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Die Flirt-Diktatur

Die Flirt-Diktatur

Eine verquere Sexismus-Debatte stilisiert zwischenmenschliche Begegnungen zum Übergriff.

Anfangs hatten die Diskussionen um #MeToo ja durchaus ein berechtigtes Motiv. Wenn jemand seine berufliche Position benutzt, um einen anderen Menschen sexuell in die Enge zu treiben, dann ist das aller Skandalisierung wert. Dass dann andere Geschädigte nachlegen und sagen, dass es sie auch erwischt hat, ganz so wie manche Schauspielerin im Büro eines Hollywood-Produzenten, kann man aus emanzipativer Warte heraus nur begrüßen.

Problematisch wurde jedoch im Laufe der letzten Monate, dass sich unter diesem Label sukzessive nicht nur Geschädigte nach ursprünglicher Maßgabe zu Wort meldeten, sondern auch „Geschädigte“, die maßlos übertrieben und selbst einen doofen Männerblick am Einkaufsregal oder einen traurigen Flirt als Ausdruck des patriarchalen Ungeistes kategorisierten.

Im Laufe der Debatte um #MeToo kristallisierte sich heraus, dass es nicht mehr nur um kriminelle Handlungen wie erzwungenen Sex oder um antiquierte Attributierungen im Hinblick auf die Frau geht: Nach und nach verabredete man sich unter dem Hashtag zu einer großen Abrechnung mit der Männerwelt.

Über manche Story, die da kurz und prägnant über das Unrecht berichtete, staunte man nicht schlecht. Zum Beispiel der Versuch eines interessierten Mannes, sich einer Frau im Gespräch zu nähern: Es ist auch dann nicht gleich sexistisch, nur weil der Typ schlechte Zähne und klebriges Haar hat. Man kann ja ablehnen — und viele der dortigen Anklagen legten ja auch dar, dass die Galane mehr oder weniger schnell abließen. Der Flirt mauserte sich in diesem Diskurs allerdings mehr und mehr zu einem sexistischen Moment.

Flirting with Disaster

Neulich fiel mir eine E-Mail in die Hände. Sie wurde eigentlich an Frankfurter Studentinnen und Studenten versandt. Darin geht es um einen angebotenen Workshop zum Flirten.

Flirt sei „ein Wort, welches nicht unbedingt positive Gedanken und Gefühle hervorbringt“, legt man in der Benachrichtigung los. Das wolle der Workshop ändern. Es gehe nämlich darum, „dass sich die andere Person auch wohlfühlt“, dass man „dabei diskriminierende, einengende Stereotype“ vermeidet. Man möchte sich dem „Konsens-Prinzip (Zustimmungskonzept / sexual consent) nähern“ und so eine angenehme Flirt-Atmosphäre möglich machen.

Kommen können Frauen wie Männer. Geleitet wird der Workshop von Blu, „Bildungsreferent_in (mit) Abschluss als Social Justice und Diversity Trainer_in“. Kurz und gut, das Flirten soll hier in einen geschützten Raum überführt werden, wo man lernt, nicht anzuecken und gefällig zu sein.

Dem Ansatz liegt ein fatales Fehlurteil zugrunde: Dass das Flirten nämlich eine Tätigkeit zwischen Geschlechtern sei, die zwangsläufig immer unangenehm sei — und die daher abgleitet in eine Sphäre größten Unbehagens. Man redet den potenziellen Teilnehmern etwas ein, triggert sie auf Impulse, die sie vorher vielleicht noch nicht einmal erahnten. Das Angebot von Blu ist weniger Seminar als ein Lehrgang zur Sensibilisierung auf Auslöserreize.

Insofern ist diese E-Mail symptomatisch für die Wahrnehmung im #MeToo-Milieu. Man verrennt sich zuweilen in einen Wahn von politischer und moralischer Korrektheit, eskaliert Alltagssituationen ohne Not. Damit werden alle, die keine Notwendigkeit in einer solchen Eskalation sehen, zu Menschen aus gestrigen Tagen degradiert, die noch nicht begriffen hätten, dass der Mensch unserer Zeit ein stets schutzbedürftiges Subjekt ist. Und dass die Welt ein allumfassend sicherer Platz werden müsse.

Der Safe Space: Triggerwarnungen und andere Übertreibungen

Vor nicht ganz drei Jahren wies der slowenische Philosoph Slavoj Žižek in einem Artikel für das Philosophie-Magazin, Ausgabe 01/2016, darauf hin, wie das Triggern auf gewisse Impulse auch das allgemeine Flirtverhalten prägt. Aufhänger für seinen damaligen Text war der damals diskutierte „Trend zum Sexvertrag“ und wie er die „Sprache des Begehrens“ beeinträchtigt. Diese sei nämlich nicht eindeutig.

Er bemühte das Beispiel aus einem britischen Film der Neunzigerjahre — „Brassed Off“ aus dem Jahr 1996 —, in dem eine junge Frau einen jungen Mann noch auf einen Kaffee hereinbittet. Der lehne ab, Kaffee sei nicht unbedingt das Getränk seiner Wahl. Sie lächelt und erwidert, sie habe ohnehin keinen da. „Durch eine doppelte Verneinung spricht die Frau hier eine unverblümte Einladung zum Sex aus …“, erklärt der slowenische Philosoph.

Und dann fährt er fort, dass die Sprache des Begehrens oftmals keine sei, die unverhohlen angewandt würde. Sie sei verspielt und sage oft das Gegenteil dessen, was von beiden gewollt ist. Manchmal ist sie ohnehin sprachlos.

Žižek witterte in der „Nein-heißt-Nein“-Regel, die Anfang 2016 überall im Gespräch war und die später zum Glanzstück der Verschärfung des Sexualstrafrechts stilisiert wurde, ein „Musterbeispiel für die heute vorherrschende narzisstische Auffassung von Subjektivität“, ein kompliziertes — im Alltag kaum praktikables — Regelwerk soll die individuelle Verletzlichkeit schützen. Dass die Diskussionen zu trigger warnings fast zeitgleich geführt wurden, stellte für ihn keinen Zufall dar.

Damals häuften sich Berichte von Universitäten, in denen Studentinnen und Studenten dringend forderten, dass Vorlesungen klassischer Texte, in denen Szenen sexueller Gewalt deutlich werden, vorher unbedingt von der Professorenschaft mit einer Triggerwarnung ausgestattet werden müssten.

Der slowenische Denker witterte darin die Absicht, das Leben als einen Kokon zu begreifen, in den man sich verpuppe und so von allen Gefahren, ja auch nur potenziellen Gefahren, aber auch anderen Weltbildern isoliere. Man trichtere den Leuten ein, man könne sich vor jedem Übergriff rundherum bewahren. Es brauche nur Regeln und noch mehr Regeln, dann ist die Sicherheit gewährleistet. Während wir im etablierten Liberalismus Deregulierungen erleben, flüchtet sich der homo liberalis in eine Regulierungswut im zwischenmenschlichen Sektor und leistet einer besorgniserregenden Verweichlichung Vorschub.

Die Mimose oder Der verweichlichte Staatsbürger von heute

Den damaligen Diskussionen zum sogenannten „Sexvertrag“ lag eine ziemlich falsche Vorstellung von Sexualität zugrunde. Man tat so, als sei die Sprache der Lust eine Sprache der Klarheit. Jedes Spielchen zwischen dominanten und devoten Partnern wurde damit aus der Kategorie möglicher Sexualität ausgeschlossen. Dahinter steckte Phantasielosigkeit, Langeweile und ganz sicher unsere abendländisch-christliche Sozialisation, die einen traditionellen Hang zur Prüderie in sich trägt.

Zu dieser Prüderie gesellt sich eine Lebenseinstellung, die eines völlig verlernt hat: Mal etwas aushalten zu können. Na klar kann ein Flirt unangenehm sein. Dazu muss es nicht erst zu Übergriffen kommen. Aber wenn eine Frau von einem Mann angesprochen wird, den sie auf Anhieb nicht interessant findet, ist das noch kein Übergriff, wie das die #MeToo-Debatte zuweilen hervorbrachte. Sondern es ist ein ganz normaler zwischenmenschlicher Akt, der sich in den meisten Fällen mit einigen Worten ausräumen oder in eine andere Richtung kanalisieren lässt.

So zu tun, als müssten potenzielle Flirtteilnehmer schon vorab in einem Seminar die Körpersprache der Gegenseite verstehen, um einen positiven Flirt zu erzeugen, hat einen fast soziophobischen Hintergrund. Diese verweichlichte Betrachtung der Welt findet man dieser Tage freilich nicht nur im Diskurs zur Sexualität.

Sie hat sich in der politischen Diskussion verfestigt. Menschen, die politisch anders ticken, vielleicht auch einige einem völlig fremde Betrachtungsweisen pflegen, hält man immer weniger aus. Man würde sie am liebsten aus der Öffentlichkeit entfernen, damit man sie nicht mehr aushalten muss. Das Mimosenhafte hat in weiten Teilen der öffentlichen Debatte das Ruder übernommen.

Das ist eine bedenkliche Entwicklung für eine Demokratie. Normalerweise sind es Diktaturen, die sich mimosenhaft geben und hart gegen jene vorgehen, die nicht ihren Normen entsprechen. Mit Härte schützen sie ihre verweichlichte Haltung zur Vielfalt. In einer Demokratie muss man eigentlich eher hart zu sich selbst sein, weil in ihr (fast) alle einen Anspruch darauf haben, ihre Sicht der Dinge frei zu äußern. Die Mimose ist folglich kein Demokrat. Sie stellt den Vorboten einer tyrannischen Weltvorstellung dar.

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