Alles nicht schön, schrieb ich unlängst zur Eröffnung eines Essays und nahm Bezug auf den Redebeitrag einer ARD-Tagesthemenkommentatorin, die sich nicht mehr beruhigen wollte hinsichtlich des Scheiterns einer allgemeinen Impfpflicht im Deutschen Bundestag. Einer Impfpflicht übrigens, die auf notfallzugelassenen Stoffen basieren sollte, deren generelles Schutzversagen sich als eklatant erweist und deren Nebenwirkungen nun jeden Tag sichtbarer, vor allem spürbarer werden.
Warum sollte es Frau Hanni Hüsch auch interessieren? „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Luthers Einfalt wird neuerlich salonfähig, Haltung ist schließlich en vogue. Der freie Bürger scheint ein unzurechnungsfähiger Bürger zu sein. Unzurechnungsfähigkeit benötigt aber unbedingt der erhöhten Aufmerksamkeit und Betreuung, darum stiftet noch das zarteste journalistische Fragezeichen Verwirrung. Vonnöten ist hier anderes. Haltung zeigen heißt das Gebaren in unseren gegenwärtigen Stunden, in besseren Zeiten wurde dieses Verhalten noch allgemein als Starrsinn und Ignoranz ausgewiesen, nicht zuletzt in den Medien. Doch länger schon teile ich mit Monika Maron die Ansicht, „ich lebte in einem Irrenhaus“, irgendwie ist nicht loszukommen von dem „Gefühl mit der Behindertenanstalt“, da Doppelpunkte und Sterne nun auserkoren sind, die Welt „gerechter“ zu machen.
Es mag darum wenig originell erscheinen, nun einen weiteren Artikel auf diese Weise einzuleiten. Dennoch: Alles nicht schön. Oder wie soll man sonst seine unmittelbaren Empfindungen benennen, wenn Menschen während des Sprechens plötzlich Atemaussetzer befallen? Oder gar Schnappatmung eintritt? Wie soll man benennen die dauernden Verhaspler während des Sprechaktes? Auch das eigene Erschrecken darüber, der Kommunikationspartner erleide einen Hirninfarkt, denn die Sprechpause dauert arg lang. Selbst das arglose Hin- und Herzappen nach einem anderen Radio- oder Fernsehsender kann verstörend wirken, landet man zufällig in der Sequenz, in der ein Moderator unter akuter Sprachverwirrung oder Sprachnot leidet — und so ist man mittendrin in der Gender-Pandemie.
Nein, das ist alles nicht schön, jedenfalls für denjenigen, der — immer noch — meint, Sprache habe mit Klarheit zu tun, mit deutlicher Aus- oder Ansage, dann auch mit Lesbarkeit, mit Verständlichkeit obendrein. Immerhin und je nach der Umfrage, der man eh nicht traut, lehnen zwischen 65 und 87 Prozent der Befragten die „Gender“-Sprachvergewaltigung ab.
Sehr unmissverständlich entfuhr es der in Wien lebenden Altfeministin (eine Selbstzuschreibung) und Kulturjournalistin Andrea Schurian zu Sternen und Sprachaussetzern: „Ich will in keinem stillen Sprachloch verschwinden oder der Appendix einer Atempause sein.“
Die Sprache des Menschen bezeichnete der Philosoph Arthur Schopenhauer als „das erste Erzeugnis und das notwendige Werkzeug seiner Vernunft. Durch Hilfe der Sprache allein bringt die Vernunft ihre wichtigsten Leistungen zu Stande, nämlich das übereinstimmende Handeln mehrerer Individuen, das planvolle Zusammenwirken vieler Tausende, die Zivilisation, den Staat, ferner die Wissenschaft, das Aufbewahren früherer Erfahrung, das Zusammentreffen des Gemeinsamen in einen Begriff, das Mitteilen der Wahrheit, das Verbreiten des Irrtums, das Denken und Dichten ...“
Von Klammern und Sternchen
Was haben Wortentstellungen mit Binnen-I — von Lisa Eckhart im Übrigen „feministischer Umschnall-Dildo“ genannt — und Schrägstrich mit Klarheit und Grammatik zu schaffen? Bereichernd solle nach dem Willen einer sich weiterhin selbstermächtigenden, neusprechenden Minorität ferner wirken: das Gender-Sternchen, die Klammer, der Unterstrich, ein sogenannter Gender_Gap — doch Hilfe, da steht ein „Der“ beim Unterstrich, der männliche Unterstrich?! Geht das überhaupt? Also her mit einem Gendersternchen, aber auweia, das Sternchen, ein grammatisches Neutrum, vielleicht nun noch soeben durchzuwinken, auch wenn nicht abschließend zu klären ist, welchem Geschlechtskonstrukt das Neutrum sich zugehörig fühlt, denn aufs Fühlen kommt es an. Doch fühlt überhaupt ein nichtbelebter Gegenstand?
Egal, wenn das Purgatorium einmal wütet! Der Stern dann aber, grausig, ist dieses Subjekt doch schon wieder männlich! Jetzt vielleicht eine Klammer irgendwohin angefügt, denn sie, die Klammer, scheint weiblich und somit brauchbar. Glück gehabt! Lächerlich, sagt der eine, gefährlich der andere. „Die Sprache wurde einmal erfunden, um sich zu verständigen und um etwas auszudrücken“, weiß Fußballtrainer Felix Magath. Was mag es dann wohl für ein Spiel werden, wenn auch der Trainer seine Ansagen, mit Sternchen, Doppelpunkten, Strichen gar verzierend, in Richtung der Spieler über den grünen Rasen hinwegschreit, um dann beim Glottisschlag zusammenzubrechen? Vielmehr ein Verdacht auch bei ihm: „Heute soll mit der Sprache etwas versteckt werden.“
Männliche Diät
Zu verstecken wäre in der Tat wohl auch einiges, denn globale Akteure machen sich an den Umbau der Gesellschaften. Spätestens seit der Reformation haben Eliten ihre Lust am stetigen Verändern entdeckt, es muss reformiert werden, was das Zeug hält, kein Stein darf seinen Platz behalten. Grundlagen des Menschlichen sind dabei zu zerstören, „auszurotten“ gar, wie es eine deutsche Bischöfin bereits auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2017 formulierte. Nach Frau Bischof Petra Bosse-Huber ist es endlich an der Zeit, „die Bilder auszurotten (…), dass nach der Bibel Mann und Frau füreinander geschaffen wurden.“ „Viel theologische Arbeit“ ist freilich noch notwendig. Aber sie wird gutes Rüstzeug haben, etwa durch die Literaturwissenschaftlerin Julia Kristeva, die sich ganz sicher ist: „Strenggenommen kann man nicht sagen, dass die ‚Frau‘ existiert“, und auch die Philosophin Judith Butler entdeckt in der „wirklichen Frau“ lediglich eine zwanghafte gesellschaftliche Fiktion. Das Geschlecht ist nicht durch ein X- oder Y-Chromosomen konstituiert, schon gar nicht durch einen Schöpfergott.
Etwas Biologie findet sich bei Butler dennoch, denn Männer besäßen eben ein falsches Chromosom, das die Produktion des gefährlichen Testosteron verantwortet. „Lobet den Herrn“, das ist fortan Irrlehre, „lobet die Ew‘ge“, ist zeitgeist- und reformfreudigst zu jubilieren. Ob’s dem Blutzoll gerecht wird, der über Jahrhunderte auf den religiösen Schlachtfeldern erbracht wurde? Tatsächlich brauchen auch Deformationen — denn jegliches Reformieren stellt sich zu oft als ein Deformieren heraus — ihre Zeit. Eine lutherische Orthodoxie, wenn es sie noch gäbe, riefe wohl, wie es 1995 der Pfarrer Martin Schmidt von der Nürnberger Christuskirche tat, vereint mit dem Apostel fest und unaufgeregt: „Lasset die Frauen schweigen in der Gemeinde, denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, daß sie reden, sondern sie sollen sich unterordnen“ (1. Korinther 14,34).
Und wem das nicht göttlich inspiriert scheint, sondern verquast paulinisch, dem ruft Paulus noch hinterher: „Wie auch das Gesetz sagt.“ Der Lutheraner Schmidt fügte damals hinzu: „Mir geht es viel mehr um Schriftgemäßheit als um Zeitgemäßheit.“ Mit ihm war damals noch der verschriene „Macho-Paragraph“ der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Bayerns, der den Männern ein Vetorecht bei der Frauenordination gewährte. Starrheit und Ignoranz wird man dem schriftgemäßen Prediger wie der Landeskirche nun seitens des Zeitgeistes vorwerfen. Dekretierte doch schon 1990 eine sogenannte Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch recht gereizt:
„Der Mann braucht dringend eine Abmagerungskur zur Therapie seines immer gefährlicher werdenden Größenwahns. Es wird ihm guttun, es im eigenen Gemüt zu erleben, wie es sich anfühlt, mitgemeint zu sein, sprachlich dem anderen Geschlecht zugezählt zu werden.“
Die Dekonstruktion des Mannes wird eingeläutet. Männer haben sich gefälligst zu verzwergen.
„Alles was bis gestern an ihnen als rühmenswert galt, Kraft, Mut, Entschlossenheit, war im Laufe der Jahre unter den Verdacht geraten, für das Böse in der Welt verantwortlich zu sein“, resümiert Monika Maron in ihrem Roman Artur Lanz. Kraft, Mut, Entschlossenheit heißen nun Größenwahn, Zeit somit der „weiblichen Selbstüberhöhung“. Die Umwertung männlicher Werte nimmt ungebremst Fahrt auf: „Mut wird als Aggressivität denunziert“, notiert der Soziologe Walter Hollstein, „aus Leistungsmotivation wird männlicher Karrierismus, aus Durchsetzungsvermögen männliche Herrschsucht, aus sinnvollem Widerspruch Definitionsmacht, und das, was einst als männliche Autonomie hochgelobt war, wird nun als Unfähigkeit zu Nähe und Hingabe diffamiert. Männer müssen sich seit circa vier Jahrzehnten als Unterdrücker, Schweine, Ungeziefer, Vergewaltiger oder — bestenfalls — Trottel denunzieren lassen.“
Radikaler Ideologie vollzieht sich die Abdankung des Mannes freilich noch immer zu langsam, obschon Gender-Mainstreaming 1999 durch die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer per Kabinettsbeschluss und unter Umgehung des Bundestages eingeführt wurde, bejammerte 2021 die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht noch immer: „Warum muss sich die Hälfte der Bevölkerung mitgedacht fühlen, wenn nur die männliche Form verwendet wird?“ Niemand allerdings braucht sich mitgedacht zu fühlen, er ist immer bereits inkludiert.
Vielleicht ist es hilfreich, die Kenntnisse aus dem Deutschunterricht etwas aufzufrischen und darob die ideologischen Phantastereien etwas hintanzustellen, dann könnte es erinnerlich werden, dass das grammatische Geschlecht in der deutschen Sprache — ist es die unsere tatsächlich noch? — nicht immer auch das biologische bezeichnet.
„Auch ihr Kopf“, Frau Pusch, Frau Lambrecht, „ist grammatikalisch männlich“, ließe es sich mit Günter de Bruyn sagen und wie im Roman Der neunzigste Geburtstag fortfahren: „Und der Landrat, der mit dem vorgeschriebenen Liebe Bürgerinnen und Bürger die weiblichen Bürger mit doppelter Anrede würdigt, hat eine grammatikalisch weibliche Prostata im männlichen Leib.“
„Sprache … das köstlichste Erbteil der Nation“
Das Heil in der Reform, nun wieder gefordert. The Great Reset heißt das Programm dazu, welches Ökonomie und Gesellschaft grundlegend umkrempeln will. COVID-19 wie auch das aktuelle Kriegsgeschehen in der Ukraine werden zur Blaupause, Elemente aus Kapitalismus und Sozialismus miteinander zu verkleben, der Genderstern ist Baustein des Programms.
Verarmung und Primitivierung der Sprache hat zur unabweisbaren Folge: die Verkümmerung des Denkens.
Sollte irgendwie doch Vernunft noch siegen und der Krieg sein schnelles Ende finden, sollte ebenso die phantasierte Pandemie ausgeträumt sein, bliebe zumindest als Dauerkrise das Schreckgespenst Klima erhalten. Klimagerechtigkeit ist das sinnlose wie -leere Schlagwort einer aktivistischen Kampagne, Gendergerechtigkeit ein anderes. 2018 erschien das Buch Wer wir sein könnten des Grünen-Politikers Robert Habeck, in ihm lässt er keinen Zweifel daran, Sprache würde die Welt schaffen und nicht lediglich diese nur abbilden. Phantast Habeck ist freilich seinen Träumen erlegen, denn die Natur gibt vor, was Realität ist, die Sprache greift dann auf — hier gibt es keine Umkehrung.
Wir sehen Tische und Vögel und Löwen und fassen es in Worte und formen Sprache, um kommunizieren zu können. Der große Neustart schickt sich an, einen neuen Sozialvertrag zu installieren, „der die Würde jedes Menschen achtet“. Auf rechtsstaatliches Handeln, Demokratie und nationalstaatliche Souveränität wird fortan allerdings verzichtet. Diese Sprachbausteine taugen offensichtlich nicht mehr, von ihnen liest man in den Strategiepapieren nichts. Der Bewohner dieser Welt, der eigentlich auch der bürgerliche Souverän ist, bleibt ungefragt. Politiker wissen darum: Wer über die Sprache, über Worte bestimmt, der hat Verfügungsgewalt über das Denken.
Schopenhauer hält die Sprache überhaupt für den „Abdruck des Geistes eines Volkes“ und will zugleich warnen, denn die Sprache „ist das köstlichste Erbteil der Nation und dabei ein überaus kompliziertes, leicht zu verderbendes und nicht wiederherzustellendes Kunstwerk“.
Auffällig ist: Literaten von Rang, also durchaus Personen, die zur Sprache ein ästhetisches, gar ein libidinöses Verhältnis besitzen, wenden sich mit Vehemenz gegen die Verhunzung und Besudelung der Sprache. Dieser zur Umerziehung dienende Neusprech ist ihnen illiterat und hübsch hässlich.
Dieses Verderbende aber macht sich ungewünscht breit in Universitäten, Parlamenten, Redaktionen, es begegnet uns gegenwärtig ein „willkürliches, ja freches Umspringen mit der Sprache, wie heut zu Tage in Deutschland jeder Tintenklexer es sich erlaubt“. Deshalb darf zu Recht mit dem Philosophen auch gefragt werden: „Oder ist etwa die deutsche Sprache vogelfrei, als eine Kleinigkeit, die nicht des Schutzes der Gesetze wert ist, den doch jeder Misthaufen genießt?“
Geistige Obdachlosigkeit
Allenthalben breitet sich eine geistige Obdachlosigkeit aus, schließlich soll die alte Anthropologie zerstört werden, „ausgerottet“, das „Bild von Mann und Frau“ — der Mensch wird Schöpfer seiner selbst, da darf es keine Grenzen mehr geben, keinen Unterschied, vor allem eben den nicht zwischen Mann und Frau. Die Säuberungsgeschwader und Abräumkommandounternehmen der politisch Korrekten sind denn auch nie am Ziel, denn dauernd sind alle möglichen Geschlechter zu bedenken, das fordert die neue Gerechtigkeit, die freilich alles sein mag, nur mit Gerechtigkeit nichts zu schaffen hat.
Wie viele Geschlechter mögen es sein — irgendjemand zählte da über sechzig —, die sich weder in maskulinen noch femininen Grammatikformen aufgehoben fühlen, die nach der Ideologie aber permanent zu bedenken und mitzudenken wären? Der Strich, der Stern dann also die neue Sonne der Gerechtigkeit? Judentum und Christentum betrachteten den Menschen als Geschöpf einer Einheit von Leib und Seele, als Frau und Mann geschaffen. Er ist ein körperliches und geistiges Wesen, nicht im Sinne eines Dualismus allerdings.
Nein, Geist und Materie bilden eine einheitliche Natur — eine weibliche oder männliche Natur. Weibliche wie männliche Körperlichkeit ist somit kein Kleid, in das man nach Belieben schlüpfen könnte.
Diese anthropologischen Vorstellungen aber sollen getilgt werden. „Man wird nicht als Frau geboren, sondern man wird dazu“, diktierte schon Simone de Beauvoir. Das Frauliche — ein Rollenzwang somit, eine Konvention. Die Identität des Menschen ist nicht naturgegeben, so wollen es die Gendersterne. Wer aber bestreitet, dass Frauen und Männer kulturell-gesellschaftlichen Vorgaben ausgesetzt sind? Wer bestreitet die Veränderung von Idealen im Laufe der Zeit?
Der Körper ist dennoch keine Modellierknete, der sich nach eigenen oder fremden Wunschvorstellungen formen lässt. So ist neben den alten Religionen auch die Naturwissenschaft ein Lieblingsfeind der Genderbewegten, denn Erkenntnisse aus Neurologie und Evolutionsbiologie bringen Elementares über Mann und Frau ans Licht, nicht zuletzt seit Charles Darwins These der sexuellen Auslese.
Gendersprache vermag nicht auszulöschen, dass weibliche Tiere über wenige, große Eizellen und männliche Tiere über viele, kleine Spermien verfügen. So sind denn billige Spermien gezwungen, um kostbare Eizellen zu werben. Und dann läuft das evolutionäre Programm: Männchen investieren in die Werbung und konkurrieren untereinander, Weibchen investieren in die Brutpflege. Diese Verhaltensmuster erweisen sich nahezu als universell und unterstreichen die wesentliche Bedeutung der Biologie für das Verhalten von Mann und Frau.
Die Dualität der Geschlechter ist eine indiskutable Naturvorgabe, sie ist eine Tatsache.
Moderne Gnostik
Sprache ist magisch, die Literatur zeigt es, aber sie ist kein Instrument, um in die Welt hineinzubefehlen. Die über sechzig erdachten Geschlechter und Identitäten sind eben nicht realiter, wie es Löwen oder Eichen sind, sie sind allein Bauklötzer eines Sprachspiels namens Gender. Schon einmal versuchte man sich an solch magischem Denken, war der Überzeugung, der Körper des Menschen sei ein Gefängnis. Schon einmal versuchte man sich an der „Übertragung ins Gewünschte (…) ungestört durch lästige Realität“, wie Günter de Bruyn trefflich formulierte. Die antiken Gnostiker kannten als Ziel den Sieg des freien Geistes über die Materie. Die Genderbewegung erscheint als eine moderne Variante dieser Religion. Die frei gewählte geschlechtliche Identität soll siegreich sein über das biologische Geschlecht. Es wäre damit der Sieg des gefühlten, erträumten Selbst über die strengen Vorgaben der Biologie.
Auch im syrischen und persischen Umfeld des Alten Orient kursierten gnostische Überlegungen. Einig war man sich in der Absage an eine Natur, die dem Menschen Grenzen setzt, die ihn zum Geschöpf macht.
Wie das Gendersternchen wollte der Gnostiker kein Geschöpf sein, sondern sich zum Schöpfer machen.
Im heutigen Gender-Kult wollen dessen Anhänger zumindest Gott sein über die geschlechtliche Identität.
„Das Wort aber lasset stahn“
Wurde soeben der Haltungs-Martin noch gefeiert, könnte er wie eine heiße Kartoffel auch sogleich fallengelassen werden, dekretierte er, der schrift- und wortbeseelte, doch: „Das Wort aber lasset stahn“. Denn durchaus ist Günter de Bruyn beizustimmen: Die „Achtung der Minderheit ist ohne theoretische Verrenkungen möglich und nötig (…), es sei denn, sie macht (…) um ihre Neigung zu viel Geschrei“. Was waren das schließlich einmal für entspannte Zeiten, als die Tunte noch eine Tunte sein wollte und die Schwuchtel sich in herrlichster Selbstironie als Schwuchtel bezeichnete. Gelegentlich war man auch damals beleidigt, doch diese Beleidigung wuchs sich nicht zur existenziellen aus, sie dauerte Minuten, Stunden und manchmal auch Tage. Dann aber war’s vorbei, und man feierte und sprach wieder miteinander. Eingeschnappt war man, so der alte Begriff, oder auch „dicksch“.
Noch unbekannt waren die Problemfelder krankhafter Reizbarkeit, sie wurden irgendwann in den 90er Jahren relevant, von da ab feierte das Beleidigtsein sich selbst. Freies Sprechen und Einsprechen gingen von da an auf Abschiedsvorstellung. Etwas Tingeltangel noch, der alte Pomp aber wurde ausgetrieben. Die Vermeidung des generischen Maskulinums hielt damals niemand für nötig. Freilich auch das erste und alles bestimmende Gebot der Sprachzerstörer kannte man nicht: Das generische Maskulinum sei dir verboten! Die anderen Früchte aus dem Garten der Grammatik seien dir erlaubt!
Bildung zeitigte noch Lernerfolge, man wusste es einfach, das generische Maskulinum hat mit Sexualität nichts zu tun, und das Deutsche ist tatsächlich eine „Sprache für alle“. Gilbert K. Chesterton warnte die katholische Kirche davor, „daß sie sich nicht der erniedrigenden Sklaverei aussetzt, ein Kind ihrer Zeit zu sein“. Jeder Einzelne ist ermutigt, sich dieser Sklaverei zu widersetzen. Denn auch Erich Kästner scheint im Recht: „An allem Unfug, der passiert, sind nicht nur etwa die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“
Verhindern wir ihn darum, den Vormarsch des Irrationalismus, verhindern wir diesen Gender-Unfug, der sich in den Worten Reiner Kunzes, eines Gewaltigen der deutschen Sprache, erweist als „eine aggressive Ideologie“ und letztlich nichts anderes ist als „ein Verbrechen gegen unsere Sprache!“