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Die Diktatur-Depression

Die Diktatur-Depression

Weil die Regierung essenzielle menschliche Bedürfnisse mit Füßen tritt, steuert Deutschland in den dunkelsten Winter seit Langem.

„Winter is coming“ stand auf der Tasse, die Markus Söder beim virtuellen CSU-Parteitag am 26. September kamerawirksam auf seinem Schreibtisch stehen hatte. Der Spruch stammt aus der Erfolgsserie „Game of Thrones“. Gemeint ist: Es droht nicht nur ein langer und sehr kalter Winter, sondern auch Gefahr — von einem Heer Untoter, die über die Menschenwelt hereinbrechen werden und die jeden, der ihnen zu nahe kommt, selbst zum Zombie machen. Wenn man so will, ähnelt dieser Vorgang der Ansteckung durch Viren. Der Kontakt zu Kranken kann seinerseits krank machen.

Söder wollte „sein“ Volk mit diesem Spruch auf kommende Härten einschwören. Die Ansteckungsgefahr werde im Winter steigen, strenge Verbote drohten, wenn die Menschen nicht von sich aus Vernunft annähmen, sich also so verhielten, als wäre ohnehin schon alles verboten. Söder hielt eine der ersten einer ganzen Reihe von Blut-, Schweiß- und Tränen-Reden, die wir seitdem von Politikern gehört haben. Immer schwingt dabei der Vorwurf mit, der Bürger sei offensichtlich zu weichlich, zu kindlich — handle verantwortungslos in seinem Festhalten an den Lebensgewohnheiten einer vergangenen, leichtlebigeren Epoche.

Es sei deshalb an den Erziehungsberechtigten — den Politikern —, jetzt andere Saiten aufzuziehen. Nie sind sie selbst verantwortlich für die Brutalität, mit der sie das Volk ihrem Regime unterwerfen; immer sind es die Schüler selbst, die ihre Lehrer zur Anwendung des Rohrstocks „zwingen“ — durch Unvernunft und pubertäre Bockigkeit. Dies ist eins der charakteristischen Denkschemata der schwarzen Pädagogik.

Ansteckende Leblosigkeit

Der Anblick des Pulks von Maskenträgern, der sich durch U-Bahn-Schächte wälzt, missmutig, mit starren Augen über der affenhaft vorgewölbten, nie lächelnden Mundpartie, erinnert in anderer Weise an einen Zombiefilm. Er wirkt beklemmend und bedrohlich. Wir erleben eine Epidemie ansteckender Leblosigkeit. Insofern hat Markus Söders Game-of-Thrones-Vergleich noch eine von ihm selbst nicht beabsichtigte Zweitbedeutung. Eine neue Gruppe von „Wesen“ ist dabei, das Gebiet der Menschen alten Typs zu überrennen und einzunehmen. Sie wollen uns nicht nur dominieren, sie geben erst Ruhe, wenn wir selbst zu einem Teil ihrer Welt geworden sind. Nichts wird mehr sein, wie es war. Widerstand ist zwecklos. Wir werden assimiliert werden.

In diesen Tagen gehen einem schon düstere Gedanken durch den Kopf. Sehr unbehagliche Assoziationen. Ja, es beginnt ohne Zweifel ein außergewöhnlich harter Winter. Aber nicht, weil besonders niedrige Temperaturen drohen — der November war noch relativ mild. Und auch nicht wegen der Zunahme der Corona-Infektionen — den Wahrheitsgehalt derartiger Meldungen kann man ja getrost in Zweifel ziehen. Nein, wir laufen auf einen Winter zu, in dem die Menschen von einer beispiellosen kollektiven Depression heimgesucht werden — verbunden mit schweren Angststörungen und verschärften Anwandlungen von „Ausgebranntsein“.

Die Schwermut-Epidemie

Wir merken dies nicht nur, wenn wir unsere Mitmenschen beobachten und ihnen zuhören — sogar die Mainstream-Medien, sonst darauf bedacht, das Regierungshandeln in einem rosigen Licht erscheinen zu lassen, sowie Fachveröffentlichungen sprechen von einer grassierenden Schwermuts-Epidemie. Und sie scheuen sich auch nicht, den Schuldigen zu benennen: Corona. Wobei sowohl die Angst vor Ansteckung als Ursache identifiziert wird als auch die „soziale Isolation infolge der Lockdown-Maßnahmen und finanzielle Unsicherheit aufgrund der ökonomischen Folgen der Pandemie“. Niemand traut sich jedoch, die nahe liegende Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Verantwortlichen die schädlichen Maßnahmen beenden sollten.

Auffällig ist dabei, dass die Medien die seelischen Folgen der Krise keineswegs verleugnen, dass sie sogar — neben der Angst vor Ansteckung — die Corona-„Schutzmaßnahmen“, den Verlust von Freiheiten, die Isolation, die Desorientierung, die Existenzängste vieler Bürger als Ursachen für Depressionen offen benennen. Dabei stellen sie aber in keiner Weise in Frage, dass diese Maßnahmen notwendig sind und bleiben.

Während also eine Corona-Ansteckung als etwas behandelt wird, was um buchstäblich jeden Preis zu verhindern ist, wird die Epidemie der Depressionen und Angststörungen hingenommen wie ein unabwendbares Schicksal.

Es wird vorausgesetzt, dass die Betroffenen da eben „durchmüssen“. Das kommt mir so vor, als nähmen in einer Gemeinde Atemwegserkrankungen wegen einer neu erbauten Chemiefabrik in der Nachbarschaft drastisch zu — und anstatt den Schadstoffausstoß zu stoppen, würde man nur seelenruhig die Symptome aufzählen, allenfalls ein Hustenmittel empfehlen.

Selektives Mitgefühl

Mit einem sehr selektiven Mitgefühl reagieren viele Menschen selbst auf leichtere und gut verkraftbare Verläufe der Virusinfektion und gehen gleichzeitig über tausendfaches, oft massives seelisches Leid mit einem Achselzucken hinweg. Und dies obwohl es wahrlich keine neue Erkenntnis ist, dass auch Depression zum Tod führen kann. Mehr Suizide in der Folge der Corona-Maßnahmen wurden vielerorts bereits festgestellt, vor allem in den USA.

Das Problem dürfte sich im Winter 2020/2021 verschärfen — schon wegen des dann vermutlich längeren Lockdowns und der Tatsache, dass die „Zweite Welle“ im Oktober über bereits angeschlagene Seelen hereinbrach. Nur: die ursächlichen Zusammenhänge sind in solchen Fällen nicht so gut nachverfolgbar. Selbstmörder hinterlassen wohl kaum Briefe mit dem Inhalt: „Ich tat es wegen der Ausgangsbeschränkungen.“ Und: Maßnahmen-Tote finden im Gegensatz zu Covid-19-Toten in Medien und Politik keine Aufmerksamkeit.

Große Teile der psychologischen „Ratgeberliteratur“, wie wir sie in den Medien derzeit finden, erweisen sich in gleicher Weise als Totalausfall wie die Mehrheit der Künstler, der Intellektuellen, der Ärzte, der Juristen und der Oppositionspolitiker. Größtenteils rät der therapeutische Häppchenjournalismus zur Hinnahme des Vorgegebenen, einschließlich der politischen Rahmenbedingungen. Wilhelm Reich bezeichnete den psychoanalytischen Ansatz seines Lehrers Sigmund Freud auch als „Kulturanpassungslehre“. Seelische Gesundheit wird in systemkonformer Psychologie definiert als ein Mitschwimmen mit den herrschenden gesellschaftlichen Strömungen, als Abwesenheit von Leid verursachenden Widerständen. Die Seele wird so zur Knetmasse in den Händen von Politikern und Ökonomen.

„Radikal akzeptieren“

Ein besonders explizites Beispiel dieser „Anpassungslehre“ finden wir in einem Interview mit der Psychologin und Hochschul-Dozentin Hanna Christiansen im Magazin „Jetzt“ . Zwar konstatiert auch Christiansen eine „Zunahme an psychischen Belastungen“ und räumt ein, „dass diejenigen, die schon vorher psychisch erkrankt und belastet waren, besonders leiden“. Sie berichtet von Briefen von Studentinnen mit massiven Angststörungen. Eine bahnbrechende Idee, was man dagegen tun könnte, hat aber auch sie nicht.

So schlägt die Psychologin vor, „weiterhin den Kontakt zu Freunden zu pflegen und sich zu treffen. Natürlich unter den geltenden Beschränkungen und Maßnahmen“. Das klingt ein wenig, als fürchte sie, dass der Ministerpräsident mitliest und als hätte sie Angst, geschimpft zu bekommen, falls sie sich nicht eilfertig zu den befohlenen Beschränkungen bekennt. Ein nicht untypischer Vorgang übrigens im Deutschland des Jahres 2020.

Was die Psychologin dann vorschlägt, um psychische Probleme in den Griff zu bekommen, wird Corona-Machtpolitiker freuen:

„Je mehr ich hadere und mir vor Augen führe, wie schrecklich alles ist, desto schlechter geht es mir. Besser ist es, die Situation radikal zu akzeptieren, da man sowieso nichts daran ändern kann. Wenn ich die ganze Zeit mit meiner Machtlosigkeit hadere, geht es mir nur noch schlechter.“

Also nicht versuchen, reale Machtlosigkeit zu reduzieren: zum Beispiel durch Teilnahme an Protesten, durch zivilen Ungehorsam und juristische Gegenwehr; nicht einmal innerlich mit der eigenen Machtlosigkeit hadern — sondern: „radikal akzeptieren“. Es mag sein, dass Akzeptanz in vielen Fällen psychische Erleichterung schafft. Was aber, wenn eine seelische Notlage durch Freiheitsentzug verursacht wurde — durch unterdrückten Selbstausdruck und verunmöglichte Authentizität? Kann Angepasstheit das Heilmittel sein, wenn Anpassungsdruck das krank machende Gift war?

Nur noch „Gefängnispsychologie“

Zugegebenermaßen ist die momentane Situation für Psychologinnen und Psychologen nicht leicht. Wir leben inzwischen in einer sehr stark durchstrukturierten Gesellschaft mit obrigkeitsstaatlichen Zügen, in der den Menschen ihr Verhalten im Wesentlichen diktiert wird — was die Herrschenden nicht daran hindert, sich beleidigt zu zeigen, wenn jemand das Wort „Diktatur“ verwendet. Therapie kann unter solchen Umständen kaum etwas anderes sein als Gefängnispsychologie. Sie laviert, doktert an eher sekundären Problemen herum und rät im Kern, sich mit dem Vorgegebenen zu arrangieren. Sie darf aber das einzige wirkliche Heilmittel nicht empfehlen: Freiheit. Denn eben der Weg in die Freiheit ist durch ein System struktureller Gewalt versperrt, dem der Gefängnispsychologe — ebenso wie die Insassen — unterworfen ist.

Im Kern hat jede Individualtherapie ja die Funktion, die Verantwortung für das eigene Lebensschicksal an den Einzelnen zu delegieren. Durch den Gang zum Psychotherapeuten räumt der Patient implizit ein, dass das Problem bei ihm liege, selbst wenn die Welt „draußen“ buchstäblich verrückt spielt und wenn allenthalben Kollektivneurosen sprießen.

Im Grunde müssten Therapeuten ihren Patienten raten: „Scheißen Sie auf den Staat und auf Regeln, brechen Sie aus, weinen Sie, wenn Ihnen nach Weinen ist, schreien Sie Ihren Zorn und ihren Schmerz heraus, ducken Sie sich niemals und richten Sie sich zu Ihrer vollen Größe auf. Seien Sie sperrig, unangepasst, kratzbürstig! Wehren Sie sich! Dann wird sich größere psychische Gesundheit schon einstellen.“

Einen solchen Rat aber würde niemand zu geben wagen — schon im Interesse des Patienten, dem als Folge des Aufbegehrens gegen Zwänge noch schlimmere Zwänge drohen: Zurechtweisung, Geldstrafe, Verlust der Existenz, gar Gefängnisstrafen. Schon lange vor Corona war nicht der im vollen Sinne „ausgewachsene“ Mensch gesellschaftlich erwünscht, sondern eher der in erforderlicher Weise zurechtgestutzte — ähnlich einem mit der Heckenschere in Form gebrachten Buchsbaum in einem Barockgarten.

Tausendfaches psychisches Leid zu verursachen und den Erkrankten zugleich den wirksamsten Weg der Heilung zu versperren, ist die besondere Perfidie am momentanen Verhalten der Mächtigen.

Freiheit und Gesundheit sind eins

Dass eine derart „eingebettete“ Psychotherapie keine Selbstverständlichkeit ist, merken wir erst, wenn wir uns über Alternativen informieren. Für den schon erwähnte Wilhelm Reich (1897 bis 1957) war Freiheit die Grundvoraussetzung für psychische Gesundheit, weshalb er sich auch sehr für die Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen interessierte.

„Freiheit definieren ist identisch mit Definition der sexuellen Gesundheit“, schrieb Reich. „Es gibt eine sexualphysiologische Verankerung der sozialen Unfreiheit im menschlichen Organismus.“ Auch wenn Sexualität in unserem Kontext nur am Rande interessiert — gemeint ist, dass sich Unfreiheit im politischen und beruflichen Leben in Form von Verspannungen und Energieblockaden im Körper manifestiert. Umgekehrt hätte das Lösen solcher Blockaden Auswirkungen auf das gesellschaftliche Ganze. So lässt sich Reichs Unbehagen an herkömmlichen, System stabilisierenden Therapieformen mit einem Satz Adornos zusammenfassen: „Indem der Geheilte dem irren Ganzen sich anähnelt, wird er erst recht krank.“

Wilhelm Reichs Ansatz der therapeutisch und politisch brisanten „Energiebefreiung“ lebte in den bioenergetischen Therapierichtungen von Alexander Lowen und John Pierrakos weiter. Eine auch körpertherapeutisch begründete antiautoritäre Haltung, die für die Epoche der 1960er und 1970er-Jahre charakteristisch ist, findet man in den Schriften Alexander Lowens:

„Lust kommt aus dem freien Fließen der Kräfte innerhalb des Körpers oder zwischen ihm und seiner Umgebung. Macht entsteht, wenn Kraft aufgestaut und gesteuert wird. Damit ist der grundlegende Unterschied zwischen dem Lustmenschen und dem Machtmenschen umrissen. Macht lebt von Herrschaft.“

Staatsziel: Einengung des Bewusstseins

Da also — im Gegensatz zu den Ursprüngen der Psychoanalyse bei Freud — nicht Affektkontrolle mittels der Vernunftinstanz „Ich“, sondern „freies Strömen von Energien“ als höchster Wert angesehen wurde, barg die therapeutische Szene jener Jahre ein gesteigertes revolutionäres Potenzial, das die 1968er-Bewegung auch durchaus in diesem Sinne aufgriff. Weitgehend diskreditiert erschien das „Über-Ich“ als Vertreter der verinnerlichten gesellschaftlichen Normen. Gleichzeitig experimentierten Therapeuten wie Timothy Leary mit bewusstseinserweiternden Drogen — und auch dies konnte sich „systemsprengend“ auswirken.

Intendiert waren in den typischen „68er-Therapien“ vor allem zwei Dinge: Erweiterung des Bewusstseins und Erweiterung des Spektrums der Handlungsoptionen. Die gegenwärtige Corona-Politik bewirkt auf beiden Feldern das Gegenteil: Bewusstseinseinengung durch Angstmache und sich wiederholende Propaganda sowie eine extreme Begrenzung der Handlungsmöglichkeiten auf nur wenige erlaubte Bereiche: zu Hause hocken, einkaufen, malochen. Bioenergetisch kann man auch sagen: Diese Politik bewirkt krank machende Energieblockaden. Symbolisch und auch real manifestiert sich dies speziell in der Einschränkung der Möglichkeit, frei ein- und auszuatmen infolge des Maskenzwangs — ein in der Geschichte einzigartiger Anschlag auf die kollektive Gesundheit.

Depression als Form der Autoaggression

Depression kann auch als eine Form der autoaggressiven Verarbeitung von Reizen verstanden werden. Die Gefahr einer Erkrankung steigt, wenn Aggressionen wachgerufen werden, jedoch keine Möglichkeit besteht, diese auszudrücken. Entweder, weil der Gegner (Staat) zu stark erscheint oder weil eine innere Blockade existiert. Weil sich der Einzelne zum Beispiel selbst rücksichtslos vorkommt, weil ihm die Abstandregeln auf die Nerven gehen. Man unterdrückt dann seine Wut auf die Gängelung durch den Staat, weil man rational meint, diese sei notwendig.

In der Traumatherapie wird ausführlich die Frage behandelt, was geschieht, wenn jemand Wut, anstatt sie auszuleben, quasi wieder in sich zurücknimmt. So etwa in Isa Grübers Buch „Was der Körper zu sagen hat“. Die Autorin beschreibt darin zwei Weisen, wie sich Wut nach einer Traumatisierung ausdrücken kann:

„Entweder als nach außen gerichteter Kampfimpuls, der abgebremst und zurückgehalten wurde und nun auf seine Vollendung wartet, oder als nach innen gerichteter Impuls, wenn durch das Kollabieren die Kampfreaktion ‚in sich zusammenfiel‘, die innere Ladung aber immer noch vorhanden ist. Die Folge sind oftmals autoaggressive Handlungsmuster.“

Betrachten wir die Erfahrungen, die die meisten Menschen derzeit mit Corona machen, einmal als eine meist vergleichsweise milde Form von Schock und Traumatisierung. Wenn der Organismus unter Dauerstress steht, die natürlichen Bewältigungsformen Kampf und Flucht jedoch unmöglich scheinen, bleibt als drittes „Totstellen“, eine Art Betäubungsgefühl, das Einfrieren der Gefühle. Der Betroffene fühlt sich dabei unlebendig und wie benommen, wirkt desorientiert, verliert den Kontakt zu sich selbst und den Mitmenschen. Auch dies ist eine Form der „Verankerung der sozialen Unfreiheit im menschlichen Organismus“, so Wilhelm Reich.

Wer unterdrückt wird und auch noch seinen Ärger über das Unterdrücktsein unterdrücken muss, wirkt niedergedrückt.

Zu viel Eindruck und zu wenig Ausdruck erzeugt Druck.

Die verratenen Braven

Vielfach werden die Menschen auch durch ihre Enttäuschungsgefühle niedergedrückt — zum Beispiel darüber, dass ihre bisherigen Anstrengungen — der Verzicht, die „Bravheit“ — nicht belohnt wurden. Viele dachten zu Anfang der Krise: „Wir machen das jetzt eine Weile mit. Je konsequenter wir uns einschränken, desto eher bekommen wir dann unser altes Leben zurück.“ Eine Rückkehr zur ursprünglichen Freiheit aber war von den Mächtigen nie vorgesehen. Wir beobachten also bei den „Rebellen“ die Enttäuschung darüber, dass ihr Einsatz für Freiheit und Demokratie nicht gewürdigt wird, dass sie dafür sogar noch beschimpft und ausgegrenzt werden. Und wir finden bei den „Angepassten“ die Enttäuschung darüber, dass der Verzicht auf Freiheit keineswegs zur Wiedererlangung dieser Freiheit führte.

Vielfach findet seitens der Etablierten sogar eine „Publikumsbeschimpfung“ statt. Verbreitet wird das Narrativ, dass allein der „Leichtsinn“ der Bürger dazu geführt habe, dass Freiheit und Wirtschaftsleben eingeschränkt werden mussten. Tod und Krankheit hat es zwar immer schon gegeben, doch auf einmal sind sie unsere Schuld. Dabei können andere Faktoren eine größere Rolle gespielt haben: die mangelnde Wirksamkeit von Masken, eine gewisse Eigendynamik der Viruserkrankung, die Herabsetzung der Abwehrkräfte durch seelische Misshandlung und verordnete Freudlosigkeit, die Unberechenbar des Lebens beziehungsweise des Todes selbst. Und natürlich wurde ein Großteil des Problems durch das mediale Vergrößerungsglas erst geschaffen.

Die Bevölkerung fühlt sich derzeit wie ein ungeliebtes „Kind“, das der Anerkennung seines „Vaters“ (Staat) vergebens hinterherläuft. Wie der berühmte Esel einer Mohrrübe, die sein Reiter ihm mit einer Angelrute vor die Nase hält. Das Tier verausgabt sich daraufhin bis zur Erschöpfung, ohne jemals sein Ziel zu erreichen. So auch im derzeitigen „Lockdown light“, bei dem die Politik schon erbrachte Opfer der Bevölkerung damit „würdigt“, dass immer noch weiter gehende Opfer verlangt werden — bis alles Leben im Endstadium einfriert wie das Schloss der Schneekönigin im Märchen. Dies zermürbt und frustriert, manövriert Menschen in eine Situation gefühlter Ausweglosigkeit hinein.

Die gewollte Depression

Ist die kollektive Depression politisch gewollt? Mitunter ja. Jedenfalls wird sie in Kauf genommen. Ihre Ausbreitung wird nicht ansatzweise als ein Grund dafür betrachtet, die Corona-Maßnahmen abzumildern. „Da müssen die durch.“ Eine kollektiv niedergedrückte, ausdrucksgehemmte Bevölkerung ist leichter handhabbar. Man kann ihr auch leichter weitere Zwangsmaßnahmen aufzwingen, weil ihr Stolz ja schon gebrochen, das Selbstwertgefühl nur noch in stark reduzierter Form vorhanden ist.

Nach Monaten einer solchen „Behandlung“ sind viele Menschen vielleicht so sehr mit sich im Unreinen, dass sie meinen, nichts Besseres als diese Regierung verdient zu haben.

Zudem schwächen psychische Probleme die Abwehrkräfte, machen anfällig für allerlei Krankheiten, speziell auch Virus-Infektionen. Diese erlauben es den Regierenden dann im zweiten Schritt, triumphierend wieder steigende Infektionszahlen zu „präsentieren“ und als Konsequenz noch härtere Maßnahmen zu verhängen. Und so weiter in einem endlosen Teufelskreis.

Die falsche Entscheidung

Im ersten Flugblatt der Widerstandsbewegung „Die Weiße Rose“ steht: „Vergesst nicht, dass ein jedes Volk diejenige Regierung verdient, die es erträgt!“ Auf die Zumutungen der Politik depressiv-autoaggressiv statt extrovertiert und wehrhaft zu reagieren, ist eine Urentscheidung, die die Mehrheit der Menschen — überwiegend wohl unbewusst — für sich getroffen hat. Es ist die falsche Entscheidung, weil jeder Monat, in dem die Depression andauert, unsere Entschlusskraft und unser Selbstwertgefühl weiter schwächt.

Dennoch ist eine Umkehr grundsätzlich möglich. Der Freiheitsdrang einer Mehrheit der Menschen kann auch nach Jahrzehnten andauernder Unterdrückung durchbrechen. „Wir wissen immer, was die Wahrheit ist, egal wie lange wir ohne sie gelebt haben“, sagt Kate Winslet in dem Hollywood-Drama „Zeiten des Aufruhrs“. Kein System des Zwanges und der Manipulation hat sich je so lückenlos über ein Land gelegt, dass nicht irgendwo, irgendwann Freiheitsimpulse durchbrachen. In der ehemaligen DDR muss es wohl so gewesen sein. Allerdings sind die Menschen dort vom realsozialistischen Regen in die kapitalistische Traufe geraten.

Heute gibt es keinen „Westen“ mehr, also kein vermeintlich freies Ausland, das als Vergleichsgröße und als Sehnsuchtsort taugt. Keinen Ort im „Außen“, von dem her die Befreiung für die in einem rigiden Gesundheitstotalitarismus eingesperrten Menschen kommen könnte. „Il n’y a plus d’Amérique“ sang der große Chansonier Jacques Brel. Es gibt kein Amerika mehr — keinen Ort der Zuflucht, kein Neuland, das neue Freiheiten eröffnet, keine wohlwollende Schutzmacht, die uns behütet. Im genannten Sinn ist auch Amerika längst kein Amerika mehr.

Wir haben jetzt nur noch uns. Wir haben die Erinnerung daran, was wir in den relativ guten Jahren Nachkriegsdeutschlands über die Freiheit gelernt haben. An die Ideale, die wir einmal als gut erkannt haben und in uns wachsen ließen. An das, was wir geworden sind und aus uns gemacht haben, als wir der Deformation noch nicht so stark ausgesetzt waren wie heute. Diese Erinnerung ist unser Menschlichkeits-Depot, unser Wärmevorrat, von dem wir im Winter zehren können. Unser Restfeuer, das wir in kleiner Flamme am Brennen halten müssen, bevor sie es ganz ersticken. Und das vielleicht einmal wieder größer werden kann — angefacht von einem neuen „Wind of Change“, der den Mächtigen, die sich jetzt obenauf wähnen, ganz kräftig ins Gesicht blasen wird.

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