genannt werden. Diese hat im vergangenen Jahrzehnt einen Siegeslauf — unter anderem gegen die Tabakindustrie — hingelegt, der andere Branchen vor Neid erblassen lässt. Wer die Werbespots der großen TV-Anstalten beobachtet, dem fällt seit langem auf, wie zentral Medikamente sich dort breit gemacht haben. Das Coronavirus bietet phantastische Möglichkeiten, mit Testungen, Schutzkleidung und Impfstoffen Kassa zu machen.
Die wichtigsten wirtschaftlichen Profiteure sind allerdings weder jene, die es gut verstehen, im Anschluss an die Krise möglichst viel und effizient Staatsknete abgreifen zu können, noch eine ganze Branche wie die Pharmaindustrie, sondern die jeweils kapitalstärksten Unternehmen gegen die kleinere, schwächere Konkurrenz.
Dies gilt für alle Bereiche und Branchen. Es steht ein immenser Konzentrationsprozess bevor. Außer dem Lebensmittelhandel, den Tabakläden und den Apotheken wurden ja so gut wie alle Geschäfte behördlich gesperrt. Das trifft die kleineren, Eigentümer geführten Unternehmen härter als die großen, weil sie wochenlangen Verdienstausfall schlicht weniger gut verkraften als internationale Ketten.
Das Beispiel des Buchhandels mag die Situation erklären. Da haben sich Berlin und Wien in ihrem Corona-Wahn angemaßt, sämtliche Buchhandlungen zu schließen. Sie öffnen damit den gesamten Markt für den ohnehin schon monopolartig agierenden US-Riesen Amazon, der seine pakistanischen, outgesourcten Lieferanten nun umso mehr durch die Städte hetzt. Der kleine Laden an der Ecke oder die gut sortierte Großbuchhandlung neben der Universität, die auch geschlossen ist, bezahlen weiter Miete, Strom, Gas, Wasser, eventuell auch Angestellte, wenn sie nicht in die Arbeitslosigkeit geschickt werden. Soviel staatlicher Eingriff zugunsten des Branchenführers wäre ohne die autoritär-repressive Politik nie möglich gewesen.
Verlierer sind neben den kleineren Unternehmern natürlich auch alle, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Hunderttausende stehen demnächst vor dem Arbeitsamt, in Österreich waren es in den ersten beiden Tagen nach den Geschäftsschließungen bereits 49.000. Die Handels- und Industrieunternehmen sowie die Dienstleister müssen nach kapitalistischer Rationalität reagieren, um im System überleben zu können. Für die Beschäftigten bedeutet dies im Fall, dass Unternehmen geschlossen sind — und das ist in diesen Zeiten der Normalfall — die Kündigung. Bemühungen um staatliche Unterstützung, wie Kurzarbeitszeitregelungen oder ähnliches, können wieder nur jene in Anspruch nehmen, deren Kraft — finanziell und arbeitstechnisch — dafür ausreicht.
Der repressive Staat, soviel ist nach diesen kurzen Erläuterungen klar geworden, macht für manche Sinn. Ökonomisch stärkt er die Starken und politisch die Autoritären, eine toxische Mischung, die wir uns alle nicht gefallen lassen dürfen.
Quellen und Anmerkungen:
Von Hannes Hofbauer ist erschienen: Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter (Promedia Verlag, Wien)