Krieg in Afghanistan, Krieg im Irak, Krieg in Syrien, Krieg im Jemen, Krieg in Somalia, Krieg in Mali — Hunderte Opfer da, Tausende dort, noch mehr verhungern und verdursten täglich oder sterben an Krankheiten. Über all diese Kriege wird — mehr oder weniger — gesprochen. Bilder werden gezeigt, Zahlen und Fakten zu den Opfern benannt, auch wenn die Hauptverantwortlichen gerne die Schuld auf den als Feind Auserkorenen schieben. Doch gibt es einen Krieg, den die Menschheit seit Jahrtausenden führt, und der zu einem großen Teil schweigend hingenommen wird.
Es ist der Krieg gegen die Natur, der nicht als solcher benannt wird. Natürlich, hin und wieder wird darüber berichtet, wie viele Arten schon wieder ausgestorben sind, wie viele Hektar Wald auch in diesem Jahr schon wieder gerodet wurden, wie sehr die Korallenbleiche voranschreitet, oder wie viel CO2 in die Atmosphäre gepustet wurde. Aber all das wird nie in den Zusammenhang eines großen Krieges gestellt, den die Menschheit gegen die sie umgebende Welt führt — dabei ist es genau das.
Eine Millionen Arten sind schon jetzt vom Aussterben bedroht, bis zu 58.000 sterben jährlich aus . Würde es sich bei den Opfern um Menschen handeln, spräche man von einem Genozid. Seit der neolithischen Revolution erlebt sich der Mensch als von der Natur getrenntes Wesen. Dies konnte dazu führen, eine Unterscheidung zwischen „wir“ und „denen“ zu treffen. Er zog sich zurück in Dörfer und Städte, ordnete die Natur und versuchte sie seinem Willen Untertan zu machen.
Eine vom Menschen unberührte Natur gibt es heutzutage nirgendwo mehr. Selbst in den Tiefen der Tiefsee und in den Weiten des Amazonas findet man Spuren menschlichen Schaffens, zumeist Plastikmüll.
Dadurch, dass der Mensch sich nicht länger als ein Teil der Natur gesehen hat, fiel es ihm leicht, die Natur zu zerstören. Der Mensch rottete ganze Arten aus, zerstörte Wiesen und Wälder, vergiftete das Meer. Die moralische Rechtfertigung schuf er sich mittels seiner Religionen, die ihm die Absolution erteilten. Doch mit dem Aufkommen des Kapitalismus und der Industrialisierung nahm das Ausmaß des Krieges eine ganz neue Dimension an. Religion wurde ersetzt durch Glauben an das ewige Wachstum. Gier war von nun an das Gebot der Stunde.
Seit dem hat die Menschheit den Krieg gegen die Natur massiv vorangetrieben. Industrielle Landwirtschaft erzeugte Agrarwüsten, in denen nur dank Kunstdüngern überhaupt etwas wachsen kann, die Industrie verschlingt immer mehr Rohstoffe, die aus immer entfernteren Regionen der Welt herangeschafft werden müssen — ein Prozess, bei dem zerstörerische Eingriffe in die Natur unabdingbar sind. Die Abwässer, Abfälle und Abgase, die auf die ein oder andere Weise in die Natur gelangen, setzen das Zerstörungswerk fort: Wale verenden an Plastikmüll in ihren Mägen, in übersäuerten Ozeanen sterben die Korallenriffe ab. Das Klima verändert sich: Wüsten breiten sich aus, ohnehin gefährdete Arten geraten dadurch weiter unter Druck, Wetterextreme nehmen zu, Lebensraum für Tier und Mensch geht verloren.
Zudem führt der Mensch auch Krieg gegen seine eigene Natur. Sich selbst in eine vollkommen kalte Produktions- und Dienstleistungsmaschinerie zwängend, die nur auf Steigerung der Profite ausgerichtet ist, bekämpft er seine eigenen natürlichen Bedürfnisse, zum Beispiel jenes nach ausreichend Schlaf, jenes, nach Abwechslung und jenes nach Ruhe oder sozialen Bindungen.
Mit Gewalt passte er sich einer von ihm künstlich geschaffenen Umwelt an, um mit seiner eigenen Gewalt, seiner eigenen Kriegstreiberei schritthalten zu können. Seine eigene Natur passt nicht in das Dogma der Produktivitätssteigerung Jede natürliche Regung wird als Schwäche aufgefasst.
Derjenige, der sich am wenigsten Ruhe gönnt, erfährt Anerkennung. Jeder, der möglichst wenig Zeit mit Schlafen „verschwendet“, wird bewundert. Sogar das Liebesleben wird mittels diverser Apps oder Homepages optimiert. Auch hier soll nichts dem Zufall überlassen werden. So beschneidet der Mensch immer stärker all das, was seiner Natur entspricht, und passt sich einer Welt an, die von Maschinen beherrscht wird. Dabei wird der Mensch selbst zur Maschine, und so ist es kein Wunder, dass sogenannte Transhumanisten daran arbeiten, Mensch und Maschine zu verschmelzen. Es passt in das Dogma der Effizienz, und entfremdet den Menschen gleichzeitig noch weiter von seiner Natur.
Die Falle
Gemeinhin wird angenommen, seit der neolithischen Revolution erlebe der Mensch eine Welle des Fortschritts nach der anderen. Zunächst hat sich das Gehirn weiterentwickelt, der Mensch hat Kulturen herausgebildet, sich in Städten zusammengefunden, Häuser, Straßen und Paläste gebaut, die ihn vor dem Unbill der Natur schützen. Dann kamen die wissenschaftliche Revolution, und kurz darauf die industrielle, die dem Menschen angeblich ein Maß an Überfluss beschert hat, sodass er sich keine Sorgen mehr um sein Überleben machen müsse.
Der Mensch, so nimmt man an, befindet sich auf einem steilen Weg nach oben. Doch das ist ein Irrglauben. Vermutlich ist eher das Gegenteil der Fall. Seitdem der Mensch sesshaft geworden und in die landwirtschaftliche Falle getappt ist, befindet er sich auf einem steilen Weg bergab.
Die Kulturen der Jäger und Sammler hatten alles im Überfluss, beschenkte die Natur sie doch mit Früchten, Wurzeln und Gemüse, und später für die Jagd auch mit genügend Tieren. Damals mussten die Menschen sich nur „nehmen“, was sie vorfanden Sie verwendeten relativ wenig Zeit darauf, ihren Lebensunterhalt zu „verdienen“. Das Gros der Zeit konnten sie ihre sozialen Beziehungen pflegen, schlafen oder der archaischen Kultur der Höhlenmalerei und primitive Musik frönen.
Mit dem Sesshaftwerden des Menschen begann dann der Krieg. Landwirtschaft ist harte Arbeit und noch sehr unsicher dazu. Wird die diesjährige Ernte reich ausfallen? Kommt der Regen zur rechten Zeit? Scheint die Sonne genug? Als Jäger und Sammler konnte der Mensch einfach weiterziehen, wenn in einer Region nicht mehr genügend Nahrung vorhanden war; als sesshafter Bauer kann er das nicht mehr. So muss der Mensch der Natur mit Gewalt abtrotzen, was er benötigt. Er muss sie sich unterwerfen und ihr seinen Willen aufzwingen.
Das gilt nicht nur für das Kultivieren der Pflanzen. Wilde Tiere bedienen sich gern auf Feldern, und so rechtfertigt der Mensch die Ermordung ganzer Arten. Er tötet und zerstört, wendet seine chemischen Massenvernichtungswaffen an und bemächtigt sich sogar der Gene seiner Opfer. Trotzdem wurde die Menschheit über Jahrtausende geplagt von Hungersnöten, und nun auch von vollkommen neuartigen Krankheiten, die es zur Zeit der Jäger und Sammler nicht gab.
Diese Hungersnöte und Krankheiten gibt es auch heute noch. Doch finden sie zu einem großen Teil außerhalb der Bildfläche des Westens statt, in den sogenannten Entwicklungsländern. Zwar wird Nahrung im Überfluss produziert, und auch die Medizin weiß auf die meisten der Krankheiten eine Antwort, doch mangels Geld ist jenen Menschen der Zugang zu Nahrung, Medikamenten und sauberem Wasser verwehrt. Mangel ist in einigen Regionen der Welt noch immer an der Tagesordnung.
Als der Mensch noch Jäger und Sammler war, lebte er sorglos in den nächsten Tag. Alles war im Überfluss vorhanden, und wenn eine Region zu wenig für alle hergab, so zog er zur nächsten weiter. Heute lebt der Mensch im beständigen Morgen. Er muss seine Rechnungen und seine Miete bezahlen. Er muss arbeiten, um Geld zu verdienen, um damit sein Essen im Supermarkt einzukaufen. Damit das für alle möglich ist, müssen Arbeitsplätze her, und jede in der Welt angerichtete Zerstörung ist gerechtfertigt.
Rüstungsindustrie, Atomindustrie, Kohleindustrie, Erdölindustrie, Chemieindustrie? Solange sie Arbeitsplätze bringen, wird nach den zerstörerischen Folgen nicht gefragt. Der Wahn des Geldes und der Arbeitsplätze rechtfertigt den fortlaufenden Krieg gegen die Natur.
Für den Jäger und Sammler war alles im Überfluss vorhanden. Die Gesellschaft, in der wir heute leben, beruht auf künstlicher Verknappung. Lebensmittel werden weggeworfen und im großen Stil vernichtet, um den Preis stabil zu halten. Wohnungen werden zu immer horrenderen Preisen verkauft und vermietet, sodass sich immer weniger Menschen dies leisten können. Die Löhne werden künstlich gedrückt, sodass für viele Menschen am Ende des Monats kaum genug zum Überleben übrig bleibt. Das Geld — wichtigste Ressource, um sich das Überleben zu sichern — wird künstlich verknappt.
Zwischenmenschliche Kriege ziehen zudem auch die Natur in Mitleidenschaft. Flächenbombardements verwüsten ganze Landstriche, Uranmunition vergiftet die Umwelt, und beständig droht eine Atomkatastrophe mit unvorstellbaren Folgen für Mensch und Natur. Zudem ist das amerikanische Militär der größte Emittent von Treibhausgasen, die den Klimawandel befeuern.
Selbstschädigendes Verhalten
Der Krieg, den der Mensch gegen die Natur führt, richtet sich irgendwann gegen ihn . Schon heute ist der Klimawandel Realität, gefährdet die Ernten überall auf der Welt. Verstärkt wird dies noch durch das Insektensterben. Fehlen die Bienen, dann bestäubt niemand mehr die vielen Obst- und Gemüsepflanzen. Auch die Gifte, die der Mensch in die Umwelt entsorgt, landen über den Umweg der Atemluft, des Trinkwassers und der Nahrung wieder im menschlichen Körper. Gesundheit und Leben werden also durch diesen Krieg des Menschen gegen die Natur gefährdet. Denn in letzter Instanz führt der Mensch einen Krieg gegen sich selbst.
Wir müssen diesen Krieg schnell beenden. Nicht nur aus den bereits genannten Gründen. Der Krieg gegen die Natur führt auch zu Kriegen unter den Menschen selbst. Wenn die Wüsten sich ausbreiten, Dürren die Äcker und das Vieh dahinraffen, dann werden Konflikte um Grund und Boden an Intensität zunehmen. Auch Verknappung von Trinkwasser führt zu Gewalt und Krieg. Wir können also den Krieg der Menschen untereinander nur dann beenden, wenn wir den Krieg des Menschen gegen die Natur beenden.
Es ist also dringend angesagt, das massenhafte Töten und Vernichten einzustellen. Wir müssen uns nicht nur als Menschheitsfamilie untereinander, sondern auch als Lebensgemeinschaft mit der Natur versöhnen, und einen neuen Bezug zu den mit uns lebenden Wesen finden. Ein erster Ansatz wäre, wenn jeder Einzelne andere Organismen nicht als Objekte betrachtet, die es zu benutzen, zu unterdrücken und auszubeuten gilt, sondern als Lebewesen, als denkende und fühlende Individuen. Jedes Tier ist ein komplexes, fühlendes Lebewesen, und es gibt Anzeichen dafür, dass auch Pflanzen solche sind.
Begegnen wir unseren Mitlebewesen also mit Respekt und Wertschätzung, anstatt sie auf ihren „Nutzen“ zu reduzieren oder sie auszubeuten, zu versklaven und zu töten Dann erst kann jedem Krieg Einhalt geboten und ein würdiges Dasein für jedes Lebewesen ermöglicht werden. Oder, um es mit Leo Tolstoi zu sagen: „So lange es Schlachthöfe gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.“