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Die Mauer des Schweigens

Die Mauer des Schweigens

Deutsche Medien berichten nicht über den „Abbruch“ der Ermittlungen im österreichischen BND-Skandal.

Wenn eine solche Aktion doch bekannt wird, berichtet die Presse entweder gar nicht oder nur sehr kurz und dann verschwinden die Skandale hinter einer Mauer des Schweigens. Die „Qualitätsmedien“ scheinen solche Dinge nicht aufklären zu wollen, sondern tun ihr Bestes, damit die Menschen davon nichts erfahren. Und wenn es unvermeidbar ist, darüber zu berichten, dann sorgen sie anschließend dafür, dass die Menschen es schnell wieder vergessen.

Bevor ich auf die aktuelle Meldung aus Österreich komme, hier eine kleine Auswahl von Beispielen und Belegen für meine These — damit auch ein Leser, für den all das völlig neu ist, meine Argumentation verstehen kann.

Beispiel 1: Gladio

Für alle, die davon noch nie gehört haben: Gladio ist der Name für direkt nach dem Zweiten Weltkrieg von der CIA gegründete und gesteuerte, illegale Untergrundarmeen in den NATO-Ländern. Ursprünglich sollten sie im Falle eines Krieges hinter den sowjetischen Linien als Partisanen tätig werden, aber sie wurden auch auf andere Weise eingesetzt, als es nicht zu dem befürchteten Krieg mit den Sowjets kam. Die Geschichte kam heraus, als Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in Italien Skandale vor Gericht kamen und ein ehemaliger italienischer Ministerpräsident alles einräumen musste.

Die schlimmsten Terroranschläge in Italiens Geschichte, wie zum Beispiel der Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna vom August 1980 mit 85 Toten, waren von dieser geheimdienstgeführten Organisation verübt worden. Zuvor hatte man die Schuld auf die kommunistischen Roten Brigaden geschoben, was sich dann jedoch als unwahr herausstellte.

Das führte zu Skandalen in ganz Westeuropa und sogar das EU-Parlament hatte in einer Resolution Aufklärung gefordert — die natürlich nie stattfand. In Belgien hatte der damalige Verteidigungsminister seine Generäle entrüstet gefragt, ob all das wahr wäre, ob es so etwas auch in Belgien gäbe und warum er davon nichts wisse. Die Antwort der Generalität war bestechend: „Ihr Verteidigungsminister wechselt ja so oft und das war zu geheim, um es Euch zu erzählen.“

In Deutschland war damals, im Jahre 1991, gerade Wahlkampf und die SPD unter Kanzlerkandidat Björn Engholm wollte das Thema in den Wahlkampf bringen. Das tat sie dann doch nicht, nachdem die CDU lapidar mitgeteilt hatte, dass es ja auch schon unter den SPD-Kanzlern Brandt und Schmidt all das gegeben hätte. Das Thema würde also beide großen Parteien beschädigen.

Die Medien hatten es einfach, das Thema „geheim“ zu halten: Damals fand die Wende statt, die Sowjetunion brach zusammen, Deutschland feierte die Wiedervereinigung und so weiter. Im medialen Lärm ging der Skandal um Gladio still und heimlich unter.

Wer diese Geschichte nicht kennt und Hintergründe und Quellen erfahren möchte, dem empfehle ich unter der Rubrik „Dokus/Vorträge“ auf meiner Seite die Videos über das Thema „Terrorismus und Gladio“. Ich habe dort sowohl eine ARTE-Reportage — ja, die gab es tatsächlich– als auch ein Interview und einen sehr interessanten Vortrag zu diesem Thema verlinkt.

Beispiel 2: Das „Celler Loch“

Auch hier wieder für alle, die davon noch nie gehört haben, kurz die Ereignisse: 1978 hat der Verfassungsschutz mit einer Autobombe ein Loch in die Wand eines Gefängnisses in Celle gesprengt und die Schuld der RAF angehängt. Offiziell war es ein weiterer Terroranschlag der RAF.

Im Jahr 1986 kam aber heraus, dass die RAF damit nichts zu tun hatte, sondern dass es der Verfassungsschutz war. Mitwisser beziehungsweise Mittäter waren die GSG9, die niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Ernst Albrecht — übrigens der Vater von Ursula von der Leyen —, die Gefängnisleitung und eben der Verfassungsschutz, der den Terroranschlag durch V-Leute durchführen ließ.

Was waren die Folgen? Es gab einen Untersuchungsausschuss, der natürlich keine Ergebnisse lieferte und niemand ist vor Gericht gestellt worden oder auch nur zurückgetreten. Es gab keine Folgen.

Aktuelle Beispiele aus Deutschland

Der Fall Anis Amri und auch der NSU-Skandal weisen viele ungeklärte Fragen auf, die darauf hindeuten, dass dort die Geheimdienste, also vor allem der Verfassungsschutz, weit mehr wissen, als sie sagen. Vielleicht gibt es auch eine Beteiligung des Verfassungsschutzes, wie seinerzeit beim Celler Loch — das kann man bei all der Geheimniskrämerei nicht ausschließen.

Das ist ebenfalls keine Verschwörungstheorie — im Fall Anis Amri kam letztes Jahr ans Licht, dass der Verfassungsschutz hier aktiv war, nur hat die Presse das nicht aufgegriffen und auch nicht nachgebohrt. Inzwischen ist sogar bekannt geworden, dass sogar das FBI Amri überwacht hat. Da hat ein Mann in aller Seelenruhe einen Terroranschlag in Berlin durchgeführt, während er mindestens vom Verfassungsschutz und vom FBI überwacht wurde.

Ein aktuelles Beispiel aus Spanien

Spanien wird derzeit von einem massiven Geheimdienstskandal erschüttert. Wie sich herausstellte, war der Terrorist, der vor einem Jahr im August 2018 in Barcelona mit einem Lieferwagen in eine Fußgängerzone gefahren ist und dabei 14 Menschen getötet hat, ein V-Mann des spanischen Geheimdienstes. Darüber wurde in Deutschland nichts gemeldet. Die Kollegen vom „3. Jahrtausend“ haben den Fall mit allen Quellen aufgearbeitet und am 2. August 2019 darüber ausführlich berichtet.

Frappierend bei dem spanischen Fall sind vor allem die vielen Parallelen zum Fall Amri in Berlin, bei denen sich jeder selbst fragen muss, ob das alles nur Zufall sein kann.

Skandal in Frankreich

Dort hat am 8. August 2019 Ives Bonnet, der ehemalige Chef des französischen Geheimdienstes, der Zeitung Le Parisien ein Interview gegeben und mitgeteilt, der französische Geheimdienst habe in den 1980er Jahren mit islamistischen Terroristen, die in Frankreich zuvor bei Terroranschlägen viele Menschen ermordet hatten, ein Abkommen geschlossen, anstatt sie zu verfolgen.

In Deutschland hat außer mir nur RT-Deutsch darüber berichtet, wenn auch mit einer Woche Verspätung. Ansonsten fanden die deutschen „Qualitätsmedien“ nicht, dass man die deutschen Leser damit behelligen müsse.

Natürlich gehören auch die Snowden-Enthüllungen in diese Liste und die Skandale über Spionage der amerikanischen NSA gegen ihre „Verbündeten“ in Europa.

In Deutschland hört die NSA Telefone ab, liest alle E-Mails und hört sogar gezielt die Kanzlerin und andere Politiker ab. Auch Industriespionage betreibt die NSA in Deutschland im großen Stil und wird dabei auch noch vom deutschen BND unterstützt, wie die Enthüllungen über die sogenannten Selektoren ans Licht gebracht haben.

Der BND filtert in Deutschland Internetverkehr im Auftrag der NSA und sucht gezielt nach vorgegebenen Begriffen („Selektoren“), die die NSA interessieren, unter anderem auch nach deutschen Firmengeheimnissen, die dann an die USA weitergegeben werden. Der BND hat im Auftrag der NSA in Deutschland nach über 800.000 solcher „Selektoren“im deutschen Internet- und E-Mail-Verkehr gesucht.

Aktuell: BND-Abhörskandal in Österreich

Und genau zu diesem Thema, Spionage gegen „befreundete Staaten“, gibt es nun Neuigkeiten aus Österreich. Im Juni 2018 kam dort heraus, dass der BND über 2.000 Telefone in Österreich abgehört und die gewonnenen Daten auch an die NSA weitergeben hat. Die Politik in Österreich war schockiert, sogar in Deutschland wurde ein wenig berichtet und die österreichische Regierung versprach entrüstet Aufklärung.

Als herausgekommen war, dass Angela Merkels Telefon von der NSA abgehört wurde, sagte sie ihren berühmten Satz: „Abhören unter Freunden geht gar nicht“, nur um danach die Aufklärung zu behindern und nichts an den Praktiken der NSA zu ändern. Es wurden keine neuen Gesetze erlassen, niemand verhaftet, keine Abhörstationen der USA in Deutschland wurden geschlossen.

Das österreichische Äquivalent zu Merkels Zitat kam vom damaligen Kanzler Sebastian Kurz, der sagte: „Unter befreundeten Staaten darf es so etwas nicht geben“.

Anschließend jedoch behinderte er die Aufklärung ähnlich effektiv, wie Merkel es in Deutschland getan hatte. Und vor einer Woche teilte die österreichische Staatsanwaltschaft mit, die Ermittlungen seien „abgebrochen“ worden. Der ehemalige Kanzler Kurz und seine ÖVP, die vehement nach Aufklärung gerufen hatten, reagierten konsequent, wie man im österreichischen „Standard“ am 16. August 2019 lesen kann:

„Die ÖVP wollte den Abbruch der Ermittlungen nun nicht einmal kommentieren.“
Und das ist verständlich, denn im „Standard“ kann man auch lesen:

„Dafür wurde bekannt, dass zwischen den USA und Österreich ein Vertrag besteht, der die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen der NSA und dem Heeresnachrichtenamt HNaA, dem Auslandsnachrichtendienst des österreichischen Bundesheeres, festlegt. Die Presse bezeichnete den Vertrag als „eines der großen Geheimnisse der Republik“. Bis heute ist der genaue Inhalt des Papiers nicht bekannt. In einem von dem Online-Magazin The Intercept vor wenigen Wochen erstmals veröffentlichten NSA-Dokument finden sich aber Hinweise über die Zusammenarbeit. (…) Auch in anderen Snowden-Unterlagen finden sich zahlreiche Belege über die US-amerikanisch-österreichische Zusammenarbeit.“

In Deutschland fand sich auch über zehn Tage nach den Meldungen aus Österreich kein Artikel dazu in den „Qualitätsmedien“. Das Einzige, was ich gefunden habe, war eine automatisch erstellte Meldungbei der Zeit. Dort arbeitet irgendein Computerprogramm und veröffentlicht selbständig Agentur-Meldungen, wie man dort lesen kann: „Diese Meldung ist Teil des automatisierten Nachrichten-Feeds der Agence France-Presse (AFP).“

Die deutschen Medien wissen also von den Vorgängen in Österreich, aber sie wollen die deutschen Leser damit wohl nicht beunruhigen.

Immer das gleiche Schema

Auch hier also wieder das gleiche Schema wie bei allen anderen genannten und den vielen hier nicht genannten Geheimdienstskandalen: Die Politik macht markige Sprüche und fordert Aufklärung, die Medien jedoch vergessen das Thema schnell wieder und es verschwindet aus der Öffentlichkeit, wobei das die Politiker, die angeblich so an Aufklärung interessiert sind, nicht weiter stört. Nach einem Jahr werden die Ermittlungen eingestellt. Und politische Untersuchungsausschüsse haben noch nie Ergebnisse gebracht und erst recht nicht zu einer Bestrafung der Verantwortlichen geführt. Die Untersuchungsausschüsse tagen jahrelang und kommen am Ende zu keinem Ergebnis — und die Medien stellen keine Fragen.

So funktioniert in den europäischen Demokratien die „demokratische Kontrolle der Geheimdienste“ und so „kritisch“ sind die freien „Qualitätsmedien“.

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