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Die ewige Krise

Die ewige Krise

Was gesellschaftlich geschieht, spiegelt unser persönliches Leben wider — und auch da sind dramatische Umbrüche an der Tagesordnung.

Kein Bedauern, kein Jammern, sondern Verstehen und Lernen

Zugegeben, Bedauern und Jammern, das tun wir gern, das geht uns leicht von den Lippen, das geht uns runter wie Öl. Verstehen und Lernen dagegen, das hört sich nach echter Arbeit an. Aber genau darum geht es: Wir sollten verstehen, dass Krisen einen Sinn haben. Ob wir wollen oder nicht: Krisen erfüllen eine Funktion. Damit soll nichts schöngeredet werden, denn die aktuelle Situation präsentiert sich derart hässlich.

Böse Erinnerungen kommen da hoch. Dabei ist doch eigentlich schon alles erklärt worden — Stichwort: Vergangenheitsbewältigung — erklärt, aber nicht geklärt, nicht verstanden. Bei all den drastischen Beispielen aus der Vergangenheit ist das verwunderlich. Woran liegt das? Weil es so viel bequemer ist, anderen die Schuld zu geben, weil das Jammern und das Bedauern darüber, wie schrecklich alles ist, so viel einfacher ist. Bei starken Rückenschmerzen ist es doch viel einfacher, sich hinzulegen und liegen zu bleiben, als aktiv etwas gegen die Schmerzen zu tun. Denn dazu müsste man aufstehen und den Schmerz erst einmal aushalten. Da beten die meisten doch lieber das Mantra, das ihnen immer wieder vor Augen hält, wie schrecklich alles ist.

Wie ich schon in meinem Artikel „Die dritte Sicht“ dargelegt habe, gehöre ich keiner Gruppe oder Ideologie an, sondern vertrete eine dritte Sichtweise, die auf Menschlichkeit, Mitgefühl und Verstehen beruht. Solange wir uns in Fraktionen aufteilen — und dies ist unsere freie Entscheidung, Fraktionszwang gibt es nur im Bundestag — so lange werden wir keine Lösung finden, sondern nur die Geschichte wiederholen. Jede Fraktion, jedes Lager zieht seine Grenzen um bestimmte „Merkmale“, die dann verteidigt werden müssen. Grenzen sind immer mit Kriegen, Konflikten und Krisen verbunden.

Fragen und Muster

Aktuelles Beispiel „Coronakrise“: Jedes Lager ist dermaßen mit seiner eigenen Interpretation beschäftigt, dass kaum oder gar keine Zeit bleibt, die Situation einfach mal in Ruhe zu analysieren.

Wir sind wie besessen von den Auswirkungen, anstatt uns die wirklich wichtigen Fragen zu stellen:

  • Warum erleben wir ständig Krisen auf einem Planeten der Fülle?
  • Welche Funktion und welchen Sinn haben Krisen?
  • Was ist eine Krise?

Das heißt nicht, dass man sich nicht um die Auswirkungen einer Krise kümmern sollte, aber dieses „Entweder-Oder“, Schwarz oder Weiß hat verheerende Konsequenzen für unser Leben. Wenn wir nicht die eigentliche Ursache kennen, den „Urgrund“ aller Krisen, dann können wir immer nur die Symptome bekämpfen. Kurzfristig mag das Erfolg haben, langfristig jedoch nicht.

Auch wenn jede Krise besonders, einmalig und ganz anders als die vorherigen zu sein scheint, so folgen doch alle Krisen demselben Muster.

Der Vergleich mit einem Computer scheint hier passend zu sein. Die Krise an sich ist die Hardware, die „besondere“ Krise die Software, und was die Sache dann zum Drama macht, ist das Virus oder die Malware. Offensichtlich kümmern wir uns fast ausschließlich um die Software beziehungsweise das Virus, der Hardware dagegen schenken wir kaum Beachtung. Doch solange die Hardware, also die Struktur, welche Krisen überhaupt erst möglich macht, nicht verändert wird, so lange kommen Krisen wieder. Die Realität zeigt, dass das so ist.

Wohlgemerkt, es geht nicht darum, Herausforderungen, Katastrophen und andere schwierige Situationen zu leugnen oder zu verharmlosen, sondern darum, die bestmögliche Art und Weise, mit diesen umzugehen, zu kultivieren. Alles, auch die schrecklichen Dinge, seien sie nun menschengemacht oder nicht, alles gehört zum Leben. Ob uns das passt oder nicht, ist nicht von Bedeutung, wohl aber, wie wir uns dazu verhalten.

Um es klar und deutlich zu sagen: Krisen sind optional, genauso wie das Leiden optional ist. Es gibt Schmerz, doch Leiden ist Schmerz mit einer negativen Interpretation. Genauso verhält es sich mit den Krisen.

Es gibt schreckliche Ereignisse, doch bei sogenannten Krisen erhalten diese Ereignisse eine negative Deutung. In dem Moment, in dem wir die Geschehnisse so interpretieren, sehen wir nicht mehr die Sache an sich, sondern nur das, was wir daraus gemacht haben, also unsere Interpretation. Und wenn die Interpretation, wie das meist der Fall ist, extrem emotional aufgeladen ist, entsteht ein höchst gefährlicher Kreislauf, der es uns dann noch unmöglicher macht, die Situation angemessen zu beurteilen.

  • Was sind nun die wirklichen Ursachen?
  • Warum gehen wir von einer Krise in die nächste, ohne auch nur einmal Luft zu holen?

Die Krise des menschlichen Bewusstseins

Ich möchte hier die Hypothese aufstellen, dass die Art der Krisen zweitrangig ist, denn welche Krisen wir durchleben, ist zeitlich, geografisch, politisch, sozial und kulturell bedingt. Im Laufe der Zeit verändern sich die Krisen je nach den Umständen. Das ist vollkommen logisch, alles unterliegt dem Fluss der Veränderung. Doch was einer Krise zugrunde liegt, folgt einem universellen Muster, welches sich immer wiederholt, vollkommen unabhängig von den Umständen.

Und dieses Muster ist in jedem Einzelnen von uns, es ist in unserem Bewusstsein.

Das Krisenbewusstsein

Unsere Bewusstseinsstrukturen sind so angelegt, dass sie Krisen erzeugen müssen, weil unsere Art zu denken und zu fühlen in hohem Maße auf das Negative ausgelegt ist. Die Gründe dafür sind komplex und bedürfen einer tieferen Analyse, die hier zu weit führen würde. Doch zusammenfassend kann man sagen, dass es sich eher um Konditionierung als um einen biologisch-genetischen Prozess handelt.

Unsere gesellschaftliche, soziale und kulturelle Struktur ist so ausgelegt, dass sie nicht nur tatsächlichen Bedrohungen Aufmerksamkeit schenkt, sondern auch imaginären Bedrohungen. Diese Konditionierung verdeckt unsere eigentlich gute und positive Natur. Das ist eine Hypothese, über die sich diskutieren ließe. Doch möchte ich hier ein paar einfache Beispiele anführen, die unsere negative Grundausrichtung veranschaulichen.

Wie viele positive Nachrichten gibt es? Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um „Mainstream“ oder „alternative“ Medien handelt.

Es haben immer mal wieder ein paar Verrückte versucht, eine Zeitung mit positiven Nachrichten zu drucken. Sie sind allesamt kläglich gescheitert, einfach aus dem Grund, weil es niemanden interessierte. Tatsache ist, uns interessieren keine positiven Nachrichten, im Gegenteil, je negativer, desto interessanter finden wir sie.

Wie viele Videospiele gibt es, die den Frieden zum Thema haben und wie viele den Krieg?

Von den zehn erfolgreichsten Filmen aller Zeiten zeigen acht unzählige Tote, extreme Gewalt und Krieg, die verbleibenden zwei sind Zeichentrickfilme. Alle zehn jedoch folgen demselben Muster: 90 Prozent Drama, Gewalt und Stress, 5 Prozent Happiness und 5 Prozent Abspann.

Das glauben Sie nicht? Dann schlagen Sie nur ein Geschichtsbuch auf, schalten den Fernseher ein oder fragen sich einfach selbst, inwieweit Frieden Ihren Alltag bestimmt.

In unserer heutigen Gesellschaft sind sehr viele besessen vom Drama, ja, süchtig nach Negativität. Selbstverständlich gibt es da auch noch die Liebe, die Güte, das Mitgefühl und all diese schönen Dinge, von denen ich meine, dass sie uns überhaupt erst zu Menschen machen. Tief in unserem Inneren sehnen wir uns nach dem Schönen und Friedvollen, alle Menschen wollen glücklich und gesund sein und in Frieden leben. Wir werden kaum jemanden finden, der das Gegenteil behauptet, doch überlagert unsere Konditionierung diese menschlichen Qualitäten zum Großteil. Die Konditionierung ist unser tagtägliches Bewusstsein, nicht das, was wir uns von Herzen wünschen. Wir sind hin- und hergerissen zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Wären wir als menschliches Kollektiv näher an unserer „wahren“ Natur oder würden wir einfach bewusster an Dinge herangehen und gleichzeitig weniger unserer Konditionierung anhaften, dann wäre es nicht möglich, von einer Krise in die nächste zu taumeln, oder zumindest erheblich schwerer, in eine zu geraten.

Auch hier kann ein Vergleich diese Aussage verdeutlichen. Wenn wir krank sind, dann sind das Fieber oder die Schmerzen die Symptome und Teil der Krankheit, jedoch nicht ihre Ursache. Genauso wie unsere Krisen die Symptome sind, aber nicht die Ursache.

Nehmen wir zum Beispiel die Finanzkrise, die nur möglich war, weil es die Gier gibt, und Gier entsteht in unserem Bewusstsein. Wir können nur Unmengen von Geld anhäufen wollen, wenn wir zuerst die Gier in uns spüren. Ein Mensch, der keine Gier kennt oder sie hinter sich gelassen hat, würde nie darauf kommen, mehr haben zu wollen, als er braucht.

Warum ziehen wir in den Krieg, oder: Warum würden Buddha, Jesus, Mutter Teresa von Kalkutta, Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Dalai Lama nicht in den Krieg ziehen? Weil der Krieg nicht Teil ihres Bewusstseins ist. Im Gegensatz zu uns oder zu vielen von uns. Das ist schwer zu akzeptieren, doch das ist der Grund.

Das Leben, das wir führen, die Gesellschaft, die wir erschaffen, ist Ausdruck unseres Bewusstseins. Krisen entstehen zuerst in unserem Bewusstsein, und von dort gelangen sie in die Welt. Natürlich gibt es Herausforderungen, schwierige Situationen, die es zu meistern gilt, doch diese in Krisen zu verwandeln, dazu bedarf es eben eines bestimmten Bewusstseins. Krisen sind kein Naturgesetz, die Natur kennt keine Krisen, nur der Mensch.

Von Innen nach Außen

Dahinter steht ein grundlegender Gedanke, dass alles, was wir tun, produzieren und erschaffen, zuerst in unserem Bewusstsein existiert. Das ist eigentlich logisch und rational. Zuerst erfand jemand das Auto in seinem Kopf, sprich in seinem Bewusstsein, und nicht andersherum. Jeder Krieg begann zuerst im Bewusstsein von Menschen. Kriege „brechen nicht aus“, wie wir fälschlicherweise sagen, sondern sie werden geplant und fallen dann auf den Nährboden unseres kriegerischen Bewusstseins. Genau darum gehen wir in den Krieg, weil er schon in uns ist. Lebten wir alle im tiefen Frieden, dann würde keiner in den Krieg ziehen; außer vielleicht ein paar wenige, die ihn planen, die müssten sich dann allerdings selbst die Köpfe einschlagen.

Ein Virus ist selbstverständlich nicht zuerst in unserem Bewusstsein entstanden, die Art und Weise, wie wir mit ihm umgehen, hingegen schon. Hören wir heute das Wort Virus, so schaudern wir sofort, dabei übersehen wir die Tatsache, dass ein Virus vielfältige und nützliche Funktionen hat. Unter anderem stärkt es unser Immunsystem.

Selbstverständlich bringt es auch große Risiken mit sich, wir können sogar daran sterben, doch das müssen wir so oder so irgendwann. Im Grunde genommen verhält sich das Virus so ähnlich wie das Leben: Es bringt Risiken mit sich. Eine Viruserkrankung überleben wir aber in der Regel, das Leben jedoch nicht, es ist definitiv tödlich. Unsere Gesellschaft verneint weitestgehend den Tod, und diese Art von Bewusstsein ist ein wunderbarer Nährboden für Krisen.

Alles, was von außen auf uns zukommt, kann gut oder schlecht sein, nützlich oder unnütz, schön oder hässlich, friedvoll oder aggressiv. Manchmal können wir das Außen beeinflussen, manchmal nicht, doch wie wir mit der Situation umgehen und sie verändern, das hängt allein von unserem Bewusstsein ab.

Dies steht im Widerspruch zur gängigen Sichtweise, welche besagt, dass Krisen passieren und dass wir mit ihnen fertig werden müssen, andernfalls scheitern wir. In unserer Gesellschaft ist es normal, dass wir Krisen als etwas erfahren, was von außen auf uns zukommt, etwas, was geschieht, so wie das Wetter, etwas, mit dem wir eigentlich gar nichts zu tun haben. Schließlich sind wir doch anständige Bürger, die ihre Steuern zahlen, den Müll trennen und doch nur das Beste wollen. Es muss also von „außen“ kommen, oder es müssen die „Anderen“ dafür verantwortlich sein — wer auch immer die sind.

Das ist menschlich, und natürlich kann das in bestimmten Fällen sogar richtig sein. Doch ist es die Ausnahme, welche die Regel bestätigt, und die Regel ist, dass wir unsere Krisen selbst erschaffen, und zwar zuerst in unserem kollektiven Bewusstsein.

Wenn Krisen etwas Natürliches wären, dann müssten wir alle im Moment in einer Krise leben, genauso wie wir alle nass werden, wenn es regnet. Doch das ist nicht der Fall. Es gibt Menschen, die können ganz ohne Krise leben, — wie ich zum Beispiel —, und wiederum andere können sich ein Leben ohne Krisen gar nicht vorstellen. Es geht nicht darum, wer recht hat, sondern darum, zu erkennen, dass jeder Mensch für sich allein entscheidet, in einer „Krise“ zu leben, oder aber die Herausforderungen des Lebens dankbar anzunehmen.

Ein wichtiger Aspekt von Krisen ist, dass sie uns zu Opfern macht, während Herausforderungen uns zu verantwortungsvollen und starken Menschen formen. Der Essayist und Mathematiker Nassim Nicholas Taleb spricht vom Konzept der Antifragilität, also der Fähigkeit, mit dem Unbekannten umzugehen und es erfolgreich anzupacken. t Und genau das brauchen wir: Menschen, die bereit sind, das Notwendige zu tun, anstatt Schuldige zu suchen und sich zu Opfern zu machen.

Menschen, die erkennen, dass Krisen die Kraft haben, große Veränderungen herbeizuführen. Auch hier gibt es eine Regel: Je größer die Krise, desto stärker die Veränderung.

Auch durch die Coronakrise können wir lernen zu verstehen, warum es Krisen überhaupt gibt und wie wir sie nutzen können, anstatt im kollektiven Krisenbewusstsein zu verharren und im Dunkeln zu tappen.

Solange es Krisen in uns gibt, so lange gibt es sie in der Welt. Da macht es keinen Unterschied, auf welcher Seite wir stehen, ob wir nun „Querdenker“ oder „Normaldenker“, Kapitalisten oder Kommunisten, Politiker oder Revolutionäre sind: Wir erschaffen die Wirklichkeit, die wir in uns tragen. Das ist die Sicht der Weisen seit Anbeginn der Zeit und derjenigen, die zu hundert Prozent die Verantwortung für das Leben übernehmen, so wie es ist, und aus dieser Position heraus Veränderungen bewirken.

Zum Schluss noch ein Wort an die Querdenker: Ihr habt meine Sympathie, aber eure Anstrengungen werden vergeblich sein, wenn sie aus dem Krisenbewusstsein heraus entstehen. Selbst wenn die „bösen Eliten“ — die Anderen — verlieren und wir wieder zur alten Normalität zurückkehren, ja, selbst wenn wir gestärkt und demokratischer aus der Coronakrise hervorgehen, so ändert das nichts an der ewigen Krise. Die Geschichte zeigt, dass sich automatisch neue Eliten bilden, wenn alte Eliten vertrieben worden sind, vollkommen unerheblich, unter welch guten Vorsätzen dies geschah.

Beispiele dafür sind die Friedensbewegung und die Grünen, sowie sämtliche Revolutionen. Oder schauen wir doch einfach ins alltägliche Leben, in dem unser Lebensstandard höher ist denn je, die tägliche körperliche Gewalt fast auf einem Rekordtief angekommen ist, wir nahezu die Gleichberechtigung von Mann und Frau erreicht haben, doch glücklicher sind wir deshalb nicht. Ist die Erde ein besserer Ort geworden? Wohl kaum.

Deswegen möchte ich dazu anregen, unser eigenes Leben und die aktuelle Krise einmal nicht durch den Filter des Krisenbewusstseins zu sehen, sondern die große Möglichkeit zu erkennen, die für uns in dieser Krise steckt.


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