Warum Israel nie eine Demokratie war
von Ramzy Baroud
Der Kopf der Arabischen Vereinten Liste in der israelischen Knesset, Ayman Odeh, beschrieb die Verabschiedung des rassistischen jüdischen Nationalstaatsgesetzes als „den Tod unserer Demokratie“. Hat Odeh wirklich geglaubt, dass er vor diesem Gesetz in einer wahren Demokratie gelebt hat?
70 Jahre jüdischer Vorherrschaft in Israel, Genozid, ethnische Säuberungen, Belagerungen, Massenverhaftungen, zahlreiche diskriminierende Gesetze, die alle auf eine gänzliche Auslöschung des palästinensischen Volkes abzielten, sollten längst genügend Hinweise gegeben haben, dass Israel nie eine Demokratie war.
Das jüdische Nationalstaatsgesetz ist nur das Sahnehäubchen. Es hat einfach nur denen, die von Anfang an behauptet haben, Israels Versuch, Demokratie mit ethnischer Vorherrschaft zu verbinden, sei maskierter Rassismus, die Munition gegeben, die sie als weiteren Beleg brauchten.
Jetzt kann niemand mehr dem moralischen Imperativ entkommen. Diejenigen, die darauf bestehen, Israel zu unterstützen, müssen wissen, dass sie ein hemmungsloses Apartheidregime unterstützen.
Das neue Gesetz, das am 19. Januar nach einigem Hin und Her verabschiedet wurde, trennt Israel von jedem noch so verlogenen Anspruch, ein demokratischer Staat zu sein.
In der Tat erwähnt das Gesetz in seinem Wortlaut kein einziges Mal den Begriff „Demokratie“. Dagegen sind die Verweise auf die jüdische Identität des Staates zahlreich und vorherrschend und schließen das palästinensische Volk eindeutig von seinen Rechten in seinem historischen Heimatland aus:
„Der Staat Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes.“
„Die Verwirklichung des Rechtes auf nationale Selbstbestimmung im Staate Israel steht einzig dem jüdischen Volk zu.“
„Der Staat wird sich bemühen, die Sicherheit der Söhne des jüdischen Volkes zu gewährleisten..“
„Der Staat wird Maßnahmen ergreifen, um das kulturelle, historische und religiöse Erbe des jüdischen Volkes in der Diaspora zu bewahren“ und so weiter.
Am gefährlichsten von allem aber ist die Festlegung, dass „der Staat jüdische Siedlungen als nationalen Wert betrachtet und sich darum bemühen wird, ihre Errichtung und Entwicklung zu begünstigen und zu fördern.“
Tatsächlich sind die palästinensischen Gebiete im Westjordanland und Jerusalem ja schon mit illegalen jüdischen Siedlungen übersät; und in Israel selbst besteht bereits eine faktische Segregation. Genau genommen geht die Segregation so tief und ist so fest verwurzelt, dass selbst Entbindungsstationen in israelischen Krankenhäusern die Mütter nach Ethnien trennen.
Die erwähnte Maßgabe jedoch wird die Segregation noch weiter beschleunigen und das Apartheidsystem zementieren, indem sie nicht nur intellektuellen und politischen, sondern auch physischen Schaden mit sich bringen wird.
Das juristische Zentrum für die Rechte der arabischen Minderheit in Israel, Adalah, hat in seiner „Datenbank diskriminierender Gesetze“ eine Liste von über 65 Gesetzen dokumentiert, die „palästinensische Bürger in Israel und/oder palästinensische Bewohner der besetzten palästinensischen Gebiete auf der Grundlage ihrer nationalen Zugehörigkeit direkt oder indirekt diskriminieren.“
„Diese Gesetze,“ so Adalah, „beschneiden die Rechte von Palästinensern in allen Lebensbereichen, von den Bürgerrechten bis zum Recht auf politische Teilhabe, sie beschneiden die Boden- und Wohnraumrechte, die Rechte auf Ausbildung, die kulturellen und Sprachrechte, die religiösen Rechte sowie die Rechte auf ein ordentliches Gerichtsverfahren während der Haft.“
Obwohl die Feststellung zutrifft, dass die Apartheid mit dem jüdischen Nationalstaatsgesetz in Israel offiziell geworden ist, sollte diese Einsicht nicht die vorhergehende Realität abtun, auf der Israel vor 70 Jahren gegründet wurde.
Apartheid besteht nicht aus einem einzelnen Gesetz, sondern aus dem langsamen, quälenden Aufbau einer komplexen Rechtsordnung, die von dem Glauben daran motiviert ist, dass eine ethnische Gruppe allen anderen überlegen ist.
Das neue Gesetz hebt nicht nur Israels jüdische Identität hervor und vernichtet jede Verpflichtung zur Demokratie. Es stuft außerdem den Status aller anderen herab. Palästinensische Araber, die Ureinwohner des Gebiets des historischen Palästinas, in dem Israel gegründet wurde, tauchen in dem neuen Gesetz namentlich überhaupt nicht auf. Es enthält nur eine Regelung zur arabischen Sprache, aber nur, um sie von einer offiziellen Sprache zu einer „speziellen“ herabzustufen.
Israels Entscheidung, zur Zeit seiner Gründung 1948 keine schriftliche Verfassung aufzusetzen, kam nicht von ungefähr. Seitdem ist es einem vorhersehbaren Modell gefolgt, nach dem es die Realität zum Vorteil der Juden und zu Lasten der palästinensischen Araber ändert.
Anstelle einer Verfassung griff Israel auf sogenannte grundlegende Gesetze zurück. Dies erlaubte die fortgesetzte Formulierung neuer Gesetze, die eher von der Verpflichtung des jüdischen Staates zu ethnischer Vorherrschaft als von der zu Demokratie, Völkerrecht, Menschenrechten oder irgendeinem anderen ethnischen Wert geleitet wurden.
Das jüdische Nationalstaatsgesetz ist selbst ein „grundlegendes Gesetz“. Und mit diesem Gesetz hat Israel den sinnentleerten Anspruch fallen lassen, gleichzeitig jüdisch und demokratisch zu sein. Diese unmögliche Aufgabe war oft dem Obersten Gericht überlassen worden, welches in dem Versuch, ein überzeugendes Gleichgewicht zu schaffen, scheiterte.
Die neue Realität sollte ein für alle Male die langwierige Debatte über die angebliche Einzigartigkeit von Israels politischem System beenden.
Und da Israel entschieden hat, die ethnische Vorherrschaft jedem noch so schwachen Anspruch auf echte Demokratie vorzuziehen, müssen sich westliche Länder, die Israel oft geschützt haben, entscheiden, ob sie ein Apartheidregime unterstützen oder es bekämpfen wollen.
Das erste Statement der außenpolitischen Chefin der EU, Federica Mogherini, war lustlos und schwach: „Wir sind besorgt, wir haben diese Sorge ausgedrückt und wir werden fortfahren, uns in diesem Kontext gemeinsam mit den israelischen Behörden einzusetzen.“ Damit erneuerte sie ihr Bekenntnis zur „Zwei-Staaten-Lösung“.
Dieses Statement eignet sich kaum als angemessene Antwort an ein Land, das gerade seine Mitgliedschaft im Apartheid-Club verkündet hat.
Die EU muss ihren schwammigen politischen Diskurs aufgeben und sich vom Apartheidstaat Israel lösen, oder sie muss die moralischen, ethischen und rechtlichen Konsequenzen akzeptieren, die es mit sich bringt, ein Komplize der israelischen Verbrechen gegen die Palästinenser zu sein.
Israel hat seine Wahl getroffen, und es ist zweifellos die falsche. Der Rest der Welt muss nun auch eine Wahl treffen, hoffentlich wird es die richtige sein: für die richtige Seite der Geschichte – gegen Israels jüdisches Apartheidsystem und für die Rechte der Palästinenser.
Dr. Ramzy Baroud hat mehr als 20 Jahre lang über den Mittleren Osten geschrieben. Er ist Kolumnist. Medienberater, Autor mehrerer Bücher und Gründer von PalestineChronicle.com. Sein letztes Buch ist „My Father Was a Freedom Fighter: Gaza´s Untold Story“. Seine Website heißt: ramzybaroud.net
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Why Israel Was Never a Democracy". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.