Autoritäre Regime brauchen kontrollierte Medien. Eine freie Presse ist mehr als das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wobei auch Letzteres keines mehr ist, wenn man ob seiner Ansichten den Entzug seiner Lebensgrundlage, sprich: Jobverlust, befürchten muss. Freie Medien können ungehindert schreiben, was ist. Schreiben, was ist, gehört in einigermaßen demokratischen Ländern zum journalistischen Kodex. Wer diesen Kodex aushebelt, will Propaganda. Und Propaganda hat nur einen Zweck: Manipulation der Massen.
Zu schreiben, was ist, gehörte viele Jahrzehnte in Deutschland zur Berufsehre eines jeden Journalisten, der etwas auf sich hielt. Das ist nicht einfach. Man muss jede Seite ausleuchten, darf Unangenehmes nicht auslassen, muss sich darauf einlassen können, wenn vielleicht alles ganz anders war oder ist, als man selbst anfangs glaubte.
Kurzum: Gute Journalisten können sich zurücknehmen, den Beobachterposten einnehmen und aufschreiben, was sie sehen und hören. Das nennt sich Berichterstattung.
Von so einer Berichterstattung hat sich die deutsche Leitpresse in den vergangenen Jahren weit entfernt. Wer in Sachen Corona auch nur ansatzweise wagte, die immer weniger glaubhafte politische Erzählung dahinter zu hinterfragen, musste damit rechnen, seinen Job und sein Ansehen zu verlieren. Selbsternannte „Fakten“-Checker checkten unermüdlich selbst gebastelte „Fakten“ auch im Zuge des Ukrainekonflikts.
Die ungehörte Seite
Patrik Baab lernte einst den alten Journalismus, der Fragen nach der Wahrheit stellt, danach sucht, was ihr am nächsten kommt. Er ist ein Meister seines Faches. Für den NDR produzierte er beispielsweise eine Dokumentation über den mutmaßlichen Mord an dem Politiker Uwe Barschel. Baab und sein Kollege Stephan Lamby gingen darin tief ins Detail, lassen aber offen, ob es Mord oder doch ein Selbstmord war, weil der letzte Beweis für ein — wenn auch wahrscheinliches — Verbrechen fehlt. So geht Journalismus.
Diese journalistische Neugier trieb Baab nun in den Donbass, also den umkämpften Osten der Ukraine, der seit 2014 fast permanent von der ukrainischen Armee bombardiert wird. Im vergangenen Jahr hatte er den Westen des Landes bereist, in dem die Regierung sitzt. Die sind dem Mainstream zufolge die Guten, im Osten sitzen die Bösen, die sogenannten „prorussischen Separatisten“. Der Donbass ist die im Westen ungehörte Seite.
Aber die Geschichte ist länger, reicht bis in den Zweiten Weltkrieg zurück, als sich bewaffnete ukrainische Truppen der deutschen SS anschlossen und sich am Überfall auf ihren Mutterstaat, die Sowjetunion, beteiligten. Die jahrzehntelange Spaltung kultivierte sich im Kiewer Kult um den Faschisten Stepan Bandera inklusive ausgeprägtem Hass auf die Sowjetunion, später Russland, und im Osten im Widerstand dagegen. Sie eskalierte schließlich mit dem Putsch gegen die damalige weniger antirussische Regierung Anfang 2014 auf dem Kiewer Maidan. Maßgeblich von Oligarchen aufgerüstete und später in die ukrainische Armee integrierte Nazi-Bataillone bestimmten den Gewaltakt mit.
Ein am 2. Mai 2014 von ukrainischen Nazis verübtes und der Regierung gedecktes Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa, immer neue repressive Gesetze gegen die russischsprachige Bevölkerung und laut OSZE rund 14.000 durch die ukrainische Armee getötete, großteils zivile Opfer im Donbass später ist die Situation, wie sie ist: Die meisten Menschen in der Ostukraine wollen mit der Kiewer Regierung nichts mehr zu tun haben und nun, vermutlich um weitere Opfer zu verhindern, den Beitritt zu Russland.
„Ein einziges Kriegsverbrechen“
Baab will ein Buch über diesen Konflikt schreiben, eins, das der Wahrheit besonders nahekommt. Er sah sich die Referenden im Osten und Südosten an, bei denen die Mehrheit der Wähler für den Beitritt zu Russland stimmte. Er wollte sehen, wie die Menschen wirklich ticken. Stimmt es, wenn Bild und Co behaupten, die russische Besatzung werde als reine Tyrannei wahrgenommen?
An Baabs Seite reiste der gebürtige Russe und Betreiber des Kanals Druschba FM, Sergej Filbert, in das Kriegsgebiet — ein Dorn im Auge der Kontaktschuld Suchenden. Baab stellt auf Nachfrage klar: In ein Kriegsgebiet kann man nicht alleine fahren, es sei denn, man wäre lebensmüde. Er sagte:
„Man braucht jemanden, der die Augen aufhält, der die Landessprache fließend spricht, nicht gleich als Ausländer auffällt, über Verwandte und Bekannte Zugang zur Landeswährung hat.“
Denn wegen der Sanktionen der EU gegen Russland könne er dort kein Geld abheben, von Deutschland aus keine Reise dahin buchen, nicht einfach so einreisen. Man sei mit Überleben beschäftigt, mit der ständigen Obacht vor ukrainischen Personenminen, Raketen und Bomben. Nur wenige Stunden nach seinem Check-out sei sein Hotel getroffen worden, offenbar ein gezielter Angriff der Ukraine auf Journalisten.
Die zerstörte Stadt Mariupol, von der aus das nazistische Asow-Bataillon jahrelang den Donbass beschossen hatte, verglich Baab auf Nachfragen von Journalisten mit „Dresden 1945“:
„Das Asow-Stahlwerk zu 100 Prozent zerstört, die Stadt zu circa 90 Prozent. Ein einziges Kriegsverbrechen. Die Menschen leben in den Kellern vollständig zerschossener Häuser. Der Winter steht vor der Tür. Es wird Jahre dauern, die Stadt wieder aufzubauen. Wäre das nicht mal ein Thema?“
Nein, dafür interessieren sich die Leitmedien nicht. Sie prügeln auf ihn, den Kollegen — von dem sie vermutlich sehr viel lernen könnten — mit moralinsauren Floskeln ein, die man so zusammenfassen könnte: Mut Russen und „prorussischen Separatisten“ spricht man nicht, man hasst sie. Die deutsche Presse — und mit ihr die Bürokraten und staatlichen Institutionen — verteilt am laufenden Bande lautstark Werturteile über „die Russen“, übernommen von ukrainischen und NATO-PR-Agenturen, ohne mit ihnen zu sprechen, sich ihre Lage anzusehen, ihre Meinung anzuhören. Baab kritisiert das — zu Recht.
NATO-Propagandaschlacht
In so einem Erguss moralinsaurer Werturteile des kriegsparteischen politischen Mainstreams ergoss sich die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW), an der Baab bis vor Kurzem lehrte. Denn die HMKW entband den Journalisten kurzerhand von seinem Auftrag, weil man, salopp gesagt, mit Russen nicht spricht. Die Hochschule hatte aus einem regelrechten Hetzbeitrag des Propagandisten Lars Wienand auf t-online erfahren, dass Baab für sein privates Buchprojekt im Donbass weilte.
Der t-online-Schreiber produzierte ein Sammelsurium aus abwertenden Kampfbegriffen, welche das Wesen der Propagandaschlacht des NATO-Lagers bestens vorführen: Die Wahlen im Donbass nennt er darin „Scheinreferenden“, den Journalisten Baab bezeichnete er als „Putins willigen Helfer“. Die Hochschule drückt sich etwas stilvoller, aber kaum weniger abwertend aus. Den Journalismus, den sie doch lehren soll, tritt sie vollends in die Tonne. Sie schreibt etwa:
„Wir haben Herrn Baab gegenüber unsere Fassungslosigkeit über dieses Verhalten geäußert. Wir haben ihm unseren Standpunkt verdeutlicht, dass schon seine reine Anwesenheit bei dieser Aktion, ob er wolle oder nicht, zwangsläufig zur Legitimation der in unseren Augen völkerrechtswidrigen und inhumanen Scheinreferenden, die Teil einer imperialistischen Politik und eines verbrecherischen Krieges sind, beiträgt.“
Nach Auffassung dieser sogenannten Hochschule dürfen Journalisten sich das vermeintlich „Böse“ also nicht mit eigenen Augen ansehen. Sie sollen offenbar in ihren Bürosesseln sitzen und abschreiben, was Politik und Nachrichtenagenturen vorgeben.
Man will wohl an einer konstruierten, undifferenzierten und antirussisch-kriegslüstern aufgeblasenen Scheinwahrheit festhalten. Über die Gründe lässt sich spekulieren. Gibt eine Journalismus-Lehranstalt den Journalismus auf, um ihren Bonus bei den Herrschenden und der Politik nicht zu verlieren? Wollen Staat und Wirtschaft konforme Schreiberlinge?
Ähnlich zieht nun die Universität Kiel gegen Baab zu Felde, wie das inzwischen etablierte Kampfblatt für repressive Coronamaßnahmen und NATO-Kriege Der Spiegel berichtete. Auch in diesem Propagandabericht reihen sich die Kampfbegriffe aneinander: Baab verleihe dem russischen Vorgehen „den Anschein von Legitimität“, zitierte Der Spiegel eine Sprecherin zum Beispiel. Auch die Uni Kiel warf ihn kurzerhand aus ihrem Lehrprogramm.
Haltungstyrannei
Baab ist nicht der einzige Journalist, dem es so geht oder erging. In den Verlagshäusern und Redaktionsstuben bestimmen die Vorgaben des Auftraggebers — oder jener, mit denen dieser verwoben ist — die Leitlinien. Wer nicht mitzieht, fliegt. Wer als freier Journalist Angebote einreicht, die der vorgegebenen Doktrin widersprechen, hat die längste Zeit sein Honorar erhalten. So manch ein Freier müsste dann umgehend Hartz IV beantragen, um zu überleben.
Früher konnten viele Journalisten allerdings auf eine Ausbildung zurückblicken, die diesen Namen zumindest ansatzweise verdiente. Journalismus ist auch Handwerk, und dazu gehört es, alle Meldungen sorgfältig zu prüfen, immer die anderen Seiten zu befragen. Doch die neue Generation der Journalisten soll das offenbar nicht mehr lernen. Heute passt vielfach kein Blatt Papier zwischen die Presseabteilung der Bundesregierung und die Kader großer Medienanstalten und Hochschulen. Und der Druck nach unten wächst.
Eine gefährliche Haltungstyrannei bricht sich Bahn in Deutschland, und sie ist von einer Art, wie sie Diktaturen, aber auch faschistischen Terrorregimen zu eigen ist, um die unterdrückte Bevölkerung auf Linie zu bringen. Und die Haltung ist wie eh und je vorgegeben von den Herrschenden, also jenen, die sich in der Jahrhunderte währenden Ära der Klassengesellschaften beileibe keinen Bonus der Unterdrückten verdient haben — im Gegenteil. Journalismus wird zur Meinungsmaschine von Konzernen und Politik.
Noch landen Abweichler im Deutschland der 2020er-Jahre nicht in dunklen Folterkellern oder auf dem Schafott. Man beraubt sie einfach still und leise ihrer Existenzgrundlage. Damit hat sich die Floskel der Regierenden von einer „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ als Makulatur erledigt. Willkommen in der imperialistischen Diktatur des 21. Jahrhunderts. Und: Solidarität mit allen, die sich, oft unter Bedrohung ihrer Existenz, dagegen wehren. Man kann solchen Mut nicht hoch genug schätzen.