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Die Panik-Spirale

Die Panik-Spirale

Isoliert betrachtet, erzeugen Inzidenz- und Infektionswerte nur eines: unnötige Angst.

Noch immer steckt Deutschland — glaubt man den Medien — in einer „Jahrhundertpandemie“ (1, 2). Und diese eskaliert — glaubt man den Medien — immer, immer weiter. Schon ein Blick in das Corona-Horrorkabinett des Spiegel genügt, um das Zittern zu kriegen: „Jetzt trifft das Virus vor allem die Jungen“ (3), „Wie lange hält die Immunität?“ (4), „Brustschmerzen, Haarausfall, Kurzatmigkeit: Mehr als 200 Symptome können als Corona-Langzeitfolge auftreten“ (5). Oder schlicht und schrecklich: „Wird Long Covid zur neuen Volkskrankheit?“ (6).

Jede dieser Überschriften malt ein existenzielles Bedrohungsszenario an die Wand, das niemanden kalt lassen darf, weder die Gesunden noch die Jungen noch die Genesenen. Zu dieser sehr bildlichen Spirale der Angst gesellen sich außerdem die nackten Zahlen, die jeden Tag erneut heruntergebetet werden, allen voran Inzidenz und Neuinfektionen — die Zahlen, die greifbar machen sollen, dass alles immer schlimmer wird. Große Medienhäuser wie der Spiegel reihen sich sorgsam ein in diesen seltsamen Chor. Noch penetranter aber drängen sich niedrigschwellige News-Seiten wie web.de auf, wenn die Hürde zum Mail-Login frühmorgens lautet:

„Inzidenz steigt weiter: 2.097 Neuinfektionen“ (7).

Das lesen Hunderttausende täglich, denn web.de und gmx.de posten es täglich. Doch interessanterweise spielen die Zahlen selbst meist keine Rolle. Es geht bei diesen täglichen Updates nicht um Nummern. Es geht um Dramatik, wie so oft bei Medien, die nicht an Informationen, sondern an Emotionen interessiert sind. Denn egal, wie die Werte ausfallen — stets wird betont, dass irgendetwas steigt. Ob Inzidenz oder Zahl der Neuinfektionen — Hauptsache, etwas steigt. Das kann sich auch von einer Nacht auf die andere umkehren: mal mehr Inzidenz, mal mehr Neuinfektionen und dann wieder andersherum oder auch nicht. Dass immer irgendetwas steigt, bedeutet, dass die Gefahr steigt. Irgendwie.

Am vergangenen Sonntag lautete die morgendliche Hauptmeldung auf beiden Plattformen wie folgt:

Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt weiter kontinuierlich an. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) von Sonntagmorgen lag sie bei 17,5 — am Vortag hatte der Wert 16,9 und beim jüngsten Tiefststand am 6. Juli 4,9 betragen.

Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 2.097 Corona-Neuinfektionen. (…) Zum Vergleich: Vor einer Woche hatte der Wert bei 1.548 Ansteckungen gelegen (7).

Merke: Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt nicht nur an. Sie steigt weiter kontinuierlich an. Weil doppelt besser hält? Und die Neuinfektionen sind offenbar viel höher als noch vor einer Woche. Über 500 positive Tests mehr. Vor dem inneren Auge entsteht eine rote Kurve, die immer weiter in die Höhe schnellt. Betrachtet man die Fallzahlen der letzten zwei Wochen im Überblick, ergibt sich ein anderes Bild.

Neinfektionen 3. August 2021

Tägliche Neuinfektionen in Deutschland im 15-Tage-Überblick. Stand: 3. August 2021. Quelle: Robert Koch-Institut

Der Wert von 2.097 Neuinfektionen am 1. August, der eben noch nach einem rasanten Anstieg klang, entpuppt sich hier als Durchschnittswert der letzten zwei Wochen. Der vergleichsweise herbeizitierte Wert von 1.545 Neuinfektionen war ebenfalls nicht der höchste Wert der vergangenen Woche, der nun drastisch übertroffen wurde, sondern ein Tiefpunkt zwischen beiden Wochen. Die Schlagzeile hätte realistischerweise lauten sollen: „Sieben-Tage-Inzidenz steigt leicht an, Neuinfektionszahlen schwanken um den Wert 2.000.“

Dass der Wert von 1.545 positiven Tests überhaupt als Vergleich herangezogen wurde, ohne in den richtigen Kontext gesetzt zu werden, grenzt an gezielte Desinformation. Wenn nur zwei Zahlen präsentiert werden, die aktuellere deutlich größer als die ältere, dann muss der Eindruck einer drastischen Virenausbreitung entstehen, der so nicht stimmt. In einem solchen Fall gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder hatte die Redaktion übersehen, dass die Werte der vorangegangenen Woche ebenfalls höher lagen — oder diese Information wurde bewusst ausgelassen. Beides wirft kein gutes Licht auf diejenigen Journalisten, die „weiter kontinuierlich“ derartige Schreckensmeldungen entwerfen.

Der Pandemie-Verlauf

Dass die Inzidenz seit dem 6. Juli 2021 steigt, stimmt. Dass die Fallzahlen steigen, auch. Doch wen überrascht das jetzt? SARS-CoV-2 ist eine Tardivepidemie. Der Arzt Gunter Frank schreibt hierzu in seinem aufschlussreichen und nüchternen Buch „Der Staatsvirus“:

„Infekte der oberen Atemwege sind immer Tardivepidemien. Diese laufen stets nach dem mathematischen Muster einer selbstauslöschenden Kettenreaktion ab. Das bedeutet, nach Überschreiten eines Gipfels fällt die Ansteckungsrate wieder rapide ab. Auch 2020 war dies nicht anders“ (8).

Und weiter:

„Werfen wir einen genaueren Blick auf Coronaviren. Sie gehören wie die Influenza zu den Zoonosen, die als Erreger zwischen Tier und Mensch hin- und herwechseln können“ (9).

„(SARS-CoV-2) ist wie die Influenza eine Zoonose. Die Viren überdauern und mutieren in Tieren und werden dann wieder auf Menschen übertragen. Deshalb gibt es auch jedes Jahr neue Grippe-Impfstoffe. Ausrotten lässt sich eine Zoonose nicht“ (10).

Das bedeutet, dass auch Corona-Infektionen Teil des saisonalen Infektionsgeschehens sind.

Betrachtet man die COVID-19-Fallzahlen in Deutschland seit Beginn der Pandemie, bestätigt sich Franks Einschätzung.

Fallzahlen 3. August 2021

COVID-19-Fallzahlen in Deutschland. Stand: 3. August 2021. Quelle: Robert Koch-Institut

Auch im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Neuinfektionen erkennbar im August an. Die Infektionszahlen werden auch in diesem Winter steigen, und wieder werden die äußerst fehleranfälligen PCR-Tests (11) zum Dreh- und Angelpunkt der angeblichen Eskalation werden. Aber: Dieser Anstieg ist nicht überraschend oder ungewöhnlich, sondern war vorhersehbar und ist völlig normal. Ebenso vorhersehbar ist, dass die Infektionszahlen im Frühjahr 2022 zurückgehen werden, und ebenso normal wird das sein.

Raus aus dem Panikmodus

Vor diesem Hintergrund erscheint die täglich erneut dramatisierende Berichterstattung der Mainstream-Medien nicht nur überzogen, sondern auch gefährlich. Indem Einzelwerte aus dem Kontext gerissen und in das Narrativ einer ausufernden Virusgefahr gebettet werden, schwindet das Verständnis der Bevölkerung für den natürlichen Ablauf einer Epidemie wie SARS-CoV-2. Im Gegenteil erzeugen diese Werte Angst — lähmende Angst, die die Vernunft trübt und das Immunsystem schwächt. Dieser Journalismus hat mit Aufklärung nichts zu tun, sondern nur mit Auflagensteigerung. Denn wie heißt es so schön im Amerikanischen: Only bad news are good news.

Aus diesem Kreis auszubrechen heißt, sich nicht im Gewusel täglicher Inzidenzen und Infektionsmeldungen zu verlieren, sondern einen Schritt zurückzugehen und das große Ganze zu betrachten. Zum Beispiel mit aussagekräftigen, über einen längeren Zeitraum erfassten Metastudien oder mit nüchternen Büchern von Menschen, die in der gegenwärtigen Krise einen kühlen Kopf bewahrt haben. Dann entschärfen sich im Übrigen auch die reißerischen Schlagzeilen von oben, denn gegen Panik gibt es immer gute Argumente. Sie zu finden, ist mittlerweile nicht mehr schwierig.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.t-online.de/nachrichten/id_90279226/corona-delta-variante-eine-kritische-phase-in-der-jahrhundertpandemie-.html
(2) https://www.ndr.de/kultur/Corona-Ein-Virus-als-epochales-Ereignis,corona6892.html
(3) https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-pandemie-jetzt-trifft-das-virus-vor-allem-die-jungen-a-fc3a3afb-8758-421f-9c21-e330cbb4b8c7
(4) https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/corona-impfung-wie-lange-haelt-die-immunitaet-a-526ef784-ded5-496a-836a-92a9c4a6df4d
(5) https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/long-covid-dann-begann-die-scheisszeit-a-9dbe4c23-9e0d-44a5-964c-e55f013adc8a
(6) https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/wird-das-long-covid-syndrom-zur-neuen-volkskrankheit-a-9d22706b-0002-0001-0000-000178589859
(7) https://web.de/magazine/news/coronavirus/corona-news-1-august-trotz-demoverbots-querdenker-tausende-protestieren-berlin-36048870
(8) Frank, Gunter (2021): Der Staatsvirus. Ein Arzt erklärt, wie die Vernunft im Lockdown starb, Berlin. S. 40
(9) Frank, Gunter (2021): Der Staatsvirus. Ein Arzt erklärt, wie die Vernunft im Lockdown starb, Berlin. S. 40
(10) Frank, Gunter (2021): Der Staatsvirus. Ein Arzt erklärt, wie die Vernunft im Lockdown starb, Berlin. S. 125
(11) Frank, Gunter (2021): Der Staatsvirus. Ein Arzt erklärt, wie die Vernunft im Lockdown starb, Berlin. S. 27 bis 32

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