Viele Christen in der Schweiz und in Deutschland erinnern sich in diesen Tagen und Wochen an Kurt Marti, den Berner evangelisch-reformierten Pfarrer und Poeten, der am 31. Januar 1921 geboren wurde. Marti zählt mit Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt zu den Großen der Schweizer Literatur im 20. Jahrhundert. Er äußerte sich unverblümt zu gesellschaftlichen Fragen und eckte an. Ein Feature im Deutschlandfunk, wenige Monate nach seinem Tod am 11. Februar 2017, sprach von einem „Querdenker, der viele genervt hat“.
Kurt Marti stand politisch erkennbar links. Er war ein herrschaftskritischer helvetischer Sozialist und illusionsloser Demokrat. Solidarität war für ihn kein moralisches Schlagwort, sondern eine prinzipielle Haltung und nicht ohne Verhältnismäßigkeit denkbar. Seine Betrachtungen zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen und zum achtsamen Umgang mit der Schöpfung klingen heute weniger radikal als vor 30 oder 40 Jahren. Seine klare Ablehnung des Drills von Befehl und Gehorsam bleibt heilsam provozierend. Sein Einsatz für globale Gerechtigkeit ist angesichts der zu erwartenden verheerenden Langzeitfolgen des Coronaregimes insbesondere in ärmeren Ländern von beklemmender Aktualität.
Am bekanntesten sind seine Gedichte, die das Genre der „Theopoetik“ mitbegründet haben. Auch seine theologischen Betrachtungen in Prosa verdienen Beachtung. Eine von ihnen trägt den Titel „Für eine Welt ohne Angst“ und beginnt mit einem Vers aus dem Johannesevangelium:
„Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie der einzige Sohn von seinem Vater hat, voll Gnade und Wahrheit.“ (Johannes 1, 14).
Marti bemerkt, dass dieser Vers oft in der Weihnachtszeit zitiert wird, obwohl er sich auf den erwachsenen Jesus bezieht, auf den Mann aus Galiläa, eine umstrittene Figur des öffentlichen Lebens, der schließlich in Jerusalem angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Marti berichtet, er habe lange darüber nachgedacht, wie man die Person Jesu in einem Satz fassen könnte. Schließlich sei ihm diese Formulierung in den Sinn gekommen: „Jesus hat gelebt und gewirkt für eine Welt ohne Angst.“
Das ist ein schönes und ermutigendes Wort! Weltweit befinden Menschen sich seit einem Jahr in einem Zustand der Angst und Verunsicherung. Täglich müssen wir mit einer aufgepeitscht alarmierenden Berichterstattung und mit einer Flut von Verordnungen und Restriktionen fertig werden. Als Beruhigungspille wurde uns von Beginn an „die Impfung“ vorgehalten und mit geradezu messianischen Erwartungen überfrachtet.
Vor einigen Wochen konnte man in einer Basler Kirchenzeitung lesen:
„Gemeinsam warten und hoffen wir auf das Licht am Ende des Tunnels, das aufgeschienen ist um die Weihnachtszeit: Für die Herzen ist dies die Geburt des Heilands; für die Körper die kommenden Impfmöglichkeiten.“
Damit wird die Bedeutung der Person Jesu an Herz und Seele delegiert — der körperliche Rest, virusanfällig und sterblich, wird der Medizin überlassen. Mit dieser Zweiteilung kommen Religion und Medizin einander nicht ins Gehege. Doch was wird dann aus der Welt ohne Angst, für die Jesus gelebt und gewirkt hat? Ist sie eine Gemeinschaft nur für die „Herzen“? Unsere Herzen sind doch ohne unsere Körper weder vorstellbar noch lebensfähig. Der christliche Glaube lebt nicht nur im inneren Menschen, sondern auch in der leiblichen Gemeinschaft. Er ist spürbar und hörbar in Wort und Gesang — das geltende Singverbot ist ein Affront gegen alle Religionsgemeinschaften, in denen das Singen eine Rolle spielt.
Die christliche Kirche hat die „gute Nachricht“ (so lautet die Übersetzung des griechischen Wortes Evangelium) für Seele und Leib zu verkündigen.
Diese Nachricht lautet: Fürchtet euch nicht! Übertragen in die heutige Zeit: Begegnet den Menschen in eurem Umfeld mit Offenheit, betrachtet sie als Geschöpfe Gottes und nicht als „Gefährder“ und „Gefährdete“.
Widersteht dem Getrommel der Scharfmacher in den Leitmedien und zielt mit eurem Tun und Hoffen auf eine Welt ohne Angst, für die Jesus gelebt und gewirkt hat: Gott ist Mensch geworden, und der Tod hat nicht das letzte Wort.
Du: leicht
Du: ins
Zellengewebe
enthöht.
Gott
des lebendigen Atems
im Fleisch
durchreisest
uns
leicht (1).
Quellen und Anmerkungen:
(1) Kurt Marti, Für eine Welt ohne Angst. Berichte, Geschichte, Gedichte. Wuppertal 1985, S. 51