„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So lautet Artikel 1 des Grundgesetzes. Die Unantastbarkeit der Würde jedes einzelnen Menschen bietet in unserer Gesellschaft die Grundlage für ein respektvolles Miteinander. In einer funktionierenden Demokratie sollte aus der Achtung der Würde folgen, dass alle Menschen gleichermaßen in Entscheidungsfindungen und Diskurse einzubinden und ihre Bedürfnisse zu beachten sind. Dieser Diskurs sollte dabei stets auf Augenhöhe stattfinden.
Im Zeitalter der Digitalisierung stehen wir als Gesellschaft vor der Herausforderung, das Internet und soziale Medien als demokratische Orte zu gestalten, an denen die Würde jedes Menschen geachtet wird. Das bedeutet, dass das Internet ein zensur- und überwachungsfreier Raum werden muss und scheinbare Anonymität in sozialen Netzwerken nicht dazu führen darf, dass wir uns gegenseitig wie Objekte behandeln.
Daher ist es wichtig, dass wir trotz der vielen Vernetzungs- und Informationsmöglichkeiten, die uns das Internet bietet, den persönlichen Diskurs nicht vergessen oder gar verlernen. Junge Menschen dürfen nicht auf die Generation Z reduziert werden, die mit dem Internet aufgewachsen ist. Deren Präsenz und deren Themen dürfen nicht leichtfertig ins Internet „abgeschoben“ werden.
In einer demokratischen Gesellschaft müssen junge und alte Menschen in Kontakt treten. Wir bilden gemeinsam unsere Gesellschaft.
Deshalb müssen wir der Politik die Themen diktieren und selbst aktiv unser Leben gestalten können. Die Themenfindung und die daraus folgende demokratische Partizipation müssen in einem Dialog auf Augenhöhe geschehen. Damit sich alle Menschen geachtet fühlen, erfordert dieser Diskurs immer Empathie. Nur in einem respektvollen Dialog lernen wir, auch nonverbale Signale, das heißt Gestiken und Gefühle, überhaupt wahrzunehmen und ins Mitgefühl mit unserem Gesprächspartner zu gehen.
Wenn es um Fragen über unsere Zukunft als Gesellschaft und unser Zusammenleben geht, ist ein gemeinsames Menschenbild die entscheidende Grundlage für eine zielführende Diskussion. Stimmt das Menschenbild der Teilnehmer nicht überein, reden sie in der Diskussion nur aneinander vorbei. Ohne diese gemeinsame Grundlage kann es keine weiteren Schnittmengen geben. Die Podiumsdiskussion offenbarte, dass das Menschenbild von Tracy und Simon, Gerald Hüther und Christian Wulff nicht zusammenpasst.
Obwohl Hüther zu Anfang die wichtige Feststellung trifft, dass Denken, Fühlen und Handeln neurowissenschaftlich nicht zu trennen sind, wird im Laufe der Diskussion eines immer deutlicher: Direkt durch Moderator Jens Lehrich verläuft eine vertikale Trennlinie zwischen den beiden Altersgruppen. Hier standen wissenschaftliche Argumentation und politische Öffentlichkeitsarbeit auf der einen Seite Emotionalität und Wärme auf der anderen gegenüber.
Dabei darf man nicht vergessen, dass auch die vermeintlich sachlichen, vernünftigen und kognitiven Argumente von Hüther und Wulff auf ihren eigenen Emotionen und ihrer persönlichen Prägung basieren. Die verschiedenen Beteiligten schwingen auf komplett unterschiedlichen Frequenzen. Und die eine Seite bemerkt nicht, dass es der anderen nicht mehr um Bewertung, Lob, Kritik, Aufrechterhaltung oder Reform eines alten Systems geht, sondern sie sich schon längst im Wandel und auf dem Weg in ein neues befindet.
Würde und Demokratie in der Kommunikation
Hüther beschreibt die Würde als einen inneren Kompass, der uns hilft, unser Zusammenleben so zu gestalten, dass es uns und anderen gut geht. Ziel ist, dass jeder die in ihm angelegten Potenziale entfalten und ein Leben lang weiterentwickeln kann. Dazu ist es unabdingbar, dass jeder Einzelne sich als Gestalter erlebt und nicht als Objekt zur Realisierung der Absichten Anderer zur Verfügung stellt (1).
Im Gesprächsverlauf zeigt sich, dass Tracy und Simon diese essenzielle Bedingung teilweise sogar noch authentischer erfüllen als Hüther selbst. Und tatsächlich fühlte sich zu Recht nicht immer jeder würdevoll behandelt. So beispielsweise, als Christian Wulff verkündete, er sehe die Überbevölkerung als größtes Entwicklungshemmnis Afrikas. Auch dass er den Einwand der beiden jungen Vertreter der Demokratischen Stimme der Jugend zu Ausbeutung und Ressourcenkriegen durch den Westen negierte und über sie hinwegging, provozierte negative Reaktionen aus dem Publikum.
Mehrmals erklang die Aufforderung, Tracy Osei-Tutu als Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, zu begreifen. Trotzdem stand diese und die damit assoziierte Rolle im Mittelpunkt. Das wirft die Frage auf: Inwiefern sind die meisten Menschen aufgrund ihrer persönlichen Prägung überhaupt dazu fähig, eine würdevolle Kommunikation zu pflegen, ohne sich, das Gegenüber oder Dritte zum Objekt zu machen?
Vielleicht sollte sich jeder einmal selbst fragen, wann er das letzte Mal ein würdevolles und gewaltfreies Gespräch mit einem Andersdenkenden geführt hat. Hüther schlägt hierzu vor, ein gemeinsames Anliegen zu suchen.
Etwas Verbindendes, damit man sich selbst und auch den Anderen als Subjekt begreift, mit schöpferischem Potenzial.
Quellen und Anmerkungen: