Es ist im Grunde bezeichnend: Wir leben in Zeiten, in denen wir immer weniger das Gespräch zu unseren Mitmenschen suchen. Dialoge sind eine Seltenheit, man hat den Eindruck, dass wir es an fast allen Stellen mit synchron verlaufenden Monologen zu tun haben. Mit Selbstgesprächen, die man nebeneinanderstellt. Was den Anderen bewegt, wie er denkt: Es kümmert uns nicht sonderlich. Dabei wäre das spannend — und es ist die eigentliche Antriebskraft der Debatte.
Kaum wird aber ein solches KI-Programm angeboten, suchen alle das „Gespräch“. Maschine geht also ganz offenbar vor Mitmensch.
Künstliche Intelligenzlosigkeit
Sind wir auf dem Weg in eine glücklichere Zukunft, weil wir von einer vermeintlich objektiv agierenden Intelligenz „an die Hand genommen“ werden? So oder ähnlich konnte man es zumindest wieder mal in den Kommentar- und Wirtschaftsspalten lesen, nachdem die ChatGPT in den Mittelpunkt der Wahrnehmung gerückt war. KI im Klassenzimmer? Kann sie Autoren ersetzen? Überhaupt, in welchen Berufen wird die KI den Menschen ablösen?
Ganz sicher ist man sich nicht. Zwei Meldungen von Spiegel Online, die vom selben Tag stammen, vom 10. Februar nämlich: „ChatGPT scheitert am bayerischen Abitur“ und „ChatGPT meistert Fragen eines US-Medizinexamens“ — was stimmt nun? Unter Umständen sind bayerische Gymnasiasten einfach nur schlauer als amerikanische Medizinabsolventen. Jedenfalls scheint den Kommentatoren klar zu sein: Noch hapert es. Aber an der KI kommen wir nicht mehr vorbei: Was nicht schlimm sein soll, weil sie ohnehin zuverlässiger sei als der Mensch.
Der Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt hat sich kürzlich ebenfalls mit ChatGPT befasst: Kann die KI „Filme schreiben, drehen und analysieren?“ , fragt er.
Er behauptet, dass die Künstliche Intelligenz zwar den Plot eines Filmes wiedergeben könne. Vielleicht gelingt ihr auch noch eine Interpretation, die sie aus den Versatzstücken ihr eingespeister Analysen zusammensetzt. Aber den Geist eines Filmes, den erfasst diese KI nicht. Schmitt bringt Travis Bickle ins Spiel, jenen Taxi Driver, gespielt von Robert De Niro, der Worte an sein Spiegelbild („Are you talking to me?“) richtet: Für eine KI sei das nicht logisch erfassbar — aber wir Zuschauer würden die Gemütslage Bickles verstehen: Gewissermaßen instinktiv, wir können seine Motive menschlich ergründen.
Schmitt spürt dem blinden Fortschrittsglauben nach: Natürlich könne ChatGPT Filme produzieren — erste Produktionen, deren Drehbücher von KI „geschrieben“ wurden, gibt es ja bereits. Sie seien aber wenig beseelt, so wie viele menschlichen Werke unserer an Massenproduktionen reichen Zeit auch. Schmitt fragt zu Recht, ob es denn wirklich so erstrebenswert sei, dass jetzt eine Maschine noch mehr seelenloses Filmwerk herstellt? Haben wir nicht eh zu viel davon? Eines macht Schmitt jedenfalls klar: Seine Filmanalysen — die ich hier mal grundsätzlich ausdrücklich empfehlen möchte — wird ein Bot niemals übernehmen können. Dazu fehlt ihm das, was Schmitt stets anzumerken ist: Herzblut, Sensibilität und Tiefgang.
Analogversteher und Offlineschwurbler
Natürlich haben wir es im Falle einer drehbuchschreibenden KI mit einem recht soften Thema zu tun. Aber es steht exemplarisch für diese Grundfrage: Ist Menschsein, und damit die menschlich bedingte Handlung und Schlussfolgerung, nicht stets von anderen Schwerpunkten getragen als von der reinen Faktenlage? Und das im Guten wie im Bösen? Diese Frage wird wohl kaum jemand verneinen, denn natürlich ist der Mensch irrational, emotional, empathisch oder aggressiv: Und das beeinflusst, wie er reagiert, welche Schritte er geht. Eben auch, wie er einen Film gestaltet oder wie er, so er Lehrer ist, Schülern einen Stoff vermittelt.
Der menschliche Kosmos ist so viel mehr als nur das Verknüpfen von Fakten, Informationsschnipseln und Bewertungen: In ihm spielen sich exklusive Motivationen ab, die eine künstlich erzeugte Intelligenz nicht simulieren kann.
Wird KI bald Menschen medizinisch behandeln? Möglich ist das schon. Aber darf man davon ausgehen, dass sie wie ein empathischer Arzt auch gesundheitliche Nebenschauplätze im Fokus behält, die mit den gerade aktuellen Beschwerden nicht unmittelbar zu tun hat? Wird sie die Versorgungssituation zuhause berücksichtigen? Die familiäre Lage? Die Vorgeschichte mitfühlend verstehen? Lebenszeit und Lebensqualität gegeneinander abwägen können? Gut, ich kenne den Einwand vieler, die die letzten Zeilen so gelesen haben: Welcher Arzt ist denn heute noch so? Wenige — das stimmt. Und daher wird man den Arzt sicher durch einen KI-Doc ersetzen können: Schlechter macht der es auch nicht als der menschliche Kollege.
Vermutlich müssen wir uns die Zukunft wirklich als einen Ort vorstellen, wo mal besser, mal schlechter justierte KI unser Leben in den Griff bekommt. Anders als bei „Terminator“, in dessen Plot die Machtübernahme der Maschinen von Bedeutung ist, wird die KI sich nicht aufschwingen, Herr zu werden — aber sie wird ein strikter Diener sein. Und das menschliche Leben, die Reste an Offenheit und Spontanität, die wir uns als Rasse bewahrt haben, durch klare Vorgaben ausblenden. Einige wenige werden die Entnetzung suchen, den vermeintlichen Fortschritt verweigern:
Hier zeichnet sich die nächste Spaltung ab, die uns als Gesellschaft droht — man wird jene als Analogversteher und Offlineschwurbler diffamieren, als Gefahr für alle, weil sie dem fehleranfälligen Wesen Mensch nachhängen und sich nicht freudig in die Greifzangen der computergesteuerten Intelligenz begeben wollen.
Der Eingang in die selbstverschuldete Unmündigkeit
Dabei wird es sich um eine Widerständigkeit handeln, die wir heute schon erkennen können. Es sind dieselben Kreise, die während der Corona-Zeit eine Entfremdung vom Menschsein erahnten — und die faktisch auch gegeben war. Es werden dieselben sein, die heute den Verlust von Strukturen beklagen, die auf Verhandlungen und nicht auf Waffenlieferungen setzen. Und ja, dieselben, die etwas gegen die Erziehungsmethoden einer ideologischen Clique haben, die vorgibt, wie man zu sprechen, zu denken und zu fühlen habe.
Auch die Analogversteher werden sich aus diesem Kreis rekrutieren. Denn die Zukunft, die von einer intelligenten Künstlichkeit geformt und geführt werden soll, treibt erneut Menschen in eine metaphysische Revolte, um mit Albert Camus zu sprechen. In eine Auflehnung gegen innerweltliche Betrachtungen, die den Menschen von seinem ureigensten Wesen fortführen, ihn um seine Eigentlichkeit berauben. Und die eine Welt erzwingen, in der der Mensch Stück für Stück von seiner Autonomie, seiner Kühnheit, Wildheit oder seiner Unbeständigkeit einbüßt, um besser planbar zu sein.
Dafür soll sich die Menschheit in eine Art selbstverschuldete Unmündigkeit zurückbegeben, sich von Künstlicher Intelligenz lotsen, beraten, unterhalten, belehren — und ja: ersetzen lassen. Zwischentöne werden ausgemerzt, Gefühle ausgeblendet: Die computerisierte Ratio verwaltet.
Das Leben, das wir kennen, wird nicht einfach nur um die Komponente einer KI angereichert: Es wird abgeschafft und durch ein gekünsteltes „Gehirn“ ausgetauscht, das uns vermeintlich so viel besser durchs Leben bringen kann.
Selbstverständlich wird diese Aussicht Widerstände anfachen. Und selbstverständlich werden die, die den vermeintlichen Fortschritt wollen und antreiben, alles tun, um die Widerständigen wie Verrückte, wie Verbrecher und Gemeingefährliche aussehen zu lassen. Ganz nach dem Motto: Die, die nicht mitziehen, bringen unsere Art zu leben in Gefahr.
Vielleicht wird das die finale Spaltung der Gesellschaft sein: Wenn dann endlich alle unter die Knute der KI gebracht wurden, lehnt sich kaum noch einer auf, denn die KI wird immer raten: Widerstand ist zwecklos. Ganz so wie die Borg im Kosmos von Star Trek es tun. Vermutlich müssen wir uns die Borg als glückliche Wesen vorstellen: Sie lachen und spielen nicht, sie betrinken sich nicht und vögeln nicht, aber ihre künstliche Lebensart befreit sie von Sorgen, Nöten, Zwängen und Affekten. Diese Langeweile bei gleichzeitiger Simulation von Glück könnte uns auch bald drohen.