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Der neue Volkssport

Der neue Volkssport

Immer mehr Online-Plattformen wollen unliebsame Personen öffentlich an den Pranger stellen.

In meiner Schulzeit galt das Petzen unter Schülern als unsittlich. Wer zum Lehrer rannte, war sehr schnell bekannt und unbeliebt. In der politischen Landschaft scheint es neuerdings jedoch so, als würde sich das Petzen zu einer Tugend aufschwingen. Außerdem kann es heute vorkommen, dass Lehrer nicht mehr länger Adressaten, sondern Gegenstand der Petze werden. So eröffnete dieses Jahr die AfD Hamburg eine Plattform, auf der Eltern und Schüler Lehrer verpetzen respektive melden konnten, wenn diese „linke Propaganda“ betrieben.

Das Erstellen von Plattformen oder von Listen, auf denen unliebsame Personen denunziert werden, hält sich „links“ und „rechts“ nicht ganz die Waage. So rief dieses Frühjahr der Gesinnungs-Satiriker Jan Böhmermann die Internetbewegung „Reconquista Internet“ ins Leben. Diese verbreitete Listen mit Twitter-Accounts (vermeintlich) rechter Persönlichkeiten, deren Sperrung gefordert wurde. Diese Bewegung umfasste binnen kürzester Zeit 50.000 Nutzer.

Hier erreichte das Petzen eine neue Dimension, da nicht durch Menschen, sondern durch einen Algorithmus verpetzt wird: Cyber-Snitching. Das bedeutet, dass gar nicht von Menschenhand beziehungsweise Menschenauge geprüft wurde, welche Menschen (!) sich unter den mehreren hundert geächteten Namen befanden. Diese Aktion zeigt auch eindrücklich, wie schnell Totalität, Feindbildproduktion und Diskursverengung wieder hip werden können. Filme wie „Die Welle“ scheinen nach zehn Jahren in Vergessenheit geraten zu sein.

Die Cop Map

Das Peng-Kollektiv erstellte in Bayern wenige Monate nach der Ratifizierung des neuen Polizeiaufgabengesetzes die Meldeplattform Cop Map. Diese Karte zeigt im Raum München alle von Nutzern gemeldete Streifenwagen, auf Pferden patrouillierende Polizisten sowie Personenkontrollen durch die Polizei.

Was als eine Art bayerische Karte des Rumtreibers gedacht war, entpuppt sich als relativ sinnlos, da die Karte zu keinem Zeitpunkt aktuell ist. Wenn beispielsweise jemand eine fahrende Polizeistreife auf der Maximilianstraße sichtet, befindet sich diese längst in Schwabing, bis der Nutzer sie in die App eingetragen hat.

Und davon einmal ganz abgesehen: Dieses Projekt ist alles andere als sinnvoll, um den dringend nötigen Dialog zwischen Bürgern und Bürgern in Uniform herzustellen. Zwischen Polizisten und Zivilisten Brücken zu schlagen, ist in Zeiten des PAG essenziell, da das menschlich verbindende Element die eine oder andere Ungerechtigkeit zu verhindern vermag. Wenn aber stattdessen durch Petzen Misstrauen, Zwietracht und Stigmatisierung gestreut werden, wie das im Falle der Cop Map nach dem Pauschal-Motto „ACAB“ geschieht, fällt vorhandenes Gewaltpotential auf ziviler und uniformierter Seite auf fruchtbaren Boden.

Ene, mene, muh – und raus bist du!

So lautet der Titel einer neuen Broschüre, mit deren Hilfe Erzieherinnen in den Kitas etwaige rechte oder völkische Gesinnungen der Eltern ausmachen sollen. Ein Indiz für solche Gesinnungen sei es etwa, wenn die Mädchen Kleider und Zöpfe tragen oder zuhause haptischen Beschäftigung nachgehen – statt vor digitalen Endgeräten geparkt zu werden. Ob die Eltern eines Jungen rechtes Gedankengut verinnerlicht haben, soll daran festgemacht werden, ob „der Junge (…) stark körperlich gefordert (wird).“

Erzieherinnen sind dazu aufgerufen, beim Feststellen solcher Merkmale – die so allgemein gehalten sind, dass sie wahrscheinlich auf knapp die Hälfte aller Kinder zutreffen – ein Gespräch mit den Eltern zu führen. Hier liegt zwar noch kein institutionalisiertes Petzen vor, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Wer weiß, wohin diese Entwicklung führt? Was mit Elterngesprächen anfängt, könnte bei der Meldung der oben genannten und anderer Merkmale – der Rahmen ist ja beliebig dehnbar – bei gewissen Institutionen enden. Diese Vermutung liegt nahe, wenn man sieht, wer die Broschüre verfasst hat: Sie stammt aus der Feder der Amadeu Antonio Stiftung. Und die wiederum ist absolut vom Fach, wenn es um die Bespitzelung und Zersetzung Andersdenkender geht. Gegründet wurde die Stiftung nämlich von Anetta Kahane, die eine interessante Vergangenheit bei der Stasi hat.

Ob die gute Frau heute geläutert ist und wirklich nur verhindern möchte, dass extremistisches Gedankengut bereits in der Kita Einzug hält und Kinder frühzeitig Vorurteile verinnerlichen? Wohl kaum! Sonst würde sie ja nicht Vorurteile mit Vorurteilen bekämpfen. Nichts anderes ist der latente Vorwurf des Rechtsextremismus auf Grundlage banaler Äußerlichkeiten, wie zum Beispiel einem Kleid und Zöpfen bei Mädchen. Man stelle sich da einmal Folgendes vor: Ein Junge trägt ein Pali-Tuch, woraufhin man die Eltern zu einem Gespräch einlädt und ihnen erklärt, dass salafistischer Jihadismus mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Dann wäre die Hölle los!

„Denunzieren Sie noch heute Ihre Arbeitskollegen“

Den Vogel abgeschossen hat allerdings die Künstlergruppe „Zentrum für Politische Schönheit“. Diese Überschrift war nämlich keine Satire, sondern eine Aufforderung der von ihr ins Leben gerufenen SOKO Chemnitz. Auf deren Seite hieß es im Wortlaut:

„Machen Sie jetzt mit!
Während normale Menschen arbeiten, treiben tausende Arbeitnehmer oder Staatsdiener („oder Hartz IV-Empfänger“, so heißt es im Video- Spot der Kampagne, Anm. d. Red.) Ausländer durch Chemnitz, attackieren Presse und Polizeibeamte und grüßen Hitler.

Was würde ihr Chef wohl dazu sagen? Um das herauszufinden, haben wir 3 Millionen Bilder von 7.000 Verdächtigen ausgewertet und danach gelöscht. Das Ziel: den Rechtsextremismus 2018 systematisch erfassen, identifizieren und unschädlich machen.

Denunzieren Sie noch heute Ihren Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten und kassieren Sie Sofort-Bargeld. Helfen Sie uns, die entsprechenden Problemdeutschen (1) aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst zu entfernen.“

Das muss man erst einmal sacken lassen!

Mittlerweile enthüllte das ZPS die „SOKO-Chemnitz“-Seite als sogenannten „honeypot“. Durch diesen sollten vorgebliche Neonazis angelockt und deren Suchanfragen gesammelt und ausgewertet werden. Wenn also ein Chemnitzer fürchtete, auf dieser Selbstjustiz-Seite angeschwärzt worden zu sein und dort anschließend nach seinem eigenen oder den Namen / Gesichtern Anderer suchte, lieferte er den Künstlern direkt seine persönlichen und weitere Daten. Diese wurden ausgewertet und eventuell an den Verfassungsschutz weitergeben. Der Hauch von „Das war doch alles nur Spaß, um ein Bewusstsein zu schaffen“ verfliegt allerdings bei genauerer Betrachtung sehr schnell. Zahlreiche Personen wurden bei ihrem Arbeitgeber gemeldet. Und es bleibt ein bitterer Beigeschmack dessen, was die Seite ursprünglich war.

Zum Zeitpunkt des Datensammelns beinhaltete die Seite unter anderem den „Katalog der Gesinnungskranken“, auf dem alle bereits identifizierten Chemnitz-Demo-Teilnehmer zwar mit Zensurbalken, aber dennoch klar erkennbar abgebildet waren. Klickte man diese an, fand sich manchmal eine kleine Vita dazu und eine links-rechts Einordnung mittels einer Nadel auf einem halbmondförmigen Barometerblatt. Als Nutzer konnte man weitere Hinweise, Fotos oder im „besten“ Fall die Kontaktdaten des jeweiligen Arbeitgebers einreichen. Wenn man sich selber in diesem Katalog entdeckte, hatte man die Möglichkeit, um Löschung zu bitten. Im Gegenzug musste man eine Kopie des Personalausweises hochladen und eine Erklärung mit 13 Artikeln unterzeichnen.

Darin hieß es:

„Ich möchte zurück in die Bundesrepublik.
Meine Teilnahme an den antidemokratischen Ausschreitungen von Chemnitz im Zeitraum vom 26.8. bis 1.9.2018 tut mir aufrichtig leid. Ich bereue das und bin mir bewusst, dass meine Anwesenheit zum Bild eines hasserfüllten, neofaschistischen, gewalttätigen und völkisch-rassistischen Deutschland beigetragen hat. Ich habe damit das Ansehen meines Vaterlandes vor den Augen der Welt beleidigt."

Wo ist die Datenschutzgrundverordnung nur, wenn man sie braucht?

Unter den „Erwischten“ fanden sich auch sogenannte „Verschwörungstheoretiker“ und „Querfrontler“. Wie schnell man als jemand, der mit rechter Gesinnung überhaupt nichts am Hut hat, diesen Stempel aufgedrückt bekommen kann, zeigen zahlreiche Beispiele aus der Friedensbewegung.

Darunter folgte ein Abschnitt, der wie ein digitalisiertes Schwarzbrett aus einem Westernfilm anmutete, an dem die Gesichter – ohne Zensurbalken (!) – der noch nicht identifizierten „Neonazis“ samt der „Kopfgeldsumme“ für die Identifizierung prangten. Und als ob das nicht schon genug Denunzianten-Service wäre, ging es dann erst richtig los!

Es gab einen Mitarbeitercheck, der prüfen sollte, ob ein bereits im Arbeitsverhältnis befindlicher Mitarbeiter oder ein Bewerber bei Chemnitz mitgelaufen ist. Die Formulierung war wieder atemberaubend:

„Sie haben jemanden im Auge, aber wollen niemanden zu Unrecht denunzieren? Dann einfach Foto (Profilbild o.ä.) hier hochladen. Das Bild wird mit unserer Datenbank abgeglichen. Denunzieren Sie erst, wenn Sie wirklich sicher sind!“

Weiterhin gab es Rechtsberatungen, wie man juristisch sauber Mitarbeiter aufgrund rechter Gesinnung aus dem Betrieb werfen kann. Auch hier stellt sich die Frage, wie schnell sich dieser Definitionsrahmen ausdehnen kann. Gilt man irgendwann schon als rechts, wenn man nicht an die offizielle 9/11-Theorie glaubt? Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass der Service der SOKO Chemnitz für Unternehmen auch sinnvolle Angebote wie einen Code of Conduct bereithält.

Debattieren statt denunzieren!

Aus einem oberflächlichen Blickwinkel heraus betrachtet, sieht das Ganze nach einer relativ edlen Tat aus. Neonazis sind schließlich nicht ungefährlich, sondern eine Gefahr für Leib und Leben Andersdenkender und Andersaussehender. Und es ist nachvollziehbar, sich vor den Folgen der sich ausweitenden Rechtstendenzen zu fürchten. Da reagieren sicherlich einige erleichtert, wenn sie sehen, dass sich Organisationen wie das Zentrum für Politische Schönheit mit einem solch immensen Aufwand gegen diese Tendenzen stellen. Es mag Betroffene sicherlich auch beruhigen, wenn sie wissen, dass sich Neonazis nach solchen Aktionen nicht mehr verstecken können.

Aber das ist eben nur die oberflächliche Betrachtung. Denn die Frage, woher die Nazis überhaupt kommen, wird wie bei den Bewegungen #wirsindmehr und #unteilbar überhaupt nicht gestellt. Unter jedem Erwischten aus dem „Katalog der Gesinnungskranken“ steht der Stempel „Gesucht wegen: Verdacht auf unerlaubte Entfernung von der Demokratie“. Dass wir eine Demokratie haben, ist in den Augen des ZPS ein Axiom! Wir haben eine Demokratie! Basta! Dass diese sich zumeist auf das Malen zweier wirkungsloser Kreuze alle 1460 Tage reduziert, spielt dabei überhaupt keine Rolle.

Nach der Lesart des SOKO Chemnitz stellt sich das System der BRD wie folgt dar:

„Deutschland ist eine Demokratie! Hier hat jeder die gleichen Chancen. Es gibt keinen Grund Frust, Angst oder Hass zu entwickeln. Wer das trotzdem tut, ist ein undankbarer Demokratiefeind und gehört an den Pranger gestellt.“

Dass Demokratie auch bedeutet, selbst unbequeme Meinungen im öffentlichen Diskurs zuzulassen, scheint nicht zu diesem Verständnis zu gehören.

Und kann mir bitte einmal jemand erklären, weshalb es sinnvoll sein soll, die restlichen in Arbeitsverhältnissen befindlichen Neonazis auf die Straße zu setzen? Vorausgesetzt, die Meldung trägt überhaupt Früchte. Gerade kleine bis mittelständische Betriebe können es sich nicht leisten, Kollegen aufgrund ihrer politischen Haltung zu entlassen, wenn diese in Schlüsselpositionen sitzen. Doch angenommen, „die Fahndung verläuft erfolgreich“ – welchen Zweck erfüllt sie, wenn plötzlich tausende Neonazis auf einmal arbeitslos werden? Zum Zeitpunkt der letzten Überprüfung, am 4. Dezember 2018, wurden bereits über 3.000 Hinweise aus der Bevölkerung bei der SOKO Chemnitz eingereicht.

Einfache Milchmädchenrechnung: Ein arbeitender Neonazi mit einer 40-Stunden-Woche plus 10 Stunden An- und Abfahrt pro Woche hätte bei einer plötzlich eintretenden Arbeitslosigkeit 50 Stunden – beziehungsweise 40 Stunden, da der wöchentliche Gang zur Arbeitsagentur abgezogen werden muss – mehr Zeit, Ausländer zu bedrohen, zu pöbeln und Flüchtlingsheime anzuzünden. Wenn man die Neonazis noch mehr an den Rand treibt, werden sie nur noch aggressiver. Wirklich erreichen lässt sich damit nichts.

Und wenn man sich schon anschickt, auch entsprechende Staatdiener aus dem Amt zu jagen, müsste man dann nicht den ganzen BND dicht machen? Nicht etwa, weil dort nur Rechte arbeiten, aber schließlich ging der BND aus der Operation Gehlen hervor. Und Reinhard Gehlen war ja nun wirklich mit Leib und Seele ein Nazi! Aber der BND ist für das ZPS dann wohl doch eine Nummer zu groß und man konzentriert sich auf frustrierte Hartz-IV-Empfänger, denen unsere ach so tolle Demokratie irgendwie keine Jobs und Perspektiven bieten kann.

Der neue Faschismus

Immer wieder aktuell ist ein Satz des italienischen Schriftstellers Ignazio Silone:

„Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus‘. Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus‘.“

Was das ZPS hier macht, ist nichts anderes, als Nazis mit Nazi-Methoden zu bekämpfen. Dr. Daniele Ganser wird aus diesem Umfeld häufig dafür gerügt, dass er mit Blick auf die deutsche Geschichte darauf insistiert, sich nicht nur auf die 12 schrecklichen Jahre zu fokussieren, sondern sich auch an die großen deutschen Dichter und Denker zu halten. Zu ihnen zählt Friedrich Nietzsche. Und mit einem Zitat von ihm möchte ich schließen:

„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“


Redaktionelle Anmerkung:

(1) Der hier zitierte Text, in welchem die Chemnitzer Demonstranten als „Problemdeutsche“ bezeichnet wurden, stand ursprünglich auf der Seite der SOKO Chemnitz und ist nun, nach der Honeypot-Enthüllung, dort nicht mehr zu finden. Im dazugehörigen Video ist an dieser Stelle anstatt von „Problemdeutschen“ die Rede von „Personen“ (letzter Stand: 11.12.18). Das Video ist seit dem 12.12.18 ebenfalls nicht mehr verfügbar.

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