Ein einseitig verhängtes Ölembargo gegen Iran und ein komplementäres Ölembargo, das die Europäische Union einseitig gegen den syrischen Staat verhängt hat, machen eine Mentalität deutlich, die an das Mittelalter erinnert.
Nach Zahlen aus dem Jahr 2017 verfügt Iran über die weltweit viertgrößten Ölressourcen und die zweitgrößten Ressourcen an Naturgas. Die Ressourcen Syriens an Öl und Gas sind moderat, gewährleisteten dem Land aber Unabhängigkeit und einen kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufschwung.
Weil nun Iran und Syrien Verbündete sind, richtet sich das US-Embargo gegen beide Staaten. Zusätzlich haben die USA nachgeordnete, sogenannte Sekundärsanktionen gegen jeden Staat, jedes Unternehmen, jede Einzelperson egal welcher Nationalität verkündet, die in den Ölhandel mit einem der beiden Staaten involviert sind (1).
Die Auswirkungen sind seit Wochen am Schicksal des iranischen Öltankers „Adrian Darya 1“, vormals „Grace 1“ zu verfolgen. Der Supertanker ist mit 2 Millionen Barrel Rohöl im Mittelmeer unterwegs, um es einem Kunden zu liefern. Völkerrechtlich ist die Lieferung legal, denn freier Handel und freie Seewege sind für alle Staaten garantiert. Das kann nur durch eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrates unterbunden werden. Die gibt es weder für Iran noch für Syrien.
Die USA bezeichnen die Öllieferung als „illegal“ und „Schmuggel“, weil sie einseitig entschieden hat, ein Ölembargo gegen Iran zu verhängen. Zudem verstoße die Lieferung gegen die EU-Sanktionen gegen Syrien, die ebenfalls einseitig verhängt wurden. Behauptet wird, das iranische Öl sei für den Raffineriebetreiber in Banias bestimmt. Die EU-Sanktionen untersagen Handel mit der syrischen Regierung, Ministerien und staatlichen Organisationen. Die Raffineriebetreiber in Banias und Homs — wo die zwei einzigen syrischen Ölraffinerien stehen — sind staatliche Betriebe und wurden deswegen von Brüssel im Juli 2014 auf ihre einseitige Sanktionsliste gesetzt (2).
Die USA behaupten außerdem, dass der Tanker den iranischen Revolutionsgarden gehöre, die von den USA auf ihre nationale Terrorliste gesetzt wurden. Wer also mit dem Öl des iranischen Tankers handele oder die Fahrt des Tankers unterstütze, finanziere und unterstütze Terroristen, so die Schlussfolgerung. Diese Vorgabe und das Ölembargo nehmen die USA nun zum Anlass auf sämtliche Anrainerstaaten des Mittelmeers Druck auszuüben, die Fahrt des Tankers „Adrian Darya 2“ nicht zu unterstützen.
In dem britischen Überseegebiet wurde der Tanker 6 Wochen lang festgehalten, nachdem ein britisches Einsatzkommando das Schiff geentert hatte. Nach seiner Freilassung setzte der Tanker seine Fahrt ins östliche Mittelmeer fort und gab zunächst einen griechischen Hafen als Ziel an. Washington habe Druck auf Griechenland ausgeübt, bestätigte der stellvertretende Außenminister Miltiadis Varvitsiotis. Das US-Außenministerium hatte erklärt seine Sanktionen „aggressiv“ gegen jeden durchzusetzen, der dem Schiff einen Anlegeplatz gebe.
Sanktionen sind ein Akt des Krieges
Sowohl das US-Embargo, als auch die EU-Sanktionen, die so gut wie jeden Handel mit Syrien blockieren, verstoßen gegen das Völkerrecht, weil sie nicht vom UN-Sicherheitsrat beschlossen wurden. De facto stellen sie einen „Kriegsakt“ dar, wie der UN-Sonderbeauftragte für die Auswirkungen von einseitig verhängten Sanktionen, Idriss Jazairy, der Autorin in einem Interview erläuterte:
„Eine Blockade ist praktisch ein Kriegsakt. Wir haben heute Blockaden gegen Venezuela, Kuba, Syrien und Iran. Das ist sehr beunruhigend. Ursprünglich sollten Sanktionen eine Alternative zum Krieg sein, aber heute bereiten Sanktionen einen Krieg vor. Eine Wirtschaftsblockade ist ein Kriegsakt.“
Westliche Staaten betrachteten die (einseitigen) Sanktionen als vertretbar, da sie ihren eigenen Kriterien entsprächen, so Jazairy weiter: „Die Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten sieht das nicht so. Es ist, als nähme man das Recht in die eigenen Hände.“ Mit einseitigen Sanktionen werde ein „neues System“ geschaffen, einige Staaten sprächen „selber Recht. Das bringt den Frieden in Gefahr. Und zwar den Weltfrieden, nicht nur regionalen Frieden“ (3).
Mit ihren einseitigen Strafmaßnahmen versuchen die USA und auch die EU, das Völkerrecht außer Kraft zu setzen und ihre interessengelenkten Strafmaßnahmen quasi als „Recht“ jenseits ihrer Grenzen und international durchzusetzen.
Während die USA als Ziel ihres einseitigen Embargos deutlich die „Isolation des Irans vom Weltmarkt“ benennt, behauptet die EU, ihre Sanktionen gegen Syrien dienten dem „Schutz der Menschenrechte“. Mit der Festsetzung des iranischen Öltankers in Gibraltar habe man „dem Assad-Regime in Syrien Rohöl im Wert von mehr als 140 Millionen US-Dollar geraubt“, frohlockte der Premierminister des britischen Hoheitsgebiets Gibraltar, Fabian Picardo. Iran sprach von „Piraterie“.
Die Plünderung der syrischen Ressourcen
Sollte das Öl des iranischen Tankers für Syrien bestimmt sein, wäre es dort hoch willkommen. Dringend wird es für die Versorgung der Bevölkerung, der Industrie und Wirtschaft, von Schulen und Krankenhäusern mit Strom, Benzin und Heizöl gebraucht. Denn Syrien wird nicht nur daran gehindert, von befreundeten Staaten Öl zu importieren, Syrien wird auch davon abgehalten, seine eigenen Ölressourcen zu nutzen. Die könnten — nach einer dringend erforderlichen Rehabilitation — dem Land wieder auf die Beine helfen.
Der syrische Ölsektor hat in den vergangenen 8 Kriegsjahren 14,5 Milliarden US-Dollar verloren. Die Verluste allein im 1. Quartal 2019 betrugen 332 Millionen US-Dollar, wie die Nationale Euphrat Ölgesellschaft der syrischen Tageszeitung Al Watan erläuterte. Für das Jahr 2019 strebt die Nationale Euphrat Ölgesellschaft eine Ölproduktion von 7000 Barrel/Tag an. Vor dem Krieg wurden in Syrien mehr als 380.000 Barrel Öl/Tag gefördert.
Die Ölfelder Al Omar und Al Tanak, die beide östlich des Euphrat liegen und zu den größten Ölfeldern Syriens zählen, werden demnach „systematisch von bewaffneten Milizen geplündert, die von den USA unterstützt werden“, heißt es bei Al Watan. Das wurde Ende Juli vom russischen Verteidigungsministerium bestätigt. Private US-amerikanische Sicherheitsfirmen haben demnach mehr als 3500 Söldner unter dem Deckmantel der US-geführten „Anti-IS-Koalition“ nach Ostsyrien geschleust. Sie bilden lokale Kämpfer aus und plündern die Ölfelder Conoco, Al Omar und Al Tanak. Die Söldner seien den US-Armeestrukturen eingegliedert und erhielten von dort ihre Befehle, so das russische Außenministerium. Die Ölfelder gleichen Militärbasen (4).
Ein kriminelles Netz für grenzüberschreitenden Ölschmuggel spannt sich über den von irakischen Kurden kontrollierten Nordirak bis in die Türkei, doch die Mengen des geplünderten Öls sind unklar. Viele Ölfelder sind durch Luftangriffe, Kämpfe und unsachgemäßes Pumpen von Öl ganz oder teilweise zerstört. Möglicherweise sind unter den eingeschleusten Söldnern auch Ölexperten, die die zerstörte Infrastruktur wieder nutzbar machen sollen.
Syrien hat wiederholt in Protestschreiben an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat die US-geführte „Anti-IS-Koalition“ beschuldigt, unter dem Vorwand, den „Islamischen Staat“ zu bekämpfen, die syrische Ölinfrastruktur absichtlich bombardiert und zerstört zu haben.
Ein Rückblick
Nach dem Jahr 2000 waren die syrischen Ölanlagen östlich des Euphrat erneuert und auch der Gassektor ausgebaut worden. 2010, ein Jahr vor dem Krieg, wurden in Syrien mehr als 380.000 Barrel Öl/Tag gefördert. Etwa die Hälfte davon wurde nach Europa exportiert. Deutschland mit 32 Prozent, Italien mit 31 Prozent und Frankreich mit 9 Prozent zählten zu den Hauptabnehmern des syrischen Öls (5).
Deutschland, Frankreich und Großbritannien — auch als die großen E3 bekannt - sorgten 2011 dafür, dass der syrische Ölsektor von der Europäischen Union sanktioniert, die Einfuhr nach Europa verboten wurde.
2012 besetzten Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ die syrischen Ölanlagen östlich des Euphrat. Im April 2013 wurden die EU-Sanktionen für diese Gebiete aufgehoben. Die bewaffnete Opposition, die die Führung in Damaskus stürzen sollte, sollte mit dem syrischen Öl eigene finanzielle Ressourcen generieren. In Jordanien wurden für die Kämpfer und junge Stammesangehörige, die sie unterstützten, Kurse für die Ölförderung angeboten.
2013/14 übernahmen erst die Nusra Front, dann der „Islamische Staat im Irak und in der Levante“ (beide Al Qaida-Ableger) die Ölfelder. Im September 2014 griffen die USA mit 47 Tomahawk Marschflugkörpern 12 Ölraffinerien bei Al Mayadin, Al Hasakeh und Abu Kamal am Euphrat an. Das US-Brookings Institut ging davon aus, dass ISIS damals 60 Prozent der syrischen Ölfelder kontrollierte. Trotz anhaltender Luftangriffe der US-geführten „Anti-IS-Koalition“ ging die Ölplünderung weiter. Die Rand Corporation, ein weiterer US-Think Tank, sprach 2015 davon, dass ISIS bis zu 40.000 Barrel Öl/Tag verkaufen und damit Millionen US-Dollar verdienen konnte.
Seit 2017 gilt ISIS als geschlagen, die Nusra Front operiert als „Hayat Tahrir al Scham“ (HTS, Allianz zur Befreiung von Syrien) in Idlib. Syrien könnte — in Verhandlungen mit den syrischen Kurden und den arabischen Stämmen im Euphrat-Tal — seine territoriale Integrität und die Kontrolle über die nationalen Öl- und Gasressourcen wieder herstellen. Doch die US-geführte Koalition hindert die syrische Armee daran, den Euphrat zu überqueren. Als syrische Truppen mit Unterstützung russischer Verbündeter im Februar 2018 das Omari Ölfeld sichern wollten, riefen die Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF) die US-geführte Koalition zu Hilfe, um den Vormarsch zu stoppen. Bei den folgenden Luftangriffen kamen bis zu 300 syrische und russische Soldaten und Milizen ums Leben.
Der frühere US-Außenminister Rex Tillerson erklärte kurz darauf am Rande einer Irak-Geberkonferenz in Kuwait:
„Die Vereinigten Staaten (USA) und die Kräfte der (Anti-IS-) Koalition (…) kontrollieren heute 30 Prozent des syrischen Territoriums, einem großen Teil der (syrischen) Bevölkerung und der syrischen Ölfelder.“
Damit könne die USA Einfluss auf die weitere Entwicklung in Syrien nehmen. Ziel der USA in Syrien sei, den IS zu schlagen, den Iran zurückzudrängen und eine Regierung nach Assad zu unterstützen (6).
Nach Plänen einer „Kleinen Syriengruppe“ (USA, Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien, Jordanien, Deutschland, Ägypten), die kurz danach bekannt wurden, soll Syrien entlang des Euphrat geteilt werden. Mit militärischer und finanzieller Hilfe der US-geführten „Anti-IS-Koalition“ soll eine Provinz „Ost-Euphrat“ aufgebaut werden, die von den syrischen Kurden und arabischen Stämmen regiert werden soll. Mit dem bisherigen US-Botschafter in Bahrain William Roebuck haben die USA bereits einen offiziellen Vertreter in das Gebiet entsandt (7).
Nun werden die syrischen Ölfelder zum großen Teil von syrischen Kurden kontrolliert. Andere Ölfelder werden von arabischen Stämmen des Euphrat-Tals gehalten, die die Kurden in ihrem Gebiet als Besatzer ansehen. Die USA stellen Waffen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Geld zur Verfügung. Frankreich hat Spezialkräfte vor Ort. Wenn erforderlich schickt die US-geführte Koalition die Luftwaffe und stellt schwere Artillerie zur Verfügung.
US-Präsident Donald Trump hat wiederholt den Abzug der US-Soldaten aus Syrien angekündigt, ein Wahlversprechen aus dem Jahr 2016. Der Abzug könnte die territoriale Integrität des Landes wieder herzustellen. Das entspricht dem Völkerrecht und wird auch von den Verbündeten Syriens Russland und Iran unterstützt. Doch Teile der US-Administration und von US-Verbündeten (Israel, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und europäische Staaten) wollen das verhindern. Also wird eine Armee aus lokalen Kräften aufgebaut, die die syrische Armee stoppen soll. Die syrischen Kurden sind die Speerspitze dieser Truppe. Unterstützt werden sie nun auch von Söldnern.
Der Vorschlag einer Söldnerarmee in Syrien wurde Ende 2017 von Eric Prince gemacht. Der ehemalige US-Navy-Seal ist Gründer der privaten US-Sicherheitsfirma „Blackwater“, die im Irak gut im Geschäft war. Prince verließ „Blackwater“ und baute für den regierenden Scheich Mohammed bin Zayed von den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Elitetruppe auf, die in Syrien und im Jemen kämpft. Prince will „Krieg privatisieren“ und das auch durch Ölgeschäfte in den betroffenen Ländern finanzieren. Sein Vorschlag, die US-Soldaten durch Söldner zu ersetzen, wurde damals von US-Verteidigungsminister Jim Mattis abgelehnt. Ende 2018 trat Mattis zurück und vieles deutet heute darauf hin, dass Prince sein Geschäft in Syrien umsetzen kann.
Das Geschehen erinnert an den Irak 2003. Dessen Ölfelder wurden nach der US-geführten Invasion von Spezialkräften der US-Ölfirma Halliburton besetzt, die unter dem Schutz der privaten US-Sicherheitsfirma „Blackwater“ im Auftrag der US-Administration agierten.
Wie im Irak 2003 brechen die USA und ihre Verbündeten auch in Syrien Völkerrecht.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.treasury.gov/resource-center/sanctions/Programs/Documents/syria_shipping_advisory_03252019.pdf
(2) https://www.sanctionsmap.eu/#/main
(3) http://tlaxcala-int.org/article.asp?reference=26270
(4) https://tass.com/world/1070821
(5) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/201079/umfrage/oelexporte-aus-syrien/
(6) https://southfront.org/us-state-secretary-control-over-oil-fields-allows-washington-to-influence-situation-in-syria/
(7) https://www.rubikon.news/artikel/lasst-uns-syrien-aufteilen