Die Fadenscheinigkeit der Gründe, die von den USA für ihre Mordaktionen angeführt wurden, gereichten ihnen nie zum Nachteil. Denken wir an die militärisch sinnlosen Flächenbombardements deutscher und japanischer Städte, die zwei Atombomben, mit denen das kapitulationsbereite Japan „zur Kapitulation gezwungen“ werden sollte, den Angriff vietnamesischer Fischerboote auf die mächtigste Marine der Welt in Gewässern, in denen sie nichts zu suchen hatte, die aus der Luft gegriffene Vision eines neuen Auschwitz mitten in Jugoslawien oder nichtexistierende Massenvernichtungswaffen im Irak. Alles gelogen. Spielte aber keine Rolle.
Auch der Tod von Millionen hat sich, wie Harold Pinter in seiner Nobelpreisrede festhielt, eigentlich nie ereignet. Mit der Hinnahme von Kriegen ist es seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vorbei: Russland müsse sich vollständig zurückziehen — bis an den Verhandlungstisch. Aber über was soll verhandelt werden? Dass der Westen Fehler gemacht hat? Das hieße, Russland Gründe für den Einmarsch zuzugestehen. Da können wir lange warten, denn die entgegen einem Michael Gorbatschow 1991 gegebenen Versprechen durchgeführte NATO-Osterweiterung war nicht einfach ein „Fehler“. Auch nicht ihr De-facto-Vordringen bis in die Ukraine. Von Fehlern spricht man, wenn Alternativen vorhanden sind. Von ihnen aber kann keine Rede sein, wie sich gut am Krieg der USA gegen Japan im Zweiten Weltkrieg zeigen lässt.
Die gegebenen Sozial-, Vermögens- und Machtstrukturen in den USA erforderten, den südwestpazifischen Raum als „Grand Area“ zu kontrollieren. Das Gebiet von China über Britisch-Malaya bis Niederländisch-Ostindien, das heutige Indonesien, mit seinen Rohstoffquellen wie Zinn, Bauxit, Kupfer, Kautschuk, Chinin, Tungsten oder Erdöl und Absatzmärkten galt für das reibungslose Funktionieren der heimischen Ordnung als überlebensnotwendig. Japan wurde mit „Sanktionen“ — Embargos — in die Enge getrieben, bis es in Pearl Harbor zurückschlug und ein paar Schiffe versenkte. Wem das bekannt vorkommt, der unterliegt keiner Täuschung.
Wie im Rom nach den Punischen Kriegen erfordert eine aus den Fugen gebrachte Sozialstruktur die permanente Expansion. Der Krieg gegen das irakische Volk 1991 fiel nicht aus heiterem Himmel, sondern wurde in dem Moment vom Zaun gebrochen, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein Rückgang der Rüstungsausgaben zugunsten von Sozialleistungen drohte. Ein Mitglied der Bush-Regierung atmete auf: „Wir schulden Saddam (Hussein) einen Gefallen. Er hat uns vor der Friedensdividende gerettet“ (1). Von hier aus sei die Prognose gewagt, dass es wie bei den folgenden Massakern 1999 (Jugoslawien), 2001 (Afghanistan) oder 2003 (nochmals Irak) auch in der Ukraine keinen Verhandlungsfrieden geben wird. Mit wem auch?
Während Russland seit Jahren Gesprächsbedarf angemeldet hat, ging das vom Westen gesteuerte Kiew seit dem Maidan-Putsch mit Waffengewalt gegen die russischstämmige Bevölkerung im Donbass vor.
Nie wurde das Marionettenregime zu einer friedlichen Einigung gedrängt, deren Verweigerung bis Februar 2022 an die 14.000 Menschen das Leben gekostet und eineinhalb Millionen nach Russland vertrieben hat. Das kam in der westlichen Berichterstattung nicht vor. Auch nicht die Verseuchung der staatlichen Strukturen in der Ukraine mit faschistischen Kräften.
Die Vorläufer der Kräfte hinter dem Staatsstreich 2014 kollaborierten mit den Nazis, ermordeten Zehntausende Juden, Polen und „Bolschewiki“. Nach 1945 warteten sie im überseeischen Exil oder in von der CIA bezahlten Sendern wie Radio Free Europe oder Radio Liberty, dass ihre Zeit käme. Am 22. Februar 2014 strichen die USA die Dividende der fünf Milliarden US-Dollar ein, die sie seit 1990 in die Pflege der ukrainischen „Landschaft“ investiert hatten: Eine Koalition aus Antisemiten, Apologeten der Nazi-Kollaboration, Faschisten, westlich orientierten Oligarchen sowie neoliberalen Kräften riss die Macht an sich. Ihre Ziele deckten sich mit denen der NATO, die seit ihrer Gründung 1949 keinen anderen Zweck hatte, als den Feind im Osten auf Distanz zu Europa zu halten, ihn zurückzudrängen und eventuell zu zerschlagen (2).
Zusammen mit den Kollaborateuren des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa und vor allem in Deutschland mit den Stützen des Dritten Reichs wurde nicht nur bezüglich der Repression gegen Arbeiterorganisationen und der Terrorisierung europäischer Kolonialgebiete der Faden aufgegriffen, wo ihn die Nazis fallen gelassen hatten. Auch geopolitisch sah sich das US-Imperium gezwungen, sich im Interesse seiner ihm dank der Roten Armee in den Schoß gefallenen Dominanz im globalen Maßstab eines seit jeher lästigen Konkurrenten zu entledigen. Hinter Nebelschwaden der Propaganda verschwand die simple Tatsache, dass der Kalte Krieg ohne das Schreckgespenst des „Bolschewismus“ nicht wesentlich anders verlaufen wäre.
Der Hass auf Russland ist ein langer Schatten, den soziopathologische geistige Zwerge geworfen haben.
Die zivilisatorische Sonne wurde am Schluss herabgezerrt durch jahrelange Kindereien, mit jeder noch so haltlosen Anschuldigung gegen Russland propagandistisch verwertbare und einschüchternd vorgestellte Sanktionen zu verhängen. Es war klar, dass mit dem Einmarsch in die Ukraine alle Brücken abgebrochen sein würden. Russland hat sich nicht „verrechnet“. Die Reaktionen unserer „Ordnung“ waren so „regelbasiert“ wie unbedingte Reflexe eines pawlowschen Hundes. Es ist der Westen, der sich verrechnet und die Konsequenzen des eigenen Handelns für sich selbst sowie — ebenso fatal — für seinen sich nun definitiv umorientierenden Gegner nicht bedacht hat. Die Milchmädchenrechnungen werden nicht aufgehen.
Schläge und Rückschläge
Fehlbeträge stellten sich schon länger ein und produzierten Nervosität, die in der zunehmenden Hetze gegen Wladimir Putin zum Ausdruck kam. Sie begann mit den in dichtem Abstand folgenden Fehlschlägen der US-Angriffskriege, die gemäß Paul Wolfowitz vor Erstarken Russlands oder anderer Konkurrenten durchgeführt werden müssten. Er meditierte 1991 gegenüber einem konsternierten Wesley Clark über ein „Zeitfenster“ von fünf oder zehn Jahren. Es schloss sich schneller als gedacht.
Als Putin 2007 auf der Münchener Sicherheitskonferenz die USA auch wegen geplanter Raketenstützpunkte in Tschechien und Polen kritisierte, machten diese „Angriffe auf die Außenpolitik der westlichen Führungsmacht“ unsere Medien fassungslos: „Russland verwirrt den Westen“ (3). Der Westen ist in Ordnung, und wer das nicht sieht, lädt zu Vermutungen über seinen Geisteszustand ein. Wenig später, der NATO-Aspirant Georgien griff 2008 die Hauptstadt Südossetiens an, nahm der Albtraum konkrete Gestalt an: Russland schlug zurück. Nach dem „Verlust“ der Krim 2014 schrillten endgültig die Alarmglocken, und die Schleusen zur Hölle waren geöffnet.
Reihenweise wurden Anklagepunkte zusammengebastelt, die eine Verhöhnung des gesunden Menschenverstandes darstellten. Eingeleitet wurden sie schon 2012 von der Inszenierung um den Tod von Sergei Magnitzky, 2015 folgte die Ermordung von Boris Nemzow nahe der Kreml-Mauer — damit es der Hausherr nicht so weit nach Hause hatte — und 2018 wurde die Welt von dem Anschlag auf die Skripals mit dem gefährlichsten Kampfstoff der Welt erschüttert, den sie ebenso wie Alexei Navalny 2020 überlebten.
Nach dem Abschuss des Passagierflugzeugs MH-17 im Donbass triumphierte nicht nur die SZ: „Der Krieg ist zurück!“, weshalb es mit „gutem Willen und ganz viel Diplomatie“ nun nicht mehr getan sei (4)! Parallel war längst eine Drohkulisse in Osteuropa entstanden, insbesondere im Baltikum und in Polen. Jetzt wurde noch die Ukraine eingebunden mit Milliarden an Krediten und „Hilfen“ sowie einer NATO-Kooperation knapp unterhalb einer offiziellen Mitgliedschaft.
Allein 2021 wurden fünf Manöver mit „Bündnissoldaten“ durchgeführt. Als Russland am 17. Dezember 2021 forderte, die Ukraine dürfe sich keinem Militärbündnis anschließen und auch die Raketenstellungen in Osteuropa seien abzubauen, kam als Antwort zum einen die Erneuerung einer Vereinbarung für technische Zusammenarbeit mit der NATO. Zum anderen drängte auf der Münchener Sicherheitskonferenz Anfang Februar 2022 Wolodimir Selinski noch einmal auf die Aufnahme in die NATO und sogar die Bewaffnung mit Atomwaffen.
Gleichzeitig kam es zu massiven Truppenverstärkungen in der Südostukraine und ab 21. Februar — protokolliert von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) — zu einer dramatischen Zunahme von Artillerieangriffen auf die von den Autonomisten gehaltenen Gebiete des Donbass. Daraufhin erkannte der Kreml die beiden Volksrepubliken an und griff zwei Tage später Ziele in der gesamten Ukraine an. Egal, ob Russland eine Falle gestellt wurde oder nicht — die westliche Politik des Drucks gegen Russland ist an einem Scheidepunkt angelangt. Kooperation, Vertrauen und ein friedfertiges Miteinander waren nie vorgesehen.
1952 bot Josef Stalin ein bündnisfreies Gesamtdeutschland bei freien Wahlen an. Nikita Chruschtschow erneuerte dieses Angebot 1958 (5). Dem FDP-Abgeordneten Thomas Dehler war ebenso wie Gustav Heinemann, mittlerweile enttäuscht von der CDU zur SPD gewechselt, vollkommen klar, dass die Strategie der einseitigen Westbindung den Interessen Deutschlands fundmental entgegenstand (6). Doch zu meinen, die andere, sowjetische oder heute russische Seite mit Druck gefügig machen zu können, ist nicht einfach ein Gedankenfehler. Die Leute, die dieser Auffassung waren, wussten, was sie taten, und übersahen auch nicht die Folgen ihrer Entscheidungen. Die Folgen waren Zweck dieser Politik. Sie fallen uns heute allerdings unmittelbarer auf die Füße.
Russland und China sind dabei, ein alternatives globales Finanzsystem zu schaffen. Dieses Unterfangen wird erleichtert durch den Umstand, dass es zwar das Ziel extremer Anstrengungen ist, Russland vom Rest der Welt zu isolieren. Doch nicht nur steht China an seiner Seite. Auch Indien, Pakistan, Vietnam, Indonesien, praktisch ganz Afrika sowie Mittel- und Südamerika einschließlich Mexiko konnten nicht abspenstig gemacht werden. Die arabische Halbinsel erhöht nicht nur nicht ihre Ölproduktion, sondern erklärt sich bereit, den Warenverkehr mit anderen Ländern in nationalen Währungen abzuwickeln.
Etwa 90 Prozent der Weltbevölkerung stehen den Vorteilen eines neuen, weniger ausbeuterischen und erpresserischen Modells der Zusammenarbeit, vorsichtig ausgedrückt, nicht abgeneigt gegenüber. Die restlichen zehn Prozent können sich gegenseitig die Haare schneiden — gerne gegen Bezahlung in US-Dollar, dessen Wertverlust sich nur durch die Plünderung der europäischen Protektorate verlangsamen lassen dürfte. Die Nachfrage nach ihm wird sinken, ebenso die nach US-Staatsanleihen, die zur Finanzierung der gigantischen Schulden der USA verwendet werden. Damit ginge die Zeit des US-Dollars als Sparbüchse und Scheckheft des Imperiums seinem Ende entgegen. Die damit verbundene Erschütterung des globalen Staatensystems birgt Momente akuter Gefahr, in denen die Unfähigkeit zu konstruktiven Antworten dem nekrophilen Amoklauf Hitlers ähneln könnte (7): Die USA würden dann alles mit sich in den Strudel abwärts reißen und einen Atomkrieg vom Zaun brechen.
Der Niedergang ist das Resultat von „Rückschlägen“, wie es Chalmers Johnson bezeichnete, Rückschläge aufgrund der eigenen Blindheit, unvermeidlich, wenn man zu einer Kurskorrektur nicht in der Lage ist (8). Und der Westen ist es nicht. Dazu fehlen alle gesellschaftsstrukturellen, charakterologischen und folglich auch bewusstseinsmäßigen Voraussetzungen. Als wieder einmal dichter Nebel über dem Ärmelkanal herrschte und die Schiffsverbindungen ausgesetzt werden mussten, sollen die Schlagzeilen in der englischen Presse gelautet haben: „Continent isolated“.
Krieg um neue Investitionsfelder
Der Westen ist isoliert, und die Lage ist bedrohlich. Die Realwirtschaft ist seit Langem angeschlagen und hat enorme Schwierigkeiten, das Geld zu erwirtschaften für eine ihrem Wesen nach parasitäre Finanzwirtschaft. Sie stand zuletzt 2019 am Abgrund. Abhilfe sollte die Bekämpfung einer „Pandemie“ schaffen. Nicht sie erforderte eine Geldflut, sondern umgekehrt die notwendige Geldflut eine Pandemie mit den bekannten Begleiterscheinungen: Zerstörung von Millionen Existenzen, drakonische Restriktionen, Abschaffung von Grundrechten, Überwachung dank modernster Kontrollen sowie der Infamie des Zwanges, sich einer genbasierten Therapie mitsamt der hektisch verschleierten Gesundheitsschädigungen zu unterwerfen.
In dieser Rekonstruierungsphase kapitalistischer Akkumulations- und Ausbeutungsprozesse gab es Wachstum lediglich bei der Armut, der Inflation — sie lag schon Januar 2022 bei gelogenen offiziellen 7 Prozent; seitdem muss noch viel besser gelogen werden — und den Schulden. Allein in Deutschland kosteten die Maßnahmen gegen die „Pandemie“ fast eine halbe Billion Euro, zu Beginn des Krieges in der Ukraine wurden für die Rüstung noch einmal 100 Milliarden „aus Sondervermögen“ draufgesattelt. Dazu kommen die Kosten für Hunderttausende Ukrainer, die unser autoritäres Meinungsspektrum bereichern werden. Infolge der Abhängigkeit von Rohstoffimporten auch aus Weißrussland und der Ukraine könnten sich in Deutschland die Nettoausgaben für Öl, Gas, Kohle und Lebensmittel 2022 gegenüber dem Durchschnitt von 2016 bis 2020 verdreifachen.
Ebenso gesteigert werden die unter dem Coronaregime erprobten Zwangsmaßnahmen: die Kontrolle der Bevölkerung über ein Geflecht monopolistischer Technologiegiganten, gefügiger Parteien, durch finanziellen und gesellschaftlichen Druck konformer Akademikerschichten sowie unzähliger Vereine, „Stiftungen“ oder Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und ihrer Multiplikatoren, den wie gleichgeschaltet agierenden Medien. Wenn wir noch das Militär und die Geheimdienste einbeziehen, haben wir das, was der ehemalige CIA-Analyst Ray McGovern den MICIMATT nennt, den „Military-industrial-congressional-intelligence-media-academia-think tank complex“. Diese Strukturen erfordern eine permanente Bedrohungsatmosphäre. Sie stellt sich wie von selbst ein im Rahmen einer Konfrontations- und Eskalationspolitik gegenüber Konkurrenten, die ein Hindernis für eine Ausweitung der Profitzone westlicher Kapital- und Finanzgesellschaften darstellen. Damit sind die Weichen für die westliche Politik gestellt.
Am aggressivsten unter den Vasallen der USA agiert das Vereinigte Königreich (UK), das noch mehr zu verlieren hat als das um seine Dominanz fürchtende Imperium (9). Dank einer drastischen Verlagerung wirtschaftlicher Tätigkeiten auf den Finanzsektor lebt 2022 ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, wovon fast die Hälfte der Kinder betroffen ist. Ähnlich desaströs ist die Lage in Italien mit einem Ex-Goldman-Sachs-Angestellten und ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) als nie gewählter Ministerpräsident, der wie ein Kommissar eingesetzt wurde. Es geht nicht um die Ukraine, der seit der Machtergreifung 2014 etwa zehn Millionen Menschen den Rücken gekehrt haben — was einst als „Abstimmung mit den Füßen“ bezeichnet wurde.
Als Erstes geht es um die Rettung der Ukraine als von der EU verbürgtes Paradies für Kredite, Anleihen und „Aufbauprogramme“ — nicht zuletzt für Biowaffen-Laboratorien.
Darüber hinaus ist das eigentliche Ziel eine Rückkehr zu den glorreichen Zeiten des Ausverkaufs Russlands unter Boris Jelzin mit den uferlosen Aussichten für „Vermögensverwalter“, große Konzerne und Investmentfonds. Diese Strategie hat eine Sollbruchstelle, da jeder Schritt des Westens ein verheerend kontraproduktives Potenzial hat. Deshalb werden die Menschen der G7-Staaten mit Durchhalteparolen versorgt wie die Deutschen bis zum Morgen des 8. Mai 1945. Es ist ein Pfeifen im Walde.
Da beide Seiten gewinnen müssen, weil sie nicht verlieren dürfen, ist die Frage, wem eher die Luft ausgehen wird. Lassen wir uns von den Schwierigkeiten Russlands bei seinem Feldzug, der sich nicht in vielleicht vorgestellter „Blitzkrieg“-Manier durchführen lässt, nicht täuschen: Die Karten sind ungleicher verteilt, als uns nicht umsonst mit solcher Vehemenz rund um die Uhr eingebleut werden soll. Rußssand ist zu groß, autark wie kein anderes Land, gesegnet mit Bodenschätzen aller Art und verfügt traditionell über nachhaltigere Gesellschaftsstrukturen. Das mussten schon Schweden im 18. Jahrhundert, Napoleon im 19., das deutsche Kaiserreich und die Polen, die territorial nie den Hals vollkriegen konnten, sowie dann vor allem Nazideutschland im 20. Jahrhundert erfahren.
Je strikter die Meinungen kontrolliert und Abweichungen sanktioniert werden, desto sicherer können wir sein, dass viel, wenn nicht alles, auf dem Spiel steht. Schon beim 11. September 2001 und der Pandemie-Inszenierung war der tiefere Hintergrund die mit allen Mitteln durchzusetzende Absicherung und Ausweitung der militärischen, ökonomischen und ideologischen Kampfzone. Diesem Programm hat Russland nun einen Riegel vorgeschoben, was für Entsetzen sorgt. Die Panik des Westens offenbart sich um so deutlicher, je hektischer dieser sein Pulver verschießt. Der Kaiser ist nackt und steht mit leeren Händen da.
Perspektiven
Die Bellizisten sagen seit Jahrtausenden: Wer den Frieden will, muss den Krieg vorbereiten. Für Pazifisten hingegen ist klar: Wer keinen Krieg will, muss den Frieden vorbereiten. Es war weder zu sehen, dass der Frieden mit Russland 1914, 1938, 1941 oder 1945 vorbereitet wurde, noch in den Jahren seit 1990. Der Verzicht auf ein gedeihliches Zusammenarbeiten barg in sich den Kern der Tragödien, die sich jetzt abspielen. Er zeigte klar den tiefen Charakter der USA und ihres „Verteidigungsbündnisses“ NATO.
In dem Maße, wie die Konfrontationspolitik vorangetrieben wurde, bestanden für Russland am Ende kaum Optionen. Es wird den Krieg nicht beenden, bevor das Pulverfass eines den multiethnischen und geographisch delikaten Charakter des Landes missachtenden Regimes nicht entschärft ist. Je länger Kiew zaudert, diese Zwänge anzuerkennen, umso mehr Gebiete wird es auf die eine oder andere Weise verlieren. Aber tangiert ist auch ein Punkt, der von Anfang an bestimmend war für die Fehlentwicklung in Europa, deren Ergebnis wir jetzt in aller Deutlichkeit sehen. Walter Lippmann hob ihn schon 1947 in seiner Kritik an George Kennan hervor.
Kennan befürwortete eine gemessen an ihren eigenen Intentionen völlig gescheiterte Konfrontationspolitik, die eine Teilung des Kontinents explizit in Kauf nahm. Lippmann hingegen insistierte auf unstreitig verifizierbaren Maßnahmen wie einen vollständigen Abzug fremder Truppen aus Europa, zunächst mit Ausnahme Deutschlands. Diese Einschränkung ist heute, nachdem russische Truppen seit Jahrzehnten nicht mehr anwesend sind, obsolet. Egal, ob die NATO aufgelöst wird oder nicht — die Losung muss lauten: Alle fremden Truppen raus aus Europa! Das ist der einzig realistische Schritt hin zu einer Friedensordnung, die von Lissabon bis Wladiwostok reichen muss.
Das ist ein langer Weg, doch wird es die pure Not sein, die immer mehr Menschen zur Raison bringen und auf die Sprünge helfen wird. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren schon bislang kaum zu bewältigen und haben zum Notausgang des Coronaregimes geführt. Jetzt aber wird die Bürde unerträglich werden. Die Frage wird unabweislich im Raum stehen: Hätte das alles auch vermieden werden können?
Ja, hätte, aber, wie es heißt, „wer nicht hören will, muss fühlen“. Jetzt hört der Westen, aber er will und kann — noch — nicht verstehen. Unerlässlich wäre ein mehrheitliches Umdenken der Bevölkerung sowohl jenseits als auch diesseits des Atlantiks. Vielleicht wird es beflügelt von den Rückschlägen der wie von einem sich nicht mehr unter Kontrolle habenden Racheengel ausgelösten „Sanktionen“ gegen Russland. Hieraus ergeben sich Perspektiven und Lösungsansätze, die über eine persönliche Anmerkung zum Schluss erläutert seien.
Ich bin in der britischen Besatzungszone als Kind ostpreußischer Flüchtlinge geboren. Nie fiel ein böses oder nur abfälliges Wort über die Sowjetunion, „die Russen“, die meine Mutter noch August 1945 bei Danzig als Hilfskrankenschwester erlebte — mitsamt den Ermahnungen durch Rotarmisten, sie müsse mehr essen — oder Polen. Meine Eltern besuchten in den 1970er- oder 1980er-Jahren den Geburtsort meines Vaters im südlichen Teil Ostpreußens (Reichenbach, Preußisch Holland), aber er erkannte nichts wieder. Meine Mutter wohnte in der Königsberger Hermannallee, seinerzeit Sperrgebiet.
Vertreibung und Flucht fallen oft der Verdrängung anheim. Wirklich heimisch wird man möglicherweise nirgends mehr, und manchmal denke ich, das gilt auch mindestens für die nächste Generation. Ich habe in Westdeutschland in drei verschiedenen Regionen gelebt, die letzten 65 Jahre in München. Aber es ist schon seltsam: Am meisten verbunden fühle ich mich mit Ostpreußen, wofür die wenigen Erzählungen meiner Eltern aus ihrer Kindheit und Jugendzeit ausreichten. Doch habe ich noch weniger als meine Eltern Illusionen über die Schuldigen dieser Trennung von alten deutschen Gebieten.
Neben Nationalismus, Militarismus und schließlich Faschismus der deutschen Gewaltherrschaft ist hier in erster Linie der von USA und UK gestützte Konrad Adenauer zu nennen, der von Kurt Schumacher zu Recht „Kanzler der Alliierten“ genannt wurde. Seine Politik war der Inbegriff eines Landesverrats, dessen implizierte „Westbindung“, wie es euphemistisch heißt, mit der bis heute andauernden Preisgabe nationaler Souveränität nicht nur die Auslieferung an Besatzungsmächte bedeutete.
Bauen konnte diese nachhaltige Kapitulation auf ein Verhängnis, dessen Folgen nicht zuletzt durch die Rebellenfolklore der 1968er einigermaßen verdeckt waren. Sie traten nach einer Dauerindoktrination während des Kalten Krieges mit dem augenscheinlich gewordenen Wegbrechen wirklicher Opposition, der sklavischen Ergebenheit zumal in der Corona-Despotie und nun mit den russophoben, waffenstarrenden Ausbrüchen klar zutage: das aus der Nazizeit herübergeschwappte Kontinuum einer latent faschistoiden, totalitär-aggressiven und autoritären Grundeinstellung.
Die Hasspropaganda gegen Russland zieht sich von den sowjetischen Soldaten, die „keine Kameraden“ sind, über das Gräuelmärchen von an Zivilisten begangenen Verbrechen im ostpreußischen Nemmersdorf (10) bis heute zur Naziterminologie einer Angestellten der NATO sowie der Universität Potsdam, die 2022 zur besten Sendezeit über uns fremde Einstellungen „der Russen“ zu „Gewalt und Tod“ schwadronierte. 1991 löste sich die Sowjetunion auf, nicht aber das jahrzehntelang gewebte Muster einer Politik, das auf Feindbildern basiert.
Was hätte man 1945 bis 1949, 1952 oder 1958, im Grunde auch noch 2001 — nach Putins legendärer, auf Deutsch gehaltenen Rede im Bundestag — erreichen können, wenn die Sowjetunion eine Haltung der Demut, der Reue und des unbedingten Willens zu konstruktiver Zusammenarbeit gespürt hätte?
Damit sei nicht der Chance einer territorialen Wiedereingliederung der Ostgebiete, wo längst andere Vertriebene ansässig waren beziehungsweise gemacht worden sind, das Wort geredet. Denkbar wären aber vermutlich auch für die neuen Einheimischen bei entsprechenden vertraglichen Absicherungen unproblematische Rückkehrrechte beziehungsweise -möglichkeiten. Welch fruchtbare Keimzelle einer europäischen Friedensordnung und eines gedeihlichen Zusammenlebens hätte sich daraus entwickeln können!
Voraussetzung dafür wäre freilich gewesen, dass eine Wandlung hin zu einer selbstkritischen Einstellung, zur Bereitschaft, in der Sowjetunion einen Partner zu sehen, und zu einer Haltung hin zu nationalem, auch europäischem Selbstbewusstsein. Davon war nichts zu spüren — was uns heute zum finalen Verhängnis wird. Wenn Geschichte über den Kopf wächst, hat man versäumt, sie mit beiden Händen zu ergreifen. Wir erleben derzeit ein Lehrbeispiel für Gehirnwäsche mit schleichender Langzeitwirkung. Da sind verheerende Einschläge vorprogrammiert.
Die verhetzte und verlogene Einstellung, die gegenüber einem Gegner zur Anwendung kommt, ist der Brutkasten für fatale Autosuggestionen, begleitet von Paranoia, Hysterie und anderen Irrationalismen. Nur so konnte es in totaler Verkennung der Realitäten zu der Vorstellung kommen, sich leisten zu können, einen aufrechten, niemals vertragsbrüchig gewordenen oder betrügerisch vorgegangenen Partner zu verprellen.
Was für eine Fehleinschätzung, die innere Stärke Russlands als unterlegen zu sehen gegenüber unserer zerfaserten Bubblegum-Ökonomie mit ihren Bilanzfälschungen sowie jeder Menge Influencern, Followern und anderen Konsumidioten, die nicht bis drei zählen können und jeden inneren Kompass für selbstständige Entscheidungen verloren haben. Deutschland wird gerade, wie Michael Hudson konstatiert hat, zum dritten Mal von den USA besiegt — diesmal mithilfe einer gut geschmierten Vasallenmaschinerie mit unzähligen IMs und Kollaborateuren. Sie sitzen auf hohen Rossen und merken nicht, wie müde die armen Gäule sind. Das Kartenhaus wird zusammenfallen, wenn Deutschland — und mit ihm Europa — nicht zur Besinnung kommt.
Eine Sprechpuppe schnatterte vor der Weltöffentlichkeit, sie wolle „Russland ruinieren!“, und, um Michael Moore zu zitieren, „alle Fernseher applaudierten“. Wenn der Gegner so gesehen wird, wie man sich ihn wünscht, hat man nach Sun Tzu den ersten Schritt in Richtung des eigenen Scheiterns getan. Herodot und Aristoteles überlieferten die Frage, die König Kroisos an das Orakel von Delphi stellte: ob er des göttlichen Beistands gewiss sein könne, wenn er die Perser angreife. Die Antwort interpretierte er als Zustimmung für sein Vorhaben: „Du wirst ein großes Reich zerstören.“ Vielleicht findet sich ja in der Umgebung von Barbiebock eine Person, die ihr den Witz der Anekdote erläutert.
Quellen und Anmerkungen:
(1) New York Times, 2. März 1991, zitiert nach Howard Zinn, Geschichte des (US-)amerikanischen Volkes, Berlin 2007, 613
(2) Siehe hierzu Tom-Oliver Regenauer: Sie waren nie weg. Neonazi-Strukturen werden seit dem Kalten Krieg durch westliche Geheimdienste gefördert — in der Ukraine fallen diese Strömungen historisch bedingt auf fruchtbaren Boden, Rubikon, 6. Mai 2022, https://www.rubikon.news/artikel/sie-waren-nie-weg, oder Susann Witt-Stahl: Verblendet durch die Schwarze Sonne. Die Kiewer Regierung und ihre westlichen Partner leugnen beharrlich die Gefahr, die von militanten Rechtsradikalen ausgeht — zunehmend aggressiv seit der Eskalation des Krieges gegen Russland, Hintergrund, 9. Mai 2022, https://www.hintergrund.de/politik/welt/verblendet-durch-die-schwarze-sonne/; Toralf Laibtzsch, Faschismus in Blau-Gelb, Rubikon, 19. Mai 2022 https://www.rubikon.news/artikel/faschismus-in-blau-gelb.
(3) SZ, 12. Februar 2007
(4) Siehe Stefan Ulrich: Zum ewigen Unfrieden, SZ vom 19./20. Juli 2014
(5) Siehe etwa James Warburg: Germany. Key to Peace, Harvard 1953; Wilfried Loth: Die Teilung der Welt 1941-1955, München 1980, 282 fortfolgende; Hans-Heinrich Nolte: Kleine Geschichte Russlands, Bonn 2006, oder auch Valentin Falin: Politische Erinnerungen, München 1993, 305 fortfolgende
(6) Siehe sehr aufschlussreich und von Albrecht Müller in Erinnerung gebracht die Debatte im Deutschen Bundestag vom 23. Januar 1958, 384 fortfolgende beziehungsweise 401 fortfolgende
(7) Siehe Erich Fromm: Die Anatomie der menschlichen Destruktivität, Reinbek 1988, 458 folgende
(8) Siehe Johnson: Ein Imperium verfällt. Ist die Weltmacht USA am Ende? München 2000, 19 fortfolgende, 289 fortfolgende
(9) Vergleiche nur Jimmy Dore: U.K. Orders Zelensky To Stop Peace Negotiations with Russia, JimmyDoreShow, 10. Mai 2022, https://www.youtube.com/watch?v=bj5pBU_rbNE&t=5s; Sevim Dagdelen: Wie ein Verhandlungsfrieden im Ukrainekrieg torpediert wird, NachDenkSeiten, 16. Mai 2022, https://www.nachdenkseiten.de/?p=83910#more-83910, oder Jens Berger: Billionen für die Ukraine — am Ende werden wir die Zeche zahlen, NachDenkSeiten, 16. Mai 2022, https://www.nachdenkseiten.de/?p=83923#more-83923
(10) Siehe Erich Später: Der Dritte Weltkrieg. Die Ostfront 1941-45, St. Ingbert 2015, 245 fortfolgende; dort angegeben: Bernhard Fisch: Nemmersdorf, Oktober 1944. Was in Ostpreußen tatsächlich geschah, Berlin 1997; Eva Hahn/Hans Henning Hahn: Die Vertreibung im deutschen Erinnern. Legenden, Mythos, Geschichte, Paderborn 2010