Ich sehe was, was du nicht siehst. Jedes Kind kennt dieses Spiel. Jeder sieht die Welt auf seine Weise. Mein Rot ist nicht dein Rot und mein Blau kann dir als Grün erscheinen. Unsere Sinnesorgane sind keine genormten, gleichgeschalteten Rezeptoren für Sinneseindrücke, die alle auf die gleiche Weise umgesetzt werden, sondern individuelle, ganz eigene Antennen, über die wir die Welt wahrnehmen — als wahr annehmen.
Wo einer eine Katastrophe sieht, erkennt der andere die Chance. Es liegt an unseren Prägungen und Erfahrungen, unseren Neigungen und Entscheidungen, wie wir ein Ereignis wahrnehmen. Die Welt, in die wir hineingeboren wurden, ist relativ und offenbart sich uns zwischen zwei sich ergänzenden Polen. Wir erfassen sie von unserem jeweiligen Standpunkt aus, von dem aus wir immer nur einen winzigen Teil dessen wahrnehmen, was wir als unsere Realität bezeichnen. Obwohl wir wissen, dass es so viele Sichtweisen wie Menschen gibt, neigen wir dazu, unsere eigene Sicht auf die Dinge wie den heiligen Gral zu verteidigen und unser Relatives absolut zu setzen. Wie spitze Pfeile schießen wir einander unsere beschränkten Blicke um die Ohren und stellen uns schützend vor die eigenen Gedankenblasen.
Kurz vorm Platzen
Der sich dem Ende zuneigende Sommer hat uns nach einem kurzen Aufatmen, zuzüglich zur Virusbekämpfung, eine verschärfte, aggressive Klimadebatte und die Angst vor einem globalen Hackerangriff beschert, und die bevorstehende kalte Jahreszeit treibt uns in die Ställe zurück. Über alle Kanäle wird uns die Vorstellung einer von innen und außen bedrohten Menschheit eingeimpft, die nur durch Technik und totale Überwachung eine Chance bekommt, zu überleben.
Was wird die Blasen zum Platzen bringen und das verworrene Netz der Hirngespinste zerreißen? Ein Bankencrash? Eine Weltwirtschaftskrise? Handelskriege? Bürgerkriege? Naturkatastrophen? Ein Angriff aus dem All? Oder werden wir es selbst sein, die wir uns unserer Begrenztheit und unseren Illusionen stellen und die Schleier zerreißen, die uns die Sicht versperrten? Werden wir den Mut aufbringen und von uns aus aufdecken, wo wir uns haben belügen und betrügen lassen? Wird es uns gelingen, uns im wahrsten Wortsinn selbst zu ent-täuschen, die Reaktionsketten aufzubrechen und in Aktion zu treten?
Sprung ins Ungewisse
Ich sehe mich als Kind im Schwimmbad auf dem Fünf-Meter-Turm stehen. In der Tiefe das Wasser, im Nacken die Angst, von hinten geschubst zu werden und unfreiwillig zu stürzen. Die schlimmste aller Vorstellungen war, die glitschigen Stufen wieder hinabsteigen zu müssen, auszurutschen und auf dem gepflasterten Boden zu zerschellen. Also sprang ich. Augen auf und durch. Das Pflaster mit einem Ruck abreißen und das Unangenehme nicht in die Länge ziehen. Nach einer kurzen Überraschung war es schnell wieder gut. Nichts war so schlimm wie die Angst davor.
Dieses Bild ist mein Mutmacher geblieben. Los! Spring und vertraue darauf, aufgefangen zu werden. Du siehst doch, dass etwas nicht stimmt. Du spürst doch, dass etwas vollkommen verkehrt läuft. Es ist nicht mehr zu verheimlichen. In einem Land, in dem Impfpartys veranstaltet und Prämien für Geimpfte vergeben werden, ist nichts in Ordnung. Also schau hin. Was ist richtig, was ist falsch? Wo versteckt sich die Lüge, wo zeigt sich die Wahrheit? „Wie lässt sich beides voneinander unterscheiden?“, werde ich gefragt.
Die Lüge braucht die Dunkelheit, die Wahrheit liebt das Licht. Die Lüge versteckt und verdrängt, die Wahrheit deckt auf.
Die Lüge spaltet und bringt die Menschen gegeneinander auf. Sie schafft Feindbilder und baut Mauern, sie trägt Masken und schürt die Angst. Die Wahrheit bringt die Menschen zusammen und nährt das gegenseitige Vertrauen.
Die Lüge verzerrt, verurteilt, bekämpft, trennt, schließt aus. Lüge isoliert. Wahrheit verbindet. Sie ist nicht im Künstlichen zu finden und nur im Natürlichen präsent. Nicht errungen muss sie werden, erschmeichelt, erzwungen. Sie kommt von ganz allein, wenn wir ihr nur die Tür öffnen.
Gedankengestrüpp und Hirngespinste durchdringen
Meine Wahrheit ist, dass wir in einer Zeit der Enthüllungen leben (1). Der Wolf im Schafspelz wird entlarvt, der vermeintliche Philanthrop steht als Verbrecher da. Das Licht scheidet sich vom Dunkel, das Echte vom Falschen. Wer ist authentisch, wer zeigt sich ehrlich, wer hat ein Herz? Wem geht es ums eigene Scherflein, wem ums allgemeine Wohl? Immer deutlicher tritt uns vor Augen, was wir uns schöngedacht und -geredet haben und was sich dahinter verbirgt. Wir alle lassen Federn und erkennen Menschen, in denen wir uns getäuscht haben.
Noch einmal und immer tiefer dringe ich in das Gestrüpp meiner eigenen Geschichte. Wo ich glaubte, Klarheit geschaffen zu haben, kommen tief vergrabene Verletzungen zutage. Einmal mehr kommt sie hoch, die Erinnerung an Krieg und Flucht, an den Schmerz, keinen Platz zu haben, den Irrglauben, sich Anerkennung, Respekt und Liebe immer erst erkämpfen zu müssen. In unserer Welt ist nichts umsonst.
Alles müssen wir uns verdienen — unsere Rechte, unsere Freiheiten, unsere Würde, unser Leben. Wie eh und je treiben sie ihr Unwesen in uns, die Dämonen von Schuld und Scham, die Angst vor Zurückweisung und Ausschluss, Verrat und Unrecht.
Jeder versucht auf seine Weise, das Unerträgliche erträglich zu machen. Wir reden uns ein, dass alles vergessen ist. So schlimm war es ja nicht. Das ist normal, da kann man nichts machen, das hat keine Bedeutung. Es spielt keine Rolle, was wir tun, auf uns kommt es nicht an. Wir sind Meister darin, uns selber Geschichten zu erzählen und uns etwas vorzumachen. Bloß den Schmerz nicht spüren! Nur allzu bereitwillig lassen wir uns betäuben. Unsere Sinne verkleben, unsere Nerven sind betäubt und unsere Köpfe mit Bildern vollprojiziert, die nicht uns selbst entspringen.
Das, wovon in unserem Gehirn kein Abbild existiert, können wir in der Außenwelt nicht wahrnehmen. Wir sehen es einfach nicht. Die Scheinwerfer leuchten auf das, was uns bekannt ist, während der Rest im Dunkeln bleibt. Als die Eroberer aus der alten Welt kamen, so wird überliefert, sahen die Eingeborenen die Schiffe nicht, denn sie kannten derartige Gefährte nicht. Sie erkannten erst die kleineren Boote. Unser Gehirn filtert weg, was wir nicht kennen oder nicht wahrhaben wollen. Was wir nicht für möglich halten, kann nicht Realität werden. Was in uns nicht existiert, kann es im Außen für uns nicht geben.
Der Vorhang fällt
Erst wenn wir uns dafür öffnen, dass ein anderes Leben möglich ist, kann es sich auch manifestieren. Hierfür ist es notwendig, dass die Schleier, die den Durchblick verhindern, zerreißen. So erkennen wir, dass sich hinter dem, was wir für unsere Realität hielten, vielleicht eine ganz andere Realität verbirgt.
Was passiert mit uns, wenn jetzt das, was wir bisher als richtig erachteten, nun als Fälschung erscheint? Was, wenn das Kartenhaus in sich zusammenfällt und wir erkennen müssen, dass wir den Falschen zugespielt haben und statt des Vereinenden das Spaltende genährt haben, statt des Heilende das Krankmachende, statt des Menschlichen das Unmenschliche? Wie groß wird der Schock sein? Werden wir es schaffen, der neuen Realität standzuhalten?
Was geschieht, wenn das, was uns bisher Halt, Sinn und Orientierung gab, zusammenbricht? Was bleibt von uns übrig, wenn alles sich ändert? Wer sind wir dann? Wer sind wir ohne unsere alten Überzeugungen und Meinungen, ohne unsere Familie, unsere Freunde, unsere Arbeit, unsere Gewohnheiten und Vorlieben? Wer sind wir, wenn wir ganz alleine sind, nackt, auf uns allein gestellt?
Wer sind wir, wenn niemand guckt? Wenn da nur wir sind, wir allein? Wo finden wir Stabilität? Wo finden wir Hoffnung und Zuversicht? Aus welcher Kraft schöpfen wir? Was wünschen wir uns jetzt? Was für ein Leben wollen wir? Ein Überleben ohne Ziel und Sinn? Oder wollen wir leben? Spüren wir, wie kostbar das Leben ist, wie wundervoll, wie großartig? Wollen wir dieses Geschenk annehmen, es selbst gestalten im Sinne unseres Besten?
Hier liegt unsere Chance. Die Enttäuschung kann zum Weckruf werden, bisher verborgene Kompetenzen freizulegen.
Wo alles zusammenbricht, alles in Frage gestellt wird, wo der Schmerz droht, uns hinwegzufegen, haben wir die Möglichkeit, die alten Gewänder abzustreifen und die überholten Programme zu löschen.
Legen wir den Weg frei zu unserem guten Kern. Wir sind weder schwach noch schlecht. Wir können unser Potenzial nutzen und das Edelste in uns zum Leuchten bringen. Wir können aufhören, uns selbst zu erniedrigen und zu bemitleiden. Wir können souverän werden, damit auch unser Land wieder souverän werden kann.
Vom Gefängnis zur Empfängnis
Übernehmen wir die volle Verantwortung für unser Leben und machen wir uns daran, unsere Probleme in die Hand zu nehmen. Wir können das. Ein Problem zu lösen bedeutet, es sich auflösen zu lassen. Hierfür müssen wir uns der Sache annehmen, sie gewissermaßen verdauen, um sie dann auszuscheiden. Dies funktioniert nicht unter Zwang und auf Biegen und Brechen. Es braucht die Bereitschaft, loszulassen. Verdauung setzt Entspannung voraus. Nur wenn wir uns dem Prozess der Befreiung, der Reinigung und Heilung hingeben, können wir uns vom alten Ballast trennen.
Der Wille gibt hierzu den Impuls. Doch damit der Lösungsprozess sich vollziehen kann, braucht es das Vertrauen des Kindes, das sich in die Arme der Eltern wirft in der Gewissheit, gehalten zu werden. Klammern, Verspannung und Widerstand behindern den Prozess und blockieren die Lösung. Das ist es, was nun zu tun ist: Lassen wir das Alte los. Bitten wir um Verzeihung und ent-schuldigen wir uns. Machen wir uns flexibel, durchlässig für die Veränderung. Geben wir uns ihr hin und vertrauen wir darauf, dass auf das Ausatmen erneutes Einatmen erfolgt.
So finden wir Zugang zu der Macht, die gleichzeitig in und außerhalb von uns ist. Wir vertrauen nicht mehr allein dem Verstand, sondern ebenfalls dem Herzen. Der Verstand schließt uns ein in Vorstellungen und Konzepte. Er analysiert, nimmt auseinander, zerlegt die Wahrnehmungswelt in ihre Einzelteile. Nur das Herz hat die Macht, die Dinge wieder zusammenzufügen, denn das Herz ist offen für Wunder, für das, was unsere Vorstellungskraft bei Weitem übersteigt.
Wir wissen nicht, was vor uns liegt. Doch wir haben jetzt die Möglichkeit, das Höchste in uns zum Klingen zu bringen, die Schwingung zu erhöhen und die Schlüssel in die Hand zu nehmen, die uns die verschlossenen Türen öffnen werden: der Glaube an das Schöne, Wahre, Gute, die Dankbarkeit, am Leben teilnehmen zu dürfen, das Wissen um die schöpferische Kraft in uns und die Macht von Menschen, die sich in diesem Sinne zusammenschließen.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Kerstin Chavent: Die Enthüllung. Neue Normalität oder neues Bewusstsein?, Futurum 2021