Ein blinder Fleck
Unmittelbar nach dem offiziellen Ende des Kalten Krieges, 1990, veröffentlichte ich ein Buch, das sich aus demokratietheoretischer und sozialpolitischer — also praktischer — Sicht mit dem Problem der Wirtschaftskriminalität auseinandersetzte. In einer Rezension des SPIEGEL (1) hieß es dazu, ich sei auf der Suche nach Fachliteratur zu diesem Thema „auf einen ‚blinden Fleck’ in der Wissenschaft gestoßen“. Trotz einer Springflut von Büchern über politische und Wirtschaftsverbrechen fände man an systematischen Untersuchungen dazu fast nichts.
„Ob Flick-Skandal, die Affäre um das Gewerkschaftsunternehmen Neue Heimat oder Waffenschiebergeschäfte“, so fasste der Rezensent vor fast 30 Jahren die Ergebnisse meiner Forschung zusammen, wird das Problem „von den wissenschaftlichen Experten systematisch unterschlagen". Eine mögliche Erklärung: „Offensichtlich bremsen Tabus den Forschungseifer.“
Hätte sich das geändert, wäre es heute, da es fast normal ist, aus den Tagesnachrichten zu erfahren, dass Steuerfahnder und Staatsanwaltschaften Banken, Bau-, Pharma-, Autokonzerne durchsuchen und Topmanager in U-Haft sitzen, wohl kaum erwähnenswert.
Das ist organisiertes Desinteresse
Als ich 1999 das in den USA erschienene Buch „Corporate Predators — The Hunt for Mega-Profits and the Attack on Democracy“ las, stieß ich auf einen Bericht über die Kriminologenkonferenz, die ein Jahr zuvor in Washington DC anlässlich des 50jährigen Bestehens der „American Society of Criminology“ stattgefunden hatte. Berichterstatter Russel Mokhiber, Herausgeber des „Corporate Crime Reporter“, und Robert Weissman, Herausgeber des „Multinational Monitor“, machten darin öffentlich, dass sich auf dieser Konferenz nicht einmal zehn der über 500 Einzelveranstaltungen mit Problemen der „Weiße-Kragen-Kriminalität“ befassten, die damals schon bevorzugt als Konzern-Kriminalität (Corporate Crime) bezeichnet und als eine der gefährlichsten Kriminalitätsformen eingeschätzt wurde.
Auf dieser Konferenz in Washington lieferte die kanadische Soziologieprofessorin Laureen Snider dazu das passende Referat. Überschrift: „Die Kriminalsoziologie: Ein Nachruf.“ Ja: Ein Nachruf. Soweit mochte ich damals — trotz meiner eigenen enttäuschenden Erfahrungen — nicht gehen, und möchte es auch heute nicht. Doch die Professorin konstatierte (und heute, nochmals zwei Jahrzehnte später, ist es mit gründlicher Zeitungslektüre, Internetrecherche und Einblicke in Kriminalstatistiken für jeden überprüfbar), die Konzernkriminalität nimmt seit Jahren rund um den Globus zu, und dennoch verzeichnet die akademische Erforschung dieser Verbrechen durch die Sozialwissenschaften einen rapiden Rückgang.
Dies fällt vor allem auf, weil Wirtschaftsstraftaten es schon seit Jahren immer häufiger sogar auf die Titelseiten wirtschaftsfreundlicher Zeitungen schaffen. Wo sind die investigativen Journalisten oder kritischen Professoren, wo die Intellektuellen, die den Rückzug der Kriminalwissenschaften in teils völlig belanglose Randgebiete der Alltags- oder der zwar wichtigen, aber die Banken als Geldwaschanlagen ausklammernden Drogenkriminalität öffentlich anprangern? Und zwar so laut und nachhaltig, bis sich eine Wende abzeichnet. Natürlich stellt sich auch die Frage, welche Rolle bei dieser Entwicklung die zunehmende Abhängigkeit der Bildung und Forschung von privaten Sponsoren und Unternehmen spielt. Doch davon weiter unten.
In dem genannten Referat verwies Professorin Laureen Snider noch auf eine andere Tatsache. Sie ist vielleicht von noch viel größerer Bedeutung: Wenn Sozialwissenschaftler sich schon entschließen, doch in diesem heiklen Bereich zu forschen, erforschen sie meist nicht Verbrechen der Wirtschaft, sondern Verbrechen gegen die Wirtschaft. Als Beispiel nannte sie Untersuchungen über den „Zeitdiebstahl“, den Arbeitnehmer am Unternehmen begehen, indem sie Frühstückspausen überziehen, private Telefonate führen oder während der Arbeitszeit im Netz herumsurfen.
Tatsächlich findet man — diesem Denken entsprechend — fragwürdige Definitionen von Wirtschaftskriminalität. Eine der gefährlichsten lautet: Zur Wirtschaftskriminalität zählt, was der Wirtschaft schadet.
Muss man da nicht auf das Schlimmste gefasst sein? Dass nämlich schon bald irgendwelche Sozialpartnerschaftsideologen den Mehrheitsparteien des von Kapitalisten wie Donald Trump regierten Staates verordnen, Streiks, Wirtschaftskritik oder gar die Steuerfahndung als Wirtschaftskriminalität zu verstehen und wegen Schädigung der Wirtschaft strafrechtlich verfolgen zu lassen?
Jüngstes Beispiel ist die Anklage der Schweizer Justiz gegen den deutschen Rechtsanwalt Eckart Seith, der die ihm bekannt gewordenen CUMEX-Verbrechen an die deutschen Behörden weitergeleitet und so einen Sieg für seinen um Millionen betrogenen Mandanten errungen hat. Wenn nicht die Wirtschaftskriminellen, sondern diejenigen der Strafverfolgung ausgesetzt sind, die die Wirtschaftsverbrechen zur Anzeige bringen, steht die soziale Rechtsstaatlichkeit auf dem Kopf. Zwar hat ein Zürcher Gericht inzwischen den Anwalt vom Vorwurf der Wirtschaftsspionage freigesprochen, aber er wurde „wegen Anstiftung zu einem Verstoß gegen das Bankengesetz“ zu einer Geldstrafe mit Bewährung verurteilt.
Die kanadische Kriminalsoziologin dachte, es sei die Aufgabe ihrer wissenschaftlichen Disziplin, die kriminelle Vergiftung unserer Umwelt, die Herstellung und den Verkauf gefährlicher, ja tödlicher Pharmapräparate durch Chemiekonzerne oder das illegale „Union-Bashing“ der Großunternehmen, also deren diverse Maßnahmen zur Zerstörung des gewerkschaftlichen Einflusses auf Arbeitnehmer und Gesellschaft, zu erforschen. Ist es nicht Plicht der Wissenschaften, die Öffentlichkeit vor den sozialen, ökologischen und politischen Folgen von Verbrechen zu warnen und Lösungen anzubieten? Auch von Verbrechen der Wirtschaftseliten?
Wie anders als auf Grundlage unabhängig gewonnener und allgemein überprüfbarer wissenschaftlicher Erkenntnisse lassen sich im Zeitalter nahezu absoluter Abhängigkeit der Wirtschaft, der Verbraucher, der Behörden, der Gerichte von den Experten der verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen noch wirksame Maßnahmen gegen übermächtige Wirtschaftsstraftäter durchsetzen? Von der Wirtschaft unabhängige Wissenschaften und Wissenschaftler gehören seit langem schon zu den tragenden Säulen aufgeklärt demokratischer Sozialordnungen.
Weder Regierungshandeln noch Wirtschaftsstrafgesetze, nicht einmal mehr Gerichtsurteile gegen Wirtschaftskriminelle, sind heutzutage, wo riesige Anwaltskanzleien, die Unternehmer verteidigen, überlastete Richter das Fürchten lehren, ohne wissenschaftliche Expertisen vorstellbar.
Jeder weiß, dass in kapitalistischen Demokratien Gerichtsurteile nicht mehr im Namen Gottes, sondern im Namen des Volkes gefällt werden. Aber müssten sie nicht — wie gegenwärtig an den vor Gerichten ausgetragenen Kämpfen zwischen Automobilindustrie, Verbrauchern und Politik um das Dieselfahrverbot studiert werden kann — längst im Namen der Wissenschaft ausgesprochen werden?
Doch wer beantwortet uns die Frage: Wie abhängig von der Konzernwirtschaft ist eigentlich der freiheitlich-demokratische Wissenschaftsbetrieb? Ja der Staat? Das zu wissen wäre mindestens so wichtig wie die heute relativ leicht zu beantwortende Frage, welcher Abgeordnete, Staatssekretär oder Minister in welches Unternehmen wechselt und zum Lobbyisten wird. Aber ich kenne keine wissenschaftlichen Studien, die das Problem der Abhängigkeiten relevanter Wissenschaften und Wissenschaftler von der Geldaristokratie, von Banken und Beratungskonzernen, die sich zugleich als Wirtschaftsprüfer betätigen, konzernkritisch erforschen.
Die Wissenschaft am Tropf der Wirtschaft
Eine von mir initiierte und von der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Business Crime Control (BCC) durchgeführte Fachkonferenz unter der Überschrift: „Wissenschaft am Tropf der Wirtschaft“ unternahm 1999 den ersten Versuch, diese Frage in die Hochschulen hineinzutragen. Obgleich daran Wissenschaftler wie der Atomphysiker Klaus Traube und der Träger des „Alternativen Nobelpreises“ Hermann Scheer, außerdem viele andere namhafte Experten, Staatsanwälte, Anwälte, Toxikologen, aber auch Contergan- und Dioxin-Opfer, also Opfer von Wirtschaftsverbrechen, teilnahmen, wurde die Konferenz von der Hochschulleitung trickreich zu verhindern versucht. Als ich sie dann trickreich doch durchsetzen konnte, wurde sie von allen Printmedien, Radio und Fernsehen, totgeschwiegen.
Hier hätten die Medien die geballte Kompetenz als Gesprächspartner darüber befragen können, was allein im Bereich des Gutachter-Unwesens, der so genannten Expertisen, zum Beispiel für die Leistungen der Berufsgenossenschaften, für Arzneimittelzulassungen, wo es um sehr viel Geld geht, an sozialschädlicher Wissenschaftswillkür möglich ist. Nebenbei bemerkt: Auch über alle anderen von Business Crime Control seit 1995 jährlich veranstalteten Konferenzen wurde in den Medien nicht berichtet, obwohl sie immer eingeladen wurden und auch etablierte Journalisten öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten als still teilnehmende Beobachter gesehen wurden.
Der Mehrheitsgesellschaft, zu der ja auch Wähler gehören, war also lange Zeit gar nicht bekannt, welche Gefahren ihnen durch jene aggressiven Kapitalstrategen drohen, die sich nicht nur einzelne Wissenschaftler, sondern ganze Universitäten kaufen oder eigene wissenschaftliche Institutionen gründen.
Der Moralist Carl Amery meinte schon im Vorwort zu dem 1994 erschienenen, von Friedhelm Schmithals und der Wissenschaftsjournalistin Antje Bultmann herausgegebenen, bis heute einzigartigen Buch „Käufliche Wissenschaft — Experten im Dienst von Industrie und Politik“: „Die Zeit, in der wir der Wissenschaft auf Anhieb alles geglaubt haben, ist längst vorbei, und vermutlich wird sie nie wiederkehren.“ Er fand das „gut so“.
In diesem Buch wird ein Betriebsarzt des Kernkraftwerks Neckarwestheim — ein Praktiker der Wissenschaft im Dienst der Wirtschaft — zitiert, der in einer öffentlichen Veranstaltung sagte: „Ich kriege immer den richtigen Wissenschaftler mit den ‚richtigen‘ Ergebnissen, wenn ich dafür bezahle“. War das gelogen? Angeberei? Wer sich nur ein wenig auskannte, hat ihm auf Anhieb geglaubt. Schon in meinem Buch „Kapital-Verbrechen“ von 1990 hatte ich unmissverständlich auf die Käuflichkeit von Wissenschaftlern und die Kapitalabhängigkeit ganzer Disziplinen hingewiesen und versucht, den Begriff Wissenschaftskriminalität in die wissenschaftskritische Diskussion einzuführen.
Es gab damals schon und es gibt auch heute reichlich Belege, Wissenschaftskriminalität zumindest als immer wichtiger werdenden Bestandteil der Wirtschaftskriminalität zu verstehen. Heute halte ich es, um eine problemgerechte Erforschung wirtschaftskrimineller Strukturen zu ermöglichen, mehr denn je für unerlässlich, auch zu überprüfen, welche Bedeutung der Wissenschaftskriminalität bei der Planung und Realisierung von Wirtschaftsstraftaten und der Verteidigung von Wirtschaftsstraftätern vor Gericht beizumessen ist.
Doch noch verschließen die verschiedensten Vertreter sozial- und politikwissenschaftlicher Disziplinen vor diesen Problemen die Augen. Über Wirtschafts- und Wissenschaftskriminalität werden sie wahrscheinlich erst gründlich zu forschen und öffentlich zu reden bereit sein, wenn Parteien, Politiker, Gesetzgeber durch öffentlichen Druck dazu gebracht werden, zumindest über strafrechtliche Konsequenzen nachzudenken und die verschiedenen Spielarten des aktiven und passiven Missbrauchs wissenschaftlicher Forschung von kapital- und staatsunabhängigen Wissenschaftlern erforschen zu lassen.
Was tun?
Da nicht nur die Wissenschaften, sondern auch die als regierungsfähig anerkannten Parteien und Parlamentarier am Tropf der Wirtschaft hängen, das heißt nicht unerhebliche Summen sowohl legal als auch illegal für ihre Wahlkämpfe und sonstige Parteiarbeit zugeschanzt bekommen, darf niemand — der über kein oder kein nennenswertes Kapital verfügt — von dieser in freiheitlichen Demokratien eigentlich zuständigen Seite allzu viel erwarten. Es geht aber nicht nur um die Parteienfinanzierung, die man durchaus besser regeln könnte. Es liegt ja auch völlig im Ermessen der Großspender, welchen alten oder auch gerade neu gegründeten Parteien, ob demokratisch oder demokratiefeindlich, sie mit all ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Macht verhelfen.
Noch kein Reicher wurde dafür bestraft, dass er Demokratiefeinde vor seinen Karren spannte.
Es geht also auch darum, dass die Parlamente, Regierungen und Staatsbürokratien — sobald sie ankündigen, Fehlentwicklungen zu korrigieren, zum Beispiel einseitige Begünstigungen der Konzerne per Gesetz abzustellen — mit zum Teil schamlos erpresserischen, wissenschaftsgestützten Kampagnen der Meinungsindustrie jedem Wähler klarmachen, dass solche sozialistischen oder gar kommunistischen Lösungen die Investoren abschrecken oder in wirtschaftsfreundlichere Staaten vertreiben, also gutgemeinte Reformen nichts weiter als größere Arbeitslosigkeit und geringere Wettbewerbsfähigkeit verursachen, im Ernstfall Zustände wie in Venezuela.
Denn selbstverständlich werden Parteien, Parlamente und Regierungen, die die Konzernfreiheiten zum Wohl der Allgemeinheit, durchaus im Rahmen der geltenden Verfassungen, einzuschränken versuchen, als Freiheitsfeinde behandelt, deren Staaten durch Investitionsstreiks, Steuer- und Kapitalflucht sowie Embargos und subversive Einflussnahmen auf die politische Willensbildung zum Umdenken gezwungen, notfalls ausgehungert werden, wie im Mittelalter die belagerten Städte. Am Ende setzen die Freiheitsfreunde auf die rechte Diktatur.
Einzig kapitalismuskritische Massendemonstrationen scheinen noch Wirkung zu versprechen. Und über die neuen Medien sind sie — bisher noch — in der Lage, weltweit Wirkung zu entfalten. Es stellt sich also die Frage, wer denn welchen und nachhaltigen öffentlichen Druck auf Parteien, Parlamentarier und Regierungen zu erzeugen vermag und dazu auch bereit ist. Dazu berufen wären von ihrer Funktion her Gewerkschaften, Sozialverbände, wirtschaftskritische NGOs und Wissenschaftler, die sich für die alten und neuen sozialen Bewegungen zur Verfügung stellen.
Eine der Ikonen der zivilgesellschaftlichen „Widersacher“ der „neuen Herrscher der Welt“ ist der gerade seinen 85. Geburtstag begehende Schweizer Staatsbürger Jean Ziegler. Er glaubt zwar nicht mehr an die Vernunft der Finanzoligarchen und die Reformierbarkeit des Kapitalismus, würde allerdings keinen einzigen Reformer bekämpfen, der auch nur einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu gehen wagt.
Deshalb verweist er immer wieder auf die noch vielen als unbedeutend erscheinenden Anstrengungen all jener, die durch ihre alltägliche Praxis in allen Lebensbereichen, oft unter hohen Risiken und unter Inkaufnahme von Nachteilen am konzerngesteuerten Mainstream vorbei versuchen, alternative Denk- und Lebensweisen zu entwickeln und durchzusetzen.
Auch Thilo Bode, Gründer und Leiter der Verbraucherrechtsorganisation „Foodwatch“, sieht das ähnlich wie Jean Ziegler. Sein 2018 bei S. Fischer erschienenes Buch „Die Diktatur der Konzerne“ belegt nicht nur umfassend und überzeugend, in welch hohem Maß die bestehenden nationalen Demokratien unter die Kontrolle dieser Konzerne geraten sind und dass diese Kontrolle im Zeitalter der Digitalisierung noch einmal potenziert wird. Er sagt auch: „Wir brauchen eine Gegenmacht in der Gesellschaft, die durch gewaltfreien zivilen Widerstand die Machtfrage stellt“ (2).
Hoffnung machen — wie Jean Ziegler — auch ihm die weltweit wachsenden zivilgesellschaftlichen Demonstrationen, die den Konzernen Paroli bieten und Personen und Gruppen stärken, die sich juristisch und politisch gegen die Demontage der sozialstaatlichen Demokratien, die Umweltzerstörung, die Leugner des Klimawandels zur Wehr setzen.
Ich persönlich plädiere dafür, den Weltkonzernen völkerrechtlich den Status von Staaten — nicht in, sondern über — den Staaten zuzuerkennen, den sie faktisch längst haben, und dann deren Parlamentarisierung durchzusetzen, wo immer sie ihre Standorte hin verlagern. Ja, das ist noch unvorstellbar, eine Utopie, aber Konzerne selbst zu Staaten zu erklären und als das zu behandeln, was sie sind, nämlich Diktaturen, wäre demokratietheoretisch und im Sinne einer zeitgemäßen Aufklärung die einzig richtige Alternative zur immer wieder diskutierten und mit antikommunistischen Schreckensbildern verhinderten Verstaatlichung.
Schon im Kampf um dieses Ziel könnten die demokratischen Staaten die Grenzen, die ihnen die Konzerne bisher setzten, überschreiten und die Wähler könnten, ohne um den Verlust ihrer Arbeitsplätze fürchten zu müssen, ihre Stimmen endlich Parteien geben, die ihre Interessen vertreten, ohne die gesamte Volkswirtschaft zu gefährden und als regierungsunfähig denunziert werden zu können. Dann hätten auch die kleinen und mittleren Unternehmen wieder eine Überlebenschance.
Schlussbemerkung
Es ist bemerkenswert, dass weder Jean Ziegler noch Thilo Bode auf die doch auch weltweit operierende Antikorruptionsorganisation Transparency International (TI) setzen. Sie wissen, dass diese NGO 1993 von Weltbankern wie Peter Eigen, Robert McNamara und anderen Politgrößen, aber auch Unternehmern und Konzernen selbst gegründet wurde. TI ist es zu verdanken, dass das Thema Wirtschaftskriminalität mit seiner klaren Fokussierung auf die Verantwortlichen in den Chefetagen der Konzerne, das seit 1991 durch die Gründung von Business Crime Control auf ein erstaunlich großes öffentliches Interesse stieß, vom TI-Thema „Korruption“ nahezu völlig verdrängt wurde.
Denn es lenkte — selbst wenn das nicht beabsichtigt gewesen sein sollte — alle kritischen Blicke ab von der Bestechung durch die Konzerne auf die Bestechlichkeit von Politikern, Abgeordneten, Regierungen und Beamten, auch beamteten Wissenschaftlern. Wer besticht, wird allenfalls mal am Rande erwähnt.
Wer allerdings glaubt, das sei richtig so, wer meint, moralische Appelle an die Konzernchefs und Selbstverpflichtungserklärungen von Managern, sich an Gesetze und Verträge zu halten, genügten, denn es komme doch darauf an, dass Staaten von unbestechlichen Politikern und Parteien regiert und wirtschaftsfreundlichen „Beamten“ verwaltet werden — man dürfe doch der Wirtschaft keine Fesseln anlegen, Investoren nicht abschrecken, weil dies die internationale Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze gefährde —, der sollte einmal darüber nachdenken, ob er nicht selbst schon Opfer der von kapitalabhängigen Wissenschaftlern, Lobbyisten und neoliberalen Journalisten produzierten Konzernideologie ist.
Dass wir Konzernen großartige zivilisatorische Fortschritte verdanken, ist kein Grund, ihre Verbrechen in Wohltaten für die Menschheit umzudeuten, mit fragwürdigen Gutachten zu rechtfertigen oder zu verharmlosen. Nicht nur Staatsgewalten, auch Privatmächte, die in der Lage sind, demokratischen Institutionen und Gesellschaften an Wählermehrheiten vorbei den Willen von Minderheiten aufzuzwingen, müssen demokratischer Kontrolle unterworfen werden.
Quellen & Anmerkungen:
(1) SPIEGEL 23/1991
(2) Thilo Bode: Die Diktatur der Konzerne, S. Fischer 2018, Seite 185