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Die  Medien-Intellektuellen

Die Medien-Intellektuellen

Früher dienten sie der Aufklärung und Kritik, heute als Sprachrohr der Eliten in Politik und Wirtschaft.

In groben Zügen zeichnet Debray die Karriere des französischen Intellektuellen vom „ursprünglichen Intellektuellen“ („intellectuel original“) zum „endgültigen Intellektuellen“ („intellectuel terminal“) nach – eine Diagnose, die sich problemlos auch auf die Karrieren deutscher Intellektueller beziehen ließe. Mit den „ursprünglichen Intellektuellen“ verbindet er die Dreyfus-Affäre, in der auch der Begriff des Intellektuellen als Kampfbegriff geprägt worden ist.

Damals setzte sich der Schriftsteller Emile Zola gegen die Übermacht der öffentlichen Meinung – also der Meinung fast der gesamten Elite in Wirtschaft, Staat und Militär – für den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus ein, der zu Unrecht des Landesverrats bezichtigt und in einem unbeschreiblichen Militärstrafverfahren verurteilt worden war. Zola wurde mit seinem berühmten „J’accuse“ stilbildend nicht nur für das intellektuelle Frankreich. Er und viele andere europäische Intellektuelle und Schriftsteller standen für Aufklärung und Emanzipation, Autonomie und Kritik, und bildeten – obschon machtlos – eine Gegenmacht zur sogenannten „Realpolitik“ und zum herrschenden Konsens.

Der „endgültige Intellektuelle“ dagegen – so Debray – ist keine Gegenmacht mehr, sondern er wechselt seine geistigen und politischen Magazine im Rhythmus der Konjunktur aus, um am Mainstream teilzuhaben. So wird er zum Bestandteil des Betriebs der Mächtigen in den Medien beziehungsweise zum Sprachrohr der Eliten in Politik und Wirtschaft. Er ist zum Medienintellektuellen geworden, der erstens sich selbst verkauft und vermarktet, und zweitens das tut, was der Betrieb verlangt.

Zu den derzeit bekanntesten Medienintellektuellen der französischen Szene – Bernard-Henri Lévy, André Glucksmann und Philippe Sollers – ließen sich leicht die zeitgenössischen deutschen Pendants aufzählen, die sich in allen Gazetten und allen Medien mit ihren pfannenfertigen Instant-Meinungen, seichten Hypothesen und Fast-Think-Prognosen tummeln.

Von der Form der Scheindebatten in Talkshows, über die fast täglich wechselnden Anlässe, die als „An- und Aufreißerthemen“ von zwei, drei Leitmedien intoniert und von allen anderen dann beflissen übernommen werden, bis hin zu den Umgangsformen der öffentlich Debattierenden: das Geschäft der Medienintellektuellen erweist sich als „kollektiver Autismus“. Der „endgültige Intellektuelle“ begreift und definiert sich nur noch durch sein Milieu, das sich seinerseits durch sein Medium – Fernsehkanal, Radiosender, Zeitung – definiert. Sein mediales Ich bildet sich nur noch im Milieu von seinesgleichen.

Entsprechend verkümmern die intellektuellen Debatten von früher – Sartre etwa brauchte in seiner Auseinandersetzung mit Camus 1952 noch 30 Seiten in der Zeitschrift „Les Temps modernes“ – zum kurzatmig-fernsehgerechten Wörterzank, in dem ein paar „Dum-Dum-Begriffe“ hin und her geschossen werden.

Als besonders medienwirksam erweisen sich hierbei die zu Chiffren erstarrten Namen von Orten, an denen große Verbrechen stattgefunden haben, und die im Modus der Banalisierung und videocliphaften Verkürzung vollkommen austauschbar geworden sind: „Auschwitz“, „Kolymna“, „Ruanda“, „Screbreniza“ und so weiter. Auch der bedenkenlose Vergleich völlig inkommensurabler historischer Konstellationen gehört längst zum „guten Ton“ im Mediensalon: Die (von den Amerikanern zusammengekaufte) Kriegskoalition gegen Saddam Hussein im ersten Golfkrieg erinnert dann an die Landung der Westalliierten in der Normandie 1944, Belgrad 1999 steht für Berlin 1933 und die Belagerung Madrids 1936 für die von Sarajewo 1994.

Die Interventionen der Medienintellektuellen zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen winzigen Anlass nehmen, um darauf mit einem Übermaß an „geschwollenen Wörtern“ zu antworten.

Ihr einziges Ziel ist es, ihre im Rhythmus der Konjunktur wechselnden, subalternen Meinungen unter die Leute zu bringen, um damit ihren eigenen Marktwert zu erhalten.

Die meisten Medienintellektuellen waren früher Mitglieder kommunistischer Sekten und stramme Marxisten-Leninisten, nicht selten auch gläubige Nachbeter von Stalin über Mao bis Pol Pot, und als solche blind für deren Verbrechen. Ihren – mit der Implosion des Sowjetsystems einhergehenden – Bedeutungsverlust und ihr schlechtes Gewissen kompensieren sie heute durch die Gleichsetzung von allem mit jedem, kurz: mit – wie es Debray treffend beschreibt – „Verhältnisblödsinn in jeder Preislage“. Im Kosovo droht dann angeblich ein „zweites Auschwitz“, und Milosevic erscheint in ihren Kolumnen und Fernsehstatements als eine Kopie von Hitler.

Als in der Wolle eingefärbte Ideologen machen die Medienintellektuellen ihre vermeintliche „antiideologische“ und „ideologiefreie“ Orientierung zur „Ideologie à la mode“. Und nichts ist ihnen verhasster als jener vom Aussterben bedrohte Typus des „engagierten Intellektuellen“ und Schriftstellers, der sich noch in der Tradition von Emile Zola, Jean-Paul Sartre, Pierre Bourdieu, Heinrich Mann, Bertolt Brecht oder Günter Grass – um nur einige zu nennen – als kritischer Herausforderer und Entlarver des herrschenden Zeitgeistes begreift, und der zugleich für die Verlierer der Geschichte Partei ergreift, statt mit fliegenden Fahnen zu den derzeitigen Siegern überzulaufen, wie es die Nachwende-Intellektuellen in Deutschland in West und Ost scharenweise getan haben.


Redaktionelle Anmerkung: Vom 7. bis 10. März wird in Berlin ein wichtiger Kongress — Krieg nach innen Krieg nach außen. Die Intellektuellen als Stützen der Gesellschaft? — stattfinden, organisiert von Rubikon-Beiratsmitglied Klaus-Jürgen Bruder. Mit Vorträgen unter anderem von Ernst Ulrich von Weizsäcker, Norman Paech, Michael Schneider, Arnold Schölzel, Friedrich Voßkühler und Werner Ruf. Darin wird vor allem die Rolle von Intellektuellen bei der Verbreitung von Kriegslügen sowie der Stabilisierung der herrschenden gesellschaftlichen Schieflage beleuchtet. Wir empfehlen unseren Leserinnen und Lesern die Teilnahme an dieser Veranstaltung. Weitere Informationen zum Kongress und Programm finden Sie hier.


Quellen und Anmerkungen:

Debray, Régis (2000): IF, suite et fin. Paris: Gallimard.

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