Die irrationale Wertschätzung von Experten hat unsere Gesellschaft verändert. Nicht nur Politiker, auch Richter wollen schon lange nicht mehr auf „Experten“ verzichten. Urteilssprüche verschanzen sich regelmäßig hinter Einschätzungen Sachverständiger. Allerdings nur solange, wenn diese vom Gericht benannt wurden. Sachverstand, den die Streitparteien aufbieten, wird meist ignoriert. Experten sind immer Auftragsdienstleister. Ihre Expertisen haben selten einen Eigenwert.
Systembiologisch sind „Experten“ eine hochgradig angepasste und daher auch gefährdete Spezies. In ihren lebensfeindlichen Nischen sichern sie sich nur durch sehr spezielle Fähigkeiten ein Überleben. Dabei kann jedes Thema zur Beute werden, da sich in einem eng eingegrenzten Terrain naturgemäß nur wenig Nahrung finden lässt. Aber wer sind eigentlich diese „Experten“, die immer häufiger ins Bild treten, um auf Fragetrigger ahnungsloser Moderatoren ihr vermeintliches Wissen zum Besten zu geben?
„Experte“ ist weder ein Qualitätssignum noch eine ordentlich erworbene Qualifikation.
Jeder taugt zum Experten, wenn er nur sein Blickfeld weit genug einschränkt und jemanden kennt, der ihn als Autorität benennt.
Es braucht dafür keine wissenschaftlichen Publikationen oder eine Liste eingetroffener Vorhersagen als Referenz. Der Journalist, der lediglich weiß, wie man Terrorismus buchstabiert, sitzt ebenso als „Terrorismus-Experte“ im Studio wie Meteorologen oder Komplexitätsforscher als wissenschaftliche Wahrsager, die ihre Statements oft genug am nächsten Tag revidieren müssen. Heutzutage ersetzt die Benennung als „Experte“ einen vormals noch erforderlichen Bekanntheitsgrad aus früheren Aktivitäten.
„Experten“ teilen sich mit Expertise nur den Wortstamm. Lateinisch experiri bedeutet nichts mehr als „versuchen, probieren“ und keinesfalls „eine Erkenntnis besitzen“.
Wichtiger als Sachkenntnis und berufliche Fertigkeiten ist die Willfährigkeit des Experten, sein Gehirn in die Dienste eines Auftraggebers zu stellen, bis der- oder diejenige vor finanziellen Abhängigkeiten nicht mehr klar denken kann.
Niemand ist abhängiger als ein „Experte“. Niemand wird williger zum Spielball seines Geltungsdranges oder kommerzieller Interessen. Niemand kann leichter von Lobbyisten gekauft werden.
Ohne ihre unproduktive Spielwiese in meist sinnfreien Institutionen, die oft durch Steuergelder gekauft und erhalten werden müssen, steht die Existenz der Experten auf dem Spiel. Dementsprechend liefern die oft chronisch unter einem Mangel an Sonnenlicht leidenden Spezialisten für den einen oder anderen Titel, Forschungsgelder oder die geldwerte Medienprominenz fast alles: herbeimodulierte Katastrophenszenarien, statistische Taschenspielertricks zum „Beweis“ für den Nutzen von Produkten oder gleich ganze Handlungsanweisungen für die Politik. Es muss nur der wissenschaftliche Heiligenschein gewahrt bleiben.
Man muss Experten misstrauen, da sie „jedem System dienen, das sich ihrer bedient“ (1). Mit ihrer skrupellosen Dienstbarkeit zerstören sie den Grundkonsens der Evidenzbasierung von Einschätzungen und den kollegialen Diskurs. Bereits vor einer Generation warnte der Kriminalschriftsteller John le Carré (eigentlich: David John Moore Cornwell, geboren 1931), dass „wenn die Welt zerstört wird, dies nicht durch die Verrückten, sondern durch die Zurechnungsfähigkeit ihrer Experten geschehen wird. (...) Sie sind die Kerkermeister. (...) Wenn wir gefoltert werden, werden es Experten tun. Wenn wir gehängt werden, werden uns Experten hängen“ (2).
Möglich ist dies allerdings nur, weil Spezialistenwissen in der Einschätzung allzu vieler Menschen mehr als eigene Wahrnehmungen und ein gesunder Menschenverstand zählen.
Eine tröstliche Perspektive: Hochspezialisierte Wesen sind Sackgassen der Evolution. Die Existenz eines „Experten“ ist daher so prekär wie die eines Pandabären: Eine Umwelt ohne Bambus überlebt dieser so wenig wie ein „Experte“ seinen tatsächlichen Bedarf. Unser bisheriges Überleben in der Evolution haben wir nicht irgendwelchen Spezialkenntnissen und mikroskopischen Tunnelblicken zu verdanken. Nicht die Identifizierung von Mikroorganismen unter dem Mikroskop, sondern Bewegung in frischer Luft und ausreichend gesunde Nahrung haben uns dahin gebracht, wo wir sind. Da Experten immer befangen sind, sollte man nie von deren Empfehlung ableiten, ob man sein Haus verlassen oder sich auf einer Parkbank setzen kann.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Siehe LeCarre J: The Russia House. S. 197; Scribner; New York – London – Toronto – Sydney 1989
(2) Siehe Ebenda