Liebe ist politisch. Der Irrtum, dass sie Privatsache sei, führt zu dem zerstörerischen System, in dem wir leben. Selbst systemkritische Menschen lassen die Liebe oder den Mangel an Liebe bei ihren Analysen völlig außen vor. Dabei ist genau dieser Mangel an Liebe vielleicht der Hinweis darauf, warum sich trotz all der Revolutionen vergangener Jahrhunderte, trotz der Aufklärung und trotz des Wissens über die Hinter- und Abgründe unseres heutigen Systems nichts grundlegend ändert.
Liebe und Politik
Alles hängt irgendwie miteinander zusammen. Menschen gestalten Politik und Wirtschaft, und wenn diese Menschen nicht aus Liebe heraus agieren, treffen sie Entscheidungen, die Zerstörung zur Folge haben, auch wenn ihre Absicht vielleicht eine andere ist.
Auch die Bevölkerung, die an den wichtigsten Entscheidungen trotz angeblicher Demokratie nicht beteiligt wird, kann nur aufgrund ihrer Unfähigkeit zu lieben so gleichgültig vor sich hin funktionieren und damit das System am Laufen halten. Der indische Philosoph Osho beschreibt die Zusammenhänge klar und anschaulich:
„Liebe ist Nahrung für die Seele. So wie Essen den Körper nährt, ist Liebe Nahrung für die Seele. Ohne Essen wird der Körper schwach, ohne Liebe wird die Seele schwach. Und kein Staat, keine Kirche, kein Establishment hat je gewollt, dass die Menschen eine starke Seele haben, denn ein Mensch mit spiritueller Energie wird immer rebellisch sein.
Liebe macht euch rebellisch, revolutionär. Liebe gibt euch Flügel, damit ihr euch emporschwingen könnt. Liebe gibt euch Einsicht in die Dinge, und dann kann euch niemand mehr täuschen, ausbeuten, unterdrücken“ (1).
Nun ist der Begriff „Liebe“ sehr abstrakt.
Wir verwechseln sexuelle Anziehung oft mit Liebe und möchten uns und andere Menschen in Beziehungen zwängen, die sich — zumindest nach einigen Jahren — oft nicht mehr wie Liebe, sondern wie Pflicht anfühlen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir auch das Thema Liebe klar und konkret angehen. Dass wir aus den schwammigen Worthülsen verständliche Information machen, um daraus auch ein neues Handeln abzuleiten.
Selbstliebe
Dies führt uns also zum ersten Schritt: der Selbstliebe. Ich übe mich seit Jahren in Selbstliebe und versuche zwischen Egoismus, Narzissmus und Selbstliebe zu unterscheiden. Doch wenn ich aufrichtig bin, fühle ich sie bis heute meistens nicht. Vielleicht ab und zu für ein paar Sekunden. Nun fand ich — dank der Liebesschule von Sabine Lichtenfels, doch dazu später mehr — heraus, dass ich eine falsche Vorstellung von dem hatte, was Selbstliebe überhaupt bedeutet.
Osho, dessen Lehre immer wieder den Zusammenhang zwischen Liebe beziehungsweise Spiritualität und Politik betont, beschreibt auch dies mit einem verständlichen Bild:
„Wer sich selbst liebt, macht damit den ersten Schritt zur wirklichen Liebe. Es ist so, als wenn man einen Kieselstein in einen ruhigen See wirft: Die ersten Wellenkreise entstehen um den Kiesel herum, ganz nahe am Stein. Das ist natürlich, wo sollten sie sonst entstehen? Von da aus breiten sie sich immer weiter aus, bis zu den fernsten Ufern. Verhindert man diese Wellen nahe am Stein, dann gibt es keine weiteren Wellen. Dann braucht man nicht zu hoffen, dass irgendwelche Wellen bis ans fernste Ufer gelangen könnten, unmöglich.
Die Priester und Politiker wurden sich dieses Phänomens bewusst: Wenn man die Menschen daran hindert, sich selbst zu lieben, zerstört man ihre ganze Liebesfähigkeit. Dann wird alles, was sie für Liebe halten, Pseudoliebe sein. Es mag Pflichtgefühl sein, aber nicht Liebe“ (2).
Natürlich stößt diese Aussage erst einmal bitter auf. Alles, was wir für Liebe halten, soll Pseudoliebe sein? Wir fühlen in den Momenten der Verliebtheit doch wirkliche Liebe!
Nun ist natürlich die Frage, was jeder unter dem Wort Liebe versteht. Vielleicht möchten einige das Wort für die romantische Liebe nutzen, und ein anderes Wort für das, was Osho beschreibt, wenn er von Liebe spricht, das sanfte Überfließen von einem angenehmen Gefühl in uns, das uns mit unserer Mitwelt verbindet. Zum Beispiel, wenn wir ein kleines Kätzchen beobachten, mit einem Kind kuscheln, einen Sonnenaufgang beobachten, uns beim Waldspaziergang auf das Rauschen der Kiefern im Wind konzentrieren. Oder aber das Gefühl der Anteilnahme an anderen, wie Sabine Lichtenfels ausführt:
„Wenn wir von Selbstliebe sprechen, dann sprechen wir nicht einfach von einer Art von Narzissmus, sondern es geht darum, dass wir unseren Kern erkennen, unser Wesen verstehen, unsere Einmaligkeit verstehen, und wenn wir das im Sinne der Liebe tun, dann führt es uns natürlich auch automatisch zum Thema Anteilnahme an anderen. Wenn diese beiden Elemente in ihre Balance kommen, dann können wir mehr verstehen über das Wesen der universellen Liebe.“
Sie betont auch, dass es wichtig ist, nicht ins Grübeln zu kommen, denn Selbstliebe geht eben nicht über das Ego und das Erkennen und Annehmen von Stärken und Schwächen, sondern über die Frage: Wer bin ich? Wo komme ich her? Die Wissenschaft kann bis heute nicht sagen, was und wo das Ich genau ist. Wir können es jedoch fühlen, wenn wir uns still beobachten.
Auch Osho führt aus, warum die Selbstliebe überhaupt die Voraussetzung für unsere Liebesfähigkeit zu anderen ist:
„(…) (M)an hat euch jahrhundertelang die Wurzeln gestutzt und euch vergiftet. Man hat euch davor Angst gemacht, euch selbst zu lieben. Das ist aber der erste Schritt in der Liebe, die allererste Erfahrung. Wer sich selbst liebt, respektiert sich selbst. Und wer sich selbst liebt und respektiert, der respektiert auch andere, weil er weiß: ‚Die anderen sind genau wie ich. So wie ich mich über Liebe, Respekt und Würde freue, genauso freuen sich auch die anderen. (…)
Wer sich selbst liebt, genießt die Liebe so sehr und sie macht ihn so glücklich, dass die Liebe anfängt überzufließen und auch andere zu erreichen“ (3).
Und zurück zum Bild mit dem Kiesel im See:
„Langsam werden die Wellen immer größere Kreise ziehen. Zuerst liebst du andere Menschen, dann fängst du auch an, die Tiere, die Vögel, die Bäume, die Felsen zu lieben. Du kannst das ganze Universum mit deiner Liebe erfüllen. Ein einziger Mensch reicht aus, um das ganze Universum mit Liebe zu erfüllen — so wie ein einziger Stein den ganzen See mit Wellen zu füllen vermag. Ein kleines Steinchen!“ (3).
Bevor wir dazu kommen, wie wir uns nun konkret selbst lieben können, möchte ich Osho mit einem weiteren Beispiel zu Wort kommen lassen:
„(…) (E)s kommt von der falschen Erziehung: Man vermeidet sich selbst. Die Leute sitzen wie festgeklebt auf ihrem Sessel vor dem Fernseher, vier, fünf, ja sogar sechs Stunden lang. (…) Aber es war schon immer so, auch bevor es das Fernsehen gab. Es gibt ja genug andere Dinge. Und das Problem ist immer das gleiche: Wie vermeidet man sich selbst? Denn man fühlt sich so hässlich. (…)
Von Geburt an ist jedes Kind schön, aber dann machen wir uns daran, seine Schönheit zu rauben. Wir verkrüppeln und lähmen es in vielfacher Hinsicht, verbiegen seine Gestalt, stören sein Gleichgewicht. Früher oder später ist dieser Mensch dann so von sich angewidert, dass er bereit ist, sich mit jeder Gesellschaft zufrieden zu geben. (…)
‚Liebe dich selbst‘, sagt Buddha. Dieser Satz kann die ganze Welt verwandeln“ (4).
Auch wenn wir als Nutzer alternativer Medien bereits vor langer Zeit den Fernseher abgeschafft haben, frage ich mich: Wie oft vermeiden wir uns selbst durch Nachrichtenkonsum oder das Schreiben von Artikeln — um auch uns Autoren von systemkritischen Texten nicht außenvorzulassen.
Die meisten Menschen sind vom Mangel an Selbstliebe geprägt. Ich komme gern mit verschiedensten Personen ins Gespräch, höre mir ihre Geschichte an und stelle immer wieder erneut fest: Ich kenne persönlich niemanden, der mit sich wirklich im Reinen ist, der sich selbst wertvoll und erfüllt fühlt.
Wir haben solche Angst vor unserer Verletzlichkeit, nehmen unsere eigenen Ängste aber nicht ernst, da es so vielen Menschen in armen Ländern ja schlechter geht als uns. Und mit „uns“ meine ich Mittelständler aus westlichen Industrienationen. Wir haben materielle Privilegien, aber sind dennoch meist alles andere als glücklich. Schon Juli Zeh schrieb in ihrem Roman „Leere Herzen“:
„In einer Welt, in der sich die, denen es am besten geht, am beschissensten fühlen, ist etwas grundverkehrt.“
Wir leiden an unserer verletzten Seele. Wir bleiben lieber im Verstand, wollen die Kontrolle nicht verlieren, lieber gar nichts fühlen, um die Scham und Dunkelheit zu vermeiden, die hochkommen, wenn wir uns nicht von uns selbst ablenken. Also analysieren wir die Zustände der Welt im Außen und kritisieren Machtverhältnisse, Politiker, Andersdenkende. Doch auch wir als Kritiker sind Teil dessen, was wir kritisieren:
„Sie sagen: ‚Liebe die Menschheit, liebe dein Land, dein Vaterland, liebe das Leben, die Existenz, Gott.‘ Alles große Worte, aber ohne Bedeutung. Ist dir die Menschheit je begegnet? Es begegnen dir immer nur einzelne Menschen. Aber schon den ersten, der dir begegnete, hast du verurteilt — und das bist du.
Du hast dich selbst nie geachtet, nie geliebt. Nun verschwendest du dein ganzes Leben damit, andere zu verurteilen. Darum sind die Leute so gut im Kritisieren“ (5).
Das lasse ich jetzt im Magazin für die kritische Masse einfach mal so stehen. Denn ja, wir kritisieren viel — und das ist wichtig — doch das reicht nicht. Ich wünsche mir, dass immer mehr Menschen verstehen, wie grundlegend ihr eigenes Glück, das mit der Selbstliebe beginnt, für den Wandel hin zu einer besseren Welt ist. Es ist nicht egoistisch, sondern die Grundlage dafür.
„Je mehr du auf dein eigenes Glück bedacht bist, umso mehr wirst du auch anderen helfen wollen, glücklich zu sein. Denn nur so kann man in dieser Welt glücklich sein. Der Mensch ist keine Insel (…).
Unglücklichsein ist destruktiv. Glücklichsein ist kreativ. (…) Bist du (…) unglücklich, dann möchtest du am liebsten etwas kaputt machen und zerstören. Dann wirst du vielleicht Politiker oder Soldat. Dann suchst du dir eine Situation, die dir erlaubt destruktiv zu sein.
Darum bricht auch immer wieder irgendwo auf der Erde ein Krieg aus. Es ist eine weit verbreitete Krankheit. Dabei reden sämtliche Politiker ständig vom Frieden. Sie rüsten für den Krieg und reden vom Frieden. (…) Wie irrational! Wie kann man den Frieden bewahren, indem man sich auf den Krieg vorbereitet? Um den Frieden zu bewahren, sollte man sich auf den Frieden vorbereiten“ (6).
Oshos Texte zeigen, wie eng alles miteinander verflochten ist — unser Innenleben mit der Situation in der Welt.
Caitlin Johnstone beschrieb dasselbe Phänomen in einem Rubikon-Artikel mit anderen Worten:
„Menschen, die überzeugt sind, dass die Menschheit positive Veränderungen in Richtung Gesundheit und Harmonie vornehmen kann, sind in der Regel Menschen, die solche Veränderungen in ihrem eigenen Leben vorgenommen haben.
Menschen, die glauben, dass die menschliche Natur selbstsüchtig und zerstörerisch ist, sind in der Regel auch selbstsüchtige und zerstörerische Menschen. Wir beschreiben nur uns selbst. Wir beschreiben das Innere unserer eigenen Realitätstunnel und verbrämen es dann als großartiges Wissen über die objektive Realität.
In Wirklichkeit kennt niemand von uns das Schicksal der Menschheit, denn unser Denken über das menschliche Potenzial und die menschliche Natur wird durch unsere persönliche Erfahrung der Menschheit von innen heraus geprägt. Es ist ein Mysterium, und wir können es einfach als ein Mysterium belassen.“
Vielleicht provoziere ich hier manche Leserinnen und Leser, die ein sehr negatives Menschen- und Weltbild haben. Doch genau darum geht es: Wir können nicht die anderen ändern, aber sehr wohl uns selbst. Und unsere Liebesfähigkeit zu schulen, kann uns als Individuen und Gesellschaft zugleich enorm stärken und fast von allein die Transformation herbeiführen, nach der sich so viele Menschen sehnen.
Im Modul 3 des Kurses „Heilung der Liebe“ erklärt Benjamin von Mendelssohn, der zusammen mit Sabine Lichtenfels die globale Liebeschule leitet und seit 1998 in der Gemeinschaft Tamera lebt:
„Statt im Beziehungskonflikt nur das Gespräch mit dem Partner aufzusuchen und es mit ihm oder ihr allein zu klären, ist es mir ein Grundsatz geworden, andere mit einzubeziehen. Denn wie wir unsere Liebespartner behandeln, ist eben nicht nur unsere Privatangelegenheit. So viele Gemeinschaften, Projekte, Familien gehen an Beziehungskonflikten zugrunde, dass wir schon daran sehen, dass es nicht nur eine private Frage ist.“
Und somit sind wir endlich beim eigentlichen Thema: Wie schulen wir unsere Liebesfähigkeit und welche Rolle spielt die Sexualität dabei?
Mann, Frau und Sexualität
In ihrem Buch „Und sie erkannten sich“, das Teil des Kursmaterials „Heilung der Liebe“ ist, schreiben Sabine Lichtenfels und Dieter Duhm:
„Wer die Sexualität beherrscht, beherrscht den ganzen Menschen. Die Menschen mussten lernen, ihre Gefühle und ihre erotischen Impulse zu verbergen und nach außen eine Maske zu tragen, mit der sie den Strafen entgingen.“
Es begann mit der Religion, die die sexuellen Bedürfnisse der Menschen zur Sünde erklärte. Die Aufklärung befreite uns von dieser Unterdrückung, doch auch heute, wo Sex in Form von nackten Frauen und Männern in Werbeanzeigen, Pornografie und lockeren Gesprächen zwischen Freunden allgegenwärtig ist, fühlen viele von uns sich falsch, entweder weil sie zu viel Lust spüren oder gar keine.
„Die Sexualität beherrscht Literatur und Film, Tourismus und Glücksindustrien, Werbung und Autodesign. Nehmen wir ihre unterbewussten Kräfte, Wirkungen, Fangarme und Verführungen hinzu, so durchzieht sie den gesamten Körper einer Gesellschaft wie ein allerfeinstes Nervensystem. Jeder reagiert darauf, ob er es will oder nicht. Sexualität ist die Weltmacht Nummer Eins, weit vor USA, NATO oder anderen Machtsystemen des Menschen“ (Modul 2, „Heilung der Liebe“).
Sabine Lichtenfels erklärt in ihrem Online-Kurs:
„Solange der Eros so unterdrückt wird und solange keine sozialen Verhältnisse geschaffen werden, wo man ihn tatsächlich in seiner natürlichen Weise entfalten kann, wird er gewalttätig. Aber wenn wir natürliche Verhältnisse und Wahrheit im Eros schaffen, wird ein neues System der Liebe entstehen“ (Modul 2, „Heilung der Liebe“).
Lieben lernen
Als ich vor acht Jahren meinen Blog über Selbstliebe begann, ahnte ich schon, dass sie ein wichtiger Grundpfeiler für eine friedlichere Welt ist. Nach und nach las ich immer mehr Bücher zum Thema, wie das oben viel zitierte Buch „Liebe, Freiheit, Alleinsein“ von Osho.
Doch trotz all dieses Wissens gelange ich immer wieder in eine Sackgasse und fühle es einfach nicht. Dann tauchen auch noch Schuldgefühle auf, weil ich meinen Ansprüchen nicht gerecht werde. Ein Teufelskreis. Wie soll ich denn nun lernen, wirklich zu lieben? Wie kann ich meine Mitmenschen zu einem liebevolleren Umgang mit sich selbst inspirieren, wenn ich es nicht einmal vorzuleben vermag?
Vor Kurzem las ich im 2021 erschienenen Buch der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin bell hooks „Alles über Liebe“ folgende Zeilen:
„Erstaunlicherweise herrscht in unserem Land mehr als in vielen anderen Ländern eine Kultur, die von der Suche nach Liebe geprägt ist (die Liebe ist Thema in unseren Filmen, in der Musik und Literatur), obwohl wir so wenig Möglichkeiten haben, die Bedeutung der Liebe zu verstehen oder zu erfahren, wie man die Liebe in Taten und Worten verwirklicht.
Doch unsere Nation wird nicht nur von der Sehnsucht nach Liebe getrieben, sondern auch von sexuellem Verlangen. Es gibt keinen Aspekt der Sexualität, der nicht untersucht, besprochen oder demonstriert wird. Für jede Dimension der Sexualität gibt es Ratgeber und Kurse, selbst für Masturbation. Schulen der Liebe findet man hingegen keine.
Wir gehen alle davon aus, instinktiv zu wissen, wie man liebt. Obwohl so unfassbar viel dagegenspricht, erkennen wir noch immer die Familie als die wichtigste Schule der Liebe an. Von denjenigen, die in der Familie nicht gelernt haben zu lieben, erwartet man, dass sie Liebe in ihren Partnerschaften und Beziehungen erfahren. Aber diese Liebe bleibt uns oft versagt. Wir verwenden unser ganzes Leben darauf, den Schaden zu beheben, den Grausamkeit, Vernachlässigung und alle Arten von Lieblosigkeit in der Familie und in unseren Beziehungen, bei denen wir einfach nicht wussten, was wir tun sollten, angerichtet haben“ (7).
Auch sie betont, wie wichtig es für die Transformation unseres Systems ist, uns mit der Liebe und der Sexualität auseinanderzusetzen. Und sie stellt fest, dass es kaum eine Möglichkeit gibt, zu lernen, wie wir die theoretischen Erkenntnisse in unserem Alltag in konkretes Handeln umsetzen. Also schrieb sie zumindest das Buch „Alles über Liebe“, um einen Anstoß zu geben.
Dabei ist bell hooks entgangen, dass eine kleine Gemeinschaft in Portugal bereits 2012 eine Liebesschule gründete. Sie bietet regelmäßig interne und externe Seminare an und organisiert einmal jährlich eine „Globale Liebesschule“, zu der sie FriedensarbeiterInnen und Führungskräfte aus aller Welt einlädt. Dort erforschen sie gemeinsam, wie sie überall in der Welt, im persönlichen und öffentlichen Leben mit den Fragen der Liebe und Sexualität heilend umgehen können, um ein globales Netzwerk zu errichten und gemeinsam eine neue planetarische Kultur zu verwirklichen.
Um noch mehr Menschen mit diesem wichtigen Anliegen zu erreichen und vielleicht auch um Privatpersonen wie mir in ihrem persönlichen Streben weiterzuhelfen, erstellten sie zudem ein umfassendes Online-Ausbildungsangebot auf Englisch und Deutsch, darunter auch den Online-Kurs „Heilung der Liebe“, den ich soeben absolviert habe.
Nachdem ich mit einem Rubikon-Autor über meine seelische Verfassung ob der Situation in der Welt und meines Liebeskummers schrieb, machte er mich auf diesen Kurs aufmerksam.
Der Kurs: Heilung der Liebe
Der Online-Kurs ist in sechs Module unterteilt. Das erste Modul behandelt einige Grundbegriffe der Liebe: Liebe als Systemwechsel, Liebe ohne Angst, Liebe ohne Eifersucht, soziales Umfeld für die Liebe. Wie auch Osho beleuchten sie dabei zunächst die Themen Selbstliebe und Anteilnahme. Selbstliebe bedeutet dabei nicht Narzissmus, sondern die Frage: Unter welchen Bedingungen bin ich in der Lage, mich selbst zu lieben? Ähnlich wie Osho erklärt Sabine Lichtenfels:
„Wirkliche Selbstliebe ist fast identisch mit der Liebe zum Leben.“
Im zweiten Modul lädt das Team der Liebeschule uns ein, uns dem Thema Sexualität neu anzunähern, als Studienthema, damit wir Sexualität als Politikum verstehen und aus der Tabuzone hinausführen, um dadurch eine Friedenskultur überhaupt möglich zu machen.
Im dritten Modul geht es darum, dass die Sehnsucht nach freier Liebe und die Sehnsucht nach Partnerschaft kein Widerspruch sind. Beides lebt von unserer Treue zur Wahrheit. Erst Vertrauen macht Partnerschaft möglich, und dieses entsteht, wenn wir einander wirklich begegnen und uns selbst und gegenseitig so zeigen und annehmen können, wie wir wirklich sind.
Das vierte Modul beschäftigt sich mit dem Mann- und Frau-Sein, mit Rollenmustern, die wir verlassen wollen, mit der Anziehung zwischen den Geschlechtern, der Heilung des Geschlechterverhältnisses und einem tieferen Einblick in die Gender-Thematik.
Das fünfte Modul ist dem spannenden Thema Eros und Religion gewidmet:
„Religion ohne Eros wird kalt, dogmatisch und fanatisch. Eros ohne Religion wird verschlingend oder langweilig. (…) Wirklich frei und heilsam wird die Sexualität da, wo sie heilig sein darf.“
Im sechsten und letzten Modul geht es darum, die Liebe als Kraft in unserem Universum wahrzunehmen — nicht nur als Gefühl, sondern als eine Macht, die allem zugrunde liegt. So lernen wir wieder, über das Wunder des Lebens zu staunen, das in unserem Alltag völlig untergeht.
Fazit
Es tat mir sehr gut, die verschiedenen Audio- und Videolektionen der Kurse anzuhören und anzusehen. Die größte Wohltat bestand darin, dass sowohl Sabine Lichtenfels als auch ihre Gesprächspartner selbst leben, worüber sie sprechen.
1978 gründete Sabine Lichtenfels zusammen mit Dieter Duhm und weiteren Menschen ein erstes Projekt als interdisziplinäres Forschungszentrum, das SpezialistInnen aus den unterschiedlichsten Fachgebieten wie Bionik, Architektur, Ernährung oder neue Technologien anziehen sollte.
Doch bald merkten sie, dass sie ohne eine tragfähige menschliche Basis keine nachhaltigen Lösungen erarbeiten konnten und sahen sich gezwungen, zunächst die zwischenmenschlichen Konflikte in der Gruppe zu lösen. Die Kernfrage des Projektes lautete ab da: „Wie können Menschen dauerhaft in Vertrauen zusammenleben?“
1995 gründeten sie dann Tamera auf einem circa 140 Hektar großen Stück Brachland in der dünn besiedelten portugiesischen Region Alentejo, wo sie noch heute in einer Gemeinschaft von inzwischen etwa 200 Menschen zusammenleben.
Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels führen seit fast vierzig Jahren eine Partnerschaft und sprechen im Kurs auch über ihre persönlichen Erfahrungen. Alle Interviewpartner ebenso. Und sie alle strahlen auf eine gewisse Weise, was sich in Form von innerem Frieden und Vertrauen auf mich übertrug.
Ich erkannte, dass mein eigenes Drama uns alle irgendwann im Leben betrifft, und fühle mich dadurch weniger falsch. Und immer mehr Bestätigung dafür zu finden und zu fühlen, dass ich mit der Heilung meiner Liebesfähigkeit auch meinen Beitrag zu einer friedlicheren Welt leiste, motiviert mich, diesen Weg weiterzugehen, auch wenn es wehtut oder sich manchmal sinnlos anfühlt.
Gleichzeitig ist es natürlich nicht mit einem Online-Kurs getan. Die Traumata und unbewussten Beziehungsmuster sitzen tief. Selbst die Gründer der Liebesschule sagen, dass sie vor allem dank der Gemeinschaft, in der sie seit vielen Jahren leben, überhaupt in die Lage kamen, ihre Wunden tiefgehend zu heilen.
Der Online-Kurs ist auf jeden Fall eine große Hilfe, um überhaupt erst einmal anzufangen, Vertrauen in uns als Menschheit zurückzugewinnen, und vor allem schenkte er mir die Lust auf die Begegnung mit meinen Mitmenschen und meiner Mitwelt, die Lust am Leben wieder.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Osho, „Liebe, Freiheit, Alleinsein“, Goldmann, April 2002, S. 17
(2) Ebenda, S. 18-19
(3) Ebenda, S. 19-20
(4) Ebenda, S. 25
(5) Ebenda, S. 23
(6) Ebenda, S. 33-36
(7) bell hooks, „Alles über Liebe“, HarperCollins, Juli 2021, S. 30