Regisseur Thomas Vinterberg wurde zuerst als Mitstreiter der Dogma-Filmschule von Lars von Trier durch sein Inzestdrama „Das Fest“ bekannt. Ähnlich empört und zynisch wie der Familienpatriarch in „Das Fest“ reagierten 2019 deutsche Kinokritiker auf Vinterbergs neuesten Film „Kursk“. Was hatte der Däne falsch gemacht? Er habe die Geschichte verfälscht, wurde ihm vorgeworfen, er habe Heldenverehrung betrieben, er habe seinen künstlerischen Dogma-Stil an den Kommerz verraten. Als ob andere Regisseure ohne Helden auskommen und keine Konzession an den Massengeschmack machen. Zwischen den Zeilen wird klar: Vinterberg hat die westlichen Filmpatriarchen enttäuscht, weil er den Stoff nicht zu einer antirussischen Propaganda-Schmonzette gegen Wladimir Putin verarbeitet hat, wie sie der westliche Kino-Mainstream am Fließband produziert.
Künstlerische Freiheit statt Propaganda-Einheitsbrei
Denn dem frisch vereidigten Präsidenten Putin geriet im August 2000 die Havarie der Kursk — Stolz der russischen Flotte — fast zu einem Fehlstart ins Amt. Vielleicht gerade, um sich nicht dem russophoben Mainstream des Westkinos anzupassen, ersetzte Vinterberg Putin im Film durch einen fiktiven Admiral Petrenko, der die Rolle des Schurken in diesem Stück übernehmen muss. Dabei spielt in „Kursk“ der belgische Star Matthias Schoenaerts die Hauptrolle des tapferen Offiziers Mikhail Averin, und der hatte gerade erst in der Action-Schmonzette „Red Sparrow“ den brutalen KBG-Karrieristen Ivan gegeben. Ivan, optisch deutlich auf Putin gemünzt, steckt dort seine blutjunge Nichte in ein KGB-Bordell, aus dem sie ein strahlender CIA-Held retten darf. Das war eine Story, wie sie unsere Kinokritiker eher lieben.
Admiral Vladimir Petrenko, für den Vinterberg den greisen Max von Sydow (bekannt als James-Bond-Schurke Blofeld) besetzte, lehnt Hilfe aus dem Westen ab — aus Gründen militärischer Geheimhaltung. Petrenko belügt die Matrosenwitwen und muss nach dem Scheitern eigener Anstrengungen schließlich doch einem britisch-norwegischen Rettungs-U-Boot die Bergung der 23 zunächst Überlebenden beziehungsweise nur noch von deren Leichen überlassen.
Vinterberg ergänzt die Darstellung des historischen Dramas aber noch um ein Detail, das seine deutschen Filmkritiker nicht hören wollten: Es war nicht Putin, sondern der prowestliche Boris Jelzin, der das zur Rettung der Überlebenden fehlende Spezial-U-Boot an den Westen verscherbelt hatte. Wie man im Film erfährt, brachten es zum Zeitpunkt der Kursk-Havarie reiche Amerikaner zum Wrack der Titanic. Am Pranger steht neben unfähigen Sowjetmilitärs plötzlich auch der korrupte Ausverkauf Russlands an westliche Konzerne.
Kulturkampf im russophoben Feuilleton?
War es die Enthüllung dieser, in deren genüsslichen historischen Rückblicken auf die Schmach des russischen U-Boot-Desasters fehlenden Tatsache, die deutsche Feuilletonisten aufheulen ließ? Vinterbergs Film wolle „Geschichte versenken“, titelte beispielsweise der Spiegel. Ungeachtet der realen 118 Ertrunkenen ergingen die Filmkritiker sich in zynischem Spott. „Blubb, blubb“ (Till Kadritzke) oder „Gluck, gluck“ (Rüdiger Suchsland) höhnte man den Opfern nach, die FAZ verstieg sich gar zur Häme über ein angebliches „Walhall absaufender Männlichkeit“.
Ist es russophober Rassismus, der hier seine zynische Fratze zeigte? Oder ist es Usus, dass deutsche Feuilletons Filme etwa zum Untergang der Ostseefähre Estonia mit „Blubb, blubb“ kommentieren oder zur Explosion der Hindenburg mit einem launigen „Krawumm“?
Zeigt sich hier ein von Kalten Kriegern geführter konservativ-reaktionärer Kulturkampf gegen vermeintliche „Feinde des Westens“, die doch eher Konkurrenten gewisser westlicher Machtcliquen um geostrategische Ressourcen sind.
Ein Kulturkampf, der im Web immer mehr rechte Kulturkrieger auf den Plan gerufen und in den USA maßgeblich zu Trumps Wahlsieg beigetragen hat.
US-Spionage und Superkavitation
Vinterbergs Film hält sich an die Fakten, die laut einer damals von Putin angeordneten, sehr kostspieligen Rekonstruktion des Unglücks besagen, dass ein schlecht gewartetes Übungstorpedo im Schiff explodierte. Zunächst war über tschetschenische Terroristen oder die Kollision der Kursk mit einem NATO-Spionage-U-Boot spekuliert worden. Am 12. August 2000 sank die „Kursk“, der 154 Meter lange Stolz der russischen Nordmeerflotte, nach Explosionen in ihrem Bug auf gut 100 Meter Tiefe in der Barentssee vor Murmansk. Versuche der Nordflotte, mit veralteten und maroden Rettungs-U-Booten eine Ausstiegsluke der „Kursk“ zu öffnen, blieben erfolglos.
Als es norwegischen Tauchern eine Woche später in das Wrack gelangten, lebte kein Matrose mehr. Später fand man anhand der Abschiedsbriefe heraus, dass im hinteren Teil des zerstörten Rumpfs 23 Seeleute die Havarie der „Kursk“ zunächst überlebt hatten.
Der Actionfilm „Kursk“ dokumentiert auf dramatische wie realistische Weise den Überlebenskampf der Seeleute, die Proteste ihrer Familien an Land gegen die Informationspolitik der Flotte und die Verhandlungen auf der militärischen Kommandoebene.
Ein historisches Detail vergisst jedoch sowohl Vinterbergs Film wie auch seine höhnischen Kritiker: Im Hintergrund der Kursk-Katastrophe tobte eine Geheimdienstschlacht, die möglicherweise das Schicksal der Überlebenden besiegelte. Die paranoide Geheimniskrämerei der russischen Admiralität galt auch dem bis heute wenig bekannten sowjetischen Technologievorsprung bei Torpedos. Auch die „Kursk“ hatte vermutlich die hochgeheimen Superkavitationstorpedos an Bord, deren Geheimnis Moskau keinesfalls preisgeben wollte.
Drei Monate vor der Kursk-Havarie, am 5. April 2000, wurden der mutmaßliche US-Navy-Agent Edmond Pope und der US-Torpedoexperte Prof. Howard Kiely in Moskau verhaftet, weil sie hinter Plänen der Superkavitationstorpedos her gewesen sein sollen. Ohne diese Spionageaffäre wäre die Nordmeerflotte vielleicht eher bereit gewesen, westliche Hilfe anzunehmen.