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Der Traum des Rubikon

Der Traum des Rubikon

In einem Aufwind-Workshop erlebte das Rubikon-Team ein Gefühl großer Verbundenheit.

Wir sitzen auf Holzstühlen im Kreis unter der Jahrhunderte alten Linde im Schlosshof, und die reifen Samen rieseln auf uns hernieder. Sonne und Wolken wechseln sich ab. Um uns herum Stille und üppiges Grün. Nur das Rauschen der Bäume im sanften Wind begleitet die Stimme von Hans, der uns mit seiner Theaterstimme auf den Workshop einstimmt:

„Wenn man gegen den Strom schwimmt, kommt man zur Quelle,
wir lassen uns vom Fluss des Lebens tragen.

Der RUBIKON ist erreicht oder liegt vor uns und wir gemeinsam bauen eine Brücke darüber.
Unsere Träume: So vielfältig, vielschichtig und unterschiedlich sie auch sind.
Wir träumen alle von einer gesunden, friedlichen Welt in respektvoller Ko-Existenz miteinander und mit der ganzen Schöpfung. Ich bin Leben, das leben will, umgeben von Leben, das leben will.

And I’m not the only one.

Dann gehen wir gemeinsam den Weg. Es gibt keinen Weg, nur gehen … und am Rande des Weges tauchen … da ist ein Wolf, … ein Wolf, nein es sind zwei, auf, …
Die wollen uns entzweien. Wölfe des globalen Feudalsystems.“

Gitarrentöne erklingen. Prinz Chaos II. stimmt mit kraftvoller Stimme das großartige Lied von Franz Degenhardt an: „Wölfe mitten im Mai.“ Wir sitzen weiter still im Kreis und lauschen:

„1.: August der Schäfer hat Wölfe gehört,
Wölfe mitten im Mai, zwar nur zwei,
aber August der schwört,
sie hätten zusammen das Fraßlied geheult,
das aus früherer Zeit, und er schreit.
und sein Hut ist verbeult.
Schreit: ‚Rasch, holt die Sensen sonst ist es zu spät.
Schlagt sie tot, noch ehe der Hahn dreimal kräht.‘
Doch wer hört schon auf einen alten Hut
und ist auf der Hut? Und ist auf der Hut?

2.: August der Schäfer ward nie mehr geseh‘n,
nur sein alter Hut, voller Blut,
schwamm im Bach. Circa zehn
hat dann später das Dorfhexenkind
nachts im Steinbruch entdeckt, blutbefleckt
und die Schnauze im Wind.
Dem Kind hat die Mutter den Mund zugehext,
hat geflüstert: ‚Bist still oder du verreckst!
Wer den bösen Wolf nicht vergißt, mein Kind,
bleibt immer ein Kind. Bleibt immer ein Kind.‘

3.: Schon schnappten die Hunde den Wind, und im Hag
rochen Rosen nach Aas. Kein Schwein fraß.
Eulen jagten am Tag.
Hühner verscharrten die Eier im Sand.
Speck im Fang wurde weich. Aus dem Teich
krochen Karpfen an Land.
Da haben die Greise zahnlos gelacht
und gezischelt: ‚Wir haben‘s ja gleich gesagt.
Düngt die Felder wieder mit dem alten Mist,
sonst ist alles Mist. Sonst ist alles Mist.‘

4.: Dann zu Johannis beim Feuertanzfest
— keiner weiß heut‘ mehr wie — waren sie
plötzlich da. Aus Geäst
sprangen sie in den Tanzkreis. Zu schnell
bissen Bräute ins Gras, und zu blaß
schien der Mond. Aber hell,
hell brannte Feuer aus trockenem Moos,
brannte der Wald bis hinunter zum Fluß.
‚Kinder, spielt, vom Rauch dort wissen wir nichts,
und riechen auch nichts. Und riechen auch nichts.‘

5.: ‚Jetzt kommen die Zeiten, da heißt es, heraus
mit dem Gold aus dem Mund. Seid klug und
wühlt euch Gräben ums Haus.
Gebt eure Töchter dem rohesten Knecht,
jenem, der noch zur Not nicht nur Brot,
mit den Zähnen aufbricht.‘
So sprach der verschmuddelte Bauchladenmann
und pries Amulette aus Wolfszähnen an.
‚Wickelt Stroh und Stacheldraht um den Hals
und haltet den Hals. Und haltet den Hals.‘

6.: Was ist dann doch in den Häusern passiert?
Bisse in Balken und Bett. Welches Fett
hat den Rauchfang verschmiert?
Wer gab den Wölfen die Kreide, das Mehl,
stäubte die Pfoten weiß? Welcher Greiß
glich dem Ziegengebell?
Und hat sich ein siebentes Geißlein versteckt?
Wurden Wackersteine im Brunnen entdeckt?
Viele Fragen, die nur einer hören will,
der stören will. Der stören will.

7.: Doch jener Knecht mit dem Wildschweingebrech
— heute ein Touristenziel — weiß, wieviel
da geschah. Aber frech
hockt er im Käfig, frißt Blutwurst und lacht
wenn man ihn fragt. Und nur Schlag Null Uhr
zur Johannisnacht,
wenn von den Bergen das Feuerrad springt,
die Touristenschar fröhlich das Fraßlied singt,
beißt er wild ins Gitter, schreit: ‚Schluß mit dem Lied!
‘s ein garstig Lied. ‘s ein garstig Lied.‘

8.: August der Schäfer hat Wölfe gehört,
Wölfe mitten im Mai, mehr als zwei.
Und der Schäfer, der schwört,
sie hätten zusammen das Fraßlied geheult,
das aus früherer Zeit, und er schreit.
Und sein Hut ist verbeult.
Schreit: ‚Rasch, holt die Sensen sonst ist es zu spät.
Schlagt sie tot, noch ehe der Hahn dreimal kräht.‘
Doch wer hört schon auf einen alten Hut
und ist auf der Hut? Und ist auf der Hut?“

Hans fährt fort:

„Wir verstehen genau, was Degenhardt meint und sind auf der Hut – und sind auf der Hut. Vor allem lassen wir uns nicht spalten! Wir gehen zusammen, jetzt im August, mit August, dem Schäfer, in aller Vielfalt … bis die kritische Masse erreicht ist, und die widerstreitenden Milieus einen neuen Bewusstseinszustand erreichen, und in diesem neuen Bewusstseinszustand die Chance dafür besteht, die Schöpfung zu retten gegen ihre anmaßenden Herren und Feinde, die von dem Wahn besessen sind, sich die Erde untertan zu machen.

Dann schließt sich der Kreislauf, und wir sind hier, im Augenblick, JETZT.“

Wir schweigen. In der Mitte hinter Isabelle und Hans steht eine Tafel mit einem riesigen, leeren Papierposter. Davor liegen Farben.

Nachdem wir uns in den letzten zwei Tagen in diversen Workshops und Vorträgen gegenseitig intellektuell stimuliert, nach Lösungen für die Probleme der Welt und für Deutschland gesucht, Gedanken ausgetauscht und gewälzt und am Lagerfeuer Witze erzählt haben, sitzen wir nun still beisammen. Lassen all die vielen Eindrücke und Informationen auf uns wirken.

Mit dem Pinsel schreibt Elisa das Thema dieses Aufwind-Workshops auf das Riesenblatt:

„Was sind unsere Träume?“

Unser Team aus Autoren, Redakteuren, Lektoren und Programmierern setzt sich aus Menschen unterschiedlichster Couleur zusammen. Unser aller Ziel jedoch ist und bleibt: Eine bessere Welt.

Aber was genau bedeutet das? Meinen wir alle damit das Gleiche? Oder spalten sich bei der konkreten Utopie auf einmal die Geister, woran viele, so viele gute Projekte scheiterten?

Nach und nach kommt jeder von uns zu Wort und Isabelle schreibt mit dem Pinsel die Essenz der Träume jedes Einzelnen nieder. Eine magische Verbindung liegt in der Luft. Einigen von uns laufen Tränen über die Wangen. Eine solche Wirkung hat niemand von uns erwartet. Manchen fällt es schwer zu sprechen.

Nach und nach kommen unsere Wünsche für den Rubikon zum Vorschein: „Frechheit“, „Sinnsuche“, „uns noch näher kommen“, „Trauer“, „Gesundungsprozess“, „das Verschiedene aushalten & zusammenführen“, „sich aufgehoben fühlen“. Wie wollen wir das alles unseren Lesern vermitteln? „Frieden finden“, „sich den eigenen Ängsten stellen“ …

Während wir zusammensitzen, einander in die Augen schauen, lächeln, uns umarmen, weinen, mit Humor versuchen, die bewegenden Gefühle etwas aufzulockern, stellen wir fest, dass wir diesen Traum schon leben.

Wir — die beiden Autoren dieses Beitrags zum Beispiel — könnten unterschiedlicher kaum sein: Auf die schnelle betrachtet eine naive Träumerin, die sich der Innenwelt zuwenden und von dort Frieden nach außen tragen möchte, und ein intellektueller Mann mit etwas mehr Lebenserfahrung, der im tiefsten Dreck des Weltgeschehens wühlt, um über finstere Machenschaften aufzuklären und die Menschen wachzurütteln, damit sie sich endlich machtvoll gegen die Unterdrücker und Zerstörer auflehnen. Ob sich schlafende Schafe wecken lassen? Durch den Rubikon lernten wir uns kennen, kamen ins Gespräch und entdeckten unsere Gemeinsamkeiten, bereicherten einander mit unserer Andersartigkeit und wurden Freunde.

Die Stärke des Rubikon ist die Vielseitigkeit und Menschlichkeit seiner Schöpfer und Leser. Um Demokratie zu leben, dürfen wir lernen, unsere Gefühle wieder wahrzunehmen, uns auch mit Menschen zu verbinden, die andere Ansichten haben als wir und voneinander lernen. Die Vielfalt macht uns flexibel und stark.

Dank dieses Workshops fühlten wir dies als Rubikon-Gemeinschaft zum ersten Mal so konkret. Leben wir diesen Traum gemeinsam weiter.


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