Da keine Spezifizierung erfolgte, wurden in dem Beitrag allgemein „alternative Medien“ im Internet ins Visier genommen. Ihr Ziel sei es „Geld zu verdienen“ oder „mit Falschinformationen politische Debatten zu beeinflussen, um gezielt Personen oder Staaten oder Institutionen zu schaden“, wie ein Kommunikationswissenschaftler und Experte der Stiftung „Neue Verantwortung“, mit Sitz in Berlin unterstellt. Beispiele wurden nicht genannt, die diese Thesen belegten.
Betrachtet man diese angeblich „unabhängige Denkfabrik“, erhält ihre angebliche „Unabhängigkeit“ ein „Geschmäckle“. Dank der auf der Webseite offen gelegten Finanzierung ist zu erfahren, dass die 2008 gegründete Stiftung „Neue Verantwortung“ zu 70 Prozent von Stiftungen und öffentlichen Institutionen und zu 30 Prozent von Unternehmen finanziert wird. Zu den 70 Prozent tragen unter anderem das Auswärtige Amt mit 8 Prozent, die Bertelsmann Stiftung mit 4 Prozent, die Open Society Stiftung mit 7 Prozent und die Robert Bosch Stiftung mit 10 Prozent bei. Der größte Geldgeber in dieser Kategorie ist mit 19 Prozent der Omidyar Network Fund des eBay-Gründers Pierre Omidyar.
Der Billionär Omidyar verteilt sein Geld in alle Richtungen. 2014 gab er die Anschubfinanzierung für die alternative Informationsplattform „The Intercept“. Deren Gründer sind die drei exzellenten Journalisten und Filmemacher Glenn Greenwald, Laura Poitras und Jeremy Scahill. Greenwald und Poitras erhielten für ihre Dokumentation „Citizenfour“ 2015 den Oscar. Der Film dokumentiert die Flucht und das Wissen von Edward Snowden, dem ehemaligen Mitarbeiter der National Security Agency (NSA). In ihrer kurzen Dankesrede bei der Preisverleihung sagte Laura Poitras:
„Was Edward Snowden öffentlich gemacht hat, ist nicht nur eine Bedrohung für unsere Privatsphäre, sondern für unsere Demokratie. Wenn die wichtigsten Entscheidungen, die uns betreffen, im Geheimen getroffen werden, verlieren wir unsere Möglichkeit, die Mächte zu überprüfen, die die Kontrolle ausüben.“
Jeremy Scahill war als Reporter für „Democracy Now“ in Belgrad während des Jugoslawienkrieges. Er war in Bagdad vor und während des Angriffs der US-Koalition 2003. Scahill sorgte mit seiner Jahre langen Recherche für die Verurteilung von Angestellten der privaten Sicherheitsfirma Blackwater, die im Irak Dutzende Zivilisten getötet hatten. Und er legte die mörderische Linie des Weißen Hauses unter Barack Obama offen, der gezielte Tötungen mit Drohnen zum Bestandteil US-amerikanischer Militäroffensiven machte (2). Zu seinem Film „Schmutzige Kriege“, der auf dem Buch mit dem gleichnamigen Titel basiert, schrieb Seymour Hersh, Veteran unter den Kriegsreportern:
„Scahills Buch erzählt uns mit erschreckenden Details und vielen neuen Informationen, was im Namen Amerikas seit dem 11. September getan wurde.“
Scahill arbeitete für den US-Sender „Democracy Now“, einen „alternativen Fernsehsender“, den mehr als 1300 Sendestationen heute in den USA ausstrahlen. Das ist möglich, weil das US-Mediengesetz einräumt, dass Kommunen und die Bevölkerung selber entscheiden können, ob sie einen Sender sehen wollen oder nicht. Und immer mehr in den USA wollen „Democracy Now“ sehen. 2008 erhielt Amy Goodmann, die Gründerin von „Democracy Now“, den Alternativen Nobelpreis für ihre Arbeit.
So viel Freiheit für „alternative Medien“ gibt es in Deutschland nicht. Auch wenn das Konzept des öffentlich-rechtlichen Rundfunks/Fernsehens mit „Bildungsauftrag und Informationspflicht“ gut ist, wird es doch nicht gut erfüllt. Viele Menschen in Deutschland fühlen sich nicht gut und umfassend informiert. Nicht weil sie ihre Meinung nicht wiederfinden, sondern weil oberflächlich und über manche Konflikte mit ihren komplexen Hintergründen gar nicht oder nur ausgewählt informiert wird. Öffentlich-rechtlich dürfen sogar „alternative Medien“ der Verbreitung von „Falschmeldungen“ beschuldigt werden, ohne dass diese die Möglichkeit haben sich dazu zu äußern.
Es wäre gut, wenn Journalisten, Politiker und Experten in Deutschland, die alternative Medien pauschal bezichtigen, „Desinformationen“ oder sogenannte „Fake News“ zu verbreiten, ihren Blick einmal über den deutschen Tellerrand erheben würden. Sie könnten ihren Horizont erweitern. Natürlich gibt es Blogs und Shows, in denen nahezu jede und jeder in Deutschland im Internet verbreiten kann, was er möchte, das gilt für „Jung und Naiv“ ebenso wie für die Kanzlerin. Im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit kann in Deutschland bekanntlich jede und jeder sagen, was er will.
Warum also werden ausgerechnet „alternative Medien“ der Lügen bezichtigt? Sie pauschal als „rechte alternative Medienblase“ zu bezeichnen, ist nicht nur keine Meldung sondern — aus dem Mund eines Kommunikationswissenschaftlers — auch unwissenschaftlich. Es ist eine Denunziation und darüber hinaus eine Beleidigung für jeden Verstand, der die hiesige Politik und die dazugehörige Berichterstattung kritisiert. Wer englische, französische, spanische, russische, chinesische, iranische oder vielleicht auch arabische Medien lesen kann, weiß, dass der Horizont der Wirklichkeit weiter reicht, als es die deutschen „Leitmedien“ oder „bekannten Zeitungsverlage“ ihm glauben machen wollen.
Ob das absichtlich geschieht oder weil in vielen deutschen Medien unprofessionell gearbeitet wird, soll hier nicht erörtert werden. Das Dilemma deutscher Medien ist, dass sie unter Zeit-, Personal- und Gelddruck etwas produzieren sollen, wovon sie mangels eigener (Auslands-)Korrespondenten meist keine Ahnung haben. Also bedienen sich die Redakteure der großen Nachrichtenagenturen aus Deutschland, dpa, Frankreich, AFP, Großbritannien, Reuters und USA, AP. Diese Agenturen aber halten sich eng an politische Vorgaben, die häufig nicht mit den realen Verhältnissen vor Ort übereinstimmen.
Da werden Orte auf der Landkarte schon mal verschoben, Namen verwechselt, wichtige Zusammenhänge nicht hergestellt oder — wie die dpa kürzlich berichtete — völkerrechtliche Regeln ignoriert. Syrische „Weißhelme“ seien von Israel über dessen Territorium nach Jordanien evakuiert worden, hieß es am 18. Oktober 2018 in verschiedenen Medien. Alle bezogen sich auf den Spiegel, der das wohl als erster gemeldet hatte (3). Tatsächlich aber wurden die „Weißhelme“ nicht über „israelisches Territorium“ nach Jordanien evakuiert, sondern über die syrischen Golanhöhen, die Israel 1967 völkerrechtswidrig besetzte und 1981 ebenfalls völkerrechtswidrig annektierte. Das ist ein Unterschied.
„Alternative Medien“ gibt es, wenn Medien sich mit Herrschenden gemein machen. Ihre Existenz ist nicht nur berechtigt, sondern für den Erhalt von Glaubwürdigkeit, von Frieden und Gerechtigkeit geradezu notwendig. In Deutschland kann eine alternative Haltung zur herrschenden Politik oder Berichterstattung einen Journalisten — oder auch einen Lehrer — schon mal den Job oder Aufträge kosten. Erinnert sei an den Lehrer Bernhard Nolz aus Siegen (4).
Nolz hatte während einer Friedensdemonstration nach dem 11. September 2001 dazu aufgerufen, keinen Kriegsdienst zu leisten, er wolle nicht noch einmal einen Krieg wie in Jugoslawien erleben. Nolz wurde zunächst vom Dienst suspendiert, dann strafversetzt. Journalisten mit fester Anstellung haben möglicherweise keine Entlassung zu befürchten, werden aber strafversetzt, wenn sie sich anders äußern, als es die — nicht allen bekannten — Vorschriften des Senders vorsehen. Arbeiten die Journalisten dann beispielsweise für andere Medien wie Russia Today oder Sputnik News, stehen sie völlig im Abseits. „Sprechen sie nicht mit den Russen“, so riet ein erfahrener Journalist der Autorin. „Dann kriegen Sie keine Aufträge mehr.“
Russische Medien sind wieder die „Feindsender“, will man Berichten der EU-Task-Force gegen „Fake News“ glauben. Schon 2015 wurde diese „Task Force“ gegründet, um ein positives Bild von der EU zu verbreiten und angebliche „Falschmeldungen“ gegen Europa aus dem Süden, Al Qaida, und aus dem Osten von Russia Today oder Sputnik News zu stoppen (5).
Inzwischen gibt es ein ganzes Bataillon an Experten und Gremien im Rahmen der EU-Abteilung für Strategische Kommunikation beim Auswärtigen Dienst in Brüssel, die sich mit der angeblichen russischen Propaganda beschäftigen. Die — unter Journalisten und EU-Parlamentariern umstrittene — Task Force will bis April 2018 rund 3.500 Desinformationsfälle „im Sinne des Kreml“ entdeckt haben.
Für die Bevölkerung geht das Leben weiter. Der Kanal RT, Russia Today, wurde bei YouTube über 7 Milliarden Mal angeklickt und erreichte damit einen neuen Rekord unter den internationalen Nachrichtensendern. RT kommt heute auf dreimal so viele Aufrufe wie beispielsweise die Nachrichtensender BBC, Al Jazeera oder Euronews. Von der ebenfalls staatlich finanzierten Deutschen Welle ganz zu schweigen. Der große Zuspruch für RT zeigt vor allem, dass die Öffentlichkeit sich von den bisherigen westlichen Marktführern nicht ausreichend informiert fühlt. Das gleiche gilt für „alternative Medien“ und die sind — anders als beispielsweise RT — nicht staatlich finanziert.
Darum reagiert man bei der EU und in Berlin so alarmiert. Man hat Angst, die Deutungshoheit zu verlieren. Man hat Angst, dass Hörer und Hörerinnen, die Konsumenten von Nachrichten, selber die Medien aussuchen, aus denen sie sich informieren wollen. Dass sie selber denken.
Dazu noch einmal Laura Poitras Worte bei der Oscar-Verleihung:
„Wenn die wichtigsten Entscheidungen, die uns betreffen, im Geheimen getroffen werden, verlieren wir unsere Möglichkeit, die Mächte zu überprüfen, die die Kontrolle ausüben.“
Die Menschen sind erwachsen geworden, sie brauchen keine Gängelung. Kritik an der Medienberichterstattung ist wie Fieber. Je stärker die Kritik, desto deutlicher die Anzeichen, dass etwas falsch läuft. Darauf sollten die Medien reagieren, sie müssen ehrlich werden und aufhören, Informationen „auszuwählen“. Seine Kritiker, also die Öffentlichkeit zu denunzieren oder gar zu kriminalisieren, ist nicht der richtige Weg. Eigentlich sagen die Leute doch nur: „Sieh mal, der Kaiser trägt keine Kleider.“
Quellen und Anmerkungen:
(2) https://theintercept.com/drone-papers/
(4) http://archiv.friedenskooperative.de/themen/om02-009.htm#marke03
(5) https://www.politico.eu/article/eu-needs-tougher-defense-against-russian-propaganda-meps/