von Toine Rongen
Society 4.0, die Initiative des Rotterdamer Professors Bob de Wit für eine neue, regional organisierte Gesellschaft breitet sich in den Niederlanden wie ein üppiger Gemüsegarten aus. Derzeit sind ihr zehn regionale Genossenschaften angeschlossen, 72 weitere sind in Vorbereitung.
Neben der Gesellschaft 4.0 blühen viele andere lokale Initiativen von Menschen, die sich von staatlicher Kontrolle und kommerziellem Druck befreien wollen. Ein paar Mal pro Woche erzielen Bob de Wit und Roel Wolfert volle Häuser, beispielsweise im ausverkauften Schloss Doorwerth in Arnheim, wo der visionäre de Wit seinen praktischen Zukunftstraum vorstellte, der auf lokale Autonomie und Vernetzung setzt. Inzwischen gibt es in den gesamten Niederlanden Gruppen, die die Ideen von De Wit in die Praxis umsetzen. Roel Wolfert, promovierter Wirtschaftswissenschaftler und Mitorganisator, erklärt, was sie antreibt:
„Wir bringen praktische Lösungen für ganz konkrete aktuelle Krisen ein, wie das Anlegen von Gemüsegärten, Felder mit echtem Getreide statt diesem Monsanto-Mist, lokale Währungen, freie Energiesysteme, die auf Nikola Teslas Erfindungen aufbauen.“
Die regionalen Gruppen arbeiten auf eine weitreichende lokale Autonomie hin, unter anderem in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Ernährung und Energie. „Die Menschen kommen von überall her. Wir sind hier, um gemeinsam eine neue Welt aufzubauen“, so Wolfert.
Zum Jahreswechsel wird De Wit ein potenziell einflussreiches neues Buch veröffentlichen, in dem er zum ersten Mal einen Governance-Rahmen für seine lokale Revolution skizziert. Dazu gehört auch ein Vorschlag für eine direkte regionale Demokratie. Die Gruppen der Gesellschaft 4.0 sind nicht die einzigen, die sich nicht länger mit der immer stärkeren Kontrolle durch den Staat und die multinationalen Unternehmen abfinden wollen: Überall in den Niederlanden entsteht eine neue freie Welt.
Die heißen Themen der Gesellschaft 4.0 sind derzeit Ernährung und Energie, sagt Wolfert.
„Wegen der Inflation und der ständig steigenden Preise sind viele Menschen wirklich besorgt. Immer mehr Menschen wollen nicht mehr abwarten und fragen sich: Wie wollen wir das angehen und regeln?“
Die Gesellschaft 4.0 versucht, dafür praktische Lösungen zu finden. So gibt es beispielsweise Crowdfunding-Initiativen für Landwirte, die in Schwierigkeiten geraten sind. Mit einem solchen Crowdfunding konnte ein Landwirt kürzlich auf einen Schlag 850.000,- Euro bei seiner Bank abbezahlen. „In Absprache mit allen möglichen neuen Investoren aus der Region kann er nun bankenfrei weiter wirtschaften“, sagte er.
Wolfert selbst ist an einer Genossenschaft in Oss und Umgebung beteiligt, in der Hunderte von Menschen, vor allem Familien, zusammenarbeiten, um Lebensmittel zu beschaffen. Wie gehen sie dabei vor?
„Einige unserer Gruppe sind kürzlich zu regionalen Landwirten geradelt und haben gesagt: ‚Wir vertreten mehrere hundert Familien, können wir Vereinbarungen treffen, wie wir alle Lebensmittel bei euch kaufen können?‘ Dies ist für den Landwirt von Vorteil, da er so mehr seiner Produkte über den eigenen Hofladen verkaufen kann, anstatt sie an die bekannten Supermärkte zu verkaufen, wo er viel weniger Geld erhält. Das verschafft ihm mehr finanziellen Spielraum. Wenn wir große Mengen an Lebensmitteln kaufen, können wir im Gegenzug mit den Landwirten 10 bis 15 Prozent Rabatt aushandeln. Eine Win-Win-Situation sowohl für den Bürger, der weniger bezahlen muss als im Supermarkt, als auch für den Landwirt, der mehr Absatzsicherheit hat. Außerdem sind lokale Produkte, die frisch vom Land kommen, viel nahrhafter und auch schmackhafter.“
Wie entgeht die Gesellschaft 4.0 der Kontrolle der Regierung, die ihre Politik wie eine Dampfwalze ausrollt? Wolfert:
„Indem wir uns immer wieder neue Pläne ausdenken. So unterstützen wir beispielsweise Marcel van Silfhout, der mit seinem Projekt ‚Graan Geluk‘, (Getreideglück) ertragreiches Getreide anbaut. Zu diesem Zweck hat er bereits 32 Hektar gepachtet und kann Ende nächsten Jahres 150 Hektar Ackerland in unmittelbarer Nähe zu den bedrohten Natura-2000-Schutzgebieten erwerben. Sie betreiben dort auf traditionelle Weise moderne Landwirtschaft mit sehr wenig Kunstdünger, aber natürlichem Ziegen- und Kuhmist.“
Ist die Regierung dafür offen? Mit Unterstützung von Society 4.0 wandte sich van Silfhout an die Regierung mit der Frage: „Wir haben in den Niederlanden Land für die Landwirtschaft und für die Natur. Können wir zusätzlich eine Zwischenform einführen, wo man ernten darf? Dieser Vorschlag liegt nun dem Unterhaus, der sogenannten Zweiten Kammer, vor. Es wäre großartig, wenn diese Entscheidung positiv ausfallen würde. Dann könnten wir an den Rändern dieser Naturgebiete, unter anderem in der Veluwe, mit der Landwirtschaft beginnen. Dies sind potenziell gute Gebiete, die van Silfhout fruchtbar machen kann. Er tut dies übrigens mit Menschen aus den verschiedensten Umweltorganisationen, die zwar in einigen Bereichen unterschiedlicher Meinung sind, aber auf menschlicher Ebene sehr gerne zusammenarbeiten.“
Klingt das inspirierend?
„Auf jeden Fall! Mit Gran Geluk werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Das Projekt wirkt sich auf das Recht aus und schafft gleichzeitig ein schönes Getreideprodukt mit all den damit verbundenen Aktivitäten. So wird beispielsweise in einer Region eine Mälzerei gebaut, in der Gerste zu Malz für das Bierbrauen verarbeitet wird, das in Belgien bereits einige renommierte Preise gewonnen hat. Auch die Bäcker kehren zum echten Brotbacken zurück. Diese alten Körner haben einen um 40 Prozent höheren Nährwert als herkömmliche verarbeitete Körner. Es ist also ein Messer, das an vielen Kanten schneidet.“
Natürlich hat die Bewegung auch Rückschläge zu verkraften. Stimmt es, dass in einigen Regionen die anfängliche Begeisterung etwas abgeflaut ist? Wolfert: „In einer Welt, die sich zu einer neuen Welt wandelt, gibt es natürlich viele Herausforderungen. Auch die Menschen selbst befinden sich in einem Transformationsprozess.
Um unseren Seelen näher zu kommen, bringen unsere Initiativen die Verantwortung der Menschen zurück in die Region.
Dies erfordert auch, dass die Menschen oft anders als sonst miteinander umgehen, mehr auf einer Seelenebene mit echtem Einfühlungsvermögen. Ich sage oft zu Menschen, die neu hinzukommen, dass sie diese drei Dinge nacheinander tun sollen. Erforschen Sie zuerst. Sehen Sie sich um. Wer sind die Menschen, denen Sie sich angeschlossen haben? Mit wem fühlen Sie sich verbunden? Dann: erkennen. Wer ist diese Person? Wie ist sie, wo liegen ihre Qualitäten? Und schließlich: anerkennen. Lassen Sie die Person auf sich wirken und akzeptieren Sie sie so, wie sie ist. Versuchen Sie nicht, sie direkt zu ändern, lassen Sie sie so sein, wie sie ist. Für viele Menschen ist die Umwandlung in eine 4.0-Person ein schwieriger und manchmal schmerzhafter Prozess. Viele Menschen sind in einer hierarchischen Kultur aufgewachsen, aber genau das ist die Gesellschaft 4.0 nicht“, so Wolfert.
„Es ist eine Organisation von unten nach oben, nicht von oben gesteuert. Die Menschen kommen von überall her, aber Sie haben immer solche, die sofort mit anfassen, und solche, die sich beklagen. Diese Charakterisierung stammt von einer Gruppe, die ihr Volk aufforderte, ‚nicht zu klagen, sondern zu bauen‘. Die Bauherren sind die tatkräftigen, unternehmungslustigen Typen, die in Lösungen denken. Die anderen haben noch Zweifel, ob sie das Richtige tun, sehen eher Probleme als Lösungen, übernehmen noch keine Verantwortung und sind noch zu oft in ihrem Ego gefangen.
Ein Beispiel: Wir sind mit dem Arbeitsethos aufgewachsen, dass, wenn eine Person etwas tut, die andere es mit der gleichen Energie und dem gleichen Engagement angehen muss. Das müssen wir loswerden. Tun Sie einfach, was Sie wollen und was Sie können. Die Ergebnisse einer kleinen Gruppe können enorm sein. In unserer Gesellschaft 4.0 haben wir zum Beispiel mit zehn Menschen ein Ernährungssicherungspaket organisiert. Bald werden Hunderte von Familien in den Genuss kommen, das ist doch schön, oder?“
Wie geht die Gesellschaft 4.0 mit Spannungen um? Angenommen, der eine ist geimpft, der andere nicht? Wolfert:
*„Es ist wahrscheinlich kaum zu glauben, aber ich habe noch keine kontroverse Diskussion über dieses Thema gehört. Wir sind integrativ, wir ziehen ein breites Publikum an. Wir konzentrieren uns vor allem auf das, was uns eint, und nicht auf das, was uns trennt.
Da viele Familien mit Kindern beigetreten sind, ist die Zukunft unserer Kinder ein wichtiger Faktor. Was uns außerdem verbindet, ist die Überzeugung, dass wir eine bessere Welt aufbauen wollen, weil die alte buchstäblich zusammenbrechen wird.“
Zum Jahreswechsel werden Wolfert und De Wit zwei Bücher veröffentlichen. In „Building Society 4.0“ beschreiben sie noch detaillierter, wie autonome Regionen gegründet und gestaltet werden können In Demokratie 4.0 gibt De Wit praktische Hinweise darauf, wie eine neue, regionale Demokratie aussehen könnte.
Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst in der niederländischen Wochenzeitung De Andere Krant unter dem Titel „ Society 4.0: het nieuwe samen leven zet door“. Er wurde von Annette van Gessel übersetzt, etwas gekürzt und lektoriert.