Kunst war stets meine Wegbegleiterin, doch das Anspruchsdenken versperrte mir oftmals hartnäckig den Weg zu ihr. Ich wollte in meinem künstlerischen Streben wirklich etwas erreichen, ich wollte es auf allen erdenklich guten Wegen, die meiner Erziehung nach Strebsamkeit ebenfalls gerecht zu werden versuchten.
Doch jedes Forcieren in die Magie einzutauchen, darin Befriedigung zu finden, mich am Ergebnis zu erfreuen und dieses zugleich wie eine Nebensächlichkeit hinter mir zu lassen, weil das nächste Schöpferische winkte, jede Anstrengung trieb den Preis der Erwartung unerreichbar in die Höhe. Der kaltherzige Ehrgeiz machte die tiefe Freude am Erleben, eins mit dem Schöpferischen zu sein, meist vorschnell zunichte. Zurück blieb ein schales Selbstzerwürfnis, einfach nicht gut genug zu sein.
Perfektion über Hingabe?
Ich habe verschiedene kreative Talente geschenkt bekommen, beispielsweise bis zur Meisterklasse Klavier am Konservatorium gelernt. Zuvor hätte ich es allerdings beinahe aufgegeben, weil das Wollen, die Perfektion über der Verbindung mit der kreativen Quelle stand. Weil Technik über den Empfindungen stand und weil mir der Schlüssel zu jener einen Kraft erst kurz vor meiner Kapitulation gereicht wurde: die Liebe zur Klangwelt, die Liebe zur Farbigkeit, die Liebe zu den schöpferischen Ausdrucksweisen, die sich durch uns Menschen in besonderer Weise gebären wollen. Liebe und Hingabe, die sich vor allem mir selbst zuwandten, wenn ich mich voller Selbstzweifel und innerer Zerwürfnisse ob meiner Unzulänglichkeiten selbst anfeindete.
Gefühl der Verbundenheit
Ich begann zu begreifen und zu spüren, dass diese Liebe für ihr Mitwirken in meinem Leben keine Gegenleistung forderte, kein fixes Ziel verfolgte, sondern mir vor allem dann half, wenn ich mich selbst zu unfähig für den großen Schöpfungsfluss hielt. Wenn mein Ego, erdrückt durch den Drang nach Zuspruch und unter der Geißel des sich Vergleichens, tatsächlich seine Hüllen in der Garderobe fallen ließ und sich nackt machte für die Gewänder des Lebens.
Während ich mich davon zurückzog, meine Veranlagungen bühnentauglich auszuarbeiten, blieb das für mich weitaus Wesentlichere erhalten: das Gefühl der Verbundenheit mit der schöpferischen Quelle, der Lebenskreativität, der Liebe zu Fähigkeiten, die mir immer wieder auf bemerkenswerte Weise halfen, existenzielle Unwegsamkeiten zu meistern, Mensch zu bleiben mit einem wachen Geist, einem offenen Herzen und einer mitfühlenden Seele.
Das Bestmögliche
Musik, Texte, Sprache, Bilder, Bewegungen, Lichterspiel, Bauwerke, jede Form, in der sich Menschen sichtbar machen, zeigen den Geist, das Herz, die Seele ihrer kulturellen Haltung dem Leben gegenüber. So vermag uns vieles, was vor vielen Jahrhunderten, sogar Jahrtausenden geschaffen wurde, heute derart berühren, als sei es gerade erst entstanden. Da schwingt anhaltend etwas mit, was mehr ist als die Perfektion einer vollendeten Technik.
Grundsätzlich stellt sich mir immer mehr die Frage, inwieweit es diesen Anspruch überhaupt braucht, für wen oder was — um der Kunst gerecht zu werden, um es überhaupt Kunst nennen zu dürfen, damit dafür ein Wert X festgelegt und mit anderen Kunstwerken verglichen werden kann?
Können und sollten wir das, was unsere Seele zu berühren vermag jemals in etwas hineinzwängen, was vor allem der Verstand braucht? Ist der schöpferische Ausdruck des Menschen nicht vielleicht eine der höchsten und damit jener freien und befreienden Impulse zugleich, denen er folgen sollte, um das Bestmögliche seines Selbst in diese Welt zu tragen? Und hat diese Welt nicht das Beste von uns Menschen verdient, wozu uns Zeiten wie diese wiederholt aufrufen?
Naturgegebene Kraft
Ich meine Ja. Denn die Kunst ist nicht durch das Aktuelle erst in eine Krise geraten — die Krise der Kunst und unserer kulturellen Abwege tritt nun in kaum ertragbarer Massivität in das Bewusstsein vieler Menschen. Kunst wird nur in ihrer Seelenhaftigkeit, in ihrer zeitlosen Gabe zu berühren, erhalten bleiben, wenn sie sich aus den Anhaftungen des Institutionellen befreit.
Wenn wir sie wieder als etwas wahrnehmen, was nicht nur den Talentierten vorbehalten ist, sondern wenn wir Kunst als ganzheitliche, naturgegebene Kraft betrachten, welche im Leben von jedem Einzelnen wirkt.
Was auch immer wir an Gestalterischem in unserem Alltag tun, im Haus, im Garten, in der Freizeit, alleine, mit der Familie oder mit Freunden, wenn wir den warmen Strom der Hingabe, der Liebe und Freude dabei empfinden, lassen wir den Wert von Kreativität wieder neu und größer auferstehen.
Es sind diese Qualitäten die unsere Werke mit einer Energie anreichern, die nicht nur unser Leben beschenken, unsere Ganzheitlichkeit aus Geist, Körper und Seele zusammenhalten, sondern die auch jene wichtigen Brücken zu den Herzen anderer Menschen bauen. Mögen einige darin eine Berufung sehen und es Beruf nennen, doch allein der Drang sich auszudrücken und sich in dieser Welt einen Bereich des bewusst gestaltenden Wirkens einzurichten, gehört neben allen Bedürfnissen physisch zu überleben, zu einem lebensimmanenten Grundimpuls.
Neues Kulturbewusstsein
Den Wert seiner eigenen schöpferischen Individualität anzuerkennen und wertzuschätzen, entkräftet die Bestätigung durch eine Welt, welche vornehmlich rationale Vergleichs- und Bewertungskriterien zugrunde legt.
Der Weg eines neuen Kulturbewusstseins basiert darauf, den eigenen gestalterischen Wert, das individuelle Zutun zu einer Gemeinschaft wiederzubeleben, in der schöpferischer Ausdruck und kreativer Einfallsreichtum erwünscht und gefördert wird.
Die Kraft, die von Menschen ausgeht, die mit jener Quelle verbunden sind und diese bewusst nutzen, inspiriert all jene, die mit sich am Hadern sind, die einen neuen Weg suchen in einer Welt voller Herausforderungen.
Solange Kunst aus unserer inneren Verbundenheit mit dem schöpferischen Ganzen gespeist wird, solange wir sie nicht dem kaltherzigen Bedarfszwang und Leistungsanspruch unterwerfen, solange bleibt ihr Wert für uns Menschen erhalten: uns zu berühren, uns mitzunehmen in den segensreichen Fluss magischer Empfindungen, eins zu sein mit etwas Höherem, Weisen, Vollendeten.
Zu guter Letzt bedeutet diese Verbundenheit auch, die Kraft der Transformation als persönliche Bereinigung und Klärung zu erleben und dadurch die Wiederherstellung seelischen Friedens zu erfahren. Es muss nicht alles gleich als Therapie tituliert werden, was Heilung bringt, den Menschen in sich stärkt und ihn inspiriert, mit seinen naturgegebenen Gaben bewusst zu leben.
Bindeglied und Hinterlassenschaft
Gerade als Mutter rühren verschiedene Fragen immer drängender an mein Herz: Welche Welt möchte ich meinem Sohn hinterlassen, für welche Werte habe ich mich eingesetzt, an welche Menschheitskultur glaube ich, was zeichnet den Menschen heute und künftig wahrhaft aus?
Und: Was gebe ich ihm mit, um in einer Welt friedlich und erfüllt zu leben inmitten von so vielen unterschiedlichen Strömungen? Wie kann er Gefühle von Geborgenheit, Freiheit, Lebensfreude, Genuss in sich bewahren, wenn um ihn herum das Kräftemessen weiter anhält?
Ich bin das Bindeglied für alles, was in seiner kleinen Welt bereits in Rotation gekommen ist. Ich baue immer wieder Brücken zwischen Widersprüchen und im emotionalen Wirbelwind. Ich sollte darin Vorbild sein und fühle mich selbst oft so ausgeliefert … In diesen Momenten erinnere ich mich an die Auferstehung der Kultur, an die Magie alles Schöpferischen, an die Kraft der Kunst und alle Menschen, die vor uns nicht aufgegeben haben, um uns eine beseelte Welt weiterzureichen.
Ich lege meine Hand in ihre, sie richten mich wieder auf, sprechen mir Mut und Zuversicht zu, erinnern mich an die Bedeutung jedes Einzelnen für diese Welt. Durch sie spricht das Leben, die große liebende Kraft, die sich durch nichts aufhalten, verhindern oder einschränken lässt, wenn wir uns ihr hingeben. Wenn die Welt um uns herum nach Erneuerung ruft, ist unsere Verbindung zu ihr der Weg, um eine weitere Stufe unseres Seins zu erreichen. Eine neue Kultur möchte sich entfalten und wir sind es, die sie mit einem bereinigten Bekenntnis auf vielfältige Weise gebären.
Hingabe, Selbstvergessenheit, Schöpfungsgenuss, Lebensfreude sind dann verwurzelt in unserer Kulturlandschaft, die einen wachen Geist, intuitives Wissen und die Brillanz intellektueller, körperlicher und technischer Fähigkeiten ebenbürtig wertschätzen.
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