Bereits am 07. Juli 2020 konnte ich im internationalen Vergleich keinen Zusammenhang zwischen staatlichen Maßnahmen und dem Verlauf der Corona-Pandemie ermitteln. Dafür zeigten sich andere Zusammenhänge.
Im Folgenden gehe ich erneut auf die international ergriffenen staatlichen Maßnahmen ein und betrachte nochmals, ob ein Nutzen zu erkennen ist. Dieses Mal betrachte ich darüber hinaus, ob die verschiedenen länderspezifischen Maskenregeln einen Einfluss auf den jeweiligen Verlauf der Pandemie zeigen.
Wieder ziehe ich den „Oxford Stringency Index“ heran, um die Härte der staatlichen Maßnahmen international vergleichen können. Der Stringency Index misst anhand verschiedener Faktoren, mit welchen Maßnahmen und welcher Intensität und Strenge ein Land auf die Corona-Pandemie im Zeitablauf reagiert oder bereits reagiert hat. Dieser Index ist allerdings nicht als Prozentsatz zu verstehen. Man kann also nicht mathematisch sagen, dass ein bestimmtes Land um soundsoviel Prozent strenger ist als ein anderes Land. Das ist schon insofern nicht möglich, als die verschiedenen bewerteten Maßnahmen innerhalb eines Maßnahmenpakets weder hinsichtlich ihres Nutzens — oder auch Schadens! — noch hinsichtlich der empfundenen Belastung oder Einschränkung einer Gesellschaft miteinander verglichen werden können.
Dieser Index hat also durchaus ein paar Schwächen. Dennoch ist er bisher der einzige Indikator, der standardisiert und vergleichsweise umfänglich einen internationalen Vergleich der staatlichen Reaktionen dokumentiert. Wie der Stringency Index ermittelt wird, ist detailliert auf dieser Seite sowie den Unterseiten beschrieben.
Zusätzlich folgt weiter unten im Text eine Analyse des Verlaufs der Covid-19-Todeszahlen in Bezug auf geltende Maskenregeln. Im Grunde würde die Betrachtung der Infektionszahlen dem Thema besser gerecht werden. Aber die gemeldeten Infektionszahlen sind dermaßen unzuverlässig und zudem viel zu sehr vom Testverhalten der Länder abhängig, als dass sie tatsächliche Rückschlüsse auf das Infektionsgeschehen gäben. Daher betrachte ich hier wieder die Entwicklung der Todeszahlen. Auch die sind nicht vollkommen zuverlässig, aber um Längen verlässlicher als die Infektionszahlen.
Nutzt die staatliche Strenge oder nicht?
Es folgt ein Vergleich der Summe der strengsten Länder mit der Summe der weniger strengen Länder in Hinsicht auf die Entwicklung der Covid-19-Toten. In der folgenden Grafik wurden die Länder nach der Höhe ihres Stringency Index gruppiert. Hierfür wurden alle Länder jeweils in eine von zwei möglichst gleichgroßen Gruppen aufgeteilt, um eine starke statistische Aussage zu bekommen. Eine Gruppe beinhaltet die nicht strengen und weniger strengen Länder und die andere Gruppe die strengeren Länder.
Die beste Näherung an gleichgroße Vergleichsgruppen, sowohl in Bezug auf die Länderanzahl als auch auf die Summe der Bevölkerungen, ergibt sich bei einer Trennung der Gruppen bei einem Stringency Index von 85. Eine Hälfte der Länder weist also einen Stringency Index von unter 85 auf. Die andere Hälfte einen Stringency Index ab 85 aufwärts. Die verwendete Datenquelle hierfür ist die Datenbank von Our World in Data.
Berücksichtigt wurden alle Länder des europäischen Kontinents, die geografisch größtenteils Europa zugeordnet werden. Ein weltweiter Vergleich wurde nicht angestellt, da durch immer größer werdende Heterogenität, wie etwa durch Klima, Kultur, Gesundheitssysteme, Dichte et cetera, die Datenverzerrungen zu groß würden.
Was fällt auf?
Länder mit den strengsten staatlichen Maßnahmen haben weder einen flacheren Anstieg der Covid-19-Todeszahlen noch einen niedrigeren Peak — im Gegenteil! Darüber hinaus haben die strengeren Länder zum Herbst hin wieder stärker steigende Todesraten.
Eine Anmerkung zu den auffälligen Zacken in der roten Kurve: Diese kommen dadurch zustande, dass offenbar in der Our-World-in-Data-Datenbank beim ersten Zacken Daten fehlen, die später — zweiter Zacken — nachgetragen wurden. Soweit ich ermitteln konnte, kommt diese Unregelmäßigkeit durch die spanischen Daten zustande.
Die Interpretation der Grafik
Ich werde hier nicht denselben Fehler begehen wie Tausende von Politikern und Medienvertretern und aus einer bloßen Vermutung — auch wenn sie plausibel erscheinen mag — gleich ein Faktum machen, nur weil es mir in den Kram passt. Daher weise ich darauf hin, dass diese Grafik nicht automatisch ein Beweis dafür ist, dass die staatlichen Maßnahmen mehr Schaden als Nutzen angerichtet haben — auch wenn dieser Schluss durchaus gezogen werden könnte und ich davon aus vielen verschiedenen Gründen überzeugt bin. Aber das wahre Ausmaß der Schäden würde ich letztlich zu einem späteren Zeitpunkt und längerfristig erwarten. Dafür ist die Betrachtung in der Grafik zu grob, und weitere Faktoren, die ebenfalls das Pandemie-Geschehen beeinflussen können, sind hier nicht isoliert.
Allerdings: Diese Grafik belegt erst recht nicht den Nutzen der staatlichen Maßnahmen!
Darüber hinaus fallen andere Punkte auf, die zu Fragen und Vermutungen Anlass geben: Es fällt auf, dass die Kurve mit den meisten Covid-19-Toten — und den strengsten Maßnahmen — früher anfängt als die Kurve mit der geringeren Anzahl Covid-19-Toten und den weniger strengen Maßnahmen. Dies bedeutet, dass die Anzahl der Toten tendenziell eher damit zu tun hat, in welchen Ländern Covid-19 zuerst aufgetreten ist, aber eben nicht mit den staatlichen Maßnahmen. Und das wiederum könnte zum Beispiel unter anderem mit dem Klima zusammenhängen. Das kann man aus den hier vorliegenden Daten zwar nicht herauslesen, aber dass es neben anderen Faktoren durchaus auch eine Korrelation mit dem jeweiligen Klima beziehungsweise den jeweiligen Durchschnittstemperaturen und Sonnenstunden gibt, habe ich bereits am 07. Juli 2020 aufgezeigt.
Ich würde mir wünschen, dass diesen Fragen endlich adäquat nachgegangen wird, um sie qualitativ hochwertig beantworten zu können. Es ist mir ein Rätsel, warum das innerhalb der letzten Monate so mangelhaft oder gar nicht geschah oder — falls doch — dies unbekannt ist.
Weil in der vorherigen Grafik nur eine Gesamtauswertung dargestellt ist, die in ihren möglichen Schlussfolgerungen begrenzt ist, folgt nun eine detailliertere Auswertung. Aus Gründen der Übersicht ist sie auf eine Auswahl vierzehn zentraler europäischer Staaten begrenzt. Verglichen werden der Verlauf der Covid-19-Todeszahlen und der Stringency Index im Zeitablauf. Um das tatsächliche Infektionsgeschehen, also den jeweiligen Beginn der Infektionen, zeitlich besser abbilden zu können, sind die Todeszahlen um einundzwanzig Tage verschoben.
An jedem Tagesdatum werden die Todeszahlen dargestellt, die einundzwanzig Tage nachher auftraten. Diese Zeitverschiebung errechnet sich so: Das Robert Koch-Institut gibt eine durchschnittliche Zeit von der Infektion bis zum Symptombeginn von fünf bis sechs Tagen an. Von Symptombeginn bis zum Eintritt des Todes gibt es eine Durchschnittsdauer von sechzehn Tagen an. Dies ergibt für diejenigen, die gestorben sind, eine durchschnittliche Dauer von einundzwanzig bis zweiundzwanzig Tagen von Infektionsbeginn bis zum Eintritt des Todes.
Da die Grafik trotz der Reduktion auf ausgewählte vierzehn Länder nicht einfach zu lesen ist, wurden die Kurven des Landes mit den mildesten Einschränkungen — Schweden — sowie diejenigen des Landes mit den strengsten Maßnahmen — Italien — dicker markiert, um die Diskrepanz zur staatlichen Maßnahmenlogik leichter sichtbar zu machen.
Was fällt auf?
Auffällig ist, dass Schweden mit den mildesten Maßnahmen — die im Wesentlichen aus Empfehlungen und milden Einschränkungen bestehen — bezüglich der Entwicklung der Todeszahlen im Mittelfeld liegt. Länder wie Belgien, Spanien, Frankreich und Italien hatten trotz strenger und strengster Maßnahmen keine niedrigen Todeszahlen. Die Anstiege der Todeszahlen, also die Geschwindigkeiten, sind auch stärker. Das häufig genannte Argument, dass die jeweiligen Maßnahmen oder Lockdowns zu spät kamen, wird durch die Daten ebenfalls nicht gestützt.
Speziell am Beispiel Schweden im Vergleich zu Italien wird dieses Argument nicht bestätigt. Die Daten legen den Verdacht nahe, dass der Pandemie-Verlauf in den jeweiligen Ländern einen Spontanverlauf wie bei anderen Pandemien auch zeigt, der sich durch Regierungshandeln nicht sonderlich beeinflussen lässt.
Die Kurve der schwedischen Todeszahlen-Entwicklung sinkt nach ihrem Höhepunkt langsamer ab als die Kurven anderer Länder. Es ist nicht klar, ob das eine Bedeutung hat, schließlich hat das Fehlen massiven staatlichen Eingreifens eben gerade nicht zu auffällig hohen Todeszahlen im Ländervergleich geführt. Es ist sowieso im Hinblick auf die staatlichen Begründungen für ihre Maßnahmen vollkommen unerklärlich, warum in Schweden nicht die belgische oder italienische Katastrophe eingetreten ist. Nicht einmal die französische oder spanische.
Wichtiger ist die Frage, warum gerade in den Ländern mit strengen Maßnahmen die Todesraten gegen Ende der Kurven wieder ansteigen, während die schwedische Kurve noch flach ist. Besonders deutlich ist dies auf der ersten Grafik in diesem Beitrag zu erkennen.
Die aktuelle politische und mediale Rhetorik erinnert eher an verzweifeltes Gebrüll, das alles andere übertönen soll, als dass sie einer sachlichen, objektiven Darstellung der Dinge gleicht.
All dies legt den Gedanken nahe, dass die hier und anderswo aufgezeigten Relationen vielen Entscheidern mittlerweile durchaus im Grunde bekannt sind oder sie diese zumindest erahnen, dass sich nun aber panischer Aktivismus breitmacht. Denn es stellt sich die Frage nach der Verantwortung, sollte sich zeigen, dass die Dinge doch nicht immer so sind, wie sie seit Monaten propagiert werden. Und möglicherweise könnte festgestellt werden, dass das aufgezwungene Heilmittel tödlicher ist als die Krankheit selbst.
Da das obige Schaubild ziemlich komplex ist, folgt hier eine übersichtlichere Grafik, in der nur die jeweiligen Maximaldaten dargestellt sind.
Was fällt auf?
Es wird hier noch deutlicher, dass es überhaupt keinen Zusammenhang zwischen staatlicher Strenge und Covid-19-Toten gibt. Alles andere wurde vorher bereits erwähnt.
Masken und Covid-19
Der Oxford Stringency Index macht keine konkreten Angaben zum Tragen von Masken. Daher wurden Daten zu den länderspezifischen Maskenregeln aus anderer Quelle herangezogen. Die Seite Masks4all führt eine Statistik darüber, in welchen Ländern welche Maskenregeln gelten. Im Grunde wird auf dieser Seite Werbung für das Maskentragen gemacht. Vermutlich hat man dort nicht damit gerechnet, dass es jemand mit den Pandemie-Verläufen in Vergleich bringt. Denn die Ergebnisse dieses Abgleichs stützen die Werbung nicht.
Auch hier gilt: Die Daten sind kein Beweis an sich. Sie sind eine Übersichtsauswertung, welche viele mögliche andere Faktoren nicht isolieren kann. Aber sie können Tendenzen aufzeigen oder es eben nicht tun. Darüber hinaus liegen mir keine Zeitreihendaten über einen Verlauf der Maskenregelungen vor, sondern nur Zeitpunktdaten. Die Daten von Masks4all wurden am 18. Oktober 2020 abgerufen und geben damit den Datenstand zu diesem Zeitpunkt wieder.
Was fällt auf?
Es fällt auf, dass diejenigen Länder, die besonderen Wert auf Masken legen, auch den schnellsten Anstieg der Todeszahlen, den höchsten Peak der Todeszahlen und das höchste verbleibende Niveau an Covid-19-Toten haben. Schlechter kann es statistisch eigentlich nicht aussehen.
Es kann natürlich verschiedenste Gründe für die unterschiedlichen Verläufe geben. Fakt ist aber: Die positive Wirkung von Masken ist hier wirklich nicht plausibel darstellbar.
In der obigen Grafik wurden folgende Länder berücksichtigt:
Da auch hier verschiedenste Faktoren und Heterogenitäten die Daten verzerren können, wurde im Folgenden zum Vergleich die Auswertung für vierzehn europäische Länder dargestellt:
Was fällt auf?
In diesem Fall stellt sich die Auswertung anders dar: Die Länder, die überhaupt keine Maskenregeln haben, haben hier auch eine recht hohe Entwicklung der Todeszahlen.
Aber: Die Länder, die die strengsten Maskenregeln haben, liegen diesbezüglich wieder an der Spitze. Und wenn man die Länder mit eher laxen Regeln zusammengenommen betrachtet, dann kommen diese in Summe wieder besser weg.
Gesamtfazit
Alle Daten können einen positiven Effekt der staatlichen Maßnahmen sowie der Maskenregeln auf die Corona-Pandemie nicht bestätigen. Länder mit strengen Maßnahmen haben nicht weniger Tote. Länder mit strengen Maßnahmen stehen auch zum Herbst hin nicht besser da. Länder, die Wert auf das Maskentragen legen, haben deshalb nicht weniger Tote. Waren das aber nicht die Ziele?
Sollten bestimmte Maßnahmen dennoch einen positiven Effekt gehabt haben, so ist das in den Daten nicht erkennbar. Es entsteht stattdessen der Gesamteindruck, dass die Staaten keinen effektiven Einfluss auf die Pandemie hatten. Und es entsteht der Verdacht, dass die Politiker der verschiedenen Staaten eher aus Hilflosigkeit, Angst, Karrieremechanismen, Machtopportunismus und Mitläufertum irgendetwas getan haben, um zumindest den Eindruck zu vermitteln, dass sie Herr einer Lage sind, die sie selbst nicht einschätzen konnten und das bis heute nicht können.
Das dürfen keine Gründe für massive gesellschaftliche und wirtschaftliche Eingriffe sein!
Im Mittelalter hat man mit Schnabelmasken und dem damaligen Äquivalent zu dem, was wir heute als Räucherstäbchen kennen, die Pest bekämpft und fest daran geglaubt, dass das funktioniert. Das hat es natürlich nicht. Eben weil es nur Aberglaube war. Und das ist es, was mich heutzutage am meisten schockiert: Wir bekämpfen Gefahren noch immer mit Aberglauben! Und wir sind dafür bereit, vollständig verbrannte Erde und kaputte Gesellschaften zurückzulassen?
Es ist ein schwierigeres Unterfangen, die Nichtexistenz von Ursachen und Zusammenhängen zu beweisen als deren Existenz. Aber seit Monaten werden Zusammenhänge eher behauptet als bewiesen und dann müssen diese Behauptungen mühsam widerlegt werden. Das ist in etwa so, als könnte man jeden beliebigen Menschen wegen einer Straftat anzeigen, weil einem danach ist, und es wäre dann die Aufgabe des Beklagten, seine Unschuld zu beweisen. Gelingt ihm das nicht, gilt er automatisch als schuldig. Unser Rechtssystem funktioniert grundsätzlich genau anders herum.
Und so muss es auch für den Staat sein: Wer etwas tut und für andere entscheidet — vor allem, wenn es sehr gravierende Folgen hat —, muss selbst beweisen können, warum das sinnvoll, richtig, verhältnismäßig, zielführend und rechtens ist. Und je gravierender der potenzielle Schaden ist, umso sicherer sollte er sich seines Handelns sein und es ebenso darlegen können.
Jegliche Beweisführung sei erlaubt und auch erwünscht! Aber Aberglauben ist dafür kein Ersatz.
Quellen und Anmerkungen:
Angaben zur Dauer von Ansteckung bis Symptombeginn und Symptombeginn bis Eintritt des Todes: SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Punkt 5. Inkubationszeit und serielles Intervall, Punkt 11. Durchschnittliche Zeitintervalle bei der Behandlung
Coronavirus Government Response Tracker/Oxford Stringency Index:
Empfohlenes Quellenzitat: Hale, Thomas, Noam Angrist, Emily Cameron-Blake, Laura Hallas, Beatriz Kira, Saptarshi Majumdar, Anna Petherick, Toby Phillips, Helen Tatlow, Samuel Webster (2020). Oxford COVID-19 Government Response Tracker, Blavatnik School of Government.