Der pandemische Goldesel
Seit März 2020 hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich in historisch nie dagewesenem Ausmaß vertieft.
Es war schon vorher eine Schieflage gewesen. Mit Corona jedoch gerieten die Ärmsten vollends auf die abschüssige Bahn in Richtung Elend, während die globale Wippe die ohnehin schon Wohlhabenden in luftige Höhen katapultierte. Corona bescherte den Reichsten einen Goldesel, wie ihn sich kein Märchenerzähler schöner ausdenken könnte. Gewinne sprudelten in nie dagewesenem Ausmaß. Ein Rekord jagte den nächsten. Indes verarmten weite Teile der Weltbevölkerung und verloren ihre Existenzgrundlage. Mit einer ordentlichen Besteuerung der „Pandemie-Gewinne“ könnten zahlreiche Verwerfungen der Krise behoben oder zumindest gedämpft werden. Selbst wenn der Steuersatz hoch wäre, hätten die armen Reichen immer noch saftige Pandemie-Gewinne eingefahren.
von Chuck Collins
Die Milliardäre der Welt haben seit Beginn der Pandemie im März 2020 einen Vermögenszuwachs von mehr als 5,5 Billionen Dollar, einen Zugewinn von mehr als 68 Prozent, erlebt. Das Gesamtvermögen der global 2.690 Milliardäre stieg von 8 Billionen Dollar im März 2020 auf 13,5 Billionen Dollar bis zum 31. Juli 2021, wie sich aus den Daten von Forbes ergibt.
Das globale Gesamtvermögen der Milliardäre ist in den letzten 17 Monaten stärker angewachsen als in den 15 Jahren vor der Pandemie. Zwischen 2006 und 2020 stieg das globale Milliardärsvermögen von 2,65 Billionen Dollar auf 8 Billionen Dollar, ein Zugewinn von 5,35 Billionen Dollar.
Milliardäre haben in einer Zeit, in der Millionen ihr Leben und ihren Lebensunterhalt verloren haben, unanständige Zufallsgewinne eingestrichen.
Die Pandemie hat die existierende globale Ungleichheit überborden lassen, wobei die Reichen von den weltweiten Ladenschließungen profitiert haben.
Fürsprecher globaler Gleichheit fordern von Regierungen, eine einmalige 99-prozentige Steuer auf diese Pandemiezufallsgewinne der Milliardäre zu erheben, um damit die Impfung jedes Erdenbürgers gegen COVID-19 zu finanzieren und jedem Arbeitslosen 20.000 Dollar auszuzahlen. Diese Analyse und der Vorschlag wurden heute von Oxfam, der Fight Inequality Alliance, dem Institute for Policy Studies und den Patriotic Millionaires veröffentlicht. Die Organisationen appellieren an Regierungen, die Ultrareichen, die Profit aus der Pandemiekrise gezogen haben, zu besteuern, damit diese helfen, die entstanden Kosten zu tragen.
Die einmalige COVID-19-Notsteuer für Milliardäre würde 5,445 Billionen Dollar einbringen und die 2.690 Milliardäre der Welt wären immer noch um 55 Milliarden Dollar reicher, als vor dem Virusausbruch — im Durchschnitt 37 Millionen Dollar pro Milliardär. Regierungen überall auf der Welt belegen die reichsten Menschen und die großen Konzerne mit einer erheblich zu niedrigen Steuerlast, was den Kampf gegen COVID-19, Armut und Ungleichheit untergräbt.
Amazons Jeff Bezos
Der Reichtum von Amazon Jeff Bezos wuchs während der Pandemie um 79,4 Milliarden Dollar von 113 Milliarden Dollar im März 2020, auf 192,4 Milliarden Dollar am 31. Juli 2021. Geschätzte 325 neue Milliardäre traten dem ‚3-Komma-Club‘ bei, seit die Pandemie begann — was gleichbedeutend ist mit etwa einem frischgebackenen Milliardär pro Tag.
Weniger als ein Prozent der Menschen in Niedriglohnländern haben eine Impfung erhalten, während die Profite, die Big Pharma gemacht hat, aus den CEOs von Moderna und BioNTech Milliardäre gemacht haben. Die COVID-19-Krise hat mehr als 200 Millionen Menschen in Armut gestürzt und brachte Frauen überall auf der Welt 2020 Einkommensverluste von wenigstens 800 Milliarden Dollar, was zusammen mehr als dem gemeinsamen Bruttoinlandsprodukt von 98 Staaten entspricht. Gleichzeitig sterben nun 11 Menschen pro Minute an Hunger und Mangelernährung, was die Zahl der COVID-19-Opfer übersteigt.
„Mit einer 99-prozentigen Besteuerung der COVID-19-Vermögenszuwächse von Milliardären gebieten wir diesem Zeitalter der Gier Einhalt“, sagte Njoki Njehu, der gesamtafrikanische Koordinator der Fight Inequality Alliance.
„Milliardenvermögen sind nicht verdient. Milliardäre profitieren von der Schufterei und dem Schmerz arbeitender Menschen. Ihr Geld haben sie mit deinem Schweiß ‚verdient‘ — und es ist höchste Zeit, dass sich dieser Schweiß zu rentieren beginnt. Regierungen müssen die Reichen für uns besteuern, damit überhaupt eine Chance besteht, aus der Ungleichheitskrise, in der wir uns befinden, herauszufinden.“
Die Fight Inequality Alliance beruft das Festival zur Bekämpfung der Ungleichheit ein, eine zweitägige virtuelle Zusammenkunft tausender Aktivisten aus beinahe 30 Ländern, die am 13. und 14. August stattfand. Sie werden Lösungsmöglichkeiten für die sich verschärfende Ungleichheitskrise, einschließlich einer Besteuerung der Reichen, diskutieren.
„Der globale Anstieg der Vermögen der Milliardäre, während Millionen von Menschen ihr Leben oder ihre Lebensgrundlage verloren haben, ist ein Übel, das die Staaten nicht länger ertragen können“, sagte Morris Pearl, ehemaliger geschäftsführender Direktor bei Blackrock und Vorsitzender der Patriotic Millionaires.
„Reiche Menschen, die ohne Ende immer reicher werden, sind für niemanden gut. Unsere Ökonomien ersticken an gehorteten Ressourcen, die viel großartigeren Zielen dienen könnten. Die Milliardäre müssen diesen Geldball aushusten — und Regierungen müssen sie dazu bringen, indem sie ihren Reichtum besteuern.“
In der Vergangenheit haben sich Regierungen in ihrer Antwort auf große Krisen an die Reichsten gewandt. Nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg wurden in den europäischen Ländern und in Japan einmalige Vermögenssteuern erhoben, um den Wiederaufbau zu finanzieren.
Frankreich beispielsweise besteuerte nach dem Zweiten Weltkrieg übermäßige Kriegsgewinne mit einem Satz von 100 Prozent. In jüngerer Zeit, im Gefolge der globalen Finanzkrise von 2008, führten Länder wie Island vorübergehend Vermögenssteuern ein, um die öffentlichen Kassen zu füllen.
Politiker, führende Ökonomen, Organisationen der Zivilgesellschaft, die UNO, der IWF und die Weltbank fordern einmalige „Solidaritätssteuern“ und längerfristige Vermögenssteuern, die auf die Superreichen abzielen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie abzufedern und Ungleichheiten zu verringern. Im Dezember 2020 hat das schuldengeplagte Argentinien eine einmalige Sonderabgabe, die sogenannte „Millionärssteuer“, eingeführt, die rund 2,4 Milliarden Dollar für die Erholung von der Pandemie einbrachte.
„Der Milliardär Jeff Bezos könnte persönlich genügend Impfstoffe für die ganze Welt bezahlen, verwendet seinen Reichtum aber lieber für eine aufregende Reise ins Weltall“, sagt Max Lawson, Leiter für politische Strategien gegen globale Ungleichheit bei Oxfam International.
„Covid-19 verwandelt die Lücke zwischen Arm und Reich in eine unüberbrückbare Kluft. Die obszönen Ausmaße des Reichtums, den eine Handvoll megareicher Individuen durch die Pandemie erlangt hat, sollten sofort mit 99 Prozent besteuert werden — genug, um alle Menschen auf der Erde vollständig zu impfen und Millionen von Arbeitern zu unterstützen, die durch COVID-19 ihren Arbeitsplatz verloren haben. Nur mit dieser Art von radikaler und fortschrittlicher Politik werden wir in der Lage sein, die Ungleichheit zu bekämpfen und die Armut zu beenden.“
Eine globale Bewegung zur Besteuerung der Reichen
Die Kosten, die erwachsene Weltbevölkerung zu impfen, wurden wie folgt berechnet: zwei Dosen für 7 Dollar pro Dosis für 5 Milliarden Menschen belaufen sich auf insgesamt 70 Milliarden Dollar. Dies basiert auf den durchschnittlichen Kosten für eine Dosis. Oxfam, die Fight Inequality Alliance, die Patriotic Millionaires und IPS lehnen derart hohe Preise für Impfstoffe ab und setzen sich für einen patentfreien Zugang ein, damit Generikahersteller COVID-19-Impfstoffe produzieren können, die die Preise senken helfen.
Laut dem World Employment and Social Outlook 2021 Flagship Report der ILO sind derzeit 220 Millionen Menschen arbeitslos. Davon wurden 114 Millionen Menschen durch COVID-19 arbeitslos. Eine einmalige Barzahlung von 20.000 Dollar an alle derzeit arbeitslosen Arbeitnehmer würde 4,4 Billionen Dollar kosten.
Chuck Collins, Jahrgang 1959, arbeitet am Institute for Policy Studies in Washington. Er beschäftigt sich viel mit wirtschaftlicher Ungleichheit und leitet das Programm Inequality and the Common Good.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien unter dem Titel „Global Billionaire Pandemic Wealth Surges to $5.5 Trillion“ zuerst bei CounterPunch. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.