Im ersten Artikel der Reihe beschrieb ich den Sündenfall der Bundesrepublik Deutschland — wie das deutsche Politik-Establishment im Verbund mit anderen Ländern erstmals nach dem verheerenden letzten Weltkrieg wieder ein von vornherein klar unterlegenes Land, Jugoslawien, erpresste, mit einem verheerenden Krieg überzog, Menschen und Infrastruktur zerstörte, die Einheit des Landes vernichtete und furchtbare Kriegsverbrechen verantwortet. In diesem zweiten Teil will ich darüber berichten, wie sich Deutschland förmlich danach drängte, endlich wieder einen Krieg der USA unterstützen zu dürfen: den Afghanistankrieg, der jetzt nach 18 Jahren wohl als verloren angesehen werden muss.
Der Krieg gegen Afghanistan
General Wesley Clark, ehemaliger Oberbefehlshaber der NATO in Europa, berichtete am 02. März 2007 in einer Sendung von Democracy Now:
„Ungefähr zehn Tage nach 9/11 ging ich durchs Pentagon und ich sah Minister Rumsfeld und seinen Stellvertreter Wolfowitz. Ich ging die Treppe runter, um einige Leute der begleitenden Mannschaft zu begrüßen, die mal für mich gearbeitet haben. Und einer der Generäle rief mich und sagte: ‚Sir, Sie müssen zu mir reinkommen und kurz mit mir sprechen!‘ Ich sagte, wir seien zu beschäftigt, doch er sagte: ‚Wir haben die Entscheidung getroffen, Krieg im Irak zu führen!‘ Das war am oder um den 20. September. Ich sagte: ‚Wir führen Krieg gegen den Irak? Warum?‘ Er sagte: ‚Ich weiß es nicht!‘ Er sagte: ‚Ich vermute, sie wissen einfach nicht, was sie sonst tun sollen!‘ Ich sagte: ‚Haben Sie denn Informationen gesammelt, die Al-Kaida mit Saddam Hussein in Verbindung bringen?‘ Er sagte: ‚Nein, nein, da ist nichts Neues in der Richtung, sie haben einfach die Entscheidung getroffen, Krieg mit dem Irak zu führen!‘ Er sagte: ‚Ich schätze mal, es ist so, dass wir nicht wissen, was wir wegen der Terroristen machen sollen (…) aber wir haben ein gutes Militär und wir können Regierungen platt machen!‘ Er sagte: ‚Ich schätze, wenn das einzige Werkzeug ist, was man hat, ein Hammer ist, jedes Problem aussehen muss wie ein Nagel.‘
Ich kam einige Wochen später zurück, um ihn wieder zu sehen, als wir bereits Afghanistan bombardierten und … ich sagte: ,Werden wir immer noch Krieg gegen den Irak führen?’ Und er sagte: ,Oh es ist noch schlimmer, als das!’ Er griff unter seinen Schreibtisch, nahm ein Papier hervor und sagte: ,Ich hab das gerade von unten bekommen, vom Verteidigungsministerium, und das ist ein Memo, (…) das beschreibt, wie wir sieben Länder innerhalb von fünf Jahren ausschalten, (…) angefangen mit dem Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und schlussendlich Iran‘“(1).
„Der Krieg in Afghanistan wurde lange vor dem 11. September geplant“, erklärte auch Patrick Martin in einem Netzbeitrag am 20. November 2001. Er schrieb:
„Aus Insiderberichten, die in britischen, französischen und indischen Medien erschienen, geht hervor, dass Vertreter der amerikanischen Regierung Afghanistan bereits im Sommer dieses Jahres einen Krieg angedroht haben. In diesem Rahmen, so die Berichte, sei bereits im Juli angekündigt worden, dass ‚die Militäraktion gegebenenfalls vor dem ersten Schnee in Afghanistan, spätestens Mitte Oktober stattfinden werde‘. Tatsächlich begann die Bush-Regierung am 7. Oktober mit der Bombardierung des bedauernswerten verarmten Landes. Die Bodenangriffe der Sondereinsatztruppen der USA begannen am 19. Oktober.
Die Kommentatoren der amerikanischen Fernsehsender und großen Tageszeitungen feiern den schnellen militärischen Sieg über das Talibanregime als unerwarteten Glücksfall. Sie lenken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von der offenkundigen Schlussfolgerung ab, die jeder ernsthafte Beobachter aus den Ereignissen der vergangenen zwei Wochen ziehen muss: Der rasche Sieg der von den USA unterstützten Verbände lässt auf eine sorgfältige Planung und Vorbereitung von Seiten des amerikanischen Militärs schließen, die bereits lange vor den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon eingesetzt haben muss.
Der offizielle amerikanische Mythos besagt, dass nach der Entführung von vier Passagierflugzeugen und der Ermordung von nahezu 5.000 Menschen ‚nichts mehr wie vorher‘ gewesen sei. Die militärische Intervention der USA in Afghanistan wurde nach dieser Lesart in weniger als einem Monat hastig improvisiert. Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz behauptete in einem Fernsehinterview vom 18. November sogar, dass die Planung des Militärangriffs nur drei Wochen beansprucht habe“ (2).
Mit anderen Worten: Der Angriffskrieg der USA gegen Afghanistan war lange geplant, wurde durch den Terroranschlag am 11. September 2001 endlich gerechtfertigt und international vertretbar, und war damit zur „Selbstverteidigung“ und legitim geworden. Und Deutschland sprang natürlich sofort zur Seite.
Am 16. November 2001 beschloss der Bundestag mit der Kanzlermehrheit von SPD und GRÜNEN als „konkrete Maßnahmen des Beistands für die Vereinigten Staaten, zu denen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zählen" (3).
Allerdings war diese Hilfe von den USA gar nicht angefordert worden. Der Spiegel schrieb am 04. September 2011 in einem Artikel:
„Die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg war zu keinem Zeitpunkt zwingend. Stattdessen hat die damalige Bundesregierung den USA militärische Hilfe aufgedrängt. Das ergeben umfangreiche Recherchen des SPIEGEL, die zehn Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 einen neuen Blick auf den bis heute andauernden deutschen Einsatz in Afghanistan erlauben“ (4).
Gegen das Grundgesetz
Die Bundesregierung, und insbesondere die Fraktion der GRÜNEN, drängte offensichtlich förmlich danach, endlich wieder bei einem Krieg mitspielen zu dürfen. Allerdings wieder — einmal mehr — auch im Widerspruch zum Geist des Grundgesetzes.
„Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art 26.1: Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“
Folgerichtig erstellten Menschen, die das Grundgesetz noch ernst nahmen, Anzeige gegen die Bundesregierung. Das Neue Deutschland schrieb über das „Kasseler Forum für den Frieden e.V.“:
„Die Begründung der Strafanzeige stützt sich auf Medienberichte, denen zufolge sich die Bundesregierung einem Krieg gegen Afghanistan anschließen wolle, also gegen ein Land, das selbst weder Deutschland noch irgendein anderes Land angegriffen hat. Es liege auch kein Mandat der UNO für diesen Krieg vor. Die Begründung der bisher kriegführenden Länder laute zwar, Afghanistan liefere eine Person nicht an die USA aus, von der behauptet wird, dass sie dort ein Verbrechen begangen hat.
Inzwischen werde aber offen gesagt, weitere Kriegsziele seien die Beseitigung einer bestimmten Regierung und einer bestimmten Staatsordnung.
Andere Informationen deuteten darauf hin, dass der Krieg auch zur Absicherung künftiger Ölgeschäfte geführt wird“(5).
Noch einmal, damit es deutlicher wird: Die USA, und mit ihr im Verbund Deutschland, stürzen ein Land in einen zerstörerischen, seit mittlerweile 18 Jahren andauernden Krieg, weil es sich angeblich weigerte, eine Person auszuliefern. Nebenbei will man die Regierung und die Staatsordnung beseitigen. Vergleichen wir das mit dem privaten Recht. Jemand hat mich geschlagen, sogar verwundet. Daraufhin gehe ich zu dem Haus, in dem er lebt und, als der Besitzer ihn nicht ausliefert, zünde ich das Haus an, ermorde den Besitzer und mache mich mal eben selbst zum Verwalter des Objektes.
Ich denke, dass dies ein klarer Fall von Exzessiv-Notwehr wäre, für das man strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten hätte. Aber bei Verstößen gegen das Völkerrecht würde man eine Gewaltenteilung im Staat benötigen, um Politiker für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen. Und die gibt es leider in Deutschland nicht (6). Weshalb auch die Anzeige wirkungslos blieb.
Kollateralschäden
Und wie in jedem Krieg kam es auch zu durch deutsche Soldaten zu verantwortenden Massakern an Zivilisten, wie zum Beispiel bei dem Fall von 140 Toten bei Kundus. Ein deutscher Offizier hatte den Befehl zu einem Luftangriff auf gestohlene Tanklastwagen gegeben, aus Angst, sie würden für einen Anschlag gegen die Soldaten missbraucht werden.
„Gemäß den Allgemeinen Bestimmungen für die Vorgangsweise bei Einsätzen und Standardoperationen — das Militär kleidet Scheußlichkeiten gerne in die Sprache von Handbüchern — durften die Tankwagen nicht angegriffen werden. Erstens waren keine NATO-Truppen am Schauplatz. Zweitens reicht ein einzelner Informant nicht aus, um einen Angriff auszulösen. Und drittens war es kein ,zeitsensitives‘ Ziel, das heißt keines, das sich irgendwohin bewegte. Die Tanklaster waren schon seit vier Stunden festgefahren.
(Oberst Georg) Klein jedoch blieb bei seiner Anforderung eines Luftangriffs, sogar nachdem die F-15-Piloten ihn aufgefordert hatten, zu bestätigen, dass deutsche Kräfte im Spiel waren und die Tankwagen eine ,unmittelbare Bedrohung‘ darstellten. Auf seine Bestätigung dieser beiden Punkte hin warfen die Flugzeuge zwei GBU-38 radargesteuerte Bomben ab, jede mit einem 500-Pfund-Sprengkopf. Das Ziel löste sich in einem riesigen Feuerball auf“ (7).
Aber nicht nur derartige Verbrechen gehen aufs Konto der Besatzungsmächte in Afghanistan. Ein von dort zurückkehrender Offizier berichtete, wie die Bundesregierung Warloards und Drogenbarone bezahlte, damit diese sich um die Sicherheit der deutschen Truppen kümmerten. Bei Heise konnte man im März 2018 lesen, dass schon unter Premierminister Hamid Karzai begonnen worden war, Warlords in die Regierung einzubinden, was Korruption und Willkür in der Regierung beflügelte. Der Warlord Atta Mohammad Noor wurde zwar als Gouverneur von der Zentralregierung abgesetzt, aber er ignorierte die Entscheidung; sein Warlord-Kollege Abdul Raashid Dostum wurde sogar zum Vizepräsidenten gemacht (8).
Der 2001 sicher auch nicht rein „demokratisch“ an die Macht gekommene Karzai versuchte 2013, zumindest den Anschein einer Rechtsstaatlichkeit in Afghanistan durchzusetzen, indem er zum Beispiel gegenüber der amerikanischen Sicherheitsberaterin Susan Rice forderte, „Er werde nur unterschreiben, (…) wenn die US-Truppen künftig darauf verzichteten, in afghanische Wohnungen und Häuser einzudringen und Zivilisten zu töten. Außerdem erwarte er von den USA Unterstützung bei seinen Bemühungen um Friedensverhandlungen mit den Taliban“ (9). Damit fiel er in den USA in Ungnade.
In einem Interview erklärte er 2017 dazu:
„Der zentrale Grund für meine Ablehnung der Unterzeichnung des ‚Bilateral Security Agreement‘ (BSA) war, dass ich darauf bestand, dass die USA den Frieden in Afghanistan garantieren, was sie aber nicht getan haben. Aus diesem Grund habe ich meine Unterschrift verweigert und mich dagegen entschieden. Die primäre Bedingung, die ich an die USA stelle, ist, Afghanistan Frieden zu bringen. Afghanistan darf nicht dazu missbraucht werden, um gegen die Nachbarn Afghanistans und die Region im Allgemeinen vorzugehen. Afghanistan sollte ein Ort der regionalen Kooperation sein und nicht Schauplatz der Konfrontation ausländischer Mächte“ (10).
Blühender Drogenanbau
Das einzige, das durch den Krieg und die Besatzung Afghanistans blühte, war der Drogenanbau, den die Taliban vor der Invasion aus religiösen Gründen fast gänzlich unterbunden hatten. 2013 zum Beispiel wurde von einer Zunahme der Rauschgiftproduktion um 30 Prozent berichtet. 5.500 Tonnen Opium wurden produziert, was eine Steigerung von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr ausmachte (11). 2017 war das von den NATO-Ländern besetzte Afghanistan der größte Exporteur von Schlafmohn, der zu Heroin, Opium und anderen Opiaten raffiniert wird.
80 Prozent des Weltmarktbedarfes wird inzwischen von Afghanistan abgedeckt. Und natürlich sind die Taliban dafür verantwortlich, nur nicht der heldenhafte Westen. Im Jahr 2019 werden es wohl 90 Prozent sein. Die Nachdenkseiten haben den erneuten Aufschwung des Drogenanbaus, ausgelöst durch den Angriffskrieg der NATO einschließlich Deutschlands, wie folgt erklärt:
„Im Sommer 2000 ging daraus eine der erfolgreichsten Anti-Drogen-Kampagnen der Welt hervor. Mullah Omar, der damals unter anderem auch auf Drängen der UN handelte, erklärte den Anbau von Drogen offiziell als ‚unislamisch‘ und verbannte ihn. Das Verbot zeigte sich innerhalb kürzester Zeit als äußerst effektiv. Im Jahr 2001 erreichte der Opiumanbau in Afghanistan einen Tiefpunkt von rund 200 Tonnen. In manchen Gegenden, etwa der südöstlichen Provinz Helmand, die einst zu den ertragreichsten Provinzen des Landes gehörte, wurde sogar nichts mehr produziert. Nur auf 8.000 Hektar wurde Opium angebaut. (…)
Als ein Jahr später der Einmarsch der NATO begann, änderte sich dies abrupt. Die Taliban wurden gestürzt und plötzlich florierte der Opiumanbau am Hindukusch von neuem. Jahr für Jahr werden neue Rekordzahlen verzeichnet. Laut UN wuchs im Jahr 2016 die Fläche zum Anbau vom Schlafmohn um zehn Prozent auf 201.000 Hektar, was das dritthöchste Niveau seit mehr als zwanzig Jahren darstellt. Demnach stieg die Opiumproduktion um 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 4.800 Tonnen wurden 2016 produziert. 2015 waren es ‚nur‘ 3.300 Tonnen. Viele Beobachter machen hierfür den parallel stattfindenden Taliban-Vormarsch im Land verantwortlich. Die Wurzel des Problems wird dabei allerdings übergangen. Der US-Historiker Alfred McCoy, der thematisch wohl zu den weltweit besten Kennern gehört, analysiert treffenderweise, dass ein Großteil der Instabilität in Zentralasien das Erbe des verdeckten Afghanistankrieges der CIA in den 1980er-Jahren sei“ (12).
McCoy führte aus, dass die Explosion des Opiumanbaus nach 2001 darin begründet war, dass die Invasionskräfte wieder mit den Drogenfürsten zusammenarbeiteten, mit denen sie schon gegen die Sowjetunion paktiert hatten. Diesmal halfen diese ihnen dabei, die Bedrohung durch die Taliban zu reduzieren. Gleichzeitig wurden Milliarden für Bomben, aber im Vergleich dazu praktisch nichts unternommen, um die durch den Bombenkrieg vollkommen zerstörte Agrarwirtschaft zu erneuern. Von kleinen Feigenblattinitiativen, die eine vollkommen überproportionale Medienbeachtung erhielten, abgesehen.
„Ende 2011 meinte Yousef Ali-Waezi, ein Regierungsbeamter und Berater Karzais, dass britische Soldaten maßgeblich am afghanischen Drogenhandel beteiligt seien. Konkret hob Ali-Waezi hervor, dass die stationierten Briten in Helmand den dortigen Anbau nicht nur tolerierten, sondern auch förderten“ (13).
Kampf für die Frauenrechte
Dann waren da noch die Frauenrechte. Jean Bricmont schrieb dazu auf Voltairnet.org:
„Diejenigen, die die NATO gerufen haben, um ‚den Fortschritt für afghanische Frauen zu pflegen‘ wie es Amnesty International (USA) auf dem NATO-Treffen in Chicago (…) gemacht hat, rufen in der Tat die EU auf, militärisch einzugreifen und unter anderem, afghanische Zivilisten zu bombardieren und Drohnen nach Pakistan zu schicken. Es hat keinen Sinn, sie aufzufordern, zu schützen und nicht zu bombardieren, weil es so ist, wie das Militär arbeitet.“
Im Dezember 2018, nach 17 Jahren Krieg „zur Befreiung der Frauen Afghanistans“ titelt die Time: „,Wir sind alle in diesem Land mit Handschellen gefesselt‘. Warum Afghanistan immer noch der schlimmste Ort für eine Frau ist“ (14).
Der Artikel beschreibt, dass „wie in allen vom Krieg zerrütteten Gesellschaften“, die Frauen am meisten leiden. Trotz der Bemühungen der Regierung und internationaler Geldgeber, Mädchen eine Schulbildung zu ermöglichen, gehen geschätzte zwei Drittel der jungen Frauen nicht zur Schule. 87 Prozent der afghanischen Frauen können nicht lesen oder schreiben, und 70 bis 80 Prozent werden nach wie vor in eine Ehe gezwungen, viele noch im Alter unter 16 Jahren. Der Artikel schließt zynisch:
„Der September-Bericht einer Überwachungsorganisation nannte das 280-Millionen-Dollar-Förderprogramm — die größte einzelne Investition, welche die US-Regierung jemals zur Förderung der Frauenrechte weltweit ausgab — einen Flop und Verschwendung von Steuergeldern“ (15).
Zynisch, weil für viele Mädchen und Frauen durch den Angriffskrieg der USA ganz andere Probleme entstanden waren, als zur Schule gehen zu können.
Bilanz des Krieges
Dieser Krieg gegen ein Entwicklungsland dauert nun seit 18 Jahren an. Weit über hunderttausend Menschen wurden getötet, wertvolle historische Stätten und jahrtausendealte Bewässerungsanlagen wurden zerstört. Es ist es der längste Krieg der USA seit dem Vietnamkrieg und er wird, wie dieser, mit dem Abzug der geschlagenen Aggressoren, zu denen dann auch Deutschland gehört, aus einem verwüsteten Land enden.
Afghanistan wird in die Geschichte eingehen, als das Land, in dem die meisten Kriegsverbrechen des 21. Jahrhunderts durch die Angreifer und Besatzungstruppen begangen wurden. Das klassische Video über die Tötung von Menschen auf Grund von Schatten wie in einem Videospiel, unter dem Lachen der Mörder, mit dem Namen Collateralmurder wurde circa 20 Millionen Mal aufgerufen und führte zum Durchbruch der Whistleblower-Seite WikiLeaks (16).
Wären es nicht Fotografen von Reuters gewesen, auf die kaltblütig, auch am Boden liegend, noch geschossen wurde, hätte wohl niemand danach gefragt. Als Helfer versuchen die Verwundeten zu evakuieren, werden auch die Helfer erschossen.
Wikipedia vermerkt lakonisch, dass die Anzahl gestorbener afghanischer Soldaten und Aufständischer unbekannt ist, und dass offizielle Angaben zu zivilen Opfern nur unvollständig vorliegen. Zu brutal könnte das Erwachen sein, sollten alle Zahlen auf den Tisch kommen, denn vergessen wir nicht: Seit den Nürnberger Prozessen ist derjenige, der einen Angriffskrieg beginnt, auch für die Toten zumindest mitverantwortlich, die von der Gegenseite verursacht werden.
„Der Krieg in Afghanistan hat die International Security Assistance Force (ISAF) und die USA zwischen 2003 bis 2014 gut eine Billion Dollar gekostet. Mehrere hundert Milliarden Dollar an Kosten werden noch nachkommen. Auf jeden Fall lässt sich festhalten: Über eine Billion Dollar sind in den Afghanistankrieg investiert worden“ (22).
Im Februar 2019 wurde ein Forschungsbericht aus dem Jahr 2017 veröffentlicht. „Leben nach Afghanistan — Die Soldaten und Veteranen der Generation Einsatz der Bundeswehr“. Dort heißt es auf Seite 28:
„Etwa ein Viertel (27 Prozent) der Befragten ist hingegen davon überzeugt, dass der Einsatz der Bundeswehr letztendlich nutzlos gewesen ist, da er zu keinen grundlegenden Verbesserungen beigetragen hat. Weitere 26 Prozent der Befragten stimmen dieser Aussage teilweise zu“ (17).
Mir persönlich ist kein einziger Veteran begegnet, der im vertraulichen Gespräch erklärte, dass er den Einsatz in Afghanistan als erfolgreich beurteilt. Allerdings sollte ich hinzufügen, dass ich wohl nur eine selektive Auswahl an Soldaten sprach.
Dabei ist es keineswegs so, dass die Bundesregierung nicht gewarnt worden wäre. Kenner der Region wie der bekannte Autor Peter Scholl-Latour, aber auch ARD-Korrespondenten, die dann leider plötzlich vom Bildschirm verschwanden, und die üblichen verdächtigen Kriegsgegner warnten davor, dieses Land in den Krieg zu stürzen. Stattdessen hätte man ihm eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung erlauben müssen, aus der heraus es selbst in ein paar Jahrzehnten in die Weltgemeinschaft wachsen könnte, welche die Menschenrechtskonvention über die eigene religiöse und kulturelle Geschichte stellt.
Durch den Krieg wurde diese Entwicklung um mindestens 20 Jahre zurückgeworfen. Mit anderen Worten: Wenn in einigen Jahren die Aggressoren USA und Deutschland geschlagen das zerstörte Land verlassen, beginnt erst eine Entwicklung, die ohne Krieg schon vor 20 Jahren begonnen hätte. Schon im Jahr 2016 meldete die German-Foreign-Policy.com, dass seit Beginn des Krieges insgesamt auf allen Seiten über 220.000 Menschen diesem Angriff der USA und Deutschlands zum Opfer gefallen sind.
Aber auch die Kriegsbeteiligung des Bundesnachrichtendiensts lässt sich kaum mit Menschenrechten in Einklang bringen. So leitete der BND Mobilfunkdaten von Terrorverdächtigen in Afghanistan an den US-Militärgeheimdienst NSA weiter (18). Daraus werden Bewegungsprofile erstellt, die dann zur Lokalisierung von vermeintlichen Terroristen und deren Exekution führen, wobei regelmäßig eine größere Zahl von Unbeteiligten ums Leben kommen. Die Bundesregierung hat die Weitergabe der Mobilfunkdaten schon am 24. November 2010 bestätigt und dies bisher nicht widerrufen. Die Tatsache, dass solche gezielten Tötungen für die Bundesregierungen Deutschlands kein Problem sind, spricht für sich und gegen die Sonntagsreden über Menschenrechte.
„(…) Kai Ambos, Richter und Juraprofessor an der Universität Göttingen, (hat) nach der Tötung Osama bin Ladens bekräftigt, auch Terroristen hätten ein Recht auf ein reguläres Gerichtsverfahren. Würden sie ohne ein solches umgebracht, müsse ihre Tötung als ‚eine extralegale Hinrichtung‘ gewertet werden, also als ein Verbrechen, für das im Allgemeinen berüchtigte ‚Unrechtsstaaten vor Menschenrechtsgremien angeklagt‘ würden. Versage der Westen seinen ‚terroristischen Feinden jegliches Lebens- und Menschenrecht‘, dann mache er sich praktisch ‚mit ihnen gemein‘“ (19).
Gemäß German Foreign Policy erklärte die Bundesregierung jedoch, dass „feindliche Kämpfer“ auch außerhalb von Feindseligkeiten getötet werden dürfen. Damit werden außergerichtliche Hinrichtungen legalisiert, wenn man die Getöteten zu „feindlichen Kämpfern“ erklärt. Leider ist der volle Umfang der Verbrechen, an denen Deutschland beteiligt ist, kaum abzuschätzen, denn wichtige Informationen werden vor den Augen der Öffentlichkeit geschützt.
Aufklärung könnte zum Beispiel ein Geheimabkommen geben, in dem die NATO-Staaten sich nach Ausrufung des Bündnisfalles im Oktober 2001 zur Unterstützung des „Kriegs gegen den Terror“ zusammengefunden hatten. In diesem Dokument könnte man vermutlich den Grad der Beteiligung Deutschlands an Spionage, Verschleppung von Verdächtigen, gezielten Tötungen sowie an anderen Maßnahmen erkennen. Aber zurück zu Afghanistan:
„Die Zahl der afghanischen Flüchtlinge wird von den Vereinten Nationen aktuell (Anmerkung: 2016) auf 1,1 Millionen geschätzt — mit steigender Tendenz. Wichtigster Wirtschaftszweig ist weiterhin der Opiumanbau; 39,1 Prozent der Afghanen leben nach nationalen Standards in Armut, 2,7 Millionen sind unterernährt“ (20).
Mujahedin und Taliban — die Geister, die ich rief …
Ironie der Geschichte: Die Taliban, die nach 2001 bekämpft wurden, waren ideologisch eng mit den Mujahedin verwandt, welche in den 1980er Jahren von Deutschland im Kampf gegen die Sowjetunion unterstützt wurden. So hatte der BND Seite an Seite mit den USA die ultrakonservativen, teils jihadistischen Mujahedin ausgebildet und unterstützt.
„Im damaligen Stellvertreterkrieg sprangen einzelne Soldaten der Bundeswehr — offiziell hatten sie dafür Urlaub genommen — den Mujahedin bei, etwa als Sanitäter; diverse ,Gotteskrieger‘, wie man sie damals nannte, erhielten Ausbildung durch den BND oder auch durch die Grenzschutz-Spezialtruppe GSG 9. Der BND lieferte Winterkleidung sowie Nachtsicht- und Minensuchgeräte; die Aufständischen wurden mit Spionageerkenntnissen bundesdeutscher Stellen vor allem über Bewegungen der afghanischen und der sowjetischen Streitkräfte versorgt.
Einige bundesdeutsche Elitesoldaten seien sogar mit den Mujahedin durch die afghanischen Berge gezogen und dabei gelegentlich in ,Feindkontakt‘ geraten, berichtet ein Teilnehmer der damaligen Bundeswehr-Operationen.(…) Offiziell dienten die deutschen Maßnahmen der ,Befreiung‘ des Landes vom Kommunismus; faktisch blieb Ende der 1980er Jahre ein auch mit Hilfe bundesdeutscher Militärs und Agenten weithin zerstörtes Land zurück“ (21).
Auch dank der Kriegsbeteiligung Deutschlands, zuerst auf Seiten der Aufständischen gegen eine kommunistische Regierung, dann gegen die Sieger, die nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regierung das Land zum großen Teil unter ihre Kontrolle gebracht hatten, befindet sich Afghanistan seit nunmehr 37 Jahren fast ununterbrochen im Krieg. Mit katastrophalen Folgen für die Entwicklung des Landes und besonders die Zivilbevölkerung.
Vorschau
Im nächsten Artikel wird über die Beteiligung Deutschlands am Angriffskrieg gegen den Irak berichtet werden. Was Sie bisher vielleicht noch nicht wussten, könnte Sie allerdings möglicherweise verunsichern.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Ca. Min. 0:13 bis 1:49 https://www.youtube.com/watch?v=FOBLWGASHhk
(2) http://www.ag-friedensfor-schung.de/themen/Terrorismus/martin.html
(3)) http://www.bits.de/public/documents/US_Terrorist_Attacks/010811_kanzler_rede.pdf
(4) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/einsatz-am-hindukusch-deutschland-draengte-sich-fuer-afghanistan-krieg-auf-a-784255.html
(5) https://www.neues-deutschland.de/artikel/7935.strafanzeige-wegen-angriffskrieg-auf-afghanistan.html
(6) https://www.nibe-versand.de/Ebooks/Politicum-Illustrati-Finis-Germania-oder-Deutschlands-Demokratie-ist-verloren::105.html
(7) http://antikrieg.com/aktuell/2009_10_03_deutschlands.htm
(8) https://www.heise.de/tp/features/Ohne-Plan-und-Perspektive-Mehr-deutsche-Soldaten-fuer-den-Irak-und-Afghanistan-3987018.html?seite=all
(9) http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Afghanistan/vertrag3.html
(10) https://www.berliner-zeitung.de/politik/frueherer-afghanischer-praesident--die-usa-sind-eine-huerde-fuer-den-frieden--28951310-seite2
(11) http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Afghanistan/opium4.html
(12) https://www.nachdenkseiten.de/?p=35838
(13) Ebd.
(14) http://time.com/5472411/afghanistan-women-justice-war/
(15) Ebd.
(16) https://collateralmurder.wikileaks.org/
(17) http://www.zmsbw.de/html/einsatzunterstuetzung/downloads/20190221forschungsberichtseifferthesslebennachafghanistan.pdf
(18) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58661
(19) Ebd.
(20) https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7081/
(21) Ebd.
(22) https://www.heise.de/tp/features/Vom-Irr-und-Widersinn-des-Krieges-in-Afghanistan-3373529.html