Die Linke ist generell keine genuine Freiheitspartei. Sie ist es nie gewesen — von den Anfängen zu Zeiten der „Ersten Internationale“ einmal abgesehen. Ich habe versucht, diese geschichtlichen Vorgänge in meinem Artikel „Sozialismus ohne Freiheit“ überblicksweise darzustellen und auch Beispiele für die irritierend regierungstreue Haltung von Linken in der Corona-Frage genannt.
Liegen die Gründe für die befremdliche Weigerung von Kipping, Wagenknecht & Co., sich für die Freiheitsrechte einzusetzen, tatsächlich nur in gewissen antilibertären Traditionen der Linken? Es scheint als ob hier auch neuere Entwicklungen eine große Rolle spielen. Dazu gehört ganz allgemein das „Angekommen-Sein“ der Partei Die LINKE im bundesdeutschen Politikbetrieb. Aber auch die massive, den Zeitgeist prägende Kampagne gegen „Verschwörungstheorien“ hat in den Äußerungen von Linken zu Corona unübersehbare Spuren hinterlassen.
Kampfesmüde und um ihren Ruf besorgt
Der Sachbuchautor Elias Davidsson hat in einem Artikel für Rubikon ein paar Spekulationen zu diesem Thema angestellt. Er diagnostiziert bei der Linken Kampfesmüdigkeit und einen gewissen Anpassungswillen. „Man wolle endlich von der herrschenden Politik ernst genommen werden und auf Augenhöhe mit den Großen und Mächtigen am Tisch sitzen.“ Davidsson nennt außerdem ein historisch bedingtes Unbehagen von Linken gegenüber Verschwörungstheorien, das sie mitunter blind macht für reale nicht-öffentliche Machenschaften von Machteliten. „Der Begriff der Verschwörung ist dem dogmatischen Marxisten fremd oder suspekt, da die Nazis den Begriff einer jüdischen Weltverschwörung verbreiteten.“
Dieser Fehlschluss — weil es mindestens eine falsche und gefährliche Verschwörungstheorie in der Geschichte gegeben hätte, müssten auch alle anderen Verschwörungstheorien falsch und gefährlich sein — spielt in den aktuellen linken Stellungnahmen sicher eine große Rolle, teils explizit, teils auch als ideologisches Hintergrundrauschen. Schließlich vermutet Davidsson, etliche Linke wüssten zwar eigentlich, was gespielt würde, wählten aber den Weg der Anpassung aus Angst vor Diffamierung. „Hier geht es vielleicht um Existenzangst und nicht um einen Wunsch, sich bei den Mächtigen anzubiedern.“
Diese Vermutungen von Elias Davidsson sind für mich plausibel. Ich will sie hier aber durch ein paar eigene Beobachtungen ergänzen. Ich gebe typische Argumentationsmuster der Linken in vereinfachender Form wieder. Alle haben sie auch einen wahren beziehungsweise legitimen Kern, wenn auch die Schlussfolgerung daraus — Zustimmung zur Corona-Agenda der Regierung — fragwürdig bleibt.
Die frühe Beendigung des Shutdowns entspräche den Profitwünschen des Kapitals. Linke müssen demnach für eine Verlängerung eintreten.
Dieses Argument findet man häufig. Wenn der Erzfeind — die kapitalgetriebene Wirtschaft — dafür sei, müsse man (als Linker) dagegen sein. Wer für „zu frühe Lockerungen“ eintrete, halte die Profite der Reichen für wichtiger als Menschenleben. Und dies, nachdem in Corona-Zeiten nach Jahrzehnten übermäßiger Dominanz der Wirtschaft endlich einmal das Primat der Politik und der Gesundheit realisiert worden sei. An diesem Argument ist im Kern etwas dran.
Ich fürchte nur: Weder ging es den Befürwortern der harten Corona-„Eindämmungsmaßnahmen“ wirklich um Menschlichkeit, noch werden die Maßnahmen im Endeffekt wirklich Gesundheit und Leben schützen. Auch ging es beim Herunterfahren der Wirtschaft ja nicht nur um die Profite reicher Unternehmer und Aktionäre, sondern auch um die Schicksale „normaler“ Menschen — von Kleinunternehmern und Arbeitnehmern, deren Berufsausübung durch Corona behindert wurde.
Rechte argumentieren in der Corona-Frage sozialdarwinistisch. Aufgabe von Linke ist es deshalb, die Gleichwertigkeit aller Menschen und das Lebensrecht aller zu betonen.
Man findet in Kommentaren von Linken, etwa zu den Äußerungen von Boris Palmer (Menschen wären „sowieso bald gestorben“) einen radikalen Humanismus, der an sich legitim und begrüßenswert ist. Fast jeder kennt ältere und kranke Menschen, um deren Leben er sich sorgt und deren Lebensrecht er — trotz gesundheitlicher Einschränkungen — niemals in Frage gestellt sehen will. Und in der Tat neigen Rechte zur Hierarchiebildung — in extremen faschistischen Ausprägungen sogar zur Unterscheidung zwischen lebenswertem und unwertem Leben.
Linke dagegen betonen die Solidarität auch und gerade mit Schwächeren, den Aspekte der Gleichheit und Gleichwertigkeit — mag es sich um Unterschiede der Hautfarbe, der Nationalität, der Religion, des Geschlechts oder auch des Alters und Gesundheitszustands handeln. Auf dieser Grundlage wird eine frühe Beendigung des Shutdowns – oder gar die Forderung, es hätte einen solchen gar nicht geben sollen — von Linken oft radikal abgelehnt. Wer ungehemmten Kontakten zwischen Menschen das Wort rede, befürworte „Natürliche Auslese“, also das Überleben der Gesunden und Starken. Alte und Schwache würden durch eine sich ungehindert ausbreitende Pandemie ausgesiebt. Daher blieben strenge Kontaktbeschränkungen notwendig oder müssten sogar noch verschärft werden.
Es ist im Prinzip gut, wenn sich Corona-Skeptiker diese besondere Sensibilität vieler Linker gegenüber inhumanen und diskriminierenden Narrativen zu Herzen nehmen. Selbst Andeutungen, um bestimmte Personengruppe sei es „nicht schade“, sollten sich verbieten. Dennoch ist es aber natürlich falsch, anzunehmen, nur eine möglichst lange andauernde Unfreiheit könne „sozialistisch korrekt“ sein. Wer die rigiden Maßnahmen der Regierung kritisiert, durch welche Menschen seelisch misshandelt und Existenzen vernichtet werden, befürwortet deshalb keine Euthanasie für die Schwachen in der Gesellschaft.
Depressive, einsame, behinderte Menschen — auch Alte — leiden ja besonders unter den Maßnahmen. Ihr Risiko, an den Kollateralschäden der Corona-Krise zu sterben, ist höher als bei Gesunden. Denken wir an KleinunternehmerInnen, VerkäuferInnen, prekär Beschäftigte, an Alleinerziehende und Vereinsamte — sie alle gehören zum typischen „Klientel“ der Linken. Ihnen allen täte eine komplette Aufhebung der Lebensbehinderungen durch die Corona-Maßnahmen gut.
Corona-Skeptiker sehen in der Vermeidung von Virus-Infektionen nicht die einzige, nicht einmal die größte Aufgabe der Gesundheitsvorsorge. Das unterscheidet sie von Menschen, die monomanisch die Kontakte zwischen potenziellen Krankheitsüberträgern beschränken wollen.
Corona-Skeptiker haben ein Herz für die Opfer übertriebener „Eindämmungsmaßnahmen“.
Sie glauben zugleich, dass das Risiko an Corona zu sterben weitaus geringer ist als uns Medien und etablierte Politik glauben machen wollen. Mit „Sozialdarwinismus“ hat das nichts zu tun.
Linke sind in der Pflicht, für sozialen Ausgleich zwischen Arm und Reich zu sorgen. Ist dieser gewährleistet, kann der Freiheitsaspekt vernachlässigt werden.
An diesem Punkt müssen wir über Prioritäten sprechen. Viele Linke haben nichts gegen die Freiheit. Diese erscheint ihnen aber eher als eine Art Sahnehäubchen — schmackhaft, aber auch entbehrlich, sobald „höhere Werte“ dagegenstehen. Die Hauptfreiheit, die es für Sozialisten zu erkämpfen gilt, ist die des Arbeitenden von Ausbeutung und Existenznot. Überspitzt ausgedrückt: solange ein Arbeitnehmer gut bezahlt wird, ist es zweitrangig, ob er nach der Arbeit von einem Polizisten schikaniert wird, nur weil er die Corona-Abstandsregeln vernachlässigt hat.
Was bei dieser Argumentation übersehen wird, ist die Tatsache, dass Freiheitsentzug, Entwürdigung und Ausbeutung schon immer Hand in Hand gingen. Sie sind quasi aus dem gleichen Holz geschnitzt. All diese Arten von Fehlverhalten beruhen auf der groben Missachtung der Rechte von Schwächeren, die einem Stärkeren — zum Beispiel Polizisten oder Unternehmer — „unterstellt“ sind. In der Geschichte der Sklaverei hat Unfreiheit — etwa die Einschränkung der Bewegungsfreiheit — erst die Grundlage geschaffen für Ausbeutung. Unangemessene Strafen dienten und dienen der Brechung des Eigenwillens der Bestraften mit dem Ziel, sie in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen für die Mächtigen leichter handhabbar zu machen. Freiheitsthemen und soziale Themen sind daher so eng miteinander verflochten, dass es ein grober Fehler der Linken wäre, so zu tun als ginge sie die Freiheit nichts an.
Freiheit ist durch den Wirtschaftsliberalismus obsolet geworden. Linke präferieren insofern eher einen wohlwollenden Autoritarismus.
Freiheit des Kapitalflusses, Freiheit des Marktes, freie Vertragsgestaltung zwischen Unternehmern und Angestellten... Diese Freiheiten haben im Kapitalismus solche Verwüstungen angerichtet, haben vor allem den sozial Schwachen derart geschadet, dass die Freiheit bei Linken nicht unbedingt ein gutes Image hat. Die identifizieren Freiheit vielfach eher mit Christian Lindner, mit den „Freiheitlichen“ Österreichs oder mit den Gräueln des Neoliberalismus, der den Globus durch die Entfesselung von Marktkräften seit Jahrzehnten in Atem hält. Freiheit in diesem negativen, neoliberalen Sinn, hilft nur den Starken und Durchsetzungsfähigen. Die Schwachen dagegen brauchen einen starken Staat, der die unternehmerische Freiheit durch Gesetze und Vorschriften einschränkt. Gegen das in einer deregulierten Wirtschaft herrschende „Gesetz des Dschungels“ ist offenbar der Zwang das einzig wirksame Gegenmittel.
Natürlich gehen Linke aber mit ihrem antiliberalen Kurs mitunter zu weit. Dann nämlich, wenn sie das Kind der bürgerlichen Freiheiten mit dem Bade des Wirtschaftsliberalismus ausschütten. Bürgerliche Freiheiten bleiben notwendig, um Arbeitnehmerrechte mittels Demonstrationen und Streiks durchzusetzen. Der Corona-Shutdown hat vor allem auch die Situation der Arbeitenden verschlechtert. Weil Streiks in der Zeit von Social Distancing kaum möglich waren. Weil sich Firmenpleiten häuften, Arbeitsplätze wegbrachen und sich die Konkurrenzsituation zwischen Arbeitsuchenden somit verschärft hat. Linke, die sich in der Corona-Krise als „Muttis Lieblinge“ anbiedern, beachten diese Aspekte zu wenig.
Die Linke verhält sich skeptisch gegenüber irrationalen Konzepten, so auch gegenüber alternativer und ganzheitlicher Medizin. Daher neigen Linke dazu, schulmedizinischen Experten bedingungslos zu vertrauen.
Viele Linke sind irreligiös und religionskritisch. Nach dem Motto „Uns rettet kein höheres Wesen“ richten sie ihren Fokus ganz auf das Diesseits und auf den dort auszufechtenden Kampf um gerechtere Produktionsbedingungen. So sagte Lenin: „Die Religion ist eine Art geistigen Fusels, in dem die Sklaven des Kapitals ihr Menschenantlitz und ihre Ansprüche auf ein halbwegs menschenwürdiges Leben ersäufen.“ Alle Arten von „Esoterik“ sind Linken ein Graus. Dafür habe ich bei den meisten Erscheinungsformen von Esoterik sogar Verständnis – allerdings wird der Begriff vielfach zu weit gefasst. Schon ein ganzheitliches Menschenbild und daran anknüpfende Methoden der „Alternativmedizin“ können dem Spott der säkularen Linken zum Opfer fallen. Stattdessen hält die Linke am mechanistischen Weltbild des schulmedizinischen Mainstreams fest und ist somit geneigt, seriös auftretenden Wissenschaftlern wie Christian Drosten zu glauben. Wer glaubhaft machen kann, „Vernunft“ und „Wissenschaft“ zu verkörpern, kann auf die Gefolgschaft von Linken bauen.
Nicht nur Religion im engeren Sinn, auch alles andere, was im Geruch des „Irrationalen“ steht, hat die Linke gegen sich. Mit „Verschwörungstheorien“ braucht man den meisten deshalb nicht zu kommen — nicht einmal, wenn sie wahr sind. Und auch dann nicht, wenn ihre Stoßrichtung klar antikapitalistisch ist. Verschwörungstheorien erscheinen Linken zu verschwommen, zu zwielichtig. Damit werden geistige Suchbewegungen, die die Wahrheit zwar nicht besitzen, sich ihr aber anzunähern versuchen, in linken Diskursen oft von vornherein unterbunden. So widmete sich die Skeptiker-Plattform „Psiram“, die früher „Eso-Watch“ hieß, zunächst vor allem spirituellen Glaubensvorstellungen. In jüngerer Zeit nahm sie jedoch verstärkt politisch Einfluss, indem sie unter dem Label „Verschwörungstheorien“ gegen alternative Deutungen nichtöffentlicher politischer Vorgänge stänkerte.
Der angepasste Umgang der Partei „Die Linke“ mit der Corona-Krise ist in diesem Zusammenhang also in zweierlei Hinsicht folgerichtig: Erstens ist die Abneigung gegen Irrationalität und „Verschwörungstheorien“ bei Linken offenbar tiefer verwurzelt als jene gegen überschießenden Staatsautoritarismus, wie er sich in den „Corona-Maßnahmen“ zeigt. Zweitens folgt die Logik der Kontaktvermeidung in Bezug auf das Virus der gleichen mechanistischen Logik, der Linke auch sonst anhängen. Eine ganzheitliche Betrachtung des Krankheitsgeschehens, wie es etwa von der Psychoneuroimmunologie vertreten wird, kommt ihnen bereits zu „esoterisch“ vor. „Dialektischer Materialismus“ ist eben auch Materialismus. Daran können schulmedizinische Narrative problemlos andocken. In den Mainstream-Medien verbreitete Feindmarkierungen — „Esoteriker, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Spinner und Querfrontler“ — sind absolut kompatibel mit den Ritualen der Feindschaftspflege, die bei Linken gängig sind.
Werden politische Positionen von „Rechten“ übernommen, wenden sich Linke radikal ab.
Hier zeigt sich ein Phänomen, das Elias Davidsson in seinem Artikel schon angedeutet hat: Neben einem hohen Grad an Geschichtsbewusstsein — bezogen vor allem auf die katastrophale Rolle, die antisemitische Verschwörungstheorien während der Hitler-Diktatur gespielt haben — ist auch der Wunsch, sich vom modernen Rechtspopulismus abzugrenzen, entscheidend für das Verhalten der Linken in der Corona-Frage. So sind unsympathische, rechte Politiker wie Trump und Bolsenaro eher „Abwiegler“, die versuchen, Corona „herunterzuspielen“. So stellt es sich jedenfalls aus der Perspektive des bei uns herrschenden Corona-Narrativs dar. In der zweiten Phase des Shutdowns gesellten sich Politiker der AfD zum Lager der Corona-Skeptiker. So beklagte Björn Höcke, dass man „einem gesamten Land eine Coronastarre zwangsverordnet hat“. Und Alexander Gauland lobte die Demonstrationen: „Es ist völlig richtig, dass Menschen ihre Grundrechte wahrnehmen und gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren.“
Es steht für mich außer Frage, dass die genannten Personen als Verbündete im Kampf für Freiheitsrechte unglaubwürdig sind. Im Prinzip pflegen sie neben ihren xenophoben Reflexen ein autoritäres Staatsverständnis. Warum die AfD in jüngerer Zeit Corona-skeptisch geblinkt hat, kann ich in diesem Rahmen nicht näher untersuchen. Entscheidend ist aber: für viele Linke ist Kritik an den Corona-Maßnahmen durch den Zuspruch der „Rechten“ quasi kontaminiert. Nicht wenige Antifaschisten lehnen die Idee ab, es könne richtige Aussagen von falschen Personen geben. Überspitzt gesagt: Würde jemand von der AfD behaupten, die Sonne ginge im Osten auf, so mancher Linker würde dies vehement als Naziideologie leugnen. So kam es bei Linken, die ja von Anfang an eher zur Merkel-Linie tendiert hatten, mit dem Bekanntwerden der Corona-skeptischen Äußerungen von AfD-Politikern nochmals zu einer Absetzbewegung von jeder Art der Kritik am „Shutdown“ und den Grundrechtseinschränkungen in Verbindung mit Corona. „Anständige“ Linke waren spätestens jetzt dagegen – d.h. für die Regierungslinie.
Ich betone, dass Antifaschismus richtig und notwendig bleibt. Auch radikaler Antifaschismus, da Faschismus eine radikal inhumane Weltanschauung ist. Eine Mindestvoraussetzung für wirksamen Antifaschismus ist allerdings, dass es sich bei den Personen, die man bekämpft, tatsächlich um Faschisten handelt. Diese Voraussetzung ist nicht mehr gegeben, wenn sogar Menschen, die sich mit dem Grundgesetz in der Hand auf Plätzen versammeln, um gegen die massiven Einschränkungen der Bürgerrechte zu demonstrieren, in die Nähe von „Nazis“ gerückt werden. Personen wie Attila Hildmann, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder allzu wirre Narrative vertreten, sollten von der Freiheitsbewegung nach Möglichkeit ferngehalten werden, denn dort gehören sie definitiv nicht hin. Die Probleme der Abgrenzung zeigen sich allerdings eher in der Praxis, denn es ist schwer, missliebige Personen konsequent fernzuhalten. Und jeder „Ausrutscher“ ungebetener Gäste bei Corona-Demonstrationen wird vom Mainstream begierig aufgegriffen und publizistisch ausgeschlachtet.
So weit mein kleiner Überblick über linke Narrative, die zu deren erstaunlich regierungstreuer Haltung in der Corona-Frage beigetragen haben könnten.
Der Weg in die politische Heimatlosigkeit
Mit der derzeitigen „Linie“ der Linkspartei und auch anderer Gruppierungen des gemäßigten und radikalen kapitalismuskritischen Spektrums gehen leider erhebliche Risiken für die politische Landschaft Deutschlands als Ganzes einher. Diese Entwicklungen müssten speziell auch Antifaschisten beunruhigen.
Welche Folgen kann es haben, wenn eine Linke auf Kipping-Kurs eher „eingebettet“ wirkt und ein offenbar völliges Desinteresse an Freiheitsrechten zur Schau trägt? Durch den Kuschelkurs mit der rechten Mitte, insbesondere durch das Einknicken in Fragen der „Sicherheit“ und den Ruf nach einem starken Staat, besteht die Gefahr, dass die Linke für Bürger nicht mehr unterscheidbar und wiedererkennbar ist. Die Freiheit, die nach SPD und Grünen nun auch von der Linken zurückgewiesen wurde, ist spätestens mit dem Jahr 2020 im deutschen Parlament nicht mehr vertreten. Rechte und neoliberale Kräfte sind ja mit libertären Ansichten erst recht nicht glaubwürdig. Dennoch besteht die Gefahr, dass politisch heimatlos Gewordene zur AfD oder zur FDP abwandern, wenn diese mit Corona-skeptischen Ansichten locken. Die Bedeutung des Themas „Corona“ ist für viele überragend. So mancher könnte da Bedenken bezüglich der problematischen Politik dieser Parteien in den Wind schlagen.
Für die anderen, die den Weg nach rechts in keinem Fall gehen wollen, bleiben als „Zukunftsperspektive“ Politikverdrossenheit, Nicht-Wähler-Verhalten und politische Heimaltlosigkeit. Eine weitere Möglichkeit wären neue Parteigründungen. Wegen des Versagens und der mangelnden Zugkraft der Linken könnten sich neue Formationen jedoch als „rechtsoffen“ erweisen. Zumindest ist zu erwarten, dass sie von Linken in diese Ecke gestellt werden. Alte und neue politische Kräfte – obwohl sie vielleicht kapitalismuskritische Grundüberzeugungen teilen – könnten einander in Kleinkriegen und gegenseitigen Schuldzuweisungen aufreiben. Die Tatsache, dass die Linke die Freiheit in der Corona-Frage preisgegeben hat, bewirkt nach dem Auseinanderbrechen der Ersten Internationale im Jahr 1872 eine nochmalige Trennung zwischen sozialistischen und libertären Strömungen. Eine Wunde klafft, die schwer zu heilen sein wird. In Abwandlung eines Spruchs von Willy Brandt könnte man auch sagen: Es driftet auseinander, was zusammengehört.
Biedermännischer Furor
Von einer neuen, wirksamen Freiheitspartei können wir derzeit nur träumen. Eine leider nicht unwahrscheinliche künftige Entwicklung bestünde in einem noch weiter gehenden Bedeutungsverlust der libertären Denkweise. Im Extremfall droht ein Verschwinden der Freiheit mangels Interesses der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, einschließlich der Linken. So verfasste Birthe Berghöfer für „Neues Deutschland“ eine Liebeserklärung an Verbote und Regulierungen: „Es braucht einen belehrenden Staat, es braucht ‚Verbotsparteien‘ und vor allem mehr Verbote.“ Alles das wird gut begründet, z.B. mit Nichtraucherschutz. Dennoch befremdet der biedermännische Furor, der sich auch und speziell in der linken Szene breit macht, wenn irgendjemand es wagt, Regeln zu übertreten. Selbst wenn diese Regeln von denselben Politikern stammen, die auch für Kriege, eine ungerechte Vermögensverteilung und Privatisierungen verantwortlich sind.
Wir können beobachten, dass sich junge Menschen meist über Regeln aufregen und den autoritären Anspruch der Regelmacher als anmaßend empfinden; mit dem Älterwerden verlagert sich dann häufig der Schwerpunkt: die erfolgreich „Sozialisierten“ regen sich hauptsächlich über Regel*übertretungen* auf. So gesehen, ist der Alterungsprozess der Linken schon weit fortgeschritten. Eine Mentalität der Übervorsicht, eine Kulturdominanz der Feigheit deutet sich an. Wir verwandeln uns in eine Gesellschaft, die in dem Versuch selbst unwahrscheinliche Lebensrisiken vorausschauend auszuschalten, das Leben selbst verfehlt. Dieses bleibt ja naturgemäß immer ein Stück weit chaotisch und unberechenbar. Wir entwickeln uns zu einer Menschheit, die sich in der Umhegung eines von Regeln und Verboten beherrschten Menschenparks wohler fühlt als in der „Wildnis“ ungeahnter Möglichkeiten und Gefahren. Einer Menschheit, die ihren Freiheitsanspruch an der Pforte zur gelenkten Fassadendemokratie abgegeben hat und seinen Staat um fürsorgliche Bevormundung anfleht.
Gut gefütterte Gefängnisinsassen
Vielleicht ist es tatsächlich ein Missverständnis, wenn viele von uns noch der Idee nachhängen, die Linke habe irgendetwas mit Freiheit zu tun. Die Linke — und dies gilt nicht erst seit der Parteigründung 2007 — sieht es nicht als ihre Aufgabe an, die Menschen in die Freiheit zu führen; allenfalls versucht sie eine notwendige relative Unfreiheit sozial abzufedern. Die Linke organisiert nicht den Ausbruch aus dem Gefängnis; sie trägt Sorge, dass es bei der Verteilung der Essensrationen an die Insassen einigermaßen gerecht zugeht. Niemand in der organisierten Linken will das Pferd abzäumen, damit es frei auf der Weide herumspringt — man möchte ja irgendwann einmal selbst die Zügel ergreifen, und dafür erscheint es hilfreich, dass das Tier von seinen Vorbesitzern gut zugeritten wurde.
Wenn wir also frei sein wollen — freier zumindest —, müssen wir das schon selbst bewerkstelligen: gegen jede Macht, mag sie von rechten Kräften, aus der Mitte oder von einer eingebetteten Linken repräsentiert werden. Nichts hält einen notwendigen Prozess der Befreiung wirksamer auf als das vergebliche Hoffen auf die Hilfe falscher Freunde. Fassen wir also die Wahrheit ins Auge: Wir müssen es selbst tun, oder es wird nie geschehen.