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Der sinnentleerte Begriff

Der sinnentleerte Begriff

Westliche Medien missbrauchen die positive Bezeichnung „Partisan“, um einseitig Stimmung für ukrainische Kämpfer im Donbass zu machen.

Der Ukrainekrieg stellt mich vor ein gewaltiges Problem, das mit dem Begriff Partisan zu tun hat. Für den Fall, dass Krieg ist und er mich direkt betreffen würde, habe ich mich immer in die Lage der jugoslawischen Partisanen in ihrem heroischen Kampf gegen Hitler-Deutschland versetzt und wollte im Fall des Falls ein Partisan sein wie sie. Klare Sache: der Aggressor unmissverständlich erkennbar, das Opfer ebenso.

Ich Partisan wehre mich bewaffnet gegen Gräuel, Genozid, Mord und Vernichtung, die der Überfall der faschistisch-nationalsozialistischen Armee, Verbände der Wehrmacht, SS und ihrer Kollaborateure, wie zum Beispiel die kroatische Ustascha, für meine Heimat zur Folge haben. Ich Partisan, du Nazi, ich töte dich, du tötest mich. Ich habe die Moral auf meiner Seite, du bist ein Verbrecher und Mörder und verbreitetest einen ideologischen Gestank. Du hast kein Recht, hier zu sein und mein Land zu verwüsten. Das ist der Partisan als Idealfigur, der strikt vom Söldner zu unterscheiden ist. Am liebsten habe ich den kommunistischen Partisan, der gegen den faschistischen Usurpator und seine um nichts besseren Helfershelfer kämpft.

In der heutigen Ukraine ist das Bild nicht so klar, es ist sogar höchst unklar. Mein Ausgangpunkt ist der: Ich betrachte die NATO von ihrer Zweckbestimmung her als Usurpator, ihre Einheiten als neoimperialistische Eroberungsarmeen zum Zweck, die neoliberal ausgerichtete Wirtschaftsdoktrin global mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Das muss deutlich so gesehen werden, und daher schlage ich vor, sollte die NATO zu irgendeinem Zeitpunkt neben ihrer so definierten Außenfunktion überdies nach innen zur Aufstandsbekämpfung in einem ihrer Mitgliedsländer eingesetzt werden, die Widerstandsleistenden als Partisanen zu bezeichnen.

In dieser Hinsicht war die Ausgangslage in der Ukraine kristallklar erkennbar. Zwar marschierten in die Ukraine keine physischen NATO-Verbände ein, aber die NATO kroch nach dem Maidan-Putsch hinein in die Strukturen der Ukraine, hackte sich quasi hinein in den Blutkreislauf des Landes, durchaus in Kauf nehmend, dass die Lancierung von eindeutig antirussischer Kriegstreiberei die Russen auf den Plan rufen würde. Die NATO betrachtet Russland als Gegner sui generis und leitet davon ihre Existenzberechtigung ab. Sie stellt für Russen eine Bedrohung dar, unabhängig davon, in welchem Land sie leben. Die Fronten können ruhen — Kalter Krieg, oder die Konflikte können eskalieren — Ukrainekrieg.

Begonnen hat die Eskalation zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit der „Orangen Revolution“. Westliche Lockrufe: Ihr lieben Ukrainer, löst euch aus dem russischen Orbit, macht es den Balten nach, kommt zu uns demokratie- und freiheitsliebenden Engeln, wir habe gute Kontakte zum Westen, wir führen euch wie die Balten, die Rumänen, die Bulgaren et cetera ins neue westliche Elysium.

Einige erhörten die Schalmeiengesänge, andere wollten mit Russland nicht brechen. Die Situation schaukelte sich auf. 2014 dann der mit NATO-Rückendeckung durchgeführte rechte Maidan-Putsch, der sämtliche russenfreundliche Einflussfakturen eliminierte. Darauf folgten Russen diskriminierende Gesetze im gesäuberten Kiewer Parlament, Aufrüstung und der Beginn des militärischen Beschusses gegen den aufständischen Donbass.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass die russischen Bewohner des Donbass, die Polizisten und Soldaten, die zu ihnen übergelaufen sind, zu Partisanen geworden sind, die sich in einem Bürgerkrieg gegen das feindliche, die Lebensumstände russischstämmiger Menschen dort zerstörende Zentrum — die prowestliche, mit Neonazis durchsetzte Kiewer Clique und ihre NATO-Hintermänner und -frauen — zur Wehr setzten. Soweit ist alles lupenrein erkennbar und unanfechtbar: ein klarer Verlauf der Front. Für mich und andere eindeutige Unterscheidbarkeit von Täter und Opfer. 14.000 Opfer des Bürgerkriegs sprechen eine beklemmende Sprache. Ende des europäischen Friedens und der Diplomatie, auf die man einst so stolz gewesen ist. Acht lange Jahre tatenloses Zuschauen, wie die Situation im mehrheitlich von russischstämmigen Menschen bewohnten Osten der Ukraine immer brenzliger wurde.

Die Kiewer Clique will dieses Narrativ natürlich weghaben, leugnet die Toten, leugnet ihre Berechtigung zu kämpfen, bezeichnet die Kämpfer als von Russland gesteuerte „Separatisten“ und „Terroristen“, transportiert das NATO-Narrativ, dass die Ukraine als souveräner Staat bestimmen kann, wo sie hingehören will, und das ist nun einmal das NATO-Bündnis als militärischer Schutzschirm, das ist die EU als Reichtum verheißender Ort, wo angeblich Milch und Honig fließen. Das müssten auch die renitenten russischstämmigen Menschen im Osten begreifen und sich unterordnen. Schluss mit der Putin-Propaganda, die Ukraine rüste zum Krieg, sei mit Legionen von Nazis infiltriert, die NATO benütze die Ukraine als Aufmarschgebiet, Russland militärisch einzukreisen, strebe die Zerschlagung des Riesenreichs in lauter ohnmächtige Zwergstaaten an, verfolge nur ein Ziel: die Balkanisierung Russlands; alles üble Putin-Propaganda. Hat sich die NATO vorgestellt, unter diesen Umständen mit Russland friedlich koexistieren zu können? Diese Frage muss man stellen dürfen.

War das der westliche Friedensplan für das 21. Jahrhundert? Die Auslöschung des russischen Idioms, der Kultur, die Ignorierung der militärischen und wirtschaftlichen Macht Russlands, die Verweigerung jeder Form von ernst zu nehmenden Verhandlungen bezüglich einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur? Wurde ernsthaft erwartet, Russland würde angesichts dieses blindwütigen Treibens der ewigen NATO-Erweiterungen die Arme verschränken und bloß den Kopf schütteln, aber weiterhin nichts unternehmen? Hat die NATO wirklich geglaubt, der Planet gehöre ihr allein, Rücksichtnahme, diplomatische Würde und Reife seien Schnee von gestern, Lebensrechte besitze nur, wer sich unterordne, und wer das nicht tue, ende wie Jugoslawien, der Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien. Ist das die Weltordnungsdoktrin des Westens? Dann möchte ich noch einmal betonen: Gegen solche Ordnungsvorstellungen ist es Pflicht, Partisan zu sein.

Seit dem 24. Februar 2022 gilt das Diktum vom „russischen Angriffskrieg“, und eine massive Verschärfung des westlichen Narrativs ist eingetreten. Die Bürgerkriegsfront ist wie von Zauberhand verschwunden, es existiert nur mehr die Front zwischen dem Angreifer Russland und dem in seiner Souveränität schwer verletzten Opferstaat Ukraine. Partisan ist jetzt, wer dem russischen Aggressor das Leben schwer macht. Und da alle ukrainischen Partisanen zusammengenommen zu schwach sind, gegen die Ungetüme des russischen Militärs zu obsiegen, muss der Westen der Ukraine die Daumen drücken, alles an Waffen rüberschicken, was er auf Lager hat, und auch noch NATO-Personal nachreichen, das diese Waffen bedienen kann. Der Partisan ist auf jeden Fall der Ukrainer. Er kämpft für Freiheit und Demokratie und steht daher auch moralisch ohne Wenn und Aber auf der richtigen Seite der Geschichte. So sieht es der Westen, und er verfügt über die propagandistischen Mittel, diese Sichtweise in den jeweiligen Ländern durchzuboxen.

Wer dieses Narrativ bekämpft, ist kein Partisan, sondern ein Terrorist, ein Querdenker, ein Rechtsextremist, ein Putinversteher, ein übles Subjekt, ein Verschwörungstheoretiker. Ich zum Beispiel unterliege mit meiner Meinung in Österreich der Zensur und bin außerstand, in den Mainstreammedien auch nur eine Zeile zu platzieren.

Das war vor ein paar Jahren noch anders. Ich darf mir einsam im Studierkämmerchen einbilden, ein intellektueller Partisan zu sein — praktizieren kann ich es nicht. Aber die Ukrainer werden als Partisanen bejubelt, als Kämpfer gegen Unrecht, Freiheitsberaubung und das Abschlachten unschuldiger Menschen, sie dürfen in strahlendem Licht erscheinen, wenn die grellen Abschussblitze der aus den HIMARS hinausschießenden Raketen sich in der Abenddämmerung in ihren Augen spiegeln und sie so glücklich wirken, Partisanen sein zu dürfen.

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