Redaktionelle Vorbemerkung: Die IT-Redaktion möchte in ihrer Kolumne „Schöne neue Welt“ Autoren eine Plattform bieten, die sich kritisch mit der Informationstechnik und den in diesem Feld handelnden Akteuren auseinandersetzen. Wir freuen uns über jeden Artikel, der die technische, aber auch politische, ökonomische, psychologische, physische und soziale Auswirkung und Sicht der IT hinterfragt beziehungsweise behandelt. Bitte kontaktieren Sie uns unter it@rubikon.news.
Was ist der Bitcoin? Was ist die Blockchain?
Mein Papa hat vor paar Tagen gesagt, dass er bei seiner Bank etwas über Bitcoin und Kryptowährungen gelesen hat und meinte, dass ich das geschrieben haben könnte, weil ich derzeit etwas damit mache. Ich beschäftige mich mit dem Thema, weil ich letztes Jahr aufgrund der 9/11-Lüge aus der Matrix gefallen bin und seitdem heftig analysiere und netzwerke. Ich habe mir den Text über Bitcoin angeschaut und es war schrecklich. Es kamen die üblichen Schlagworte vor und dass das alles für Kriminalität genutzt würde. Die fundamentale Idee der Blockchain wurde nicht erklärt und auch nicht, wie Wert in eine Kryptowährung kommt.
Die Blockchain ist technisch gesehen total primitiv. Man nehme ein Peer-to-Peer Filesharing-Netzwerk wie BitTorrent, ein Versionsverwaltungswerkzeug wie Git und gibt dies alles in einen Mixer mit ein paar Gewürzen wie beispielsweise Kryptographie. Raus kommt eine robuste und sich selbst aktualisierende Datenbank, zu der man sich eine Verfassung schreibt. Für einige gute Entwickler in der Open-Source-Gemeinschaft war es 2008 kein Problem, dies in kurzer Zeit zusammenzustöpseln. Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und die Auswirkungen auf die Gesellschaft sind aber zusammengenommen ein riesiges Thema, das ein hohes Maß an Kreativität und einen Perspektivenwechsel erfordert.
Meinem Papa habe ich Bitcoin und Co. so erklärt:
Bitcoin ist ein freies und soziales Netzwerk, welches den Benutzern ein sicheres monetäres Werttransfersystem bereitstellt. Ein monetäres Werttransfersystem ist schlicht und ergreifend Geld. Weitere Werttransfersysteme sind zum Beispiel Wahlen oder Bildung. Es ist offensichtlich, dass solche Systeme und deren Strukturen die Gesellschaft prägen. Sollte es jemandem möglich sein, diese Systeme hierarchisch zu kontrollieren oder maßgeblich zu beeinflussen, so setzt sich diese „Hackordung“ selbstähnlich in der Gesellschaft fort.
Ein Geldsystem ist in einer freiheitlichen und arbeitsteiligen Gesellschaft unerlässlich. Bitcoin kommt dabei ohne Mittelsmänner oder zentrale Institutionen aus, was einen enormen evolutionären Fortschritt in modernen Volkswirtschaften darstellt. Um die Idee der dezentralen Machtstruktur sicherzustellen, wurde dafür eigens die Blockchain-Technologie entwickelt, welche einen ähnlichen Einfluss auf die Gesellschaft wie die Erfindung der Druckerpresse haben könnte. Seinerzeit hat Martin Luther die Druckerpresse zur Verbreitung seiner Ideen genutzt, um gegen den Ablasshandel vorzugehen.
Die Druckerpresse hat damals das Problem der Wissensverbreitung gelöst. Der Blockchain sagt man nach, dass sie das Problem des Vertrauens lösen wird. (1)
Aufgrund des revolutionären Charakters der Blockchain-Technologie und des Open-Source-Prinzips ist jeder (je nach seinen Fähigkeiten) in der Lage, an Blockchain-Projekten mitzuwirken, ein eigenes Projekt abzuspalten oder ein neues zu kreieren. Dies gibt jedem Menschen die Möglichkeit, sein Selbstbestimmungsrecht durchzusetzen. Neun Jahre nachdem das White-Paper zu Bitcoin unter dem Pseudonym Satoshi Nakamotos veröffentlicht wurde, gibt es weit mehr als 1000 Blockchain-Projekte und der Markt ist bei einem permanenten exponentiellen Wachstum bereits 200 Milliarden Dollar schwer. Heutige Staaten und „Zwangsgeldsysteme“ sind dagegen hierarchisch aufgebaut und missachten nach meiner Ansicht das Selbstbestimmungsrecht ihrer Bürger. Der Fiat-Geldmarkt ist derzeit noch über tausendmal größer als der Blockchain-Markt. Dieser Faktor stellt das Wachstumspotential für die kommenden Jahre dar.
Das Drucken oder Prägen neuer Geldeinheiten in jeder Blockchain-Gemeinschaft folgt immer einem demokratischen und statistischen Konsensprinzip. Dabei einigt sich die Gemeinschaft auf ein Protokoll, welches durch eigene und quelloffene Software ausgeführt wird. Zum besseren Verständnis kann das Protokoll auch als Verfassung der Währungsgemeinschaft verstanden werden. Eine Ewigkeitsgarantie für ein Protokoll gibt es dabei nicht, obwohl jeder frei ist, darauf zu bestehen. Man muss immer nur genügend Leute finden, die mitziehen wollen. Das heißt, dass selbst das Limit von 21 Millionen Bitcoins des aktuellen Protokolls durch gemeinschaftlichen Konsens abgeändert werden könnte.
Ein großes Problem ist zum Beispiel der Mining-Wahnsinn von Bitcoin. Etwa alle 10 Minuten wird für das Finden einer kleinen Zeichenkette (auch Hash genannt) derzeit ein „Kopfgeld“ von über 12,5 Bitcoins ausgesetzt. Beim aktuellen Marktwert eines Bitcoins führt das zu einem massiven Ressourcenverbrauch, der langfristig sogar die Gemeinschaftswährung selbst schwächt. Ein vorzeitiges Reduzieren des Kopfgelds würde den Mining-Wahnsinn zumindest kurzfristig einschränken. Aber dies wäre auch ein Verfassungsbruch und würde zu einer Abspaltung (Hard-Fork) führen. So wird am freien Markt um die besten Lösungen (beispielsweise Proof-of-Work, Proof-of-Stake, Masternodes, Voting-Self-Funding) konkurriert. Zugegeben, Börsen, Miner, Entwickler, Medien und sogenannte Wale haben noch sehr starke Marktpositionen und können manipulativ einwirken. Andrerseits sind diese Akteure schon lange dabei und haben sich ihre Position unter Risiko erarbeitet. Aber „Kryptoland“ wird immer vielfältiger und dezentraler.
Bitcoin ist eine Marke oder eine Identität – der Held des Internets – und die Nutzer bestimmen selbst, welcher Fork der Blockchain den Namen Bitcoin trägt.
Der Wert eines Blockchain-Projekts (beispielsweise Bitcoin mit etwa 130 Milliarden Dollar im November 2017) bildet sich am freien Markt selbstregulierend nach Angebot und Nachfrage und ist gedeckt durch die Bekanntheit der Marke, das Vertrauen in das Projekt, der Nutzen des Systems, die potentiellen technologischen Entwicklungen und damit letztendlich durch die Wirtschaftskraft der jeweiligen Blockchain-Gemeinschaft. Dass Bitcoins kompliziert berechnet werden und darum etwas wert seien, ist ein Irrglaube. Die Gemeinschaft schreibt sie sich einfach auf ihr unangreifbares Monument und sie glauben daran.
Herkömmliches Fiat-Geld, welches zentral geschöpft und verwaltet wird (2), ist dagegen hauptsächlich durch einen „exklusiven Vertrag“ mit einem Staat oder einer Staatengemeinschaft gedeckt, in dem der Staat ausschließlich Steuern und Abgaben in diesem Fiat-Geld fordert. Damit sind heutige Staaten Förderer von Zwangsgeldsystemen und hindern damit die Innovationskraft und den positiven Wettbewerb.
Aus dem Netzwerkeffekt, der Schwarmintelligenz und dem Freiheits- und Gestaltungswillen des Menschen selbst ist für das Blockchain-Ökosystem aus meiner Sicht eine erheblich höhere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Fiat-System abzuleiten. Korrupte Strukturen, die die Wettbewerbsfähigkeit mindern, gedeihen im Fiat-System prächtig, während diese im Blockchain-Ökosystem marktwirtschaftlich herausgewaschen werden.
Ich gebe zu, dass ich sehr optimistisch auf diesen Markt und diese Technologie blicke. Es ist auch alles leider sehr technisch und man könnte sich in jedem einzelnen Aspekt verlieren. Sehr viele Menschen können sich nicht so schnell in diesem Markt zurechtfinden. Aber letztendlich hängt es nur von der Motivation ab, etwas Neues lernen zu wollen, nach Lösungsansätzen zu suchen – und von Neugierde. In komprimierter Form ist die Fülle der Blockchain-Technologie nahezu unmöglich darzustellen. Letztendlich läuft es aber auf eine Machtverschiebung hinaus, die Peter Kurse 2010 im deutschen Bundestag prophezeit hat.
Trotz aller Spekulationen an den Märkten sollte jedoch jeder beachten, dass der Reichtum eines Menschen nicht nur sein rechtlich verbrieftes Eigentum umfasst, sondern vielmehr auch seine eigenen Fähigkeiten und die Fähigkeiten seines persönlichen Umfelds mit einschließt. Besonders seine Fähigkeit zu Netzwerken ist von entscheidender Bedeutung.
Gute und ethische Systeme braucht man niemandem aufzuzwingen. Sie wachsen organisch und setzen sich in der Gesellschaft durch.
Andreas Pieper studierte an der Universität Greifswald Physik und hat sich in seiner wissenschaftlichen Forschung mit der elektronischen Behandlung von neuartigen Festkörpern (Graphene und weitere) sowie dem numerischen Lösen des Eigenwertproblems von hochskalierenden Matrizen beschäftigt. Er ist Freizeitsportler, im lokalen Freifunkverein aktiv, wirkt bei politischen Diskussionsrunden (Freitagsrunde) mit und organisiert den örtlichen Blockchain-Stammtisch.
Anmerkungen und Quellen:
(1) Sehr zu empfehlen: The Evolution of Trust http://ncase.me/trust/. Ein nettes Browserspiel, welches mittels Spieltheorie die Bedeutung des Vertrauens in der Gesellschaft thematisiert und thematisiert und Wettbewerbsvorteile unter verschiedenen Rahmenbedingungen analysiert.
(2) Ich beziehe mit „zentral“ auf die Basisgeldmenge M0 https://de.wikipedia.org/wiki/Monet%C3%A4re_Basis, da nur diese mit dem Bestand von Blockchain-Geld vergleichbar ist.