Die Aufregung um solche Studien ist in letzter Zeit groß. „Glaubwürdigkeit der Informationsangebote deutscher Medien deutlich gestiegen“, meldete der WDR Anfang März. 65 Prozent – und damit acht Punkte mehr als 2016 und sogar dreizehn mehr als 2015. Ganz vorn: das öffentlich-rechtliche Radio (82 Prozent), knapp vor dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen (77 Prozent) und der Tagespresse (71 Prozent). Puh. Nochmal Glück gehabt. Von wegen Lügen- oder Lückenpresse, von wegen Systemmedien. Schuld sind die Privaten (jeweils deutlich unter 50 Prozent), das Internet (30 Prozent) und die bösen Jungs von Facebook (5 Prozent).
Entwarnung gibt es auch aus Mainz. Stabil sei sie, die Vertrauensbasis, und sogar leicht im Wachsen, sagt das Institut für Publizistik im Februar. Nur nicht irre machen lassen von den Debatten um Fake News und Hasskommentare.
Was solche Studien messen, ist allerdings ein Artefakt. Ein Kunstprodukt, nach Deutschland gebracht von den US-Amerikanern, die nach 1945 die neue Ordnung legitimieren müssen (Demokratisierung, Re-Education ) und dabei Konzepte wie Vertrauen und Glaubwürdigkeit nutzen, die dafür überhaupt nicht geeignet sind. Wer die Menschen fragt, ob sie den Medien glauben oder ihnen gar vertrauen, bekommt das, was er verdient: eine Antwort, die allenfalls die Zufriedenheit mit dem gesellschaftlichen System insgesamt ausdrückt und im Zweifel vor allem denen hilft, die die Studie bezahlen.
Das Konzept Glaubwürdigkeit
Glaubwürdigkeit ist keine Eigenschaft von Journalisten, Sendungen oder Medieneinrichtungen, sondern Ergebnis einer Zuschreibung. Wir, die Nutzer, lesen einen Text und schätzen dabei ein, was wir davon halten. Wie alle Bewertungen schwankt dieses Urteil: Es hängt vom Kontext ab und von den Kriterien.
Wer gerade mit seinem Partner zufrieden ist, wird gnädiger sein, und wenn mir Claus Kleber gestern ein Autogramm gegeben hat, freue ich mich heute auf sein Gesicht. Das Bild, das ich vom ZDF habe oder ganz allgemein vom Fernsehen, lässt sich wie jedes Image nur schwer in Worte fassen – weil dieses Bild zum Teil unbewusst ist, weil es aus vielen Quellen gespeist wird und weil nicht einmal nötig ist, das Objekt der Beurteilung wirklich zu kennen. Selbst wer nie Nachrichten auf RTL2 gesehen hat, „weiß“, was davon zu halten ist. Die Frage nach Vertrauen oder Glaubwürdigkeit reduziert diese Komplexität auf einen einzigen Indikator, der mit unserem Urteil zudem gar nichts zu tun haben muss.
Die Definitionen von Glaubwürdigkeit, die die Medienforscher haben, stammen aus der Psychologie – aus einer akademischen Disziplin, in der es um unser Erleben und Verhalten geht, um unsere Persönlichkeitsmerkmale und um die Situationen, in denen wir uns bewegen. Von wem lasse ich mich überzeugen? Wem kaufe ich ein Auto ab? Wie müssen diese Menschen aussehen, was sollten sie anhaben, wie sprechen? Die frühe Propagandaforschung hat das getestet und mit dieser Idee ihre Nachfolger an den Universitäten infiziert.
Günter Bentele zum Beispiel, der in den 1980er Jahren an der FU Berlin eine Habilitation zum Thema schrieb, sah Glaubwürdigkeit als „Filter im Prozess des Wissenserwerbs“. Übersetzt: Ich übernehme eine Botschaft, wenn ich darauf vertraue, dass sie wahr ist und die Dinge adäquat beschreibt. Bentele kannte die Literatur aus den USA. Der Status helfe (je höher, desto glaubwürdiger), der Sachverstand, die Unabhängigkeit von irgendwelchen Interessen und etwas, was die Forscher „stimmiges Kommunikationsverhalten“ nennen. Einmal Claus Kleber, immer Claus Kleber.
Nur: Bei öffentlicher Kommunikation über Massenmedien geht es keineswegs immer darum, Botschaften „als zutreffend zu akzeptieren und bis zu einem gewissen Grad in das eigene Meinungs- und Einstellungsspektrum zu übernehmen“ (noch eine Definition, hier von Werner Wirth). Ich muss Claus Kleber kein Auto abkaufen. Ich muss nicht einmal entscheiden, ob ich mit ihm ein Bier trinken möchte. Wenn ich das heute journal einschalte (oder irgendein anderes Medienangebot nutze), dann will ich wissen, was die anderen gerade für wichtig halten, weil sie mit gutem Grund annehmen, dass morgen alle darüber sprechen (könnten) oder es wenigstens registriert haben.
Bei Massenmedien geht es nicht um Kommunikation (welcher Redakteur mag schon mit seinem Publikum reden?), sondern um Beobachtung und Orientierung. Die Medienrealität ist eine Realität erster Ordnung (genau wie das Gerät vor mir und der Baum da draußen). Diese Realität muss man kennen, um handeln zu können, um ernst genommen zu werden, um reagieren zu können, wenn etwas passiert, was einen wirklich betrifft. Günter Bentele hätte das schon in den 1980er Jahren wissen können. Die Menschen, die er damals befragte, haben weder die Bild-Zeitung für glaubwürdig gehalten noch die Berliner B.Z. Gekauft wurden diese Blätter trotzdem.
Glaubwürdigkeit und Demokratie
Die Idee, die Glaubwürdigkeit von Medienangeboten zu untersuchen, ist ein Geschenk der US-Amerikaner. Nach dem zweiten Weltkrieg haben die Besatzer nirgendwo so stark eingegriffen wie bei den Medien: Rundfunk und Presse sollten neue Menschen aus den Westdeutschen machen. Demokraten statt Nazis. Um den Erfolg zu beweisen, gibt es ja jetzt Umfragen.
Man muss solche Abbildungen nicht mögen oder gar ein Experte in Datenanalyse sein, um sofort zu sehen, dass da etwas ganz anderes gemessen wird, als man eigentlich zu messen vorgibt. 49 Prozent Antwortverweigerer im Januar 1948: Entweder können die Leute mit der Frage nichts anfangen oder sie haben Angst, die Wahrheit zu sagen (Tabelle 1). Einen Monat später gibt es zwei neue Antwortmöglichkeiten. 31 Prozent sagen nun, dass sie die Lizenzpresse nicht besser finden als das, was sie von Goebbels bekommen haben.
Der Punkt ist: Die Ergebnisse spiegeln vor allem die Versorgungslage. Die Verhältnisse in der US-Zone werden schlechter im Laufe des Jahres 1947. Essen, Wohnung, Kleidung. Der Kern des Lebens, an dem die Menschen ihr Urteil über die Verhältnisse festmachen. Sie wissen, wer die Medien betreibt, und senden zurück – per Fragebogen. Hui im Januar 1947 und pfui nur ein Jahr später: Mit dem Journalismus kann das nichts zu tun haben. Würde die Zeitreihe in Tabelle 1 nicht nur bis Mitte 1955 gehen, könnte man noch besser sehen, was Wirtschaftswunder und Glaubwürdigkeit der Medien miteinander zu tun haben.
Der Blick in die Geschichte zeigt zweierlei. Zum einen messe ich eher die Zustimmung zu den Verhältnissen, wenn ich die Menschen nach der Glaubwürdigkeit von Medien frage. Und zum anderen steht dieser Indikator für das Gelingen der Demokratie – impliziert durch den Vergleich mit dem Nationalsozialismus. Dieser Link wirkt bis heute und erklärt die Unruhe, die immer dann ausbricht, wenn Umfragen einen Glaubwürdigkeitsverlust der Medien feststellen.
Glaubwürdigkeit und Legitimation
Eigentlich wäre das schon genug. Nach der Glaubwürdigkeit der Medien fragen und damit eigentlich die Zufriedenheit im Allgemeinen messen und das auch noch zum Maßstab für die Qualität der Demokratie machen. Die US-Amerikaner haben den Westdeutschen aber noch ein drittes Problem vererbt: die Frage nach der relativen Glaubwürdigkeit – konstruiert für den mehr als unwahrscheinlichen Fall, dass das Fernsehen anders berichtet als die Zeitung (Tabelle 2).
Wenn Sie einander widersprechende Nachrichten oder Berichte über dieselben Ereignisse aus diesen vier Quellen erhalten, wem würden Sie am ehesten Glauben schenken?
Was sagt man da? Schwierig. Gewonnen jedenfalls hat immer der Kanal, der am besten unterhält und in der Gesellschaft das beste Image hatte. Erst das Radio, dann das Fernsehen. Nicht weil das Radio plötzlich unglaubwürdiger geworden ist, sondern weil die Menschen mit der Frage nichts anfangen können und mit ganz anderen Kriterien urteilen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat dieses Schema trotzdem übernommen, um die Überlegenheit des gebührenfinanzierten Fernsehens gegenüber der Verlegerpresse „beweisen“ zu können.
Glaubwürdigkeitsforschung ist Legitimationsforschung.
Das war bei den Besatzern aus den USA so (Lizenzmedien) und in der Zeit des öffentlich-rechtlichen Monopols (Rundfunkgebühren) und hat sich seitdem nicht geändert. Der WDR weiß, was herauskommt, wenn er die Medienangebote durchgeht und jeweils fragt, ob man diese „für glaubwürdig“ hält oder „für weniger glaubwürdig“.
Das diffuse Image, das sich in den Antworten spiegelt (Boulevardpresse: 89 Prozent „weniger glaubwürdig“), wird von den Eliten gefüttert und damit auch von denen, die eigentlich bewertet werden sollen. Facebook? Nun ja. Und: Die Bürger lernen schnell. Sie wissen, was bei solchen Umfragen auf dem Spiel steht. Also ein Ja zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, damit das System als Ganzes nicht ins Wanken gerät.
Transparenz statt Objektivität
Eigentlich waren die Studien zu Vertrauen und Glaubwürdigkeit, zu Wahrheitstreue und Objektivität Mitte der 1990er Jahre tot – kein Wunder nach den desaströsen Ergebnissen (Tabellen 3, 4). 1995 sagte nur noch jeder Fünfte, dass die Medien die Dinge so wiedergeben, „wie sie wirklich sind“. Das ist lange vor Facebook, Fake News und Lückenpresse.
ARD und ZDF haben den Fragebogen damals stillschweigend geändert und in ihrer Langzeitstudie fortan die relative Glaubwürdigkeit auf Gattungsebene untersucht (Fernsehen, Radio, Zeitung, Zeitschrift, Internet). Auf Nummer sicher gehen, sozusagen. Irgendwas im Netz ist ja immer unglaubwürdig – im Zweifel dieser Text.
Einen öffentlichen Aufschrei gab es seinerzeit nicht. Warum auch? Welcher aufgeklärte Bürger mag sagen, dass Funk und Presse „die Dinge immer“ so wiedergeben, „wie sie wirklich sind“? Ist nicht eher umgekehrt erstaunlich, dass seinerzeit immerhin jeder Fünfte die Maximalnote vergeben hat?
Dieses Erstaunen wird noch größer, wenn man in die Systemtheorie eintaucht. Bei Niklas Luhmann besteht Kommunikation aus drei Selektionen. Etwas wird ausgewählt und anderes nicht (Information). Was ausgewählt wurde, kann so dargestellt werden oder anders (Mitteilung).
Und der Empfänger weiß beides: Mir wird nicht alles mitgeteilt und das hätte auch ganz anders aussehen können (Verstehen). Information, Mitteilung, Verstehen: Immer steht die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Bei den Massenmedien schließt Luhmann „Interaktionen unter Anwesenden“ per Definition aus. Dieses System füllt bei ihm das „Gedächtnis der Gesellschaft“.
Massenmedien liefern das, was ich bei jedem Gespräch als bekannt voraussetzen kann, woran ich anknüpfen kann, weil ich weiß, dass der andere den Inhalt auch kennt oder nicht ohne Reputationsverlust zugeben kann, dass er ihn nicht kennt. Wenn wir Zeitung lesen oder fernsehen, beobachten wir, welche Informationen die anderen haben, weil wir annehmen, dass diese Informationen ihr Handeln bestimmen, ihre Einstellungen, ihre Gefühle.
Journalisten könnte diese Argumentation dazu verleiten, Michael Born übertreffen zu wollen. Ist doch egal, ob die Geschichte stimmt. Hauptsache, es ist etwas drin im Gedächtnis der Gesellschaft. Ob die Menschen das glauben oder nicht, spielt dabei keine Rolle, zumal die Umfragen ja ohnehin irgendetwas anderes messen (im Zweifel das, was die Auftraggeber hören wollen) und die traditionellen Kriterien für guten Journalismus (Objektivität, Neutralität, Ausgewogenheit, Vollständigkeit) schon deshalb obsolet sind, weil heute jeder weiß, dass es alternative Realitätskonstruktionen gibt (zum Beispiel hier auf Rubikon).
Was den Systemtheoretiker nicht interessiert (die Qualität der Medien), ist für Demokratie und Gesellschaft essentiell. Also: publizieren, was alle (oder viele) angeht, sowie sagen, woher man das Material hat, wem es nützt und wie man selbst dazu steht (Transparenz). Dann ebbt vielleicht auch die Flut an Umfragen zur Glaubwürdigkeit wieder ab.