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Die größere Gefahr

Die größere Gefahr

Die Maßnahmen, die jetzt aus Angst vor Covid-19 ergriffen werden, dürften sich als tödlicher erweisen als das Virus selbst.

von Kevin Ryan

Die ersten, alarmierenden Schätzungen der Todesfälle durch das Virus COVID-19 gingen davon aus, dass in den Vereinigten Staaten bis zu 2,2 Millionen Menschen sterben würden. Diese Zahl ist vergleichbar mit der jährlichen US-Todesrate von etwa 3 Millionen. Glücklicherweise hat die Korrektur einiger einfacher, zu Überschätzung führender Fehler, die Behauptungen über die Sterblichkeit durch das Virus drastisch reduziert.

Die jüngste Schätzung der „leitenden US-Behörde für die COVID-19-Pandemie“ geht davon aus, dass die USA zwischen 100.000 und 200.000 Todesfälle durch COVID-19 zu beklagen haben werden, wobei die endgültige Zahl wahrscheinlich irgendwo in der Mitte liegen wird. Das bedeutet, dass wir mit etwa 150.000 durch das Virus verursachten Todesfällen in den USA rechnen, wenn diese Schätzungen zutreffen. (Anmerkung der Redaktion: Erstens ist davon auszugehen, dass diese Schätzungen auf einer viel zu hohen Sterberate beruhen — beispielsweise gehen die beiden Stanford-Medizinprofessoren Dr. Eran Bendavid und Dr. Jay Bhattacharya davon aus, dass die Tödlichkeit von Covid-19 um mehrere Größenordnungen überschätzt werde und vermutlich selbst in Italien nur bei 0,01 Prozent bis 0,06 Prozent und damit unter jener der Influenza liege –, zweitens liegt allein die Zahl der jährlichen Grippetoten in den USA zwischen 27.000 und 70.000.)

Wie verhält sich das im Vergleich zu den Auswirkungen der daraufhin ergriffenen Maßnahmen? In jedem Fall werden die Auswirkungen dieser Maßnahmen erheblich, weitreichend und dauerhaft sein.

Um den Unterschied besser abschätzenen zu können, könnten wir fragen, wie viele Menschen durch die Reaktionen auf COVID-19 sterben werden. Obwohl eine umfassende Analyse von Fachleuten mit Erfahrung bei der Modellierung von Mortalitätsraten benötigt wird, können wir mit der Schätzung beginnen, indem wir die bisherige Forschung und vergleichende Statistiken untersuchen. Fangen wir mit der Betrachtung dreier kritischer Bereiche möglicher Auswirkungen: Suizid und Drogenmissbrauch, mangelhafte medizinische Behandlung oder Versorgung, sowie Armut und Zugang zu Nahrungsmitteln.

Suizid und Drogenmissbrauch

Nach Angaben des National Center for Health Statistics gab es 2018 in den USA über 48.000 Suizide. Dies entspricht einer jährlichen Rate von etwa 14 Suiziden pro 100.000 Einwohnern. Wie erwartet, nimmt die Suizidrate in Zeiten der wirtschaftlichen Depression erheblich zu. So gab es beispielsweise als Folge der Rezession von 2008 einen Anstieg um etwa 25 Prozent. In ähnlicher Weise stieg die Rate in dem Spitzenjahr der Großen Depression 1932, auf 17 Suizide pro 100.000 Menschen.

Jüngste Forschungen verbinden hohe Suizidraten „mit der Auflösung des sozialen Gefüges“, die sich bei gesellschaftlichen Zusammenbrüchen ereignet. Die Menschen verzweifeln an der wirtschaftlichen Not, dem Verlust sozialer Strukturen, der Einsamkeit und damit verbundenen Faktoren.

Es gibt wahrscheinlich kein besseres Beispiel für diese Art von Verlusten als das, was wir heute infolge der extremen Maßnahmen auf COVID-19 erleben, und die Auswirkungen werden noch viele Jahre zu spüren sein. Die sozialen Strukturen könnten sich in einigen Monaten wieder etablieren, aber die Wirtschaft wird es nicht tun.

Einige glauben, dass sich die Wirtschaft in drei Jahren erholen werde, und andere meinen, dass sie sich in Bezug auf die Auswirkungen auf Haushalte mit niedrigem Einkommen nie wieder erholen werde, wie es bei der Rezession von 2008 der Fall war. Wenn wir jedoch eine vollständige Erholung erst in sechs Jahren erwarten, werden diese Effekte in dieser Zeit Jahr für Jahr rund 3 Suizide pro 100.000 Einwohnern beisteuern, mit insgesamt über 59.000 Todesfällen in den Vereinigten Staaten beitragen.

Mit Suiziden in Verbindung stehen Todesfälle durch Drogenmissbrauch. Nach Angaben des National Institute on Drug Abuse gab es im Jahr 2018 über 67.000 Todesfälle durch Überdosierung illegaler oder verschreibungspflichtiger Drogen. Dies schließt den Alkoholmissbrauch nicht mit ein. Nur 7 Prozent waren Suizide und 87 Prozent waren bekanntermaßen unbeabsichtigte Todesfälle, die weitgehend auf Medikamentenmissbrauch aufgrund von Depressionen oder anderen psychischen Zuständen zurückzuführen sind. In Zeiten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs ist zu erwarten, dass solche Zustände zunehmen werden, und wenn wir die Auswirkungen von COVID-19 über sechs Jahre hinweg auf einen Anstieg von 25 Prozent (wie bei Suiziden) taxieren, so wird aufgrund dessen mit etwa 87.000 zusätzlichen Todesfällen zu rechnen sein.

Fehlende medizinische Versorgung oder Behandlung

Es wird erwartet, dass die Arbeitslosigkeit als Folge der COVID-19-Maßnahmen dramatisch ansteigen wird, und die Wirkung zeigt sich bereits in den Anträgen auf Arbeitslosenunterstützung. Zu den größten Auswirkungen der Arbeitslosigkeit zählt neben Depressionen und Armut der Mangel an medizinischer Versorgung.

Eine Harvard-Studie wies fast 45.000 zusätzliche Todesfälle pro Jahr nach, die auf mangelnde Krankenversicherung zurückzuführen sind. Das galt bei einer Arbeitslosenquote von 4 Prozent vor COVID-19.

Wie kürzlich berichtet, werden Millionen von Amerikanern im Zuge der COVID-19-Rezession/Depression ihren Arbeitsplatz verlieren. Auf jeden 2-prozentigen Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen etwa 3,5 Millionen verlorene Arbeitsplätze.

Der US-Finanzminister hat eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent vorhergesagt, was einem Verlust von 12 Millionen Arbeitsplätzen entspricht. Wenn die 45.000 zusätzlichen Todesfälle aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung proportional zur Arbeitslosenquote ansteigen, können wir bei 20 Prozent Arbeitslosigkeit mit etwa 225.000 Todesfällen jährlich in den USA aus diesem Grund rechnen. Hochgerechnet auf einen Zeitraum von 6 Jahren würde das 1,35 Millionen Tote bedeuten.

Dies setzt voraus, dass die Mittel für wichtige gesundheitsbezogene Programme nicht weiter gekürzt werden oder der Bedarf ignoriert wird, eine schlechte Annahme, was bedeutet, dass die Schätzung wahrscheinlich zu niedrig ausfällt.

Über die mangelhafte Versorgung hinausgehend wird es bei den medizinischen Diensten eine veränderte Ausrichtung bevorzugt auf Maßnahmen gegen COVID-19 geben, was dazu führt, dass weniger Ressourcen für die Behandlung anderer Krankheiten zur Verfügung stehen. Die Kapazität der Anbieter medizinischer Dienstleistungen ist durch die Maßnahmen gegen COVID-19 in einigen Bereichen bereits erheblich ausgelastet.

Darüber hinaus wird erwartet, dass klinische Studien und die Entwicklung von Medikamenten ernstlich beeinträchtigt werden. Das bedeutet, dass wichtige neue Medikamente nicht auf den Markt kommen und Menschen sterben werden, die sonst hätten leben können. Es liegen noch nicht genügend Informationen über die Gesamtauswirkungen auf die medizinische Versorgung vor, weshalb wir keine Schätzung abgeben.

Armut und Zugang zu Nahrung

Die Columbia University School of Public Health untersuchte die Auswirkungen von Armut auf die Sterblichkeitsraten. Die Ermittler fanden heraus, dass 4,5 Prozent der Todesfälle in den USA auf Armut zurückzuführen sind. Das sind etwa 130.000 Todesfälle jährlich.

Wie wird dies durch COVID-19 beeinflusst? Eine Möglichkeit, mit Schätzungen zu beginnen, besteht darin, zu überlegen, in welchem Maße die Zahl der in Armut lebenden Menschen ansteigen wird.

Vor der Reaktion auf COVID-19 lebten etwa 12 Prozent der Amerikaner unterhalb der offiziell definierten Armutsgrenze. Dieser Prozentsatz wird mit dem erwarteten Anstieg der Arbeitslosigkeit zweifellos erheblich steigen. Wenn die Arbeitslosigkeit, wie vorhergesagt, von 4 Prozent auf 20 Prozent steigt, könnte sich die Zahl der in Armut lebenden Menschen sicher verdoppeln. Wenn dies die Größenordnung des Effekts ist, werden wir weitere 130.000 Todesfälle pro Jahr haben, die auf Verarmung zurückzuführen sind.

Obwohl es bei den armutsbedingten Todesfällen nicht nur um den Zugang zu Nahrungsmitteln geht, ist das ein bedeutender Faktor in diesem Bereich. In Zeiten wirtschaftlicher Not können sich viele Menschen kein gutes Essen leisten, was zu Fehlernährung und in einigen Fällen zum Verhungern führt. Oder die Menschen haben keinen Zugang zu Nahrung, was zu denselben Folgen führt. Der eingeschränkte Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln ist eine der Hauptursachen für ernährungsbedingte Krankheiten, einschließlich Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Kindersterblichkeit. Nach einer aktuellen Schätzung stehen 20 Prozent aller Todesfälle weltweit in Zusammenhang mit mangelhafter Ernährung.

Die Frage des Zugangs zu Lebensmitteln wird sich mit dem COVID-19-Problem aufgrund der zu erwartenden Probleme bei deren Produktion und durch Preissteigerungen weiter verschärfen. Wenn die Maßnahmen zu COVID-19 wie erwartet über Jahre hinweg anhalten, müssen wir ein Vielfaches der 130.000 Tote jährlich veranschlagen. Unter Verwendung der 6-Jahres-Schätzung kommen wir dann auf 780.000 Todesfälle.

Schlussfolgerung

Die Gesamtzahl der Todesfälle, die auf die COVID-19-Maßnahmen zurückzuführen sein werden, wird allein aufgrund dieser begrenzten Untersuchung geschätzt:

  • Suizid: 59.000
  • Drogenmissbrauch: 87.000
  • Fehlende medizinische Versorgung oder Behandlung: 1.350.000
  • Armut und Lebensmittelmangel: 780.000

Diese Schätzungen, die sich auf insgesamt zwei Millionen mehr Todesfälle belaufen, als die geschätzten 150.000 durch das Virus selbst, beinhalten keine der anderen vorhersehbaren Probleme durch die COVID-19-Maßnahmen. Ein Beispiel ist der oben erwähnte Mangel an medizinischer Versorgung. Andere Faktoren sind die Aussetzung der Umweltvorschriften durch die EPA. Es wird geschätzt, dass allein der Clean Air Act der EPA jedes Jahr 230.000 Leben gerettet hat.

Darüber hinaus wird der erwartete Ausfall des US-Postdienstes (USPS) zu noch mehr Krankheiten und Tod führen. Der USPS „liefert jedes Jahr etwa 1 Million lebenswichtige Medikamente aus und fungiert als einzige Lieferverbindung zu den Amerikanern, die in ländlichen Gebieten leben“.

Sogar wenn wir diese niedrigen Schätzungen ansetzen, können wir sehen, dass diese Maßnahmen viel schlimmer sein werden als das Virus selbst.

Die sozialen Verwüstungen und die wirtschaftlichen Narben könnten mehr als sechs Jahre andauern, wobei ein Experte voraussagt, dass sie „lang anhaltend und katastrophal“ sein werden.

Dieser Experte merkte an, er beschäftige sich nicht übermäßig mit dem Virus selbst, da „bis zu 99 Prozent der aktiven Fälle (von COVID-19) in der Allgemeinbevölkerung einen leichten Verlauf nehmen und keine spezielle medizinische Behandlung erfordern“.

Dagegen sei er zutiefst besorgt über die „sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen dieses fast völligen Zusammenbruchs des normalen Lebens“. Er schlägt als bessere Alternative vor, sich nur auf diejenigen zu konzentrieren, die am anfälligsten für das Virus sind. Andere haben vernünftigerweise vorgeschlagen, dass nur diejenigen, von denen bekannt ist, dass sie infiziert sind, eine Selbstquarantäne durchführen sollten.

Einige Fachleute des öffentlichen Gesundheitswesens haben sich bei den Behörden dafür eingesetzt, die Auswirkungen der unangemessenen Maßnahmen zu bedenken. Viele Experten haben sich öffentlich geäußert und die Überreaktion auf COVID-19 kritisiert. Ein Professor für medizinische Mikrobiologie hat zum Beispiel einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel geschrieben, um auf die Bedenken aufmerksam zu machen.

Das eigentliche Problem, mit dem wir heute konfrontiert sind, ist nicht das Virus. Das größere Problem ist, dass die Menschen aufgrund der von einigen Medien und Regierungsbeamten geförderten Angst nicht kritisch genug denken.

Die Angst tötet den Verstand, wie der Autor Frank Herbert einmal schrieb. Letztendlich werden die Angst vor COVID-19 und das daraus resultierende fehlende kritische Denken wahrscheinlich weit mehr Todesfälle verursachen als das Virus selbst.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Could the Covid19 Response be More Deadly than the Virus?“ bei offGuardian. Er wurde von vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.

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