„Das Ende der Unterdrückung, so utopisch es klingen mag, ist nichts anderes als ein Bewusstseinswandel: hin dazu, dass wir alle gesehen, gehört und geachtet werden — nicht nur einige wenige“ (Emilia Roig).
Während die Menschheit weltweit manipuliert, unterdrückt und ausgebeutet wird, beschließen manche, sich von der unmündigen oder klagenden Masse der Gesellschaft zurückzuziehen und in Frieden zu leben. Sie wollen in Freiheit Gemeinschaften mit Gleichgesinnten aufbauen, Tiere aufziehen, ihre Kinder zu Hause unterrichten und eine Million anderer Dinge tun, um in einem parallelen System weiterzuleben. Jede Handlung in diese Richtung gibt ihnen das Gefühl, dass es möglich ist, trotz äußerer Zwänge mehr Freiheit und Unabhängigkeit im eigenen Leben erreichen zu können.
Der Ausstieg aus dem System und der Aufbau eigener Zufluchtsorte der Freiheit scheint die mächtigste Strategie zu sein, die Menschen anwenden können. Doch es erfordert auch großen Mut, sich ins Unbekannte zu wagen, alles Liebgewonnene und die Annehmlichkeiten des modernen Konsumentendaseins aufzugeben. Das können und möchten nicht alle Menschen auf sich nehmen.
Andere vertreten die entgegengesetzte Sichtweise, dass die Aussteiger sich nur zurückziehen und vor der harten Realität fliehen, anstatt auf die Straße zu gehen und dort für mehr Freiheit zu kämpfen. Manche gehen so weit zu sagen, diese Art von Rückzug sei feige. Es sind die Menschen, die überzeugt sind, man müsse direkte Maßnahmen ergreifen und sich aktiv am Widerstand beteiligen.
Mit diesem Themen-Special möchten wir Lösungen aufzeigen, wie wir ein menschengerechtes, umweltfreundliches und lebensbejahendes Leben führen können, anstatt wie das Kaninchen vor der Schlange zu erstarren oder mit eigentlich Gleichgesinnten darüber zu streiten, was die bessere Strategie ist.
Wir können den Krieg nicht verhindern. Wir können Menschen nicht ändern, die sich aufhetzen lassen. Doch wir können an uns selber arbeiten und aus uns heraus eine neue Realität erschaffen.
Es ist im Sinne der Herrschenden, wenn wir kleine Schritte und unsere eigenen Einflussbereiche nicht erkennen oder nicht ernst nehmen. Es ist auch in ihrem Sinne, wenn wir uns an der Kritik festbeißen, ohne weiterzugehen und die unverzichtbare Analyse des Istzustands um konstruktive Lösungsansätze und Ideen zu ergänzen.
Begrenzter Verstand
„In unserem Gehirn arbeiten mindestens 100 Billionen Synapsen. Doch so hoch entwickelt unser Gehirn ist — seine Fähigkeiten sind begrenzt: Es kann nur einen Bruchteil dessen wahrnehmen, was um uns herum passiert. Pro Sekunde kann es 40 bis 50 einzelne Informationen verarbeiten. Das ist eine Menge. Aber es ist nichts im Vergleich zu der Menge an Informationen, die unser Gehirn empfängt: elf Millionen pro Sekunde. Von allen verfügbaren Informationen können wir also nicht einmal ein Tausendstel Prozent verarbeiten“ (Ronja von Wurmb-Seibel).
Wenn wir uns bewusst darüber sind, dass wir nie ein komplettes Bild von der Welt sehen, sondern immer nur Ausschnitte, ändert das die Bedeutung, die wir unserem Weltbild geben. Es verunsichert uns vielleicht, uns einzugestehen, dass wir etwas nicht wissen. Es erscheint uns als eine Zumutung, uns einzugestehen, dass unser Verstand begrenzt ist.
Unser Verstand bezieht sich auf das, was wir verstanden haben. Doch was, wenn wir etwas falsch verstanden haben? Wenn wir nicht wirklich klar sehen, sondern nur unser eigenes Weltbild für die Wahrheit halten?
Cogito ergo sum
Ich denke, also bin ich. Mehr als andere Leitsätze der Aufklärung hat das geflügelte Wort des französischen Philosophen René Descartes unsere Zeit geprägt. Doch nutzen wir die Erkenntnis, die dahintersteckt?
„Descartes geht davon aus, dass die Sinneswahrnehmungen des Menschen täuschen können. Nur weil der Mensch die Welt so sieht, wie er sie wahrnimmt, heißt das nicht, dass die Welt tatsächlich auch so ist. (…) Descartes kommt daher zum Ergebnis:
‚Um die Wahrheit zu finden, muss einmal im Leben an allem, soweit es möglich ist, gezweifelt werden.‘
(…) Der Zweifel selbst führt uns zu der Gewissheit, dass das Denken, das dem Zweifeln zugrunde liegt, echt sein muss. Und wenn das Denken, das den Zweifel verursacht, echt sein muss, dann muss auch ich selbst echt sein — schließlich bin ich für jenen Denkvorgang verantwortlich. Das Zitat ‚Ich denke, also bin ich‘ und die damit einhergehende Argumentation zeigt also auf, dass sich der Mensch nicht gänzlich auf seine Wahrnehmung verlassen kann, sich aber seiner Existenz sicher sein kann — zumindest, solange er aktiv Dinge anzweifelt und darüber nachdenkt“ (1).
Die entscheidende Frage lautet: Zweifeln wir unser Weltbild immer wieder an, um offen für neue Informationen zu sein, die es bisher nicht in das Tausendstel Prozent der Informationen schafften, die unser bewusster Verstand verarbeiten kann?
Von der Ohnmacht zur Selbstermächtigung
„Wenn wir selbst nicht daran glauben, dass Wandel möglich ist, wenn wir selbst nicht wissen, wie er aussehen könnte, wie sollen wir ihn dann von den Verantwortlichen einfordern? Wir brauchen Visionen für die Zukunft, um ihr entgegenzuarbeiten.
Diese Zukunft beginnt damit, dass wir anders reden. Dass wir anders nachdenken, anders zuhören. Sie beginnt damit, dass wir unsere Ohnmacht abschütteln und unser Denken befreien“ (Ronja von Wurmb-Seibel).
Probieren wir es aus: Begegnen wir einem Unbekannten mit einem Lächeln, beginnen wir im Treppenhaus ein Gespräch mit unserem Nachbarn oder beobachten wir Kinder beim Spielen. Wie fühlen wir uns? Ist es nicht erstaunlich, wie eine kleine Geste unseren Gemütszustand komplett verändern kann?
Die Geste verbindet uns. Sie stärkt die Gemeinschaft, die Gemeinschaft um uns herum. Allein hierum geht es. Lassen wir uns nicht durch all die Informationen von dem Einfluss ablenken, den wir bei uns vor Ort im realen Leben haben.
Das können wir der Spaltung des „Divide et impera“ und dem „Social Distancing“ entgegensetzen. Stellen wir uns vor, wie wir die Freude wiederentdecken, die Neugierde auf Informationen, die bisher nicht in unser Bewusstsein vordringen konnten. Hören wir auf damit, das zu nähren, was wir überwinden möchten.
„Wenn wir beispielsweise nur davon sprechen, dass wir keinen Krieg wollen, sprechen wir trotzdem immer noch weiter vom Krieg. Wir geben ihm Bühne und Macht, anstatt in den Köpfen unserer ZuhörerInnen Bilder von friedlichem Zusammenleben, von Versöhnungsprozessen, von Sicherheit und Freiheit zu schaffen“ (Ronja von Wurmb-Seibel).
Die Auferstehung der Menschen
Hierfür haben wir dieses Themen-Special zusammengestellt. Wir wollen den Blick auf die schönen und einfachen Dinge des Lebens richten. Zu Ostern wollen wir Kraft schenken und dazu ermutigen, aus der Ohnmacht herauszufinden und ein lebenswertes Leben zu erschaffen, egal wie beängstigend die Nachrichten sind. Unterscheiden wir bewusst zwischen der Medienrealität und unserer realen Umgebung.
Viele erliegen oft einem Irrglauben, den es anzuzweifeln gilt:
Dürfen wir Freude und Zuversicht empfinden und kultivieren, während andere Menschen leiden? Die Gegenfragen können lauten: Hilft es den Opfern, wenn andere Menschen ihr Leid als Grund dafür sehen, dass sie kein Recht hätten, sich um ihr Glück zu kümmern und in ihrem Umfeld Einfluss zu nehmen?
Nützt es den Opfern oder den Mächtigen, wenn wir im Angesicht von Missständen erstarren? Bewirken eher zuversichtliche Idealisten etwas oder Intellektuelle, die ihren Verstand nutzen, um Argumente vorzutragen, warum etwas nichts bringen wird? Wird sich jemals etwas ändern, wenn wir alle nur kritisieren, aber selbst nicht beim eigenen Verhalten anfangen?
Das lebensfeindliche System, in dem wir — noch — leben, ist kein Naturgesetz, sondern es ist von Menschen gemacht und kann somit auch von Menschen verändert werden. Die alles entscheidende Frage lautet: Möchten wir passive Zuschauer sein, die sich damit zufriedengeben, Bescheid zu wissen, oder möchten wir an der Auferstehung der Menschen aktiv teilnehmen und unser Bewusstsein auf konstruktive Informationen ausrichten, die uns in vielen Millionen, Milliarden, Billionen kleiner Schritte in ein neues lebensfreundliches System führen?
Kooperation und Unterstützung
Einer dieser kleinen Schritte besteht darin, die konstruktiven Informationen in unser Bewusstsein vordringen zu lassen. Genau diese möchte der Rubikon Ihnen zusätzlich zur ebenfalls unverzichtbaren Systemanalyse mitgeben. Und zwar nicht mit „positivem Journalismus“, sondern mit konstruktivem Journalismus, wie Ronja von Wurmb-Seibel ihn in ihrem Buch „Wie wir die Welt sehen: Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien“ beschreibt:
„Konstruktiver Journalismus bedeutet nicht, nur Positives zu berichten. Es bedeutet bloß, nicht nur über ein Problem zu berichten. Eigentlich ist es ja ganz logisch: Um von einem möglichen Ausweg erzählen zu können, müssen wir erst einmal das Problem verstehen. Es geht immer um beides: Probleme und mögliche Auswege. Nur so schaffen wir es, die Welt zu sehen, wie sie ist. (…)
Wenn wir zeigen, dass es durchaus möglich wäre, ein bestimmtes Problem zu lösen, erhöhen wir den Druck auf die jeweils Zuständigen. Im Angesicht eines Missstands behaupten Verantwortliche oft, ein anderes Handeln sei schlicht nicht möglich — die Krise zu groß und zu überraschend, die Herausforderung unüberwindbar. Leider können wir nichts dagegen tun. Wenn es in Wirklichkeit heißen müsste: Leider wollen wir nichts dagegen tun.“
Guter und insbesondere konstruktiver Journalismus erfordert tiefgehende Recherchen, sprich viel Zeit und Geld. Rubikon stellt seine Inhalte aus Überzeugung allen Menschen kostenlos zur Verfügung — keine Werbung, keine Bezahlschranke, kein Tracking. Seit über fünf Jahren bündelt das Magazin für die kritische Masse das reich vorhandene Potenzial der vernünftigen, der menschlichen, der integren Stimmen im Land und stellt sie seinen Leserinnen und Lesern vor. Inzwischen schreiben über 900 Autorinnen und Autoren zur großen Mehrheit ehrenamtlich für den Rubikon.
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Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, Ihre Lektüre im Rubikon als ein Mittel zur Selbstermächtigung durch kritisches Hinterfragen offizieller Narrative und Weltbilder und ermutigende Informationen, die Lust auf Menschlichkeit und Leben machen, empfinden und Sie dies honorieren möchten, dann unterstützen Sie uns und unsere Arbeit bitte mit einer Spende, damit wir auch in Zukunft weiter in diesem Sinne wirken können.
„Denn ganz ohne Hoffnung besteht die Gefahr, dass wir in lähmende Resignation verfallen — obwohl wir viele sind, obwohl wir zornig sind, obwohl es durchaus reelle Chancen gibt, etwas zu verbessern. Lasst uns zusammen nicht nur ein Stachel im Fleisch des selbstgerechten Establishments sein, sondern auch Mutmacher und die Hefe im Teig der Veränderung.“ (Jens Wernicke)
Der Rubikon ist inzwischen ein viel beachtetes Webmagazin, aber gleichzeitig noch viel mehr als das: Er ist eine Gemeinschaft aus Idealisten, die die politische Landschaft online wie offline aufmischt und in dieser bleiernen Zeit der Resignation ein Signal des Aufbruchs gibt.
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Wir wünschen Ihnen erholsame Feiertage und viel Freude bei der Lektüre unserer Artikel zu dieser besonderen Zeit des Erwachens.
Inhalt der Rubikon-Sonderausgabe:
- Michael Meyen: Geduzt, gedrückt, geerdet
- Marcus Zeller: Das Fest der Wandlung
- Tom Oliver Regenauer: Nichts ist unmöglich
- Jens Lehrich: Raus aus der Matrix! (Podcast)
- Kerstin Chavent: Die mentale Käseglocke
- Peter Fahr: Die Konsultation
- Renate Reuther: Die Angsthasen
- Roland Rottenfußer: Das Paradies im Herzen
- Gustav Viktor Śmigielski: Der schöpferische Geist
- Karin Burschik: Unsere christlichen Wurzeln
- Roberto J. De Lapuente: Fast ein bisschen optimistisch
- Monika Herz: Die Botschaft der schlimmen Bilder
- Ulrike Kirchhoff: Das Rätsel der Erneuerung
- Friederike de Bruin: Eine Welt ohne Geld (Video)
- Jochen Kirchhoff: Die Rückkehr des Lebens
- Elisa Gratias, Roland Rottenfußer: Lebensfreude ist Widerstand
- Andreas Schnitzer: Nach Hause kommen
- Friederike de Bruin, Roland Rottenfußer: Oasen der Freiheit (Video)
- Friederike de Bruin, Felix Feistel, Nicolas Riedl, Jens Wernicke: Keimzellen des Neuen (Video)
- Felix Feistel: Der Utopie-Irrtum
- Céline von Knobelsdorff: Die Befreiung der Kunst
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Quellen und Anmerkungen:
(1) https://praxistipps.focus.de/ich-denke-also-bin-ich-bedeutung-und-herkunft-des-zitats_136917, zuletzt aufgerufen am 7. April 2022, 11:21 Uhr
Literatur:
- Emilia Roig, „Why we matter: Das Ende der Unterdrückung“, Aufbau Verlag, Berlin 2021
- Ronja von Wurmb-Seibel, „Wie wir die Welt sehen: Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien“, Kösel-Verlag, München 2022