Cook benennt die Fehler der US-Politik im Mittleren Osten in den letzten 15 Jahren und fordert eine grundsätzliche Neuorientierung. Die Irak-Invasion 2003 habe die Region destabilisiert, den Iran gestärkt, die US-Beziehungen mit seinen Verbündeten beschädigt und extremistische Gewalt angestachelt, so Cook. Das habe die US-Position in der Region geschwächt. Trotz dieser Erfahrungen habe die USA in Syrien eingegriffen mit exakt den gleichen Ergebnissen: Regionale Instabilität verschärfte sich, der Iran wurde stärker, die Beziehungen zu den regionalen Freunden verschlechterten sich und Terrorgruppen, die transnational agieren, seien noch stärker geworden.
Syrien sei zum Dreh- und Angelpunkt für die russische Strategie geworden, seine Position als Weltmacht zu behaupten. Das sei gelungen, denn der russische Einfluss im Mittleren Osten reiche heute von Damaskus östlich über die kurdischen Gebiete in Syrien und Irak bis nach Teheran. Und von Damaskus südlich bis Ägypten und Libyen. Russland habe seine Beziehungen zu den Golfstaaten ebenso gefestigt wie zu Israel und der Türkei. Die Zeit, in der die USA die Spielregeln der regionalen Ordnung im Mittleren Osten festgelegt habe, sei nach 25 Jahren vorbei.
Syrien, Russland und Iran hätten den Krieg in Syrien gewonnen, so Cook. Jetzt sei die Gelegenheit für die US-Amerikaner, grundsätzlich darüber zu diskutieren, wie wichtig der Mittlere Osten für die USA eigentlich sei und warum. Leicht sei das nicht, aber notwendig. US-Interessen erforderten eine aktive Rolle der USA, doch es gebe gute Argumente dafür, dass die USA ihre Ziele und Interessen im Mittleren Osten „ohne Kriege, ohne gesellschaftsverändernde Projekte, ohne Friedensprozesse und Sitzungen in Genf“ erreichen könne. Bisher sei die US-Politik im Mittleren Osten zwiespältig und träge. Die Folge sei, dass Syrien, Russland und der Iran ihren Sieg weiter ausbauen können.
Syrien, Russland und der Iran haben gewonnen
Tatsächlich hat kein Akteur des Syrienkrieges so aktiv und kreativ die Entwicklung bestimmt wie Russland. Militärisch und diplomatisch blieb Moskau mit allen Seiten im Gespräch und konnte so die syrischen Streitkräfte stärken, die ein Gebiet nach dem anderen aus der Kontrolle der bewaffneten Kampfverbände befreiten. Nach dem Osten von Aleppo und Deir Ez-Zor, verloren die „Regime-Changer“ auch die Ghouta, die östlichen Vororte von Damaskus, und zuletzt die Provinzen Qunaitra und Deraa im Südwesten des Landes.
Mit dem Astana-Prozess wurde Anfang 2017 eine Plattform geschaffen, auf der bewaffnete Gruppen mit der syrischen Regierung in direkte Verhandlungen kamen. Gestützt wurde der Prozess vom Iran und der Türkei, zwei regionalen Großmächten, die im Syrien-Krieg entgegengesetzte Positionen vertreten. Der Westen und die Golfstaaten waren nicht bereit, dieses Format zu unterstützen, obwohl sie dazu – wie auch die UNO – eingeladen waren.
Unbeirrt von medialem, wirtschaftlichem, politischem und militärischem Sperrfeuer setzt Russland mit Syrien und dem Iran diesen Weg fort. Die Türkei agiert aufgrund mangelnder Orientierung zwischen der NATO und Russland zeitweise wie ein freier Radikaler, wird aber bisher immer wieder von Russland eingefangen. Die Ansage an die Kampfgruppen ist: Wer die Waffen niederlegt, kann mit einer Amnestie rechnen, wer weiterkämpfen will, wird weiter bekämpft.
Die westlichen Unterstützer der Kampfgruppen in Syrien streichen die Segel und ziehen sich und ihre Anhänger vor Ort still und leise aus Syrien zurück. Geldzahlungen werden eingestellt, die „Weißhelme“ werden mit ihren Familien evakuiert und finden großzügige Aufnahme in den Ländern, die ihnen die letzten Jahre ihre Gehälter bezahlt haben.
Russland triumphiert über diese Entwicklung nicht, sondern versucht, die Akteure, die nicht nur gegen Syrien und Iran sondern auch gegen Russland in Stellung gegangen sind, in die Stabilisierung Syriens und der Region einzubeziehen.
Rückkehr von Flüchtlingen und Wiederaufbau
Mit der Initiative, die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge mit einer Wiederaufbauinitiative zu verbinden, findet Russland bei Syrien und den Nachbarstaaten Zustimmung. Libanon, Jordanien und die Türkei werden durch die große Zahl von syrischen Flüchtlingen politisch, sozial und wirtschaftlich belastet. Trotz finanzieller Hilfe der UNO und westlicher Staaten können sie angesichts ihrer wirtschaftlichen Probleme die Herausforderung kaum meistern. Ein Wiederaufbau in Syrien wäre mit der Öffnung der Grenzen verbunden, wovon alle Staaten der Region profitieren könnten.
Der libanesische Außenminister Gibran Basil bekräftigte nach Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow in Moskau, die Lage in Syrien habe sich geändert und der Libanon werde mit Russland bei der Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien zusammenarbeiten. Für den Wiederaufbau Syriens sieht Libanon sich in der Rolle einer „Plattform“. Die Häfen des Libanon –Beirut und Tripoli – werden für den Wiederaufbau gebraucht. Das wird der libanesischen Wirtschaft neue Arbeitsplätze bringen, die sie dringend braucht.
Auch Jordanien würde gern den mehr als 600.000 syrischen Flüchtlingen den Rückweg nach Syrien ermöglichen. Noch bremst das UN-Hilfswerk für Flüchtlinge, UNHCR, weil die Lage in Syrien nicht sicher sei. Die Bundesregierung unterstützt Jordanien mit Entwicklungshilfe in Höhe von 384 Millionen Euro für humanitäre Fragen und Bildung. Kürzlich kam ein weiterer Kredit in Höhe von 100 Millionen Euro hinzu, um vom Weltwährungsfonds, IWF, geforderte Reformen umzusetzen. Doch seitdem die syrische Armee wieder die Kontrolle der beidseitigen Grenze übernommen hat, rechnet man in Jordanien mit der baldigen Öffnung des Grenzüberganges Nassib für Menschen- und Warenverkehr. Eine kleine Zahl von Flüchtlingen konnte bereits nach Syrien zurückkehren, wo sie von einer neu eingerichteten russisch-syrischen Kommission, die die Zurückkehrenden betreuen soll, in Empfang genommen wurde.
Selbst die Türkei, deren Währung und Wirtschaft sich seit Beginn des Krieges 2011 auf einer steilen Talfahrt befinden, ist zu Zugeständnissen bereit. Wenn Syrien wieder die Kontrolle der beidseitigen Grenze übernehmen und damit das kurdische Projekt einer Föderation eingedämmt würde, wäre Ankara zu Zugeständnissen bereit. Man hofft auf große Wiederaufbauprojekte im Straßenbau und bei der Wiederherstellung der Stromversorgung. Schon jetzt führt die Türkei sich als neuer Herrscher in einigen Gebieten im Norden Syriens auf, mit eigener Polizei, Schulen, Post, mit Straßen- und Wohnungsbau. Die Finanzierung – im Rahmen von Stabilisierungsprojekten – könnte von Frankreich und Deutschland übernommen werden. Mit russischer Unterstützung hat die Türkei beide Staaten zu einer Konferenz für Wiederaufbau und die Rückkehr von Flüchtlingen eingeladen.
Die letzte Entscheidung liegt allerdings bei der syrischen Regierung. Die hatte dem Westen bereits eine Absage erteilt. Gegenüber der Türkei gibt es in Damaskus die klare Forderung, sich vor allen weiteren Entscheidungen zuerst aus Syrien komplett zurückzuziehen.
Deutschland und Frankreich wollen mitreden
Sowohl Deutschland als auch Frankreich haben ausgeprägte Ambitionen zur Kontrolle des Mittleren Ostens und sind daher für die Avancen der Türkei empfänglich. Beide verfügen über engste Beziehungen zu Israel, das ihr Engagement in Syrien als Garantie der eigenen Sicherheit – gegen den Iran – begrüßen dürfte. Beide Länder haben intern Probleme, die Flüchtlinge, die nach Europa kommen, auf alle europäischen Staaten zu verteilen. In der von Russland nun eingeleiteten Initiative für die Rückkehr von Flüchtlingen und für den Wiederaufbau Syriens sehen Paris und Berlin offenbar die Chance, nationale Ambitionen und europäische Interessen zu verbinden.
Noch sind sie mit den USA in der so genannten „Anti-IS-Koalition“ verbunden und unterstützen Oppositionelle in Idlib, im Norden Syriens und östlich des Euphrat. Also weigern Paris und Berlin sich auch, Syrien ohne Vorbedingungen beim Wiederaufbau zu helfen. Das hieße vor allem, die EU-Wirtschaftssanktionen gegen das Land aufzuheben, die es europäischen Firmen verbieten, mit Syrien Geschäfte zu machen. Das hieße auch, dem ganzen Land Syrien beim Wiederaufbau zu helfen und nicht nur ausgewählten Gebieten, die von Oppositionellen, egal welcher Couleur, kontrolliert werden. Erst müsse es eine „politische Lösung“ in Syrien geben, so Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kürzlich in Schloss Meseberg. Dann könne man auch an Wiederaufbau denken.
Nichts wird allerdings entschieden, bevor nicht die regionalen Mächte Türkei und Iran mit Russland die Lage in Syrien besprochen haben. Und vor weiteren internationalen Schritten muss noch eine Front in Syrien geklärt werden: Idlib. Dafür wird es Anfang September ein Gipfeltreffen der Garantiemächte des Astana-Prozesses geben. Russland, Iran und Türkei werden sich in der ersten Septemberwoche in Teheran treffen.
Idlib
Die Offensive der syrischen Armee und ihrer Verbündeten in der nordwestsyrischen Provinz Idlib steht bevor. Westliche Medien warnen vor einem „Blutbad“, die westlichen Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat haben Damaskus davor gewarnt, in Idlib „erneut Chemiewaffen“ einzusetzen. Das werde eine „sehr starke“ Reaktion zur Folge haben, kündigte der Nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters an.
In einer Erklärung von USA, Großbritannien und Frankreich hieß es, man sei „tief besorgt“ angesichts der bevorstehenden Militäroffensive auf Idlib und werde im Falle eines Chemiewaffeneinsatzes „entschlossen handeln“. Veröffentlicht wurde die Erklärung am 21. August, dem fünften Jahrestag eines Chemiewaffeneinsatzes im Umland von Damaskus am 21. August 2013. Damals konnte ein massiver Angriff der drei westlichen Veto-Mächte und Israels auf Syrien verhindert werden, weil Syrien – durch Vermittlung Russlands – sich bereit erklärte, sein gesamtes Chemiewaffenarsenal der UNO zur Vernichtung zu übergeben, und dem Chemiewaffenabkommen beitrat.
Syrien hat damals und bis heute bestritten, Chemiewaffen eingesetzt zu haben oder einzusetzen. Untersuchungen der Inspekteure der Organisation für den Schutz vor Chemiewaffen, OPCW, haben nur in wenigen Fällen stattgefunden. Das Mandat der OPCW sieht nicht vor, Verursacher zu benennen. Das kann nur geklärt werden, wenn der UN-Sicherheitsrat ein Strafgerichtsverfahren eröffnet.
Auch die jüngste Erklärung der drei Westmächte wurde vom Außenministerium in Damaskus entschieden zurückgewiesen. Die westlichen Staaten ermunterten mit solchen Erklärungen die terroristischen Gruppen in Idlib, giftige Substanzen einzusetzen, um ein westliches Eingreifen gegen die syrischen Streitkräfte zu provozieren, hieß es in einer Erklärung.
Der Westen weiß, dass die Offensive nicht aufzuhalten ist. Selbst die Türkei, mit der die USA, europäische und Golfstaaten den Überfall der „Armee der Eroberung“ auf Idlib 2015 unterstützt hatten, will sich nun aus der Verantwortung ziehen. Am 24. August reisten der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, Verteidigungsminister Hulusi Akar und Geheimdienstchef Hakan Fidan nach Moskau zu Gesprächen mit ihren Amtskollegen und Präsident Putin. Offiziell fordert die Türkei eine nicht-militärische Lösung, doch Außenminister Cavusoglu räumte die Anwesenheit von „Terrorgruppen“ in Idlib ein, die es nicht kontrollieren kann.
Um die Kampfgruppen zu retten, die Ankara und seinen Verbündeten am Golf und im Westen am nächsten stehen, hatte die Türkei im Mai 2018 eine „Nationale Befreiungsfront“ initiiert, die aus elf verschiedenen Kampfgruppen besteht. Unter den elf Gruppen sind auch „Ahrar al-Sham“ und „Nour al Din al-Zenki“, die ideologisch dem Salafismus zugeordnet werden und Kriegsverbrechen verübt haben. Die Türkei und westliche Staaten, auch Deutschland, haben versucht aus „Ahrar al-Sham“ eine neue, westlichen Maßstäben angepasste Organisation zu entwickeln, die in den Genfer Verhandlungsprozess einbezogen werden sollte. Ohne Erfolg.
Idlib gilt nach dem Astana-Format als Deeskalationsgebiet, daher hat die Türkei 12 militärische Posten um die Provinz aufgebaut, um Kampfhandlungen zwischen den bewaffneten Gruppen und der syrischen Armee zu verhindern. Trotz ihres großen Einflusses und der Unterstützung für die Kampfgruppen ist es der Türkei nicht gelungen, die international als „Terrorgruppen“ gelisteten von den so genannten „moderaten“ Kampfgruppen zu trennen.
Der stärkste Kampfverband ist weiterhin die Allianz Hay’at Tahrir al-Sham, Nachfolgeorganisation der Nusra Front. Die meisten der Kämpfer wurden aus Aleppo, der östlichen Ghouta und Deraa nach Idlib transportiert, weil sie nicht bereit waren, ihre Waffen niederzulegen. Zudem befinden sich unter diesen Kämpfern Ausländer aus Europa, arabischen Ländern, Pakistan und Russland. Selbst Uiguren aus China haben sich dort angeschlossen.
Für die ausländischen Kämpfer, von denen es in Idlib noch bis zu 30.000 geben soll, gibt es von Seiten der syrischen Armee nur ein „Angebot“: Sie müssen das Land verlassen. Für die Türkei ist das ein großes Problem, denn die Herkunftsländer dieser Kämpfer, die dem Islamischen Staat und Al Qaida nahe stehen, sind nicht bereit, diese Männer und ihre Familien aufzunehmen.
Brett McGurk, Sonderbeauftragter für den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ im Irak und Syrien, nannte im August 2017 die Provinz Idlib den „größten sicheren Rückzugsort für Al Qaida seit 9/11."
Sowohl die USA als auch Großbritannien haben Konsequenzen daraus gezogen und ihre finanzielle Unterstützung für die Kampfverbände in Idlib eingestellt.
Die staatliche US-Entwicklungshilfeorganisation USAID stoppte Zahlungen für humanitäre Hilfe, nachdem eine interne Untersuchung ergeben hatte, dass Kämpfer von Hay’at Tahrir al-Sham von dieser Hilfe profitiert hatten. Dabei handelte es sich um ein 44,6 Millionen US-Dollar schweres Hilfsprojekt einer privaten Hilfsorganisation, wie es in einem Untersuchungsbericht von USAID an den US-Kongress vom Juli 2018 heißt. „Kämpfer“ von Hay’at Tahrir Al-Scham seien von Mitarbeitern der namentlich nicht genannten Organisation auf die Liste von Zivilisten gesetzt worden, die Nahrungsmittelhilfe erhalten durften. USAID hätten sie eine „gefälschte Empfängerliste“ eingereicht, um den Vorgang zu vertuschen. Die Mitarbeiter hätten „unter Zwang“ der bewaffneten Gruppe gehandelt, 27 Personen seien entlassen worden.
Ashley Jackson, Mitarbeiterin des britischen Instituts für internationale Entwicklung, ODI, beobachtet seit Jahren die humanitäre Hilfe in Kriegs- und Krisengebieten. Der Vorgang in Idlib sei nicht nur unverantwortlich von der Hilfsorganisation, kommentierte sie. „Es sind auch unverantwortliche Geldgeber, die sich innenpolitischem Druck beugen und Hilfe liefern, obwohl sie wissen, dass diese in die falschen Hände geraten kann.“
Die britische Regierung erklärte, die Finanzierung einiger Hilfs- und Ausbildungsprogramme im Nordwesten Syriens, in Idlib und Hama, werde eingestellt. Die Situation sei “zunehmend schwierig” geworden, teilte eine Regierungssprecherin der Nachrichtenagentur Reuters auf Anfrage schriftlich mit. Medienberichten zufolge soll die Finanzierung für die so genannten „Lokalräte“ zunächst überprüft und vermutlich zum Ende des laufenden Haushaltsjahres, also am 31. März 2019, eingestellt werden. Ab September soll zudem die Finanzierung der „Freien Syrischen Polizei“ eingestellt werden, an der sich auch Deutschland beteiligt hatte. Ein Bericht der britischen BBC hatte im Dezember 2017 nachgewiesen, dass Al Qaida-nahe Organisationen von der Finanzierung profitiert hatten, die von der UNO als „terroristisch“ eingestuft werden. Danach hatte zunächst London und dann auch Berlin die Finanzierung der „Freien Syrischen Polizei“ ausgesetzt.
Suche nach nicht-militärischer Lösung
Tatsächlich verhandelt Russland mit der Türkei – und Syrien – seit Wochen darüber, wie die Schlacht um Idlib vermieden und die Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen geschützt werden kann. Die syrische Armee wirft aus Hubschraubern Flugblätter ab, um die bewaffneten Gruppen zur Aufgabe zu bewegen. Den syrischen Kämpfern wird Amnestie angeboten, wenn sie ihre Waffen niederlegen. Russland hat Inlandsvertriebenen die Rückkehr aus Idlib in ihre ursprünglichen Wohnorte in Aleppo und Hama ermöglicht. Ein humanitärer Korridor wurde eingerichtet, durch den Familien aus Idlib herauskommen können.
Die Nationale Befreiungsfront, NFL, allerdings mobilisiert ihre Kräfte, um die Offensive zurückzuschlagen. Verhandlungen werden von dieser Seite – noch – abgelehnt.
Die Türkei rechnet damit, dass im Falle einer militärischen Offensive bis zu 250.000 Menschen versuchen könnten, in die Türkei zu fliehen. Die UNO sprach von 2,5 Millionen. In den Lagern der Inlandsvertriebenen, die in den letzten Jahren entlang der syrisch-türkischen Grenze im Norden Idlibs entstanden und die teilweise zu Ortschaften mit neuen Häusern, Restaurants, Schulen und Läden geworden sind, könnte nach dem Willen der Türkei eine „Schutzzone“ eingerichtet werden. Unklar ist allerdings, ob Hay’at Tahrir al-Sham diese Lager nicht bereits kontrolliert.
Die syrische Nachrichtenagentur SANA berichtete unter Berufung auf Quellen vor Ort, dass von Hay’at Tahrir al Sham und der Turkistanischen Islamischen Partei möglicherweise ein Anschlag mit chemischen Substanzen vorbereitet werde. Anwohner hätten beobachtet, dass fensterlose Lieferwagen Fässer aus einer Fabrik bei Atmeh (Türkei) nach Jisr al-Shughour gebracht hätten. Die Fabrik sei auf das Recyceln von Chlorin spezialisiert. Auch Angehörige der „Weißhelme“ seien an dem Transport beteiligt gewesen. Atmeh liegt im türkisch-syrischen Grenzgebiet, Jisr as-Shughour liegt etwa eine Autostunde entfernt an der Verbindungsstraße zwischen Aleppo und Latakia. Der Angriff auf die Provinz Idlib wird unter anderem aus der Provinz Latakia erwartet, wo die syrische Armee große Truppenverbände gesammelt hat.
Die Verantwortung der „Freunde Syriens“
Was immer in der Provinz Idlib in den nächsten Wochen geschieht, liegt auch in der Verantwortung der Türkei, des Westens und der Golfstaaten. Seit Anfang 2012 halfen sie, große Mengen Waffen über die Türkei nach Syrien zu schmuggeln, und ermöglichten Tausenden Kämpfern die freie Durchreise. Mit Milliarden an Hilfsgeldern für Waffen, Munition, Logistik, Radio- und Funkgeräte wurde – besonders in Idlib – einer angeblich zivilen Opposition geholfen, die schon nach kurzer Zeit von extremistischen Kampfverbänden kontrolliert wurde. Der Westen, die Türkei, die Golfstaaten, die sich 2012 als „Freunde Syriens“ zusammengeschlossen hatten, halfen diesen Kampfverbänden, ihre Basen für einen Regierungsumsturz zu festigen.
Auch Deutschland hat dazu beigetragen. Politik und Medien haben vermutlich verdrängt, dass bereits im Sommer 2012 ein deutsches Spionageschiff mit modernster Abhörtechnik des Bundesnachrichtendienstes vor der syrischen Küste kreuzte, den Funkverkehr der syrischen Armee abhörte und – über US- und britische Partnerdienste – an die Kampfverbände weiterleitete.
Der Westen finanzierte Ausbildung und Aufbau so genannter sozialer Medien, Blogs und „Bürgerjournalisten“, Medienzentren, Hilfsorganisationen wie die „Weißhelme“, die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“, die Lokalräte.
Die eigentliche Opposition, die Veränderung in Syrien und keinen Umsturz wollte, hatte schon im Sommer 2011 verloren. Ihr Plädoyer gegen die Bewaffnung und für den Dialog – verabschiedet auf einer Konferenz in Damaskus – war von den „Freunden Syriens“ und von syrischen Oppositionellen im Ausland belacht und diffamiert worden.
Der Krieg in Syrien ist entschieden
Nach sieben Jahren müssen die „Freunde Syriens“ ihre Niederlage einsehen. Der militärische Umsturz in Damaskus ist gescheitert, doch die letzte Schlacht ist noch nicht geschlagen. Während die syrische Armee sich nach Idlib aufmacht und – zur Vermeidung eines weiteren Krieges – mit den syrischen Kurden verhandelt, führt die US-geführte „Anti-IS-Allianz“ die Schlacht um das östliche Euphrat-Tal. Unter keinen Umständen wollen die USA die Kontrolle entlang der syrisch-irakischen Grenze und der wertvollen Ölquellen im Osten Syriens aufgeben. Offiziell heißt es, der IS müsse eingedämmt und unter Kontrolle gebracht werden. Tatsächlich soll der Iran daran gehindert werden, seine regionalen Verbindungen zum Irak, zu Syrien und zur Hisbollah im Libanon auf dem Landweg zu festigen.
Hinter dieser US-Politik steht auch „Mr. Security“, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Er drängt die USA seit Jahren, die Präsenz des Iran in Syrien zu einer Frage von Krieg und Frieden in der Region zu machen. Netanyahu, der sowohl mit den USA als auch mit Russland gute Beziehungen unterhält, nutzt die Androhung eines Krieges in der Region – der sowohl den US- als auch den russischen Interessen schaden würde –, um die beiden Großmächte gegeneinander und gegen den Iran in Stellung zu bringen. Eine im Israel-nahen Washingtoner Institut für Nahost-Politik veröffentlichte Studie bereitet auf einen „Krieg im Großen Mittleren Osten 2019“ vor.
Akteure wären demzufolge Israel, Iran und die „Achse des Widerstandes“. Mitautor ist Nadav Ben Hour, Major der Israelischen Streitkräfte. Willkommener Nebeneffekt für „Mr. Security“ Netanyahu und die US-Rüstungsindustrie: Die permanent beschworene Kriegsgefahr schraubt den Militärhaushalt Israels – der von den USA und europäischen Staaten gesponsert wird – immer weiter in die Höhe.