Als ich vor vierzehn Jahren meinem Schulleiter gegenübersaß und die Ernennungsurkunde zur Beamtin ohne meine Unterschrift über seinen Schreibtisch zurückschob, war mir nur eines klar: Ich wollte zurück nach Frankreich. Ich wollte nicht an einem Hamburger Gymnasium meine Sehnsucht zu Grabe tragen. Bis heute nehme ich mir immer wieder die Freiheit, mich gegen Sicherheiten und zu eng gewordene Gewohnheitskorsagen zu entscheiden.
Es ist mir nicht in den Schoss gefallen. In meiner Familie zählen Grund und Boden zu den höchsten Werten. Obwohl mir Bequemlichkeit sehr am Herzen liegt und ich beim bloßen Gedanken an eine ungemütliche Bettstatt schlechte Laune bekomme, beschäftigt mich zunehmend die Frage, wie ich meine Freiheit weiter gedeihen lassen kann.
Besonders wichtig ist mir die Freiheit, mir meine Zeit selbst einzuteilen, meine Inhalte auszusuchen und mir dabei möglichst wenig auf die Finger gucken zu lassen. Ich unterrichte freiberuflich an verschiedenen Institutionen und habe mich gerade aus Protest gegen virtuelle Klassenräume und die Unterordnung des Menschen unter die Maschine mit einer davon überworfen. Ich arbeite mit mehreren Verlagen zusammen und schreibe die meisten meiner Artikel ehrenamtlich. Ich bin von keinem Sponsor, keinem Werbepartner abhängig und niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig.
Im Gegenzug lässt mir ein Blick aufs Bankkonto bisweilen den Atem stocken und der Anspruch auf Rente ist für mich eine unbekannte Insel. Es wie die Vöglein in der Luft und die Blümlein auf dem Felde zu machen und mich nicht um das Morgen zu sorgen, fällt mir alles andere als leicht. Doch es ist wie mit den Austern, die jeden Freitag auf dem Dorfplatz vor meiner Haustür feilgeboten werden: Hat man erst einmal eine gekostet, probiert man beim nächsten Mal mehr.
Verzicht kann zum Genuss werden, wenn er freiwillig ist. Es ist wie der Unterschied zwischen Fasten und Hungern: Ist es meine Entscheidung, kann es geradezu beglückend wirken, auf etwas zu verzichten. Verzichten kann Flügel verleihen.
Ich brauche das nicht mehr! Es macht Spaß, leichter zu werden, flexibler, ungezwungener. Wenn nicht mehr Tonnen von angesammeltem Kram hinter einem herscheppern, die man womöglich noch gegen Neider und Angreifer verteidigen muss, wird auch das Leben deutlich leichter.
Besitz schafft Angst
Wer viel hat, der hat viel zu verlieren. Entsprechend wächst mit dem Besitz die Angst. Besonders viel Angst haben die 26 Menschen auf der Welt, die zusammen so viel besitzen wie die arme Hälfte der Menschheit. Niemals können sie sich sicher sein: Kaum ist die nächste Milliarde gewonnen, droht sie auch schon, ihnen wieder zwischen den gierigen Fingern zu zerrinnen. Überall lauert Gefahr: Die Märkte können nervös werden und die Investoren ungnädig, die Konten können schmelzen und die Banken pleite gehen, Hab und Gut kann vom Klimawandel dahingerafft werden und die gesicherte Wohnanlage von Flüchtenden gestürmt. Die Versicherungen können sie im Stich lassen und die Freunde auch. Denn ab einem bestimmten Vermögen kann man davon ausgehen, dass kaum einer aus ehrlicher Zuneigung mit einem zusammen ist.
Wer seine Existenz auf Besitz aufgebaut hat, der hat vor allem eines: Sorgen. Sich nicht mehr hinter materiellen Polstern verstecken zu können, entzöge dem Vermögenden in jeder Hinsicht seine Existenzgrundlage.
Wer sich mit dem identifiziert, was er hat, der weiß nicht, wer er ist. Er hat nicht erfahren, wie es ist, um seiner selbst willen geliebt und geachtet zu werden. Vielleicht waren Mutter und Vater abwesend, zu sehr mit sich beschäftigt. Vielleicht läuft das verletzte Kind ein Leben lang der Liebe der Mutter hinterher oder der Anerkennung des Vaters, dem er nie das Wasser reichen konnte. Eines ist klar: Jemand, der seinen Besitz nicht teilt und andere krepieren lässt, der hat als Kind gelitten.
Ein Kind, dem Liebe, Wärme und Achtung gegeben werden, muss als Erwachsener keine Vermögensberge um sich herum anhäufen, um sich zu beweisen. Jemand, der als Kind Freunde zum Spielen hatte, der muss nicht versuchen, andere zu unterdrücken und auszubeuten. Wer sich als kleiner Mensch integriert und anerkannt gefühlt hat, der lässt das Lebendige nicht zugrunde gehen, ohne sich darum zu scheren. Er weiß, dass gemeinsames Spielen am meisten Spaß macht.
Diejenigen, die als Kinder am Rande standen — die Pummelchen und Brillenschlangen, die Angsthasen und lahmen Enten, die Blassen und Unscheinbaren — können als Erwachsene zur Gefahr für sich und andere werden: Denen zeig ich’s! So sind die Eliten, die an den Spitzen der Pyramiden unserer Gesellschaft mit dem Lebendigen jonglieren, wie ein Haufen einsamer, unglücklicher Jungs. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich angstvoll an ihr Hab und Gut und den damit einhergehenden Einfluss zu klammern.
Den Boden für die Befreiung bereiten
Wer hingegen wenig oder nichts mehr zu verlieren hat, der verliert auch seine Angst. Er ist zu allem bereit. Vor allem dazu, die Besitzenden zu stürzen. Mit der zunehmenden Öffnung der sozialen Schere und dem wachsenden Gefühl der Ungerechtigkeit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das auch geschehen wird. So sehr sich der Wolf im Schafpelz präsentiert und der Zerstörer als Wohltäter — es wird immer schwieriger für ihn, sich zu verbergen. Im Gleichschritt mit der Gefahr, entlarvt und enteignet zu werden, multiplizieren sich Überwachungsmaßnahmen, Repressionen und Pläne, auf andere Planeten umzusiedeln.
Gegenüber den Ungeheuerlichkeiten meiner Zeit bleibt mir, mich weiter möglichst frei zu machen, unabhängig von Besitz und von Menschen, die mich für ihre Zwecke nutzen wollen.
Dabei habe ich nicht vor, als verbitterte Asketin in die Wüste zu ziehen oder mich mit faden Suppen in ein feuchtes Erdloch zu verkriechen. Ich möchte gerne weiter Austern essen, mich abends in weiche Kissen betten und genießen. Doch ich möchte mich von dem lösen, was mir nicht guttut.
Früher habe ich geraucht. Viel. Als ich mich damit beschäftigte aufzuhören, fürchtete ich, nie wieder etwas richtig genießen, nie wieder richtig entspannen, mich nie wieder so richtig frei fühlen zu können. Der abhängige Teil in mir bildete sich ein, dass mir die Zigarette Genuss, Entspannung und das Gefühl von Freiheit vermittelte. Der gesunde Teil verstand, dass meine Abhängigkeit genau das verhinderte. Viele Versuche sind gescheitert, bis es irgendwann Klick machte und die Energie in eine andere Richtung floss. Da war alles plötzlich ganz einfach.
Was uns letztendlich dazu bringt, freiwillig unser Verhalten zu ändern, bleibt für mich ein Mysterium. Doch wenn ein Feld lange genug bearbeitet worden ist, wenn der Boden umgepflügt und aufgelockert wurde, die Steine aufgesammelt und das Unkraut gezupft, wenn also die besten Bedingungen geschaffen worden sind, dann geschieht etwas von ganz alleine: Die Saat geht auf. Etwas Neues wächst heran.
Ich brauche das nicht!
In diesem Prozess habe ich nichts zu verlieren als meine Angst vor dem Mangel. Ob Drogen oder Raffgier — die Sucht vernebelt uns die Sinne. Sie hindert uns daran, das zu erkennen, was uns zur Verfügung steht, was wir also gar nicht erjagen, an uns reißen und verteidigen müssen. Ich brauche keine Statussymbole, wenn ich lerne, meinen eigenen Wert zu erkennen. Ich brauche keine Ablenkung, wenn ich mit mir selbst etwas anfangen kann. Ich brauche keine Städtetrips und Kreuzfahrten, keine Vergnügungsparks und Shoppingmalls, keine Snacks und ständig was Neues zum Anziehen, keine elektronischen Gadgets, keine Deko, keine Versicherungen für alle Fälle.
Ich brauche keine Tomaten im Winter und keine Orangen im Sommer. Ich brauche kein Foto von jedem Augenblick meines Lebens, keine Clouds, keine Apps, keine Gifs, keine Emojis und süßen Filmchen, die die letzten Ressourcen des Planeten verschlingen. Ich brauche es nicht, hundertmal am Tag irgendwelche Nachrichten in die Welt zu schicken, um die Verbindung mit anderen zu spüren. Ich brauche das Gefühl nicht, etwas zu verpassen, wenn ich nicht ständig online und erreichbar bin. Ich brauche diesen ganzen Kram nicht, für den wir unsere Mutter Erde opfern.
Ich brauche keinen Lehrer, der meinen Geist und keinen Arzt, der meinen Körper manipuliert. Denn mein Körper und mein Geist wissen aus sich selbst heraus, was heilend ist und gut für sie. Ich brauche es nicht, dass jemand etwas in mich hineintut oder mir anheftet, und ich dafür bezahlen muss. Ich brauche niemanden, der über mein Leben bestimmt und der mir sagt, was ich zu tun habe. Ich weiß am besten selbst, was richtig für mich ist, und mein Körper hilft mir dabei, es zu begreifen.
Das spart eine Menge Geld. So brauche ich keinen Job, der die Illusion finanziert, mein Wohlergehen sei irgendwie erwerblich. Was ich brauche, trage ich in mir — ich muss nur Türen und Fenster öffnen und es strahlen lassen. Wenn ich mir selbst Wärme und Anerkennung gebe, muss ich nicht mehr versuchen, sie mir anderswo einzuheimsen. Ich muss nicht meine Seele verkaufen, meinen Nachbarn verraten und meinen Planeten opfern, um das zu bekommen, was doch nur ich mir geben kann.
Die Energie fließen lassen
Auch wenn es sie tatsächlich geben soll, die Menschen, die sich allein von Luft und Liebe ernähren (1), so möchte ich nicht auf alles verzichten. Ich bin in einen Körper hineingeboren und mit Sinnen ausgestattet worden, die es mir ermöglichen, meine Umwelt wahrzunehmen und zu erfahren. Ich bin gleichzeitig Körper und Geist, ein Kind der Erde und des Himmels. Nur dann, wenn sich beide in einem harmonischen Zusammenspiel miteinander verbinden — das wussten bereits die Ärzte der Antike — sind wir ausgeglichen und geht es uns gut.
In diesem Zusammenspiel zwischen Geist und Materie ist das eine dem anderen nicht übergeordnet. Die Erde und das, was sie hervorbringt, hat nicht mehr und nicht weniger Wert als der Geist, der die Dinge belebt. Wenn ich mir also die Freiheit nehme, in meinem Leben das Materielle die zweite Geige spielen zu lassen, so schätze ich es durchaus sehr, wenn das, was meine Sinne aufnehmen, angenehm ist. Dazu gehört für mich auch die Nützlichkeit oder Schönheit von Objekten, die ich mit Geld bezahlt habe.
Geld ist eine Energie, die ich dazu benutzen kann, das Leben auf diesem Planeten zu ruinieren oder allgemeinnützige Projekte zu unterstützen. Die Freiheit des Verzichts bedeutet daher nicht, in diesen stürmischen Zeiten den materiell Orientierten das Feld zu überlassen, während ich mich in Hanf gehüllt darin übe, mich von Prana zu ernähren. Ich möchte auch gelegentlich Kuchen essen. Ich brauche Geld, um meinen Lebensunterhalt zu bezahlen, um die Möglichkeit zu haben, anderen zu helfen und, ja, um gelegentlich etwas zu kaufen, was mir einfach nur Freude macht.
Solange die Hand geöffnet bleibt, durch die das Geld fließt, ist alles in Ordnung. Erst wenn sie sich schließt, staut sich die Energie und es entstehen Mangel auf der einen und Überfluss auf der anderen Seite.
Was wir versuchen festzuhalten und anzuhäufen, wird uns letztlich zum Verhängnis. Indem wir dazu beitragen, dass das Geld nicht dorthin fließt, wo es nützlich ist, zwingen wir anderen Mangel auf und machen uns selbst zu Gefangenen, besetzt von dem, was wir zu besitzen glauben.
Wir ernähren uns von dem, was wir anderen geben — so lautet ein buddhistisches Sprichwort. Je mehr wir uns von unserem Besitz besetzen lassen, desto mehr verkümmern wir. Unser Herz verschließt sich, unsere Sinne verkleben und unsere Seele leidet. Finden wir in den Kreislauf zurück. Lassen wir die Energien fließen. Teilen wir, was wir haben. Nehmen wir uns die Freiheit, dort zu geben, wo es nötig ist, und erhalten im Gegenzug etwas, was unbezahlbar ist: die Achtung vor uns selbst.
Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.
Stimmen zum Buch:
„Ich möchte allen Menschen raten, mutig zu sein, und sich nicht durch Angst erdrücken zu lassen. Wer mutig ist kann freudig und gewaltlos seinen Weg gehen. Das ist bestimmt nicht immer einfach. Aber Mut öffnet Türen, die sonst verschlossen bleiben. Die in diesem Buch abgedruckten Texte zeigen, wie wichtig Mut im 21. Jahrhundert ist.“
Dr. Daniele Ganser, Friedensforscher
„Das ist ein ganz besonders Buch, denn mit jedem seiner vielfältigen Beiträge werden Sie eingeladen, ermutigt und inspiriert, sich mit all jenen zu verbinden, die künftig nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander leben wollen.“
Dr. Gerald Hüther, Sachbuchautor und Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung
„In einer Zeit, in der regressive Kräfte sehr von den Verunsicherungen in unserer Gesellschaft profitieren, brauchen wir Mutmacher mit einem langen Atem. Menschen, die uns mit Fakten und Bildern speisen, die uns an unser eigenes Potential für Veränderung und Glück erinnern. Danke Rubikon! Für dieses Buch und für eure gesamte Arbeit.“
Veit Lindau, Autor und Bewusstseinsforscher
„Dieses einzigartige Buch macht großen Mut zur Veränderung. Es verwandelt Verzweiflung in Hoffnung, Wut in Liebe und ist ein kraftgebender Kompass durch schwere Zeiten. Für mich eines der wertvollsten Bücher der letzten Jahre.“
Jens Lehrich, Autor und Comedian
„‚Nur Mut!‘ ist ein Buch, das den Leser dazu auffordert, sich selbst zu ermächtigen. Wer sich im aufrechten Gang den Problemen dieses Planeten entgegenstellt, macht sich zwar angreifbar, kann von sich aber behaupten, in der Stunde der Bewährung seine eigene Angst besiegt zu haben. Ohne solche Menschen hat unsere Spezies keine Zukunft. Die Belohnung für gelebten Mut ist ein Leben, in dem die Angst nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.“
Ken Jebsen, investigativer Journalist
„Nur, wenn wir uns selbst und unsere Gefühle erkennen, wenn wir unser Unbewusstes bewusst machen und aus dem kollektiven Stockholm-Syndrom, auf das man uns von Kindertagen an festgelegt und zu dem man uns erzogen hat, aussteigen, können wir wirkliche Liebe, vor allem aber unsere tägliche Unterdrückung erkennen. Dann können wir aus dem inneren wie äußeren Gefängnis aussteigen und unser eigenes Leben leben, in dem wir zu fühlen beginnen, was gut und ungut, was richtig und gelogen, was Liebe und was Ausbeutung und Unterdrückung ist. Wider den Gehorsam! Die Wahrheit schlummert in jedem von uns.“
Jens Wernicke, Autor und Publizist
Quellen und Anmerkungen:
(1) „Am Anfang war das Licht“, Film von Peter-Arthur Straubinger.